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Neues aus Japan Nr.83 Oktober 2011

Notizen aus der Redaktion

Anders noch als vor dreißig Jahren, als ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Diplomatin in München studierte und arbeitete, habe ich das Gefühl, dass die Bedeutung von Religion in Deutschland heutzutage abgenommen hat und dass sie vor allem noch bei bestimmten wichtigen Ereignissen im Leben wie Hochzeiten oder Beerdigungen eine gewisse Rolle spielt. Über den Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. Ende September haben die Medien jedoch so umfangreich und ausführlich berichtet, als handle es sich bei ihm um einen Popstar.

Beim Stichwort Papst fallen mir spontan ein paar Episoden ein. Beim Japanbesuch von Papst Johannes Paul II. im Februar 1981 – ich war gerade erst ins Außenministerium eingetreten – hatte mein damaliger Vorgesetzter, der Leiter des Referats Westeuropa (dieses Referat war für die sechs Gründungsmitglieder der EU sowie für den Vatikan zuständig) als Repräsentant der Regierung den Papst am Flughafen empfangen. Im Anschluss verkündete er uns: „Heute habe ich dem Papst die Hand geschüttelt; daher werde ich sie mir nicht mehr waschen.“ Und im April 2008 besuchte Papst Benedikt XVI. den Sitz der Vereinten Nationen in New York. Ich war damals bei der Vertretung Japans bei den VN tätig und besuchte zufällig am Vormittag desselben Tages zusammen mit unserem Botschafter den Generalsekretär der Vereinten Nationen in irgendeiner Angelegenheit. Im Büro des Generalsekretärs war bereits der rote Teppich ausgerollt und es war alles für den Besuch des hohen Gastes vorbereitet. Generalsekretär Ban Ki-moon meinte zu uns: „Da, wo Sie nun sitzen, wird in wenigen Stunden der Papst Platz nehmen.“ In Japan liegt der Anteil der Christen an der Bevölkerung bei etwa 1 %, in Südkorea dagegen ist ein Drittel der Menschen Christen. Allerdings konnte ich nicht herausfinden, ob der aus Südkorea stammende Generalsekretär katholisch ist oder nicht.

Unabhängig von diesen kurzen Episoden war ich an diesem Deutschlandbesuch eines deutschen Papstes vor allem deshalb interessiert, weil ich in der letzten Zeit viel über einen „Dialog der Zivilisationen“, einen „Dialog der Religionen“ oder auch einen „Dialog für den Frieden“ reden gehört habe. In Tokyo laufen derzeit die Vorbereitungen für eine Konferenz über den „Dialog der Zivilisationen“, die vom Leiter der Regierungsbehörde Agency for Cultural Affairs veranstaltet wird. Als dieser kürzlich Berlin besuchte, entspann sich bei einer Gelegenheit auch eine Diskussion über Gerechtigkeit. Der Rektor einer deutschen Hochschule meinte, in der christlichen Welt sei Gerechtigkeit ein Begriff, von dem man erst nach dem Tod sprechen könne. Die Frage, was Gerechtigkeit eigentlich sei, hänge auch mit der Frage der Wertvorstellungen zusammen. Für mich, die ich tagtäglich mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Dingen befasst bin und wenig zum Philosophieren neige, war dies eine sehr erfrischende Diskussion. Ich habe eindringlich gespürt, dass wir Menschen der Gegenwart, die wir innerhalb von Werten wie Demokratie, Marktwirtschaft und technischer Fortschritt leben, von Zeit zu Zeit doch auch den Dialog pflegen und uns mit Philosophie beschäftigen sollten.

Seit dem Frühjahr letzten Jahres wird über die Krise des Euro debattiert. Zu seiner besten Zeit lag der Kurs des Euro bei 170 Yen, in jüngster Zeit aber ist er auf 102 Yen gefallen, und dies gibt Anlass zur Sorge für die Zukunft. Ich denke, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt konzentrieren sich Politik und Massenmedien zu sehr auf den unmittelbaren Alltag. Angesichts einer immer vielfältiger werdenden Welt sollten wir uns jedoch einmal fragen, was gut ist für die Welt und für unsere Enkel. Man sagt, „die Franzosen sprechen von der Liebe, während die Deutschen im Wald philosophieren.“ Bei der Antwort auf die gerade gestellten Fragen würde ich gern von der Weisheit Deutschlands profitieren, das so viele bedeutende Philosophen hervorgebracht hat.

Mari Miyoshi
Gesandte

 

 



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