Bild: Premierminister Abe während seiner Erklärung in Pearl Harbor (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Präsident Obama, Admiral Harris, verehrte Anwesende sowie alle Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten.
Ich stehe jetzt hier in Pearl Harbor als Premierminister von Japan. Wenn wir genau lauschen, dann hören wir den steten Klang der Wellen. Eine blaue, stille Bucht im milden Schein der Sonne. Hinter mir – auf dem Meer – das weiße USS Arizona Memorial. Gemeinsam mit Präsident Obama habe ich diese Stätte besucht, ein Ort des Gedenkens an die Seelen der Gefallenen. Es war für mich ein Ort, der mich zum Schweigen anhielt. Dort sind die Namen der verstorbenen Matrosen und Soldaten verzeichnet. Sie kamen aus Kalifornien, Michigan, New York, Texas und vielen anderen Orten, um ihre edle Pflicht zu erfüllen, nämlich ihr Vaterland zu verteidigen. Sie starben an jenem Tag in einem Flammenmeer, als das Schlachtschiff USS Arizona von Bomben in zwei Teile zerrissen wurde.
Bild: Premierminister Abe und Präsident Obama im USS Arizona Memorial (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Auch heute, 75 Jahre später, ruht in der auf dem Grund des Meeres liegenden USS Arizona eine unbekannte Zahl von Angehörigen der Streitkräfte. Wenn ich mit wachem Herzen lausche, höre ich zusammen mit dem Wind und den Wellen auch die Stimmen der Besatzungsmitglieder. Die Stimmen heiterer und entspannter Gespräche an jenem Tag, einem Sonntagmorgen. Stimmen junger Matrosen und Soldaten, die sich gegenseitig ihre Zukunft und ihre Träume erzählten. Stimmen, die in den letzten Augenblicken ihres Lebens die Namen ihrer Lieben riefen. Stimmen, die für das Glück noch ungeborener Kinder beteten.
Jeder dieser jungen Männer hatte eine Mutter und einen Vater, die sich um ihn sorgten. Viele hatten Ehefrauen und Freundinnen, die sie liebten. Und es gab auch Kinder, auf deren Großwerden sie sich freuten. Alle diese Gedanken wurden mit einem Mal zunichte. Wenn ich diese ergreifende Wahrheit bedenke und sie mir eindringlich vor Augen halte, dann fehlen mir die Worte. „Ruhet in Frieden, Ihr Seelen der Verstorbenen“ – mit diesen innigen Gedanken habe ich im Namen des japanischen Volkes Blumen auf das Meer gestreut, in dem diese Matrosen und Soldaten ruhen.
Bild: Premierminister Abe und Präsident Obama im USS Arizona Memorial (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Präsident Obama, liebe Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten sowie alle Menschen auf der Welt.
Als Premierminister von Japan spreche ich den Seelen der hier Verstorbenen sowie all der tapferen Männer und Frauen, die in den Kämpfen, die hier ihren Anfang nahmen, ihr Leben verloren, und der zahllosen unschuldigen Opfer des Krieges mein aufrichtiges und immerwährendes Beileid aus. Wir dürfen die Schrecken des Krieges niemals wiederholen. Dies haben wir geschworen. Nach dem Krieg haben die Menschen in Japan ein freies und demokratisches Staatswesen aufgebaut, das die Herrschaft des Rechts achtet und sich dem Schwur, niemals wieder Krieg zu führen, verpflichtet fühlt. Wir, die Menschen von Japan, werden an diesem Kurs auch weiterhin unerschütterlich festhalten, während wir stillen Stolz über den Weg eines dem Frieden verpflichteten Staates empfinden, den wir in den siebzig Jahren seit Kriegsende beschritten haben. Vor den hier ruhenden Matrosen und Soldaten des Schlachtschiffs USS Arizona, den Menschen in den Vereinigten Staaten und in aller Welt lege ich als Premierminister von Japan diesen Schwur ab.
Gestern besuchte ich auf der Basis des Marine Corps in Kanohe den Gedenkstein für einen Offizier der Kaiserlich Japanischen Marine. Es war Fregattenkapitän Fusata Iida, Pilot eines Jagdflugzeugs, das während des Angriffs auf Pearl Harbor getroffen wurde. Er verzichtete daher auf die Rückkehr zu seinem Flugzeugträger und fiel an diesem Ort. Es waren keine Japaner, die an der Absturzstelle seines Flugzeugs einen Gedenkstein errichteten. Es waren Angehörige der US-Streitkräfte, die Ziel dieses Angriffs waren. Sie errichteten den Gedenkstein, um an die Tapferkeit des Gefallenen zu erinnern. Dieser Stein bringt die Achtung für einen Soldaten zum Ausdruck, der sein Leben für sein Land gab und führt den damaligen Rang des Gefallenen an, Kapitänleutnant der Kaiserlich Japanischen Marine, sowie den Spruch: The brave respect the brave – die Tapferen ehren die Tapferen. Er stammt aus einem Gedicht von Ambrose Bierce. Einen Feind zu ehren, gegen den man gekämpft hat; einen Feind zu verstehen suchen, den man gehasst hat – dies ist Ausdruck des Geistes der Großmut, die dem amerikanischen Volk zu eigen ist.
Als der Krieg endete, bestand Japan, soweit das Auge reichte, aus verbrannten Ruinen; die Menschen lebten in tiefster Armut. Es waren die Vereinigten Staaten, die Menschen in Amerika, die uns damals großzügig mit Nahrung und Kleidung versorgten. Die Menschen in Japan konnten überleben und den Weg in die Zukunft beschreiten dank der Pullover und der Milch, die Sie uns zukommen ließen. Und es waren die Vereinigten Staaten, die Japan nach dem Krieg erneut den Weg öffneten, um in die Gemeinschaft der Staaten zurückzukehren. Unter der Führung Amerikas konnten wir als ein Mitglied der freien Welt Frieden und Wohlstand genießen. Ihr guter Wille und Ihre helfenden Hände, die Sie uns Japanern reichten, gegen die Sie zuvor so erbittert gekämpft hatten, und Ihre starke Großmut haben sich tief in die Herzen unserer Großväter und -mütter eingegraben. Auch wir erinnern uns daran. Und auch unsere Kinder sowie Enkel werden davon erzählen und dies bestimmt nicht vergessen.
Ich erinnere mich der Worte, die auf den Wänden des Lincoln Memorial in Washington stehen, das ich gemeinsam mit Präsident Obama besuchte: „Mit Groll gegen niemanden, mit Barmherzigkeit gegen jedermann … lasst uns weiter danach streben, … alles zu tun, was einen … dauerhaften Frieden unter uns selbst und mit allen Nationen herbeiführen und erhalten kann.“ Es sind die Worte von Präsident Abraham Lincoln. Im Namen des japanischen Volkes möchte ich an dieser Stelle den Vereinigten Staaten und der Welt erneut von ganzem Herzen für die Großmut danken, die sie Japan zuteil werden ließen.
75 Jahre sind seit „Pearl Harbor“ vergangen. Japan und die Vereinigten Staaten, die einen erbitterten Krieg gegeneinander führten, an den man sich im Rahmen der Geschichte stets erinnern wird, sind zu Verbündeten geworden mit Banden, so tief und fest, wie man sie selten in der Geschichte findet. Es ist ein Bündnis, mit dem wir enger als jemals zuvor gemeinsam die zahlreichen Herausforderungen in Angriff nehmen, vor denen die Welt steht. Es ist ein „Bündnis der Hoffnung“, die uns die Zukunft erschließt. Was uns verbindet, ist die Kraft der Versöhnung, möglich gemacht durch den Geist der Großmut. Dies ist es, was ich hier in Pearl Harbor gemeinsam mit Präsident Obama den Menschen auf der Welt vor Augen führen will: die Kraft der Versöhnung. Die Schrecken des Krieges sind bis heute nicht von der Erde verschwunden. Die Spirale des Hasses, der stets neuen Hass hervorbringt, scheint nicht enden zu wollen. Es sind der Geist der Großmut und die Kraft der Versöhnung, die die Welt jetzt – und gerade jetzt – so dringend braucht. Japan und die Vereinigten Staaten, die den Hass überwunden und auf der Grundlage gemeinsamer Werte Freundschaft und Vertrauen geschaffen haben, stehen jetzt – und gerade jetzt – vor der Aufgabe, der Welt die große Bedeutung der Großmut und der Kraft der Versöhnung eindringlich vor Augen zu führen. Gerade deshalb ist das Bündnis zwischen Japan und den Vereinigten Staaten ein „Bündnis der Hoffnung“.
Diese Bucht, die auf uns schaut, ist friedlich, soweit der Blick reicht – Pearl Harbor. Es ist genau diese schöne Bucht, die wie Perlen schimmert, die ein Symbol für Großmut und Versöhnung ist. Es ist mein Wunsch, dass die Kinder in Japan, die Kinder von Präsident Obama und die Kinder aller Amerikaner sowie deren Kinder und Kindeskinder und schließlich alle Menschen auf der Welt Pearl Harbor als ein Symbol der Versöhnung in Erinnerung behalten mögen. Wir werden unsere Anstrengungen dafür auch weiterhin mit all unserer Kraft fortführen. Gemeinsam mit Präsident Obama lege ich hier diesen Schwur ab.
Vielen Dank.