Japan ist bekannt für die große Zahl von matsuri (volkstümliche Feste), die dort im Laufe des Jahres gefeiert werden. Aber wie viele matsuri gibt es überhaupt und warum? Lassen sich dabei Verbindungen zu anderen Ländern entdecken? Um mehr zu erfahren, hat das Magazin Niponica den Autor und Fotografen Hinata Haga befragt, der bereits eine Reihe von Büchern über matsuri und ihre Traditionen veröffentlicht hat.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Haga Library (Hinata Haga, Takashi Kadoyama, Akira Nakata, Kazuro Shimogo), PIXTA.

Warum werden in Japan im Laufe des Jahres überhaupt so viele matsuri gefeiert?
In Japan haben wir vier Jahreszeiten, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Wenn der Frühling neues Leben zurückbringt, sind die Menschen zu Festen zusammengekommen, um für den Erfolg der Ernte und beim Fischfang zu beten. Während der schwülheißen Sommermonate gab es häufig Krankheiten; ausgelassene Feste boten den Menschen Gelegenheit, sich von diesen Gefahren vorübergehend abzulenken. Andere Sommer matsuri wurden veranstaltet, um die Geister der Vorfahren bei ihrem Besuch in dieser Welt willkommen zu heißen. Eine gute Ernte im Herbst bot Anlass, den Gottheiten für ihren Segen zu danken. Und kalte Wintertage waren eine Zeit, um sich für ein Jahr ohne Unglück zu bedanken und gleichzeitig Wünsche für das neue Jahr zum Ausdruck zu bringen. Man sieht also: Die Jahreszeiten und ihr kontinuierlicher Wandel bildeten eine Gelegenheit, um die Gottheiten um Hilfe und Unterstützung zu bitten sowie um Veränderungen und die Widrigkeiten des Lebens zu meistern. Das Ergebnis ist ein breites Spektrum an matsuri, die auch heute noch während des ganzen Jahres gefeiert werden.

Bild: Diese Felsen im Meer gelten als heilig.
Wie viele matsuri gibt es überhaupt in Japan?
Einer Zählung zufolge gibt es mehr als 300.000 öffentliche matsuri, an denen man als Besucher teilnehmen kann. Vor vielen Jahrhunderten entwickelte sich in Japan der Glaube, dass die Welt der Natur von Gottheiten bevölkert ist – das Meer, die Berge, die Flüsse – aber auch solche Orte wie die Küche oder das Bad eines ganz gewöhnlichen Hauses. Sogar Felssteine am Wegesrand können dazu zählen. Aus diesem Grund sagt man, dass es so viele matsuri wie Gottheiten gibt. Hinzu kommen die verschiedenen Zeremonien und Rituale in den Shinto-Schreinen und buddhistischen Tempeln, die wir ebenfalls nicht vergessen dürfen. Weitere Riten werden zuhause abgehalten, so dass es insgesamt eine sehr große Zahl von Festen gibt. In einigen Fällen wird shintoistischen Gottheiten und Buddhas gemeinsam gehuldigt, und auch große Schlangen, Löwen und andere Lebewesen werden manchmal als Geister verehrt. All dies zeigt, wie aufgeschlossen die Menschen in Japan für eine große Vielfalt an Glaubensvorstellungen sind.

Bild: Reispflanzfeste werden zusammen mit Gebeten für eine gute Ernte veranstaltet.

Bild: Von Bon-Tänzen im Sommer sagt man, dass sie die Geister vertreiben, die Menschen krank machen.

Bild: Im Herbst werden den Gottheiten die Früchte des Feldes dargebracht.

Bild: Im Winter erscheinen göttliche Geister in Dämonengestalt, um den Menschen ihren Segen zu bringen.
Welche Hoffnungen und Wünsche werden durch diese Feste zum Ausdruck gebracht?
Meinen Untersuchungen zufolge gibt es acht Motive, aus denen heraus matsuri gefeiert werden:
- Ursprünge an Shinto-Schreinen
- Wünsche und Dank für eine gute Ernte bzw. einen guten Fang
- Wunsch nach Gesundheit, Sicherheit und Gedeihen der Nachkommen
- Verehrung bedeutender Persönlichkeiten der Geschichte
- Bitte um Frieden
- Gedenken an die Geister der Vorfahren
- Weitergabe lokaler traditioneller Feste und darstellender Künste
- In jüngster Zeit zudem der Zweck der Förderung von Gemeinden
Einige matsuri vereinen zwei oder noch mehr Motive miteinander.
Gibt es eigentlich auch matsuri, die ausländische Einflüsse aufweisen?
Ja, durchaus. Das Gion Matsuri in Kyoto, dessen Tradition mehr als 1.100 Jahre zurückreicht, zeigt einen großartigen Umzug von riesigen Festwagen yamahoko. Die prächtigen Dekorationen dieser Wagen, die wir heute bewundern können, tauchten erstmals vor rund 500 Jahren auf. Im damaligen Kyoto gaben sie Zeugnis vom großen Reichtum der Händler und Handwerker; zugleich zeigten sie das ganze Ausmaß des Handels mit anderen Ländern. Die yamahoko werden seitdem mit importierten Gütern aus Westeuropa und Südostasien dekoriert, beispielsweise mit gewebten Stoffen. Ein anderes Beispiel ist das Kunchi Matsuri in der Präfektur Nagasaki. Die Tänze, die bis heute aufgeführt werden, erinnern an die Verbindungen, die Japan vor etwa 400 Jahren zu den Niederlanden unterhielt.

Bild: Die yamahoko Festwagen beim Gion Matsuri sind mit Stoffen dekoriert, die im Ausland hergestellt wurden.

Bild: Der Tanzstil und die Kleidung beim Nagasaki Kunchi Matsuri haben ihren Ursprung in den Niederlanden.
Hinata Haga hat sich auf das Fotografieren von Festen spezialisiert. Er hat Feste in Japan und 48 weiteren Ländern besucht und zahlreiche Werke darüber verfasst, die von Abhandlungen zu speziellen Themen bis hin zu Bildbänden für das allgemeine Publikum reichen.
(c) Niponica 2018