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Neues aus Japan Nr.95 Oktober 2012

Notizen aus der Redaktion

Es ist Herbst geworden. Eine schöne Jahreszeit, in der sich die Natur noch einmal in ihrer ganzen Pracht zeigt. Zugleich ist dies auch die Zeit der Ernte und der Erntedankfeste. Die Abende werden wieder länger und die Menschen verbringen die Zeit besinnlicher. Nach der langen Sommerpause öffnen hierzulande wieder Theater und Konzerthäuser ihre Türen und bieten eine gute Gelegenheit, die Abende mit einem Konzert oder einer Theateraufführung ausklingen zu lassen.

In meiner Heimat Japan werden mit Aki (秋), dem Herbst, zum Beispiel Otsukimi (お月見: die Mondschau Mitte September), Dokusho no aki (読書の秋: Herbst als Zeit des Bücherlesens), Shokuyoku no aki (食欲の秋: Herbst als Zeit des vollen Appetits) oder Supotsu no aki (スポーツの秋: Herbst als Zeit des Sports) assoziiert. Passend zu Supotsu no aki (スポーツの秋) gibt es in Erinnerung an die Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokyo auch einen besonderen Feiertag, den „Tag des Sports“, der seit seiner Einführung 1966 zunächst stets am 10. Oktober, dem Tag der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Tokyo, begangen wurde. Erst seit dem Jahr 2000 wird dieser Feiertag jeweils am zweiten Montag im Oktober gefeiert.

Mit dem Herbst ist für mich auch die Erinnerung an meine Schulzeit in Japan verbunden, insbesondere die Zeit, in der in meiner Grundschule – wie in fast allen Schulen in Japan auch – das große jährliche Sportfest stattfand. Dieser besondere Tag war für uns Schülerinnen und Schüler der ersten bis sechsten Klasse immer ein besonderes Ereignis, das mit großer Aufregung und vor allem für uns teilnehmende Schulkinder auch immer mit großen Anstrengungen verbunden war. Für diesen Tag mussten wir die Choreografie für gymnastische Massenübungen einstudieren und übten einzelne Sportarten wie den 50 m Lauf und Staffellauf, aber auch Tauziehen usw. mit großem Fleiß. Zum Sportfest kamen auch die Eltern und Verwandten der Schüler, und der ganze Sportplatz der Schule war voller aufgeregter Menschen.

Mit diesen herbstlichen Schulsportfesten verbinde ich heute allerdings weniger die einzelnen Übungen und Wettbewerbe, als vielmehr die Musik. Was das Sportfest für alle noch lebendiger machen sollte, waren bestimmte Musikstücke, die zur Unterhaltung der Zuschauer gedacht waren und auch die Schüler insbesondere bei den Wettkämpfen zu größeren Leistungen anfeuern sollten. Als Schülerin habe ich diese Art der musikalischen Begleitung gehasst. Zum einen erklangen jedes Jahr die gleichen Stücke zu den immer gleichen sportlichen Aktivitäten, zum anderen war die ausgewählte Musik nach meinem damaligen Empfinden einfach nur laut, dramatisch und aufpeitschend, als ob sie sagen wollte: „Schneller, schneller, schneller!“, während ich in Wirklichkeit doch gar nicht schneller rennen konnte! Damals wusste ich noch nicht, wie die gespielten Musikstücke hießen. Für mich war dies einfach die Musik der Schulsportfeste, die ich nicht besonders mochte.

Erst Jahre später erfuhr ich, dass eines der so oft gehörten Stücke der berühmte Reitermarsch aus dem Finale der Ouvertüre von „Wilhelm Tell“ von Gioachino Rossini ist, während ein anderes Stück der „Höllen-Cancan“ aus „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacues Offenbach war. In der Rückschau denke ich doch, dass dies sehr stimmige Titel waren für den gedachten Zweck, die Schüler bei den Laufwettbewerben zu noch schnellerem Lauf zu animieren.

Seitdem sind viele Jahre vergangen. Heute kann ich auch diese Musikstücke einfach nur genießen. Rossini ist zudem zu einem meiner Lieblingskomponisten geworden. Aber wenn ich diese Musik höre, erinnere ich mich stets doch auch an die Schulsportsfeste. So schließt sich für mich der Kreis herbstlicher Erinnerungen.

Warum erklang eigentlich zu den Schulsportfesten europäische Musik und keine japanische? Meine Vermutung lautet: Unsere Vorfahren in Japan waren eben doch kein Reitervolk, sondern Bauern bzw. Fischer, daher gab es keine passende Musik mit hohem Tempo für einen Wettlauf. Die traditionelle japanische Musik wäre hier gar nicht in Frage gekommen.

Bestehen auch für Sie besondere Erinnerungen, die Sie mit dem Herbst verknüpfen?
Ich wünsche uns allen goldene Oktobertage und eine schöne Zeit!

 

Y.M.
Mitarbeiterin
Abteilung für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit
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