(Foto: ja.wikipedia.org)
Ende September fuhr ich zu einer Bonsai-Ausstellung nach Rostock, um dort als Vertreter der Botschaft ein Grußwort zu halten. Die Ausstellung, die in ihrem ersten Jahr nicht mehr als eine private Veranstaltung von Bonsai-Liebhabern gewesen war, fand in diesem Jahr bereits zum 13. Mal statt. Von Beginn an arbeiteten die Ausstellenden daran, ihre Kunstfertigkeiten weiter zu verbessern. Diesmal nun bot die gut gefüllte Kunsthalle Rostock Bonsai-Fans aus der ganzen Region genügend Platz, um ihre Kreationen zu zeigen.
Hier möchte ich nun persönliche Überlegungen anstellen. Auch weil ich in meinem privaten Umfeld niemanden kenne, der als Bonsai-Liebhaber gilt, waren – als ich von dieser Ausstellung hörte – meine ersten Gedanken von der Vorstellung geprägt, bei Bonsai handle es sich vor allem um eine Liebhaberei für Angehörige der älteren Generation. In jüngster Zeit hört man in Japan öfters den Ausdruck „Das duftet nach Showa“. „Showa“ war die Regierungszeit des vorherigen Tenno, genauer gesagt der über sechzig Jahre währende Zeitraum von 1926 bis 1989. Mit dem Ausdruck wird also, etwas herablassend, diese Ära bzw. ihr Zeitgeist bezeichnet. Eine genaue Definition gibt es wohl nicht, aber wenn junge Japaner in ihren Zwanzigern oder Anfang Dreißig gegenüber Älteren vom „Showa-Duft“ sprechen, dann meinen sie damit weniger die Vorkriegszeit als vielmehr die Generation, die in den 1970er und 1980er Jahren jung war, und grenzen sie so von der nachfolgenden Generation ab. Dass ich, der ich selber nicht mehr zur jungen Generation gehöre, bei Bonsai an den „Duft von Showa“ denken musste, ist wohl auf meine eigene Vorstellung zurückzuführen, bei der sich ältere Herren in winzigen Gärten inmitten des Häusermeers der japanischen Städte dem Züchten und der Pflege von Bonsai verschreiben.
Als ich darüber nachdachte, was ich in meinem Grußwort in Rostock sagen könnte, wurde ich neugierig darauf zu erfahren, was die Menschen in Deutschland und in Europa überhaupt an Bonsai finden, und forschte daher etwas nach. Dabei fand ich heraus, dass Bonsai im Rahmen von „Cool Japan“ – dieser Begriff kommt mir inzwischen auch nicht mehr ganz so neu vor – in Europa einen großen Aufschwung erlebt, und dass Bonsai-Gesellschaften in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien jeweils rund 2.000 Mitglieder zählen. Dagegen sagte kürzlich ein bekannter japanischer Bonsai-Künstler, dass man in Japan selbst nur mehr ca. 8.000 Liebhaber der Bonsai-Kunst zähle und die künftige Entwicklung Anlass zu großem Pessimismus gebe. Ich kann nicht recht glauben, dass die Zahl der Bonsai-Liebhaber allein in den größeren europäischen Staaten bereits die Zahl der Liebhaber in Japan übersteigt, aber dies zeigt deutlich, dass das Interesse an Bonsai in Europa weiter zunimmt. Diese wachsende Beliebtheit bei Menschen im Ausland führt auch dazu, dass immer mehr Bonsai-Fans nach Japan reisen, um dort die Kunst des Bonsai noch besser kennenzulernen. Das Bonsai-Museum in der Stadt Saitama etwa wurde 2015 mit dem „Cool Japan Award“ ausgezeichnet. In Rostock erfuhr ich von Mitgliedern der Bonsai-Gesellschaft, dass die meisten Bonsai-Fans hierzulande eher älter seien und man durchaus die Aufgabe sehe, auch Jüngere für dieses Hobby zu begeistern. Mir scheint daher, dass man noch ein wenig abwarten sollte, ob Bonsai als kultureller Trendsetter Made in Japan hier weiter an Beliebtheit zunehmen und der Gartenkunst in Deutschland neue Impulse verleihen wird.
Aber nicht nur der Begriff „Bonsai“, sondern auch andere Begriffe aus Japan haben sich hierzulande fast unmerklich eingebürgert. Es gibt dafür eine ganze Reihe von Beispielen, die als Ausdruck der Wertschätzung einer einzigartigen Kultur gelten können. Auch wenn ich nicht weiß, ob man ihn unter Kultur einordnen kann, so gibt es etwa den japanischen Begriff „Sudoku“, der sich in den letzten zehn Jahren weltweit verbreitet hat. Jedes Mal, wenn ich während einer Dienstreise auf einem Flughafen warte, entdecke ich an den Zeitungskiosken solche Rätselhefte und stets auch Reisende, die die Wartezeit mit dem Lösen von Sudoku-Rätseln verkürzen. In diesem Oktober findet in der Slowakei die Sudoku-Weltmeisterschaft statt. 2014 belegten Japan und Deutschland im Mannschaftswettbewerb die beiden ersten Plätze und erreichten weitere Platzierungen im oberen Teilnehmerfeld. Als Japaner freue ich mich darüber, immer öfter Dinge zu entdecken, von denen es heißt: „Kommt das nicht auch ursprünglich aus Japan?“
Kiminori Iwama, Gesandter