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Neues aus Japan Nr.70 September 2010

Notizen aus der Redaktion

In Japan sagt man: „Im Herbst erfreut man sich am Licht der Lampen ( 灯火親しむ秋 ).“ Wie steht es mit Ihnen, liebe deutsche Leserinnen und Leser, sehnen Sie sich vor dem Beginn des eigentlichen Herbstes noch nach einem Nachschlag sommerlichen Wetters? Ich hoffe, dass Sie alle in diesem Sommer mit seinem vergleichsweise schönen Wetter (besonders im Juni und Juli konnte man in Berlin manchmal vor Hitze nachts nicht gut schlafen) eine erfüllte und anregende Zeit verbringen konnten.

In dieser Ausgabe geht es um Empfindungen bzw. Sinneseindrücke, wofür ich bereits vorab um Nachsicht bitte. Wenn die Japaner ein „Augenvolk“ sind, dann sind meiner Meinung nach die Deutschen ein „Ohrenvolk“. Meine allererste Kulturveranstaltung, die ich nach meiner Ankunft im Herbst 2008 hier in Berlin besuchte, war eine Lesung mit dem Nobelpreisträger Kenzaburo Oe, die vom Haus der Kulturen der Welt veranstaltet wurde. Das Vorlesen aus Oes Werken hatten selbstverständlich deutsche Schauspieler übernommen, aber es gab auch Passagen, die Oe selbst auf Japanisch und in stockender Sprechweise vortrug. Ich erinnere mich, wie beeindruckt ich von der großen Stille war, die in diesen Momenten im Publikum herrschte.
Im Februar dieses Jahres fand die Veranstaltung „Die deutsche Sprache in der Welt – eine Hommage –“ statt, an der auch Bundesaußenminister Westerwelle teilnahm. Dort gab es Performances von Leuten aus ganz unterschiedlichen Ländern, aber die Lesung von Yoko Tawada mit dem Titel „Sprachpolizei und Spielpolyglotte“ (Für Ernst Jandl) ragte durch ihren besonders ausgefeilten Klang der deutschen Sprache in ganz besonderer Weise hervor.

In Japan scheint das heiße Wetter zwar noch eine ganze Weile anzudauern, aber mit dem Erscheinen des Herbstes hört man dann auch das Zirpen der Glöckchenzikaden oder der Grillen. Dann werden auch die modernen Japaner mit ihrer hektischen Lebensweise plötzlich zu einem „Ohrenvolk“ und genießen eine erfüllte und angenehme Zeit. Gerne würde ich das „Ohrenvolk“ hier in Deutschland einmal das Zirpen der Grillen erfahren lassen … vielleicht hat jemand von Ihnen eine Idee, wie das gelingen könnte?

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein Kurzgedicht vorstellen, das ich sehr schätze. Es passt genau zur jetzigen jahreszeitlichen Stimmung in Japan:

Der Herbst ist da.
Zwar mit den Augen nicht
deutlich zu sehen,
doch unversehens zu spüren
im Rauschen des Windes.

 

Mari Miyoshi
Gesandte
Leiterin der Abteilung für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit

 



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