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Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
26. 12. 2005
Japans Bevölkerungszahl nimmt
erstmals ab
Das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und
Soziales gab am 22. Dezember die jährliche Schätzung zur
Bevölkerungsstatistik für 2005 bekannt, bei der die Zahl der in
Japan lebenden Japaner auf der Grundlage eines Berichts für den
Zeitraum Januar bis Oktober 2005 sowie von Monatsberichten für den
Zeitraum Januar bis Juli 2005 errechnet wurde. Laut dieser
jährlichen Schätzung belief sich die Zahl der Sterbefälle für 2005
auf 1,077 Million und die Zahl der Geburten auf 1,067 Million, was
einen Sterbeüberschuss von 10.000 Personen bedeutet. Mit Ausnahme
eines Drei-Jahres-Zeitraums während und unmittelbar nach dem Zweiten
Weltkrieg, für den keine Zahlenangaben vorliegen, ist dies das erste
Mal seit Beginn der Statistik im Jahre 1899, dass die Zahl der
Sterbefälle die Zahl der Geburten übersteigt. Dies weist darauf hin,
dass Japan sich zu einer Gesellschaft mit abnehmender Bevölkerung
entwickelt hat.
Die Zahl der Geburten lag um 44.000 unter der des
Vorjahres. Dies ist bereits das fünfte Mal in Folge ein neuer
Tiefstand. Die Zahl der Sterbefälle stieg hingegen gegenüber dem
Vorjahr um 48.000 an. Dies ist die zweithöchste Zahl seit 1947.
Bezüglich der Zahl der Sterbefälle erläuterte das Ministerium für
Gesundheit, Arbeit und Soziales, dass diese durch die steigende Zahl
älterer Menschen und der weitverbreiteten Grippe in diesem Jahr
bedingt sei. Das Ministerium sagte zudem voraus, dass von nun an,
"auch wenn die Möglichkeit besteht, dass die Kluft zwischen
Sterbefällen und Geburten zwischenzeitlich kleiner wird, sie
langfristig gesehen weiter zunehmen wird." Das Weißbuch der
Regierung zur sinkenden Geburtenrate hatte einen Rückgang der
Bevölkerung ab 2006 vorausgesagt, aber das Tempo, mit dem die
Geburtenrate sinkt und gleichzeitig die Überalterung voranschreitet,
ist rascher als erwartet.
Die Zahl der Heiraten lag 2005 bei 710.300, ein
Rückgang um 7.000 gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Scheidungen
erreichte 262.000 und ging damit bereits das dritte Jahr in Folge
zurück. Für 2004 lag die Geburtenrate, also die Zahl der Kinder, die
eine Frau durchschnittlich in ihrem Leben zur Welt bringt, bei 1,29.
Der wichtigste Grund dafür, dass Japan sich in
eine Gesellschaft mit abnehmender Bevölkerung verwandelt hat, ist
die sinkende Geburtenrate. Wenn die Bevölkerung weiter in diesem
Tempo abnimmt, werden Unternehmen Probleme haben, junge
Arbeitskräfte anzuwerben und zugleich vor einem schrumpfenden Markt
stehen. Auch die Bildungsindustrie wird schwer getroffen werden.
Tatsächlich gab es bereits Fälle, in denen Vorbereitungsschulen und
Universitäten, die viele Jahre bestanden, schließen mussten. Auch im
Bereich soziale Sicherheit dürften die Auswirkungen schwerwiegend
sein, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Renten, der
medizinischen Betreuung und der Pflege. Der einzige Weg, um das
System zu erhalten, besteht entweder darin, die Belastung der
arbeitenden Bevölkerung und der Unternehmen zu erhöhen oder die
Leistungen für die älteren Menschen zu kürzen. Darüber hinaus
besteht die Sorge, dass ein Bevölkerungsrückgang mittel- und
langfristig auch zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums
führen würde, wodurch sich die Finanzprobleme des Staates weiter
verschlimmern würden.
Auf einer Pressekonferenz am 22. Dezember gab
Staatsministerin Kuniko Inoguchi, die mit den Maßnahmen gegen eine
abnehmende Bevölkerung betraut ist, bekannt, dass die Regierung ihr
Augenmerk auf zwei Punkte richten werde: Hilfe bei der Vereinbarkeit
von Erziehung und Berufstätigkeit und wirtschaftliche Unterstützung
für junge Menschen, die Kinder haben. Allerdings besteht innerhalb
der Regierung die allgemeine Auffassung, die Chefkabinettsekretär
Shinzo Abe zum Ausdruck brachte: "Wie uns die Beispiele anderer
Länder zeigen, gibt es keine Patentrezepte dafür, die sinkende
Geburtenrate zu stoppen." Prof. Atsushi Seike von der Keio
Universität meinte dazu: "Da es sehr schwierig ist, die
Bevölkerungsstruktur mit Hilfe von bestimmten Maßnahmen zu
verändern, müssen wir eine grundlegende Revision vornehmen, um
soziale Mechanismen zu etablieren, die die sinkende Geburtenrate
berücksichtigen." Nobuko Nagase, Assistenzprofessorin an der
Ochanomizu Universität schlug vor: "Die Regierung sollte ihre Mittel
für Kinder erheblich ausweiten und Vorkehrungen für eine flexiblere
Gestaltung der Arbeitszeiten sowie dafür treffen, dass Frauen nach
der Geburt eines Kindes in den Beruf zurückkehren können."
Kommentare der Tageszeitungen: Arbeitsumfeld
und Unterstützung bei der Erziehung
Als Reaktion auf die Bekanntmachung des
Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales, dass Japan in die
Ära des Bevölkerungsrückgangs eingetreten sei, kommentierten die
führenden Tageszeitungen in ihren Leitartikeln vom 23. Dezember
diese Entwicklung unterschiedlich. Allerdings stimmten alle
Zeitungen überein, dass die Gestaltung eines Umfeldes, in dem die
jüngeren Generationen in der Lage sind, ein stabileres Lebensdesign
zu verfolgen, nicht nur die Aufgabe der Regierung, sondern auch von
Unternehmen, Kommunen und anderen ist.
Unter der Überschrift "Schrumpfende Bevölkerung"
meinte die Asahi Shimbun: "Vom Standpunkt der
‚Lebensqualität' aus ist dies tatsächlich eine gute Gelegenheit,
unsere Wachstums-orientierten Werte in der Ära nach dem Zweiten
Weltkrieg zu überdenken und uns selbst zu fragen, wie wir wirklich
leben möchten." Mit Blick darauf, dass das Phänomen der Entvölkerung
tatsächlich bereits in vielen Präfekturen auftritt, schrieb die
Zeitung: "Allerdings haben diese Faktoren noch keine ernsthaften
Auswirkungen auf das Funktionieren der Gesellschaft." Die Asahi
fügte jedoch angesichts der schrumpfenden Wirtschaft infolge des
Rückgangs der arbeitenden Bevölkerung hinzu: "Wir müssen weit
vorausschauen und entschlossen wirtschaftliche Reformen umsetzen."
Sie führte die Notwendigkeit an, u.a. die Arbeitsbedingungen für
ältere Menschen und Frauen zu verbessern und das System der sozialen
Sicherung zu reformieren. Die Asahi meinte: "Die Regierung
verfügt über eine reiche Auswahl an Maßnahmen, aber das Geld, das
dafür verwendet wird, reicht bei weitem nicht aus."
Die Mainichi Shimbun stellte unter der
Überschrift "Wirken die Maßnahmen gegen die sinkende Geburtenrate?"
die Frage, ob die Regierung bei ihrer Antwort auf die sinkende
Geburtenrate zu langsam reagiert und meinte, dass die Regierung von
nun an u.a. eine gründliche Bewertung ihrer bisherigen Maßnahmen
durchführen und ihre Haushaltsmittel für Kindeserziehung
überarbeiten muss. Die Mainichi schrieb: "Die Regierung
sollte untersuchen, was fehlt und was notwendig ist, und dann die
erforderlichen Finanzmittel bereitstellen." Indem sie anmerkte, "Wir
haben regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Beendigung der
Diskriminierung von Kindern unverheirateter Paare sowie das
Akzeptieren von so genannten wilden Ehen ebenfalls dazu beiträgt,
die sinkende Geburtenrate zu stoppen", brachte die Mainichi
eine eher ungewöhnliche Ansicht zum Ausdruck.
Unter der Überschrift "Bevölkerungsrückgang
bedeutet ernstes Problem" erläuterte die Yomiuri Shimbun, wie
die Regierung im letzten Jahrzehnt verschiedene Maßnahmen eingeführt
hat, um der sinkenden Geburtenrate zu begegnen: "Allerdings stellen
die jüngsten Pläne nicht mehr als eine Mischung verschiedener
Maßnahmen dar, mit der versucht wird, jeden zufrieden zu stellen."
Sie fuhr fort: "Die Regierung sollte ihre vorherigen Pläne noch
einmal überprüfen um zu bestimmen, ob sie effektiv sind, bevor sie
diese auswählt und ihre Maßnahmen umsetzt." Schließlich meinte die
Yomiuri angesichts des schlimmsten Szenarios, nämlich dass
die japanische Bevölkerung schneller schrumpft als erwartet: "Die
Regierung muss das System der sozialen Sicherheit umgehend von Grund
auf neu gestalten."
Die Sankei Shimbun schrieb unter der
Überschrift "Maßnahmen erforderlich, um den Verlust der Vitalität zu
verhindern": "Das letzte Mal, dass wir eine Bevölkerung von 100
Millionen hatten, war 1967. Damals betrug das Durchschnittsalter
dreißig Jahre. Von nun an muss Japan darauf vorbereitet sein, im
guten Sinne als eine reife Gesellschaft und im schlechten Sinne als
eine Gesellschaft ohne Energie voranzuschreiten." Hierfür sei es für
Regierung, Unternehmen und Kommunen notwendig, Maßnahmen zu
ergreifen, damit junge Paare selbst spüren können, dass es attraktiv
ist, Kinder zu bekommen und großzuziehen. Auf diese Weise könnte
eine Gesellschaft entstehen, in der die Menschen unabhängig von
Alter und Geschlecht ihrer Arbeit mit Enthusiasmus nachgehen."
Unter der Überschrift "Den Bevölkerungsrückgang
ignorieren ist gleichbedeutend mit der Abwälzung unserer
Verantwortung auf die nächste Generation" kommentierte die Nihon
Keizai Shimbun (Nikkei): "Der Königsweg besteht darin, dass
Regierung, Kommunen und Unternehmen zusammenkommen und ihre
Unterstützung für das In-Einklang-Bringen von Beruf und Erziehung
sowie ihre wirtschaftliche Hilfe für Haushalte mit Kindern
fortsetzen." Sie meinte: "Um das wirtschaftliche Wachstum zu
erhalten, müssen wir etwas gegen den Rückgang der arbeitenden
Bevölkerung unternehmen. Hierfür ist es ganz wichtig, dass wir es
Frauen und Älteren ermöglichen, mehr zu arbeiten." Schließlich
betonte die Nikkei: "Zum Wohle künftiger Generationen liegt
die Gestaltung eines solchen Japans in der großen Verantwortung der
jetzigen Generation."
(Copyright 2005 Foreign Press Center, Japan)
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