Botschaft von Japan

Außenpolitik

Rede von Premierminister Shinzo Abe bei der 71. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 21.09.2016

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Bild: Premierminister Abe vor der VN-Generalversammlung in New York (Foto: Cabinet Public Relations Office)

Nordkorea als eine Bedrohung für den Frieden

Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin, Nordkorea hat sich nun direkt vor unseren Augen als eine eindeutige Bedrohung für den Frieden offenbart. Wie können wir darauf reagieren? Die Existenzberechtigung der Vereinten Nationen wird nun wahrhaftig auf die Probe gestellt. Nordkorea hat U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBMs) gestartet. Unmittelbar im Anschluss daran startete das Land drei weitere ballistische Raketen zur gleichen Zeit, von denen jede 1.000 km weit bis in die Ausschließliche Wirtschaftszone Japans flog. Es war pures Glück, dass bei diesem Vorfall kein ziviles Flugzeug oder Schiff zu Schaden kam.

Allein dieses Jahr hat Nordkorea bislang 21 ballistische Raketen gestartet. Darüber hinaus behauptet das Land, am 9. September erfolgreich einen nuklearen Sprengkopf getestet zu haben. Der jüngste Kernwaffentest folgte einem anderen Test, der bereits im Januar stattfand. Diese Serie von Raketenstarts und die Explosion eines Sprengkopfs haben die Situation grundlegend verändert. Nordkoreas Nuklearprogramm und die wiederholten Starts ballistischer Raketen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Direkt vor unseren Augen setzt Nordkorea einen Plan um, über den nun kein Zweifel mehr bestehen kann. Wir können nicht umhin zu sagen, dass die Bedrohung jetzt eine Dimension erreicht hat, die sich vom bisherigen Geschehen völlig unterscheidet. Darauf müssen wir nun in einer Weise antworten, die sich von unseren bisherigen Reaktionen vollkommen unterscheidet. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und Nordkoreas Pläne vereiteln. Gleich nachdem ich vom jüngsten Kernwaffentest erfuhr, habe ich mit US-Präsident Barack Obama telefoniert. Im Anschluss sprach ich auch mit der Präsidentin der Republik Korea, Park Geun-hye. Wir alle kamen überein, dass unsere drei Länder eine entschlossene Haltung gegenüber Nordkorea einnehmen und uns dabei eng untereinander abstimmen werden.

Nun sind die Vereinten Nationen an der Reihe. Nun ist es an der Zeit, dass der Sicherheitsrat gegenüber dieser Bedrohung einer neuen Dimension eine unmissverständliche Haltung einnimmt.

An der Spitze der Diskussionen im Sicherheitsrat

Vor gerade einmal vier Monaten besuchte Präsident Obama Hiroshima, den Ort, an dem zahllose unschuldige Menschen Opfer der ersten Atombombe wurden, die zum Einsatz kam. Es war ein Tag, an dem wir unsere Schwüre erneuerten. Wie lange es auch dauern mag, wir dürfen niemals, selbst für einen kurzen Augenblick nicht, in unserem Engagement für eine vollständige Abschaffung aller Kernwaffen nachlassen. Unsere Schwüre an jenem Tag haben beide Seiten des Pazifiks noch enger miteinander verbunden und so neue Kraft erhalten.

Nichtsdestoweniger setzt Nordkorea die Eskalation seiner Provokationen fort. Dies stellt eine Herausforderung an das Gewissen der Menschheit dar. Wenn wir dies ignorierten, wie könnten wir das mit unserem Gewissen vereinbaren? Frieden ist wie Glas. Wenn es gut geputzt und transparent ist, sind wir uns seiner Präsenz nicht bewusst. Und ein kleiner Sprung kann für eine Weile ignoriert werden, ohne dass sich irgendetwas änderte. Aber bevor man sich versieht, wird der Sprung größer und dann, eines Tages, zerspringt das Glas mit einem lauten Knall. Aus diesem Grund müssen wir uns Tag für Tag ohne Unterbrechung darin üben, das Glas mit großer Sorgfalt zu behandeln, damit es keine Sprünge bekommt. Ich bin davon überzeugt, dass es der ursprüngliche Zweck der Vereinten Nationen – die nach den Erschütterungen zweier Weltkriege ins Leben gerufen wurden – ist, diese Art von wachem Bewusstsein darzustellen. Aus diesem Grund ist es einfach inakzeptabel, die militärischen Provokationen weiterhin zu tolerieren. Das wäre so, als würde man am helllichten Tage einen Sprung im Glas verursachen. Darüber hinaus wiegen die Bedrohung des Friedens, die sich nun vor unseren Augen manifestiert, und die Natur der militärischen Provokationen Nordkoreas erheblich schwerer als je zuvor: ballistische Raketen, die von U-Booten aus gestartet werden, und nukleare Sprengköpfe zur Bestückung ballistischer Raketen. Nordkorea ist zweifelsohne im Begriff, beides in seinen Besitz zu bringen.

Das Land, das dieses Programm verfolgt, ist darüber hinaus ein Land, das eine große Zahl japanischer Bürgerinnen und Bürger entführt hat, darunter ein Mädchen, das zum Zeitpunkt der Entführung gerade einmal dreizehn Jahre alt war. Wir verlangen von Nordkorea weiterhin, diese Entführten unverzüglich freizugeben, aber das Land ist dazu nicht bereit. Es hat diese Menschen eines Lebens in Frieden und Geborgenheit beraubt und erlaubt ihnen bis heute nicht, in ihre Heimat zurückzukehren. Es ist ein Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in dem der Beschränkung oder dem Gleichgewicht der Macht keinerlei Bedeutung beigemessen wird. Es ist ein Land, das seine Aufrüstung unter Einschluss von Kernwaffen und Raketen weiter vorantreibt, während es der Not seiner Bevölkerung keinerlei Beachtung schenkt. Die Bedrohung für die internationale Gemeinschaft wird immer größer und auch immer realistischer. Dies verlangt neue Mittel als Antwort, die sich völlig von denen unterscheiden, die wir bisher angewendet haben.

Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin,
im Dezember wird Japan den sechzigsten Jahrestag seiner Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen begehen. Und 62 Jahre sind vergangen, seit zum ersten Mal der friedliche Klang der Bronzeglocke im Garten des Sitzes der Vereinten Nationen ertönte, die alljährlich zum Internationalen Tag des Friedens läutet. In diese Glocke, die ein japanischer Bürger überreicht hat, sind Münzen eingegossen, die vom Papst übersendet wurden. Münzen und Medaillen, eingesendet von Erwachsenen und Kindern aus über sechzig Ländern aus aller Welt, wurden dafür eingeschmolzen. Welchen Wunsch hatten wohl die Menschen aus Japan, deren Münzen und Medaillen darin enthalten sind? Seit dem Tag vor sechzig Jahren, als die Menschen meines Landes um Aufnahme in diese ehrwürdige Organisation nachsuchten, lautet der eindringliche Wunsch, den sie seitdem ohne Unterbrechung im Herzen bewahrt haben: Frieden in der Welt und die Abschaffung aller Atomwaffen. Es ist der von Generation zu Generation weitergegebene Schwur, auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Wunsches niemals Halt zu machen.

Frau Vizepräsidentin, eigentlich war es meine Absicht gewesen, heute einen Blick zurück auf den Weg zu werfen, den Japan in diesen sechzig Jahren beschritten hat sowie in Ruhe darüber nachzudenken, auf welche Weise mein Land diesen Pfad mit dem Ziel von Frieden und Wohlstand gegangen ist. Nun aber, da die Bedrohung durch Nordkorea einen neuen Grad erreicht hat, fühle ich, dass ich – angesichts dessen, dass Japan in diesen sechzig Jahren seinem Schwur treu geblieben ist – meine Entschlossenheit bekräftigen muss. Nun, da sich die Welt darauf konzentriert zu beobachten, ob die Vereinten Nationen Nordkoreas Ambitionen vereiteln werden und ob es dem Sicherheitsrat gelingt, sich Nordkorea geschlossen entgegenzustellen, wird sich Japan als ein Mitglied dieser Organisation an die Spitze der Diskussionen im Sicherheitsrat stellen. Dies möchte ich in aller Entschlossenheit vor den Vertretern der Nationen kundtun, die hier im Sitzungssaal der Generalversammlung zusammengekommen sind.

Die Herrschaft des Rechts auf den Meeren etablieren

Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin,
unabhängig davon, welche Aufgaben vor uns liegen, oder gerade weil wir vor so zahlreichen Herausforderungen stehen, wird Japan, das in Kürze den 60. Jahrestag seiner Aufnahme in die Vereinten Nationen feiert, alles in seinen Kräften stehende tun, um die Vereinten Nationen weiter zu stärken. Die Gesamtsumme aller Beiträge, die mein Land den Vereinten Nationen sowie den Blauhelmmissionen zukommen ließ, liegt, wenn man die einzelnen Zahlen addiert, bei über 20 Mrd. Dollar. Das einzige Land, das diesen finanziellen Beitrag Japans in den vergangenen dreißig Jahren übertroffen hat, sind die Vereinigten Staaten. Dazu kommt noch unsere Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von 334,5 Mrd. Dollar, auch dieser Wert eine Addition der einzelnen Zahlen.

Meiner Ansicht nach sind es drei große Ziele, die die Geschichte der Vereinten Nationen durchziehen: die Hingabe für den Frieden, das Streben nach Wachstum und das Verlangen nach einer Welt, die frei ist von Ungerechtigkeit und Unfairness. Ich denke, Sie erkennen deutlich, dass Japan ein Land ist, das sich in den letzten sechzig Jahren mit all seiner Kraft für diese Ziele eingesetzt hat. Von diesen Zielen bildet Wachstum die Grundlage für alles andere. Nur wenn es Wachstum gibt, können der Frieden Wurzeln schlagen und die Ungerechtigkeiten im Laufe der Zeit überwunden werden. Schauen Sie sich an, wie Asien nun alle anderen Regionen auf der Welt bei der Zahl der Menschen übertrifft, die in einer Demokratie leben. Dies ist genau das Resultat des Wachstums, in dessen Genuss Asien ab Mitte der 1980er Jahre gelangte, also ab dem Zeitraum, in dem japanische Unternehmen damit begannen, mit Nachdruck direkt in asiatische Länder zu investieren. Einzig ein freies und offenes Umfeld für Handel und Investitionen ermöglichte es Japan zu wachsen. Und genau dies ist es, was zu dem Wohlstand geführt hat, den die Länder Asiens heute genießen. Frieden, Stabilität und Sicherheit auf den Meeren sowie die freie Schifffahrt und das Recht auf ungehinderten Flugverkehr bilden die Grundlage für Frieden und Wohlstand in der internationalen Gemeinschaft. Sollten Dispute auftreten, dann muss sich die internationale Gemeinschaft strikt an den Grundsatz halten, dass die Staaten ihre Ansprüche auf der Grundlage des Völkerrechts erheben, dass sie bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche keine Gewalt oder Zwang ausüben und dass sie eine Beilegung der Streitigkeiten durch friedliche Mittel anstreben.

Japan wird auch weiterhin an der Seite derjenigen stehen, die eine Weltordnung aufrechterhalten, die offen und frei ist, sowie an der Herrschaft des Rechts und an internationalen Regeln festhalten. Lassen Sie mich zudem anmerken, dass ich mitten im Zentrum der Regierung von Japan ein besonderes Team ins Leben gerufen habe, das direkt unter meiner Leitung steht und dass sich für die Förderung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) einsetzt. Meine Regierung wird sich für die Beschleunigung eines Abschlusses des Klimaabkommens von Paris einsetzen und gewissenhaft ihre Zusagen für die Unterstützung der Entwicklungsländer in Höhe von 1,3 Bill. Yen bis 2020 einhalten. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass dies geschieht. Japan wir keine Mühen scheuen, um die Vereinten Nationen auch in den kommenden sechzig Jahren so zu stärken, wie es dies in den vergangenen sechzig Jahren bereits getan hat. Ich wünsche mir, dass diese Zusage in dem Vertrauen wurzelt, das den Menschen in Japan aus aller Welt zuteil wird.

Dies ist Japans Geist für die Vereinten Nationen

Irgendwo in Juba tauchte unerwartet ein Mann auf. Es war an einem Ort, an dem Pioniere der Bodentruppen der Japan Self-Defense Forces arbeiteten und die blauen Helme der Vereinten Nationen trugen. Er sagte: „Ich bin wirklich sehr dankbar, dass Japan diese Straße baut. Ich setze mein ganzes Vertrauen in Sie. Kann ich etwas tun? Lassen Sie mich helfen, ich möchte dafür nichts bekommen.“ Auch am nächsten und am übernächsten Tag erschien der Mann wieder auf der Baustelle, mit der eine wichtige Durchgangsstraße in der Hauptstadt des Südsudans, des jüngsten Mitgliedsstaats der Vereinten Nationen, gebaut wurde. Am dritten Tag begann der Mann die Arbeiten zu tun, von denen er wusste, dass sie notwendig waren; schließlich arbeitete er acht Tage lang mit den SDF-Angehörigen zusammen. An dem Tag, als sich ihre Wege trennten, als sie sich gegenseitig auf die Schulter klopften und Abschied nahmen, war es nur selbstverständlich, dass die japanischen Pioniere, die die ganze Zeit nichts als Dank von dem Mann erfahren hatten, tief bewegt waren. Juma Ago Isaac – die Angehörigen der SDF notierten sich den Namen dieses Mannes aus Südsudan, der ansonsten namenlos geblieben wäre, um an ihn zu erinnern.

Frau Vizepräsidentin,
unabhängig davon, welche Aufgabe oder wo etwas erledigt werden muss: Die Japaner, die sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit an den unterschiedlichsten Orten engagieren, empfinden diese Art von Begegnungen als die größte Belohnung für ihr Tun. Überall, wo sie hinkommen, erwachen in den Menschen vor Ort die eigenen Fähigkeiten und die Menschen erkennen, dass der Aufbau eines Landes genau dort beginnt, wo sie selbst gerade stehen. Die Menschen meines Landes, die dies immer wieder beobachten, sind davon tief bewegt und sie erinnern sich daran oft für den Rest ihres Lebens. Es ist eine Quelle stillen Stolzes für mich, dass die Beziehungen, die Japan und die Vereinten Nationen in den letzten sechzig Jahren gestaltet haben, auf diese Weise die Herzen von Menschen in Asien, in Afrika und in der Tat überall auf der Welt zusammengebracht haben. Dies ist Japans Geist für die Vereinten Nationen. Ich gelobe, ihn nicht zu vergessen, ihn weiter zu fördern und an die kommenden Generationen weiterzugeben.

Reform des Sicherheitsrats von größter Dringlichkeit

Ich möchte meine Rede beschließen, indem ich auf die Notwendigkeit für einen grundlegenden Wandel der Governance Struktur der Vereinten Nationen verweise. Staaten in Afrika und Lateinamerika haben mittlerweile so großen Einfluss auf die globale Politik und Wirtschaft erlangt wie nie zuvor. Nichtsdestotrotz wird ihnen noch immer eine angemessene Vertretung im Sicherheitsrat vorenthalten. Dieses einfache Beispiel macht den aktuellen Zustand in Bezug auf dieses Gremium für die jetzt lebende Generation unhaltbar. Auch wenn die internationalen Beziehungen vor 71 Jahren, als der letzte Krieg sich seinem Ende zuneigte, heute in den Geschichtsbüchern behandelt wird, haben sie nichts mehr mit den Staaten zu tun, die seitdem ihre Unabhängigkeit erlangt haben.

Bei der 6. Tokyo International Conference on African Development, die Japan vor kurzem zusammen mit afrikanischen Staaten ausgerichtet hat, hörte ich, wie die Staats- und Regierungschefs den Umstand, dass den afrikanischen Staaten kein ständiger Sitz im Sicherheitsrat zugestanden wird, als „historische Ungerechtigkeit“ bezeichneten. Dem konnte ich nur aus tiefstem Herzen zustimmen. Afrikas langfristige Vision beinhaltet u.a. das Ziel, bis zum Jahr 2023 einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erlangt zu haben, und Japan unterstützt dieses Ziel voll und ganz. Wenn wir eine Reform des VN-Sicherheitsrats nicht jetzt in Angriff nehmen, kann es ohne weiteres passieren, dass diese Aufgabe auf das kommende oder übernächste Jahrzehnt verschoben wird. Sind wir wirklich bereit, die Werte der Vereinten Nationen zu verletzen? Oder sollte es nicht vielmehr unser Wunsch sein, die Vereinten Nationen zu stärken? Falls Letzteres zutrifft, können wir nicht anders, als eine Reform des Sicherheitsrats als eine Aufgabe von größter Dringlichkeit anzusehen. Indem ich diesen Punkt mit Nachdruck unterstreiche, möchte ich meine Rede beschließen.

Vielen Dank.