Neues aus Japan Nr. 139 | Juni 2016
Kultur
Seit dem Altertum haben die Menschen in Japan ihre Färbe- und Webtechniken ständig weiterentwickelt und damit ihrer Kultur auf dem Weg in die Zukunft Form und Farbe verliehen.
Man weiß nicht genau, wann sich die Menschen in Japan die Kunst der Herstellung von Kleidung angeeignet haben, aber man nimmt an, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Etablierung einer Agrarkultur im 4. und 3. Jh. v. Chr. Stoffe für verschiedenste Zwecke verwendeten. Bei Ausgrabungen wurden zu Mustern gewebte Seidenstoffe aus dem 5. und 6. Jh. gefunden. Zu diesem Zeitpunkt dürften bereits kulturelle Elemente und Kunstfertigkeiten von der koreanischen Halbinsel und aus China nach Japan gelangt sein, die auch neue Techniken zur Herstellung von Kleidung beinhalteten.
Die Webtechniken in Japan erfuhren im 7. und 8. Jh. eine zunehmende Verfeinerung, als zahlreiche kulturelle Elemente aus dem China der Sui- und Tang-Dynastie ins Land kamen. Ein Paradebeispiel dafür ist nishiki, ein Brokatstoff mit vielfältigen Verzierungen und Farben. Zu dieser Zeit wurden auch gefärbte Stoffe hergestellt. Die bekanntesten Färbetechniken waren damals u.a.:
shibori-zome (Färben mittels Abbinden): Der Stoff wird mit Fäden teilweise abgebunden, so dass die Flüssigkeit im Farbbad nicht an die abgebundenen Stellen gelangt.
bosen (indirektes Färben): Flüssiges Wachs wird auf bestimmte Stellen aufgetragen; die Farbe gelangt nicht dorthin und so entsteht ein Muster.
itajime-zome (Färben mittels Holzplatten): Der Stoff wird fest zwischen gemusterten Holzplatten gepresst. Die Farbe gelangt auf diese Weise nicht an die gepressten Stellen und es bilden sich weiße Muster.
Zu dieser Zeit entwickelten sich auch die Techniken der Stickerei weiter. Die genannten Färbetechniken und die Stickereien wurden aber nicht allein für Kleidung verwendet, sondern fanden auch bei Bodenbelägen sowie bei Stoffbahnen, die von den Pfeilern und Decken buddhistischer Tempel herabhingen, Verwendung.
Nachdem die diplomatischen Beziehungen zu China im 10. Jh. aufgegeben worden waren, entwickelte sich in Bezug auf die Kleidung ein eigenständiger japanischer Stil. Nun wurden die Stoffe für die Oberschicht nicht länger erst nach dem Weben gefärbt, sondern man fertigte die Kleidung unmittelbar mit gefärbten Fäden. Es entwickelte sich eine Mode, bei der mehrere dünne Kleidungsstücke aus Seide in unterschiedlichen Farben übereinander getragen wurden, die nur am Saum, dem Kragen und an den Ärmeln sichtbar waren. Auf diese Weise entstanden raffinierte Arrangements fein aufeinander abgestimmter Farbtöne.
Vorder- und Rückseite wurden in den unterschiedlichsten Farbkombinationen sowie mit Mustern gestaltet, die zum Beispiel Pflanzen-, Insekten oder andere Motive der Natur darstellten, die der jeweiligen Jahreszeit entsprachen. Jedes Motiv hatte seinen eigenen Namen und es gab insgesamt rund 130 verschiedene Farbkombinationen. Das Motiv wurde dann der Jahreszeit entsprechend ausgewählt.
Bild: Dieses Frauengewand aus dem 12. Jh. wurde zu formellen Anlässen getragen. Die Ärmel und Säume der übereinanderliegenden Seidenstoffe vermitteln durch ihre farbliche Abstufung den Eindruck eleganter Schönheit. (Im Besitz des Kyoto National Museum)
Zwischen dem 13. und 16. Jh. spielte der kosode, aus dem sich der heutige Kimono entwickelte, in Japan eine zentrale Rolle für die Mode in allen gesellschaftlichen Schichten. Als dann im frühen 17. Jh. das Tokugawa-Schogunat eine 300 Jahre dauernde Periode des Friedens einleitete, erfuhr die Frauenmode eine rasante Entwicklung hin zu immer farbenprächtigeren Mustern, auch wenn es dabei entsprechend der jeweiligen Gesellschaftsschicht unterschiedliche Ausprägungen gab.
Ende des 17. Jh. traten neue Färbetechniken auf, darunter auch das noch heute angewandte Färben mittels yuzen-zome. Bei dieser Technik werden Muster wie bei einem feinen Faden mittels einer Stärke-resistenten Paste auf den Stoff aufgetragen, um den Stoff unter dem Muster vor der Farbe im Farbbad zu schützen. Die Resultate bestechen durch ihren Farbreichtum; zudem lassen sich damit feinste Muster herstellen, so dass die Technik sich rasch im ganzen Land verbreitete und nicht nur für kosode für Frauen, sondern auch für andere Stoffe verwendet wurde, beispielsweise für Tücher zum Einwickeln von Geschenken.
Bild: Dieses Bild einer Frau in einem kosode von Hishikawa Moronobu aus dem 17. Jh. trägt den Titel Zurückblickende Schönheit. (Besitz des Tokyo National Museum) (Foto: TNM Image Archives)
Auf diese Weise wurde in der frühen Moderne eine Reihe von Färbetechniken verwendet, um jeweils einzigartige Muster zu kreieren. Aber auch die seit dem Altertum existierende Herstellung von Brokatstoffen verschwand nicht völlig. Das No-Theater mit seinen Masken tragenden Schauspielern erfreute sich insbesondere bei den Angehörigen des Stands der Samurai großer Beliebtheit, und die Herstellung von Kostümen aus Brokat für die Schauspieler erfuhr einen beachtlichen Aufschwung.
Bild: Der shite (Hauptdarsteller) im No-Stück Dojoji in einem karaori genannten nishiki. (Getragen von Kanze Kiyokaze, 26. Oberhaupt der Kanze No-Schule) (Foto: Yoshikazu Hayashi)
Im 18. Jh. wurde dann auch in Japan zunehmend Baumwolle angebaut, was zu einem Anstieg der Produktion von Baumwollstoffen führte. Diese preiswerten Stoffe wurden von der einfachen Bevölkerung rasch angenommen, und in vielen Regionen entstanden neue Färbereien. Etwa zu diesem Zeitpunkt etablierten sich Baumwollstoffe als fester Bestandteil der Kultur der einfachen Bevölkerung, die bis heute in vielerlei Gestalt fortbesteht. Dazu zählen etwa die Stoffherstellung mittels der Abbindetechnik shibori-zome oder Stoffe mit einem kasuri Muster, bei dem gesprenkelte Webfäden verwendet werden.
Nach dem Ende der Feudalherrschaft im späten 19. Jh. erfuhr Japan vielfältige Einflüsse durch die Zivilisation des Westens. Auch wenn die Traditionen im Bereich der Stoffherstellung weiter bestanden, wurden daneben auch vollkommen neue Methoden des Färbens und Webens eingeführt. Das Färben mittels künstlicher Farben sowie der technologische Fortschritt beim Weben von Stoffen führten schließlich zur heute dominierenden modernen Kultur des Färbens und Webens in Japan.
Die traditionelle Kleidung erfuhr angesichts neuer Technologien einen tiefgreifenden Wandel, und auch bei den neuen Gebäuden im westlichen Stil verwendete man für die Wandbekleidung oder für die Polsterung von Möbeln nun neuartige Stoffe. Selbst das traditionelle furoshiki zum Einwickeln von Gegenständen wird heute mittels dieser neuen Techniken hergestellt. Noch später entwickelte man in Japan Chemiefasern von hervorragender Qualität.
Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Wurzeln der heutigen Textilien in Japan in einer kontinuierlichen Linie bis in die ältesten Zeiten zurückreichen.
Der vorliegende Beitrag stammt von Prof. Iwao Nagasaki, ehemaliger Leiter der Abteilung für Färbe- und Webtechniken im Tokyo National Museum und derzeit Professor an der Kyoritsu Women’s University in Tokyo. Er wurde für Neues aus Japan ins Deutsche übersetzt. (c) Niponica