Botschaft von Japan

Kultur

Besuch des GO-Spielers Shiung Feng in Berlin

Vom 30. September bis 2. Oktober fanden in der Botschaft von Japan die beiden GO-Turniere 8. Jugendpokal sowie 11. Pokal des Botschafters von Japan (JBC) statt. Zu dieser dreitägigen Veranstaltung war auch der Nihon-Kiin-Profi Shiung Feng eingeladen, der einen Vortrag über GO hielt sowie für Partie-Analysen und persönliche Gespräche zur Verfügung stand. Der Profi-Spieler mit dem 6. Dan und Mitglied des Verbands der professionellen GO-Spieler in Japan bat darum, mit seinem Spitznamen Kuma (die japanische Lesung des Schriftzeichens seines Familienamens) angesprochen zu werden, so dass wir im folgenden Interview die Anrede „Herr Kuma“ verwenden. Am ersten Tag schilderte er in seinem Vortrag für GO-Interessierte seine Beziehung zu diesem Spiel, sein Leben als professioneller GO-Spieler sowie die Eigenschaften, die einen kishi, wie die professionellen GO-Spieler in Japan genannt werden, auszeichnen. Nach drei Tagen intensiver Analyse und Betreuung fand er schließlich auch noch Zeit, die Fragen von Neues aus Japan zu beantworten. Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus dem Interview sowie aus seinem Vortrag vom 30. September.

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(Foto: Wikipedia)

1. Interview

Gemeinsamkeiten zwischen Japan und Deutschland

Neues aus Japan: Herr Kuma, Sie waren nun drei Tage lang mit Einsteigern und Fortgeschrittenen des GO-Spiels hier in Deutschland zusammen. 2012 trafen Sie anlässlich Ihrer Teilnahme an einer europäischen GO-Konferenz in Bonn auch Spieler aus anderen Ländern. Ich denke daher, dass Sie schon gegen eine ganze Reihe deutscher Spieler angetreten sind. Welchen Eindruck haben Sie bei Ihrem jetzigen Deutschlandbesuch gewonnen, was mögliche Unterschiede zu japanischen Go-Spielern anbelangt?

Herr Kuma: Ich bin hier gegen einige Spieler angetreten und denke, dass sich sowohl die Spieler in Deutschland als auch in Japan darin ähneln, dass sie GO sehr ernst nehmen. Meine Erfahrung mit dem GO hierzulande beschränkt sich auf den Besuch in Bonn vor vier Jahren und meinen jetzigen Aufenthalt hier in Berlin. Früher habe ich einige Jahre lang in Seattle in den Vereinigten Staaten gelebt. Die Menschen dort sind etwas lockerer, und bei ihnen steht vor allem der Spielspaß im Vordergrund, das war jedenfalls mein Eindruck. Hier habe ich Leute getroffen, die sehr viele Fragen stellen wie etwa: „Welche Bedeutung hat dieser Zug?“. Ich wurde also ziemlich viel ausgefragt (lacht). Beim GO-Unterricht in Japan ist es immer sehr still, weil alle Schüler aufmerksam zuhören, was der Lehrer sagt, so, als wollten sie kein Wort versäumen. Von daher sind die deutschen Spieler genauso ernst bei der Sache, aber die Atmosphäre ist doch etwas anders.

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Der Nihon-Kiin-Profi Shiung Feng beim Go-Turnier in der Botschaft (Foto: Botschaft von Japan)

Hier in Berlin konnte ich mich mit vielen GO-Spielern unterhalten. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass es hierzulande eine breite Basis von Spielern gibt. In Deutschland existieren in den großen Städten und Regionen für die Spieler entsprechend ihrer jeweiligen Stärke Spielklassen von der 1. bis zur 5. Liga. Die Liga-Partien werden im Internet ausgetragen. Zwar gibt es auch in Japan Partien, die via Internet gespielt werden, aber in der Regel treffen sich die Spieler dort nach wie vor insbesondere in Einrichtungen wie GO-Clubs oder öffentlichen Veranstaltungsräumen der jeweiligen Region. Wie ich auch in meinem Vortrag erklärt habe, bin ich der Ansicht, dass GO vor allem eine Art Kommunikation darstellt. Daher sollten sich die Spieler bei einer Partie am besten von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen. Im Internet gibt es dann außerdem noch das Problem, dass man sich für jemand anderes ausgeben kann. Allerdings denke ich, dass Internet-Partien wie hier in Deutschland auch sehr praktisch sind und durchaus ihre Vorteile haben. Es wäre zum Beispiel möglich, die Partien in der 1. und 2. Liga persönlich auszutragen, während in den unteren Ligen über das Internet gespielt wird. Diese Kombination würde sich durchaus anbieten. Nach meiner Rückkehr nach Japan möchte ich dem Nihon Kiin, dem dortigen Verband der professionellen GO-Spieler, einige Dinge vorschlagen, die ich in Deutschland gesehen und gehört habe.

China und Japan – unterschiedliche Spielephilosophie

Neues aus Japan: Der Japanische Botschafter Pokal wurde nun bereits zum elften Mal ausgetragen. Aber auch die Botschaft von Südkorea veranstaltet ein GO-Turnier, ebenso die Botschaft von China. Wir haben gehört, dass das südkoreanische Turnier derzeit pausiert, China hingegen unterstützt aktiv die Europäische GO-Föderation und organisiert jedes Jahr in Berlin ein gesamteuropäisches Turnier. Haben Sie den Eindruck, dass Ihr dreitägiger Aufenthalt hier in Berlin, verglichen mit dem chinesischen Engagement, ausreicht mit Blick auf das, was Japan für die Verbreitung von GO unternimmt?

Herr Kuma: Es gibt heutzutage zwei unterschiedliche Spielregeln beim GO-Spiel weltweit. Das sind einmal die chinesischen Spielregeln und die Regeln in den anderen Ländern. In Japan und Südkorea spielt man nach denselben Regeln; in Taiwan spielt man nach Regeln, die eine Kombination beider Reglements darstellen, aber doch eher den Regeln u.a. in Japan ähneln. China hat eine Nationalmannschaft gegründet, die auch viel im Ausland spielt und sich dafür einsetzt, die chinesischen Regeln auch dort zu verbreiten.

Neues aus Japan: Unterscheiden sich die Spielregeln in China und in den anderen Ländern sehr voneinander?

Herr Kuma Das ist ziemlich kompliziert, aber einfach ausgedrückt sind die Unterschiede während der Partie nicht so groß. Allerdings unterscheiden sich die Zählweisen der erlangten Punkte zum Schluss grundlegend voneinander, so dass sich auch die Schlussphasen der Partien ganz anders gestalten. Bei der Zählweise, wer gewonnen und wer verloren hat, sind die Regeln in Japan und den anderen Ländern einfacher zu verstehen als die chinesischen Regeln. Ich denke daher, dass diese Regeln sich für Anfänger besser eignen.

Neues aus Japan: Hat das unmittelbare Auswirkungen etwa bei internationalen Partien?

Herr Kuma: Nehmen wir das Beispiel einer Partie Japan gegen China. Dann kann es durchaus passieren, dass nach den japanischen Regeln zur Zählweise der Punkte Japan gewonnen und nach den chinesischen Regeln China gewonnen hat. Der umgekehrte Fall ist natürlich auch möglich.

Neues aus Japan: Werden durch die erwähnte Kooperation mit der Europäischen GO-Föderation die Regeln aus Japan und den anderen Ländern an Einfluss in Europa verlieren?

Herr Kuma: Beim jetzigen Turnier in Berlin habe ich gesehen, dass man hier in Deutschland nach den japanischen Regeln spielt und ich denke, sie sind hierzulande fest verwurzelt. Beim Jugendpokal hat es mich sehr berührt, dass sich die Spieler zu Beginn der Partie auf Japanisch mit Yoroshiku onegaishimasu begrüßt haben.

Was das internationale Engagement zur Verbreitung von GO anbelangt, so hinkt Japan dem chinesischen Engagement hinterher; ich denke, da trifft Ihr Hinweis schon zu. Bei den sieben großen Titelkämpfen, die in Japan gespielt werden, gibt es für jedes Turnier einen japanischen Sponsor; man kann tatsächlich die Tendenz beobachten, dass in Japan internationale Turniere eher vernachlässigt werden. In diesem Sinne bin ich sehr dankbar dafür, dass ich bei Turnieren hier in Deutschland wie jetzt beim JBC die Gelegenheit bekomme, über GO in Japan zu sprechen.

Neues aus Japan: Fallen Ihnen noch weitere Unterschiede ein, was das GO-Spiel in Japan und China anbelangt?

Herr Kuma: In China werden aufgrund der Nachfrage von Seiten der Nationalmannschaft viele starke Spieler aufgebaut. Das ist bei GO genauso wie bei anderen Sportarten, wo es um Sieg oder Niederlage geht. Spieler in der Nationalmannschaft, die nicht mehr gut genug spielen, scheiden aus und kehren in ihre Region zurück. Ich habe gehört, dass es seit einiger Zeit auch in den Regionen verschiedene Möglichkeiten gibt, im Bereich des GO-Spiels zu arbeiten, aber diese Spieler sind dann eben nicht mehr an vorderster Stelle aktiv. In Japan dagegen ist die Situation grundlegend anders. Wenn man dort einmal Profi geworden ist, dann behält man diesen Status in der Regel bis zum Rücktritt im hohen Alter und ist durchgehend als professioneller Spieler aktiv.

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Shiung Feng bei einer Go-Partie in Berlin (Foto: Botschaft von Japan)

Das hört sich jetzt so an, als dächten chinesische GO-Profis 24 Stunden am Tag nur an GO, aber das stimmt natürlich so nicht. Es gibt z.B. eine Fußballmannschaft, die aus chinesischen GO-Spielern besteht, die auch Freundschaftsspiele gegen Profimannschaften austragen. Und die chinesischen GO-Spielerinnen, die sich früher vielleicht weniger für Mode interessierten als die GO-Spielerinnen aus Japan, legen heutzutage genauso viel Wert auf Mode wie andere auch. Ich habe den Eindruck, dass man inzwischen erkannt hat, dass Aktivitäten außerhalb des GO-Spiels durchaus dazu beitragen können, die Fähigkeiten im GO zu stärken.

Auch wenn die Aussprache im Chinesischen und Koreanischen ganz anders ist, ist der Begriff „GO“, der diesem Sport weltweit seinen Namen gibt, allen Ländern auf der Welt gemeinsam. In China ist man sicherlich stolz darauf, dass man die Wiege des GO-Spiels ist. Andererseits weiß man dort aber durchaus den Beitrag zu schätzen, den Japan für die internationale Verbreitung von GO geleistet hat. Man ist dort bestrebt, beim Engagement zur Förderung des GO-Spiels nicht hinter Japan zurückzustehen.

Hans Pietsch – Brückenbauer zwischen Japan und Deutschland durch GO

Neues aus Japan: In ihrem Vortrag haben Sie, abweichend von Ihrem ursprünglich vorbereiteten Manuskript, auch über Hans Pietsch gesprochen. Er war ein deutscher Profi-GO-Spieler des 6. Dan und kam 2003 während einer Promotionsreise für GO in Guatemala bei einem Raubüberfall ums Leben. Davon haben viele erst erfahren, als Sie über Hans Pietsch berichteten. Es hat die Zuhörer sehr berührt, als sie davon erzählten, wie Sie und Hans Pietsch sich während der Ausbildung zum GO-Profi kennenlernten. Später haben wir vom Veranstalter der Turniere gehört, dass die Deutsche Schul-GO Mannschaftsmeisterschaft das „Hans Pietsch Memorial“ Turnier veranstaltet, um auf diese Weise die Erinnerung an diesen deutschen GO-Profi wachzuhalten. Es fand in diesem Jahr bereits zum 14. Mal statt. Es ist schon sehr beeindruckend, dass der Name von Hans Pietsch von den GO-Spielern in Deutschland auf diese Weise an die Nachwelt weitergegeben wird.

Herr Kuma: Als ich für meine Ausbildung zum GO-Profi nach Japan kam, habe ich mit Hans für einige Zeit in derselben Unterkunft gewohnt. Wir kamen beide aus dem Ausland nach Japan, um professionelle GO-Spieler zu werden; zudem war er älter als ich. Ich denke, dass ich viel von ihm gelernt habe. Auch später als Profi habe ich einige Male gegen Hans gespielt. Einige Jahre lang wurden auch Mitglieder des Nihon Kiin zum „Hans Pietsch Memorial“ entsendet. Ich möchte weiterhin einen Beitrag dafür leisten, dass sein Name als deutscher GO-Profi auch in Zukunft in Erinnerung bleibt.

2. Vortrag

Guten Abend,

mein Name ist Shiung Feng. Ich bin professioneller Go-Spieler, auf Japanisch kishi. Ich habe mich zwar als kishi vorgestellt, aber ich habe mich nie als solcher gefühlt. Daher kommt es mir ein wenig komisch vor, dass ich Ihnen die Welt der kishi vorstellen soll. Da ich heute auch zum ersten Mal einen Vortrag halte, bin ich mir nicht sicher, wie weit ich Ihnen die Welt der kishi wirklich näherbringen kann. Aber ich werde versuchen, den Alltag und die Denkweise der professionellen GO-Spieler so gut es geht mit meinen eigenen Worten zu beschreiben.

Ich könnte mich einfach mit den Worten: „Ich heiße Bär“ vorstellen. Bär (auf Japanisch „Kuma“) als Familienname ist nicht nur in Japan oder Taiwan, sondern in ganz Asien sehr selten. Es ist ein etwas seltsamer Name, aber einprägsam sowie einfach und daher praktisch, wenn man z.B. Kindern GO beibringt. Außerdem bin ich Taiwanese. Bis zu meinem 14. Lebensjahr bin ich in Taiwan aufgewachsen, danach kam ich nach Japan, um eine Ausbildung im GO zu absolvieren. Mit zwanzig Jahren habe ich die Qualifikation als professioneller GO-Spieler erlangt. Oft werde ich gefragt: Wie wird man Profi? In Japan muss man spätestens mit vierzehn Jahren insei werden. Insei bedeutet in etwa Auszubildender an einer GO-Schule. Jedes Jahr können ein bis zwei insei den Profi-Status erlangen. Dafür muss man viele GO-Partien durchlaufen und zum Schluss werden aus den Besten die neuen Profis gekürt. Es gibt natürlich auch Altershöchstgrenzen. Wenn ein insei es nicht bis etwa zu seinem 20. Lebensjahr schafft, Profi zu werden, muss der- oder diejenige die Schule verlassen. Als letzter Ausweg besteht dann noch die Möglichkeit, an einem externen Qualifikations-Turnier teilzunehmen.

Dieses Turnier ist eine Prüfung für starke Amateur-Spieler, die keine insei sind. Das heißt, als externer GO-Spieler muss man mehr Partien durchlaufen und erst, wenn man sich durch das Qualifikations-Turnier hochgekämpft hat, kann man gemeinsam mit den insei beim Endauswahlturnier um den Profi-Status gegeneinander kämpfen. Heute ist auch dieser Weg nur noch bis zum Alter von 23 Jahren möglich. Die Regeln haben sich, seitdem ich Profi geworden bin, zwar ein wenig geändert, aber in den Grundzügen sind sie doch gleich geblieben. Wie Sie sehen, bin ich sehr knapp vor der Altershöchstgrenze sowohl insei (Auszubildender) als auch Profi geworden.

Ich bin vielleicht nicht so stark im GO, aber dafür habe ich viel Glück gehabt. Nachdem die Partie, mit der ich die Profi-Qualifikation erlangte, zu Ende war, saß ich noch eine Weile fassungslos vor dem GO-Tisch. Ich empfand keine Glücksgefühle, sondern war einfach nur erleichtert und fühlte mich so leer wie der abgeworfene Panzer einer Zikade. Eigentlich müsste man sich erst einmal freuen. Aber normalerweise werden starke GO-Spieler, die auch Titelgewinner werden, bereits mit vierzehn Jahren Profis. Auch in China und Korea ist es ähnlich, sodass heutzutage Profis mit zehn oder elf Jahren gar nicht so selten sind.

Als Profi-Spieler kann man an Turnieren für Profis, d.h. meist von Zeitungsverlagen gesponserten Turnieren, teilnehmen. Wenn man gewinnt, bekommt man ein Preisgeld. Wer auf der Erfolgsspur bleibt, kann auch große Titelkämpfe (und hohe Preisgelder) gewinnen. Iyama Yuta, der dieses Jahr alle sieben großen Titelkämpfe in Japan gewonnen hat, hat insgesamt 174,8 Millionen Yen (1,55 Mio. Euro) an Preisgeldern gewonnen. Davon kann man schon träumen. Nur gibt es auch mehrere Hundert andere Profis, sodass vielleicht nur 10 bis 20 Personen von ihnen tatsächlich nur von Turnieren ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Andere Profis können ihr Leben z.B. durch GO-Unterricht finanzieren. Diese nennt man Unterrichts-Profi. Da kommt man schnell vom Traum wieder zurück in die Realität.

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(Foto: Botschaft von Japan)

Wir GO-Profis müssen aber nicht wie normale Angestellte täglich zur Arbeit gehen. Die meisten Profis spielen im Jahr etwa zwanzig Wettbewerbe. Da die meisten Wettbewerbe in Turnier-Form aufgebaut sind, wird man mehr Partien spielen, wenn man gewinnt. Trotzdem kommt man höchstens auf eine Partie pro Woche. Professionelle GO-Spieler haben daher viel Freizeit. Das klingt sicherlich beneidenswert, aber es ist wichtig, dass man die freie Zeit sinnvoll verbringt. Um im GO zu gewinnen, ist es unabdingbar, sich in das Studium des GO zu vertiefen. Es gibt Studiengruppen, in denen sich GO-Lernende zusammen tun. Ich versuche, so oft wie möglich an solchen Gruppen teilzunehmen. Mit der Teilnahme an Studiengruppen kann man aber kein Geld verdienen. Daher gebe ich Amateur-Spielern GO-Unterricht. Daneben mache ich Futsal (eine Art Hallenfußball), Fitnesstraining und steige auf Berge. Viele Profi-GO-Spieler sind aktive Sportler. Denn gute körperliche Kondition zu haben ist wichtig, um konzentriert eine Partie zu gewinnen. Bei offiziellen Turnieren gibt es ein Zeitlimit von drei Stunden pro Spieler, das bedeutet, dass eine Partie über sechs Stunden dauert. Bei Titelkämpfen beträgt das Zeitlimit acht Stunden. Also dauert eine Partie dann zwei Tage. Die Bedeutung von guter körperlicher Verfassung wird Ihnen dadurch sicherlich klar. Wir können uns nicht 24 Stunden lang ins GO-Studium vertiefen, aber Profi-GO-Spieler denken 24 Stunden lang an GO.

Im GO geht es um Sieg oder Niederlage. Trotzdem wird eine GO-Partie auch als „Kommunikation über die Hände“ bezeichnet. Man setzt sich zwar unter Druck, die Partie zu gewinnen, aber dennoch empfindet man auch Spaß. Man könnte es den Spaß des gegeneinander Kämpfens nennen. Ich spüre dabei eher den Spaß, kommunizieren zu können. Es ist, als würde man wirklich in einen Dialog treten: „Das ist ein guter Zug, nicht schlecht!“ oder „Dieser Zug ist aber noch besser!“ Diese Art von Kommunikation hat mit der Stärke eines Spielers nichts zu tun. Auch in einer Partie zwischen Profi und Amateur – jeder GO-Spieler kennt diesen Dialog.

Ich habe vorhin von den Studiengruppen erzählt. Das ist eine Methode für Profis, um sich in das GO-Studium zu vertiefen. Oft gibt es Studiengruppen, in der Übungspartien durchgespielt werden. Es kommen also Profis zusammen und üben, indem sie GO spielen. Dann gibt es Studiengruppen, in der Spielzüge besprochen werden. Diese Besprechungen sind ziemlich wichtig. Es wäre doch schade, wenn man einfach GO spielt und nach der Partie gleich abräumt und sich verabschiedet. Auch wenn man in der Partie mit den GO-Steinen viel kommuniziert hat, bleiben hinterher doch noch viele Fragen offen. Daher fragt man nach der Übungspartie den Gegner: „An dieser Stelle war mir nicht ganz klar, wie Sie reagiert hätten, wenn mein Zug so oder so gewesen wäre“. Über mögliche Züge Fragen zu stellen, macht auch Spaß und das ist zudem wichtig, um auf diese Weise noch besser zu werden. Das ist nicht nur bei GO der Fall. Auch in der Schule sollte man die zurückbekommenen Klassenarbeiten berichtigen. Und wenn ich auch kein Angestellter bin, glaube ich, dass es in der Arbeitswelt sicherlich genauso ist.

Wenn eine Frage mit einem oder zwei Spielern immer noch nicht geklärt werden konnte, lädt man mehr Spieler zur Studiengruppe ein und es wird zusammen nachgedacht. In der Studiengruppe meines Lehrers kommen, wenn die Gruppe groß ist, etwa zehn Personen zusammen, setzen sich um den GO-Tisch und denken gemeinsam nach. In einem Zimmer mit Tatami-Matten steht ein GO-Tisch mit Tischbeinen und drum herum wird gegrübelt. Es entsteht eine ganz besondere, intensive Atmosphäre, zu der ein Glas Wein sehr gut passen würde. Das sollte eigentlich ein Scherz sein. Aber ich habe tatsächlich einmal heimlich Wein getrunken. Mein Lehrer meinte dann aber: „Es riecht nach Wein!“, und so bin ich doch aufgeflogen. Beim nächsten Mal wäre ich sicherlich aus seiner Schule geworfen worden. Die Studiengruppe meines Lehrers ist heute für mich mehr Freude-Empfinden als Lernen. Vielleicht habe ich mich deswegen in der Art des Genießens etwas daneben benommen.

Zurück zum Thema. GO zu studieren bedeutet, über Spielzüge nachzudenken. Bei einem Selbststudium stößt man zwangsläufig an Grenzen. Es gibt technische oder strategische Aspekte, auf die man alleine nicht kommen würde. Aber diese können im gemeinsamen Studium effektiv entdeckt werden. Gute Techniken, sinnvolle Herangehensweisen und auch eigene Schwächen werden auf diese Weise entdeckt. Nach einer Partie nutze ich immer das nächste Treffen der Studiengruppe, um meine Partie zu rekonstruieren und um von meinem Lehrer und anderen Profis Ratschläge zu erhalten. Wir Profi-Spieler merken uns die gesamten über 300 Züge einer Partie. Wer sich in GO nicht gut auskennt, wundert sich vielleicht darüber, aber auch Amateure merken sich zum Teil 100 oder 200 Züge. Je stärker der Spieler ist, desto genauer merkt er sich die Spielzüge. Ich bin ein wenig querköpfig und glaube nicht wirklich, was andere mir sagen. Auch als schlecht geltende Taktiken probiere ich so lange aus, bis ich endlich überzeugt bin bzw. oft damit verliere. Die mehrheitliche Meinung ist sicherlich, dass professionelle GO-Spieler sich auf den Sieg konzentrieren und keine Umwege machen sollten. Aber ich werde so lange Umwege machen, bis ich selbst überzeugt bin.

Kishi, also Profi-Spieler, müssen auch bestimmte Eigenschaften besitzen. Einmal die Eigenschaft zum Zocker, dann zum Forscher und schließlich zum Künstler, das hat jedenfalls ein bekannter shogi-kishi gesagt. Shogi ist japanisches Schach. Als ich diese Worte hörte, dachte ich einerseits: „Aha“, aber als Querkopf habe ich bei seiner Interpretation auch ein wenig Unbehagen verspürt. Sicherlich haben GO-Spieler Begabungen als Zocker, Forscher und Künstler. Dieser shogi-kishi meinte, wenn der Künstler zu stark zum Vorschein komme, werde der Wille zum Sieg geschwächt. Mit dieser Interpretation bin ich aber nicht einverstanden. Um zu gewinnen, ist meiner Meinung nach die Eigenschaft als Künstler unentbehrlich. „Künstler“ kann man als „Originalität“ verstehen. Es kommt darauf an, wie die ideale Vorstellung auf dem GO-Brett dargestellt werden kann. Bevor man sich Gedanken über Sieg oder Niederlage macht, sollte man in der Lage sein, das, was man sagen oder tun möchte, auch umzusetzen. Sonst kann man nicht gewinnen. Ich solle nicht anderen nachmachen, sondern selbst überlegen, hat mir mein Lehrer oft gesagt. Er hat sich kaum über Details geäußert, dafür Denkansätze und Richtungen aufgezeigt. Ich glaube, er hat mir damit beigebracht, dass jeder andere Vorstellungen hat und man daher selbst auf eine Antwort kommen muss.

Zum Schluss möchte ich noch einmal für das GO-Spiel werben. Man lebt nur einmal, aber im GO kann man oft Niederlagen erleben, aber doch auch immer wieder neu anfangen und mit Sicherheit auch gewinnen. Es wäre schön, wenn auch Sie für sich den Spaß an GO und die Freude am Gewinnen entdecken könnten. Ich nehme mir fest vor, einen Titel zu gewinnen und endlich eine mit Freude erfüllte Zikade zu werden.

Vielen Dank.