Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
18. 12. 2005
Die Wahlen zur irakischen
Nationalversammlung und
die Aussichten für den Demokratisierungsprozess
Am 15. Dezember fanden die Wahlen zur
Nationalversammlung im Irak statt, der sich seit anderthalb Jahren
in dem politischen Prozess zu einer durch das irakische Volk
legitimierten eigenen Regierung befindet. Die Wahlen bildeten den
Höhepunkt dieses Prozesses und fanden dementsprechend große
internationale Aufmerksamkeit. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam
Hussein im April 2003 wurden die Regierungsbefugnisse im Juni 2004
von der eingesetzten provisorischen Regierungsbehörde der Koalition
an die irakische Interimsregierung übergeben Im Januar 2005 fanden
dann die Wahlen für ein Übergangsparlament statt, das dann im April
eine Übergangsregierung ernannte. Im Oktober folgte ein Referendum
über einen neuen Verfassungsentwurf, auf dessen Grundlage nun
letztendlich die Wahlen zur Nationalversammlung stattfanden. Der
nächste Schritt ist nun die Ernennung der ersten regulären
irakischen Nachkriegsregierung durch die neue Nationalversammlung.
Friedliche Wahlen und hohe Wahlbeteiligung
Hätten die Wahlen aufgrund des Wahlboykotts eines
Großteils der irakischen Bevölkerung oder wegen terroristischer
Anschläge in einem Chaos geendet, wäre dies ein enormer Rückschlag
für die Normalisierungsbestrebungen im Irak gewesen. Um solchen
Befürchtungen entgegenzuwirken, waren in den größeren irakischen
Städten strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, darunter
ein allgemeines Fahrverbot. Unter diesen Umständen verliefen die
Wahlen relativ friedlich und die Wahlbeteiligung war höher als
ursprünglich erwartet. Die fünf führenden Tageszeitungen Japans
widmeten ihre Leitartikel vom 17. Dezember den Wahlen und werteten
diese als Erfolg.
Die Mainichi Shimbun kommentierte: "Die
sunnitische Minderheit, die die Wahl im Januar noch boykottiert
hatte, hat sich dieses Mal beteiligt. Die Wahlbeteiligung scheint
somit mit 70 bis 80% ziemlich hoch zu sein. Es ist uns eine Freude,
dass diese Wahl als letzte Stufe des nationalen Wiederaufbaus den
Willen der Mehrheit des irakischen Volkes widerspiegelt." Sie fügte
erwartungsvoll hinzu: "Wir hoffen, dass der Irak - durch diese Wahl
inspiriert - einen großen Schritt in Richtung Unabhängigkeit und
Aufschwung machen wird."
Die Yomiuri Shimbun stellte fest: "Es ist
auffällig, dass sich erstmals alle politischen Gruppierungen im Irak
an dem politischen Prozess beteiligen. Insbesondere die Beteiligung
der Sunniten mag dazu beitragen, in Zukunft die Sicherheit im Lande
zu verbessern, da man den Großteil der militanten Gruppierungen den
Sunniten zurechnet. Durch den Volksentscheid wird die erste auf der
Basis der neuen Verfassung ernannte Regierung auf eine starke
Legitimitätsgrundlage verweisen können."
Die Sankei Shimbun stellte fest: "Seit der
Bildung der Interimsregierung sind erst anderthalb Jahre vergangen.
Die Tatsache, dass sich in solch kurzer Zeit zahlreiche politische
Gruppen bildeten und die Menschen das Prinzip der Durchsetzung von
Interessen mittels Wahlen anstatt mittels Gewalt akzeptiert haben,
ist ein eindeutiger Beleg für die Demokratisierung."
Wahlbeteiligung der sunnitischen Minderheit und
Herausbildung einer säkularen Strömung innerhalb der Schiiten
Die Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum
Übergangsparlament im Januar betrug nur 58% und war in dem Boykott
durch die sunnitische Bevölkerung begründet. Dieses Mal wird
angenommen, dass die Wahlbeteiligung bei über 70% liegt. Wie die
Asahi Shimbun ausführt, liegt einer der Gründe für die hohe
Wahlbeteiligung darin, dass "viele der Wähler, die zu den Urnen
gingen, vor allem ein sicheres Umfeld wünschen." Zu diesem
verständlichen Wunsch der Menschen kam laut den japanischen Medien
noch der Gesinnungswandel bei den Sunniten hinzu.
Die Asahi hob hervor: "Die sunnitische
Minderheit, die die ehemalige Regierung Hussein unterstützt hatte,
bildete den Kern des antiamerikanischen Widerstands. Die Sunniten
richteten ihre Angriffe gleichfalls gegen Schiiten und Kurden, die
mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien u.a. kooperierten, und
vertieften dadurch ihre eigene Isolation. Jetzt hingegen entschieden
sie sich zur Teilnahme an den Wahlen, denn sonst hätten sie in Kauf
genommen, im Zuge des nationalen Wiederaufbaus weiter an Einfluss zu
verlieren. Die von Sunniten dominierte Arabische Liga, die als
Vermittler auftrat und die irakischen Sunniten zur Abkehr vom
bewaffneten Kampf aufrief, spielte dabei eine entscheidende Rolle."
Eine weitere Besonderheit der aktuellen Wahl
bestand zudem in der Spaltung innerhalb der schiitischen
Bevölkerung. Bei den Wahlen zum Übergangsparlament im Januar bildete
diese noch die Vereinigte Irakische Allianz unter einer religiösen
Führung. Dieses Mal spaltete sich eine weniger religiös bestimmte
säkulare Strömung von der Allianz ab und bildete für die Wahlen eine
neue politische Organisation.
Aufgrund dieser Tendenzen im Kräfteverhältnisses
zwischen und innerhalb der religiösen Gruppierungen räumte die
Yomiuri der Tatsache, dass sich vor dem Hintergrund der hohen
Wahlbeteiligung eine Diversifizierung der politischen Kräfte im Irak
vollzogen hat, große Bedeutung ein. Sie schrieb: "Die Wahl war
insbesondere ein Kampf zwischen der Vereinigten Irakischen Allianz (UIA),
der Partei der religiösen Schiiten, der (schiitischen) säkularen
Irakischen Liste, der Irakischen Einheitsfront, einer Allianz
sunnitischer Gruppen, und der Kurdischen Allianz. Obgleich die UIA
offensichtlich die meisten Stimmen erhielt, scheint sich keine der
Parteien eine Mehrheit gesichert zu haben.
Nationalversammlung steht nun vor zahlreichen
schwierigen Problemen
Neben dem Lob für die friedliche Durchführung der
Wahl wiesen die japanischen Zeitungen jedoch auch darauf hin, dass
sich die Nationalversammlung zahlreichen schwierigen Fragen
gegenüber sieht. Die Mainichi stimmte mit den anderen
Zeitungen überein, als sie schrieb: "Die Interessenlage zwischen den
einzelnen Gruppierungen wird zunehmend komplex. Aus diesem Grunde
wird es vermutlich schwierig, das Ziel der Amtseinführung der neuen
Regierung noch vor Jahresende zu erreichen. Das wichtigste ist nun,
dass die verschiedenen Volksgruppen angemessen miteinander
diskutieren und Kompromisse auf gegenseitiger Basis schließen.
Sowohl die sunnitische Minderheit als auch die kurdischen Kräfte
fürchten, von dem von den Schiiten dominierten Staatsaufbau
ausgeschlossen zu werden. Wenn ihre Unzufriedenheit wächst, könnten
sie sich aus der Debatte über den Wiederaufbau zurückziehen." Die
Yomiuri kommentierte gleichlautend: "Nach der offiziellen
Bekanntgabe der Wahlergebnisse werden die Verhandlungen zwischen den
Parteien zur Bildung einer Koalitionsregierung auf vollen Touren
laufen. Dann sollten sich die Partiespitzen daran erinnern, dass die
nationale Versöhnung oberste Priorität hat."
Eine weitere Aufgabe, vor der die
Nationalversammlung nun steht, besteht in der Revision der
Verfassung. Wirtschaftliche Interessen, insbesondere die Verteilung
der Einnahmen aus der Ölwirtschaft, die der größte Wirtschaftszweig
im Irak ist, sind eng damit verbunden. Die Nihon Keizai Shimbun
sieht bei der Diskussion über die Verfassungsrevision Probleme
voraus und schrieb: ""Die Verfassung wurde im Oktober auf dem Wege
eines Referendums bestätigt; aber sie gewährt den ölfördernden
Regionen im Norden und Süden, wo viele Schiiten und Kurden leben,
große Autonomie. Die Sunniten sind verärgert, dass sie als einzige
keine derartigen Einnahmen erhalten und fordern eine
Verfassungsrevision. Diese Forderung wurde akzeptiert und das neue
Parlament wird sich dieser Revision annehmen, was alles andere als
einfach sein dürfte."
(Copyright 2005 Foreign Press Center, Japan)
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