Botschaft von Japan

Kultur

Papier in der japanischen Kultur

Washi - Tradition und Weiterentwicklung

Papier hat im Alltagsleben in Japan stets eine wichtige Rolle gespielt, wobei Kultur und japanisches Papier washi eine einzigartige Verbindung eingegangen sind.

Erste Anfänge

Techniken zur Papierherstellung kamen anfangs aus China nach Japan, vermutlich zu Beginn des 7. Jh, wobei zunächst Hanf verwendet wurde. Da Hanffasern sehr lang und fest sind, ist es sehr zeitaufwändig und mühsam, sie zu schneiden und zu klopfen, um sie weiterverarbeiten zu können. Daher wechselte mal schon bald zu einheimischen Pflanzen wie kozo (Papiermaulbeere), gampi oder mitsumata (Papierbusch), die sich leichter verarbeiten lassen.

Kozo wird für die Herstellung von biegsamem und trotzdem widerstandsfähigem Papier benutzt, gampi für sehr festes und glänzendes Papier, während mitsumata ein weiches und glänzendes Endprodukt hervorbringt. Hält man washi gegen das Licht, sieht man, wie die Fasern fest ineinander verwoben sind. Je länger die Fasern, desto öfter sind sie miteinander verknüpft und ergeben ein sehr widerstandsfähiges Papier. Die Länge der Fasern von kozo beträgt etwa 10 mm, während es bei gampi und mitsumata rund 5 mm sind.

Washi ist vom Gewicht her leicht und von der Textur her sanft. Zwischen den Fasern gibt es oft winzige Luftblasen. So erscheint das Papier zwar zart, ist aber tatsächlich sehr reißfest und kann für viele verschiedene Zwecke verwendet werden. In der Geschichte vom Prinzen Genji, einem zu Beginn des 11. Jh. verfassten Roman, heißt es an einer Stelle: „Ausländisches Papier reißt sehr leicht.“ Bereits damals scheinen die Menschen in Japan die Stärke von washi gekannt und geschätzt zu haben.

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Bild: Eine Szene aus dem Genji Monogatari Emaki („Bildrolle der Geschichte vom Prinzen Genji“), Kapitel Yugiri, einem Roman, der das Leben der Aristokratie beschreibt. Die Bildrolle stammt aus dem 12. Jh. (Gotoh Museum)

Die Festigkeit des Papiers ist auch Ergebnis der Art und Weise seiner Herstellung. Bei der nagashi-zuki genannten Methode werden lange Pflanzenfasern zu einheitlich kräftigen Blättern verwoben. Die Fasern werden viele Male in einer Mischung aus Wasser und neri, einem Klebstoff, der aus tororoaoi (eine Hibiskusart) oder anderen Pflanzen gewonnen wird, geschwenkt. Während die langen Fasern so miteinander verbunden werden, wird gleichzeitig immer wieder von neuem Flüssigkeit entzogen, bis schließlich ein festes und gleichmäßig ebenes Blatt Papier entstanden ist.

Mitte des 12. Jh. breitete sich die Papierherstellung auch in Europa aus. Später wechselte man dort von Hanffasern zu Baumwollfasern als Grundstoff. Dabei verwendete man die tame-zuki genannte Methode, bei der das Wasser aus der Form abgelassen wird. Dieses Verfahren eignet sich besonders für kurze Fasern, die sich gut in Wasser auflösen. Da dabei jedoch das Wasser nur einmal entzogen wird, neigt das Papier dazu, leicht zu reißen sowie uneben zu werden.

Eine Inspiration für die japanische Kultur

Die nagashi-zuki Methode wurde während der Nara-Zeit (710-784) entwickelt, als das Kopieren und Verbreiten von buddhistischen Gebeten, den Sutren, Bestandteil einer landesweiten Kampagne zur Verbreitung dieser Religion war. Dafür benötigte man sehr viel Papier, was zur Kultivierung von kozo als Rohmaterial führte, sowie zur Verbreitung von Techniken zur Papierherstellung überall im Land. Hyakumanto Dharani ist eine Serie von einer Million Miniatur-Pagoden aus Holz, die jeweils einen Papierstreifen mit gedruckten Auszügen aus buddhistischen Sutren enthalten. Die Pagoden, die heute noch erhalten sind, stammen aus dem Jahr 770, so dass sie zu den ältesten Druckerzeugnissen der Welt zählen. Es ist anzunehmen, dass die Produktion so gewaltiger Papiermengen nur möglich war, weil man bereits die Technik der Papierherstellung nach der nagashi-zuki Methode meisterlich beherrschte.

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Bild: Hyakumanto („Eine Million Pagode“) mit einer Höhe von ca. 20 cm. Jede Pagode enthält einen Hyakumanto Dharani, einen mit einem buddhistischen Gebet beschriebenen Streifen washi. (Privatsammlung)

Während der Heian-Zeit (794-1192) erlebte die Adelskultur einen beachtlichen Aufschwung. Man erfand die heimischen kana Schriftzeichen; dies förderte u.a. das Verfassen und die Lektüre von Romanen und waka Gedichten. Manche Gedichte wurden auf besonders prächtigem Papier verfasst, um ihren Inhalt hervorzuheben. Als Farbtöne verwendete man u.a. murasaki (Violett), ai (Indigo) und beni (Purpur). Zum Teil war das Papier sogar mit Einsprengseln aus Gold und Silber verziert.

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Bild: Traditionelle Herstellung von washi. Ein Wasserbrei wird mittels geschickter Handbewegungen gleichmäßig verteilt und durch ein Sieb gefiltert. (Foto: Mino City Government, Akira Nakata)

In der Edo-Zeit (1603-1867) gelangten schließlich auch die Techniken des Holzdrucks zu voller Blüte. Diese wurden nicht allein von offiziellen Illustratoren, sondern auch von Künstlern zur Herstellung von kawara-ban Zeitungen sowie den bekannten ukiyoe Holzschnitten verwendet. Beide Produkte wurden in großer Zahl hergestellt. Auf diese Weise hielt während der Edo-Zeit Papier schließlich auch Einzug in den Alltag der einfachen Menschen in Japan.

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Bild: Die Papierblätter werden zum Trocknen in die Sonne gestellt. (Foto: Mino City Government, Akira Nakata)

Ein fester Bestandteil des Alltags

Washi ist sehr vielseitig, gerade weil es so fest und dabei gleichzeitig so schön ist. Die traditionelle Architektur in Japan wäre ohne shoji und fusuma (Schiebetüren) wohl nicht wirklich japanisch. Auch hier spielt washi eine wichtige Rolle: Das Rahmenwerk der shoji wird mit washi beklebt, und das durchscheinende Licht verleiht dem Inneren des Hauses eine besonders natürliche Atmosphäre. Fusuma werden mit dekorativem Papier bezogen, um die Bestimmung eines Raums festzulegen und ihn zu verschönern.

Washi kann mit einem Überzug aus Persimonen-Lack oder Öl wasserfest und noch stabiler gemacht werden. So eignet es sich auch als Material für Behälter, Schirme oder andere Gegenstände des Alltags, ja sogar als Schrank. Washi, in den unterschiedlichsten Formen geschnitten, gefaltet oder geklebt, demonstriert seine hohe Anpassungsfähigkeit: als tako Drache, den man zum Neujahrsfest aufsteigen lässt, als koi-nobori Windbanner zum Knabenfest im Mai sowie als tanabata Papierstreifen im Sommer, als Spielmaterial für karuta (ein Kartenspiel) und sugoroku (ein Brettspiel) sowie als Schmuck bei Zeremonien und Festen in Schreinen und Tempeln. Washi spielte stets eine vielfältige Rolle im Alltagsleben in Japan und einige dieser Rollen erfüllt es bis heute.

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Bild: Gefaltete weiße Papierstreifen (shide) an einem torii Tor des Shimogamo-Schreins in Kyoto. Shide sind Dekoration sowie gleichzeitig Emblem, das auf einen heiligen Ort verweist. (Foto: Akira Nakata)

Zu den bekanntesten washi Produktionszentren zählen Orte in der Präfektur Gifu, wo sogenanntes Hon-Minoshi hergestellt wird. In der Präfektur Shimane produziert man Sekishu-Banshi und in der Präfektur Saitama Hosokawa-shi. Diese drei washi Sorten wurden mittlerweile auch in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Weitere washi Sorten, die erwähnt werden sollten, sind Echizen-washi aus der Präfektur Fukui, ein qualitativ sehr hochwertiges Papier, das früher für offizielle Dokumente der Samurai verwendet wurde, sowie das variantenreiche Tosa-shi aus der Präfektur Kochi. All diese Orte sind mit reichen Vorkommen an kristallklarem Wasser gesegnet, eine wesentliche Voraussetzung für die Papierindustrie. Auch die erforderliche handwerkliche Expertise wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die Präfektur Fukui ist der einzige Ort auf der Welt, an dem man eine Gottheit des Papiers verehrt. Sie verfügt über einen eigenen Schrein, und es heißt, dass ihr Beistand die Papierindustrie dort bis zum heutigen Tag erhalten hat.

Die Zukunft

Handgeschöpftes washi erfuhr während der Meiji-Zeit (1868-1912) aufgrund des Imports von maschinengefertigtem Papier aus dem Ausland einen Niedergang. Das heute verwendete Papier besteht aus ca. 1 mm langen Fasern, die mit Hilfe von Chemikalien verfestigt werden. Damit eignet es sich ausgezeichnet für die Massenproduktion, ist andererseits aber nicht sehr reißfest und es mangelt ihm an der großen Vielfalt von Verwendungsmöglichkeiten. Somit ist washi aufgrund seiner Herstellungstechniken und charakteristischen Eigenschaften nach wie vor in der Lage, zahlreiche Bedürfnisse zu befriedigen. Beispielsweise ist Japans Papiergeld für seine fortschrittlichen Drucktechnologien berühmt. Weniger bekannt ist jedoch, dass die Scheine auch Vorzüge von washi aufweisen. Tatsächlich enthalten sie einen bestimmten Anteil an mitsumata Material für eine glatte Oberfläche des Papiers, das trotzdem sehr reißfest ist. Zudem wurde das Wasserzeichen von washi Herstellern entwickelt, um die Scheine besser gegen Fälschungen zu sichern.

Oftmals hat der Autor dieses Beitrags Gegenstände aus washi bei Ausstellungen im Ausland, etwa in Paris, London oder Mailand, präsentiert, um die Wertschätzung dieses Papiers weltweit zu fördern. Die Besucher sind jedes Mal überrascht, wie ein natürliches Material auf so vielfältige Weise Verwendung finden kann. Projekte aus den letzten Jahren beinhalten ein Mischen traditioneller Materialien mit Holzbrei oder Kunstseide, die Verwendung von Maschinen zur Replizierung manueller Techniken sowie die Entwicklung neuer Sorten von washi für die Innendekoration und als Papier für Tintenstrahldrucker.

Das Potenzial von washi scheint unbegrenzt. Mit Sicherheit wird es zur Entwicklung neuer Papiersorten für uns jetzt noch unbekannte Zwecke kommen. Sie werden die Tradition von washi bewahren, während sie gleichzeitig Einzug in unseren modernen Lebensstil halten.

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Bild: Byobu Wandschirme aus einem sehr festen washi Papier, das großartige Blumenmuster zeigt. Das Papier wurde unter Verwendung von Edo-Karakami Techniken handgeschöpft. (Fotos: Tokyo Matsuya Inc.)

Der Autor: Yoshinao Sugihara

Representative Director der Sugihara Washipaper Inc. In zehnter Generation Eigentümer von Sugihara Shoten, einem Großhandelsunternehmen für Echizen-washi. Er entwirft, produziert und vermarktet traditionelles handgeschöpftes Papier, das tief in der lokalen Tradition wurzelt. Unter Bewahrung dieser Tradition fördert er zugleich neue Sorten von washi für unsere heutige Zeit, darunter z.B. washi für Tintenstrahldrucker.

Fotos: Shigeki Kuribayashi

(c) Niponica 2016