
Dritte Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen in Wien
1. Einleitung
Am 8. und 9. Dezember 2014 fand in der Wiener Hofburg die von der Regierung Österreichs veranstaltete dritte Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen statt. Nach der ersten Konferenz in Oslo (im März 2013) und der zweiten Konferenz im mexikanischen Nayarit (im Februar 2014) wurden auch im Rahmen der jüngsten internationalen Konferenz die vielfältigen Auswirkungen des Einsatzes von Kernwaffen diskutiert; die konkrete Grundlage dafür bildeten die Präsentationen einer ganzen Reihe von Experten. Insgesamt nahmen Vertreter von 158 Staaten, der Vereinten Nationen, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, von Nichtregierungsorganisationen sowie aus dem wissenschaftlichen Sektor teil. Die achtköpfige japanische Delegation wurde vom Ständigen Vertreter Japans bei der Abrüstungskonferenz, Toshio Sano, geleitet. Ihr gehörten u.a. der Leiter des Japanese Red Cross Nagasaki Genbaku Hospital, Prof. Masao Tomonaga, Prof. Masaharu Hoshi von der Hiroshima University sowie der Generalsekretär der Japan Confederation of A- and H-Bomb Sufferers Organizations (Nihon Hidankyô), Terumi Tanaka, an. Erstmals nahmen mit Delegationen aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien auch Vertreter der fünf Kernwaffenstaaten (Vereinigte Staaten, Großbritannien, Frankreich, China und Russland) teil.
2. Diskussionen
(1) Eröffnung
In seiner Eröffnungsrede führte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz aus, dass, obwohl die Menschen nach dem Kalten Krieg die Furcht vor den Kernwaffen verloren hätten, weltweit noch immer rund 16.000 nukleare Sprengköpfe existierten. Ein Großteil davon sei gefechtsbereit, und bei der nuklearen Abrüstung gebe es nach wie vor nur geringe Fortschritte. Aus diesem Grund müsse die Staatengemeinschaft die Gefahren, die von Kernwaffen ausgehen, weiter im Blick behalten und konkrete Schritte für deren Beseitigung unternehmen. Die Abrüstungsbeauftragte der Vereinten Nationen, Angela Kane, verlas eine Grußbotschaft von VN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der darin seine Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass diese Konferenz das entschlossene Engagement für die nukleare Abrüstung stärken möge. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, führte aus, kein Land und keine internationale Organisation verfügten über die Kapazitäten, um die unmittelbaren Auswirkungen einer nuklearen Explosion zu handhaben. Daher müssten die Kernwaffen im Rahmen eines rechtsverbindlichen internationalen Übereinkommens beseitigt werden. Frau Setsuko Thurlow schilderte ihre persönlichen Erlebnisse als Atombombenopfer; sie rief dazu auf, mit dieser Konferenz den Verhandlungsprozess über ein Verbot von Kernwaffen einzuleiten. Der Apostolische Nuntius, Erzbischof Tomasi, verlas eine Grußbotschaft von Papst Franziskus, in der der Heilige Vater eine auf dem Geist des Friedens und der Liebe beruhende offene Diskussion forderte, um eine Welt ohne Kernwaffen zu verwirklichen.
(2) Sitzungen
Im Rahmen der nachfolgend genannten Tagesordnung präsentierten die Panel-Teilnehmer ihre Ausführungen zu wissenschaftlichen sowie technischen Aspekten der humanitären Auswirkungen von Kernwaffen und stellten sich im Anschluss Fragen aus dem Publikum. Prof. Hoshi wies im Rahmen der Fragen und Antworten im Anschluss an die Sitzung 1b darauf hin, dass er als Strahlenexperte auf der Grundlage vorliegender Forschungsergebnisse weitere Forschungen in Bezug auf die Verstrahlung durch Betastrahlen sowie mit Blick auf die innere Verstrahlung für notwendig halte. Dabei bezog er sich auf verstrahlte Fischer von Thunfischfangbooten, die bei Kernwaffentests in den Marshall-Inseln verstrahlt wurden.
Sitzung 1a: „Auswirkungen von Kernwaffenexplosionen“
Sitzung 1b: „Auswirkungen von Kernwaffentests“
Sitzung 2: „Risikofaktoren für den beabsichtigten bzw. unbeabsichtigten Einsatz von Kernwaffen“
Sitzung 3: „Szenarien, Aufgaben und Kapazitäten in Bezug auf den Einsatz von Kernwaffen u.a.“
Sitzung 4: „Internationale Normen und humanitäre Auswirkungen von Kernwaffen aus der ‚Vogelperspektive‘“
(3) Allgemeine Diskussion
Vertreter von über hundert Staaten, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen meldeten sich zu Wort und erläuterten ihre jeweiligen Positionen. Eingangs schilderte auch Generalsekretär Tanaka seine eigenen Erlebnisse als Opfer der Atombombe und verlieh seinem großen Wunsch nach Beseitigung dieser Waffen Ausdruck. Insbesondere Mitglieder der Bewegung der blockfreien Staaten forderten den Beginn eines Prozesses, der zur Beseitigung der Kernwaffen führt, während u.a. die Kernwaffenstaaten USA und Großbritannien, die NATO-Mitgliedsstaaten, Australien und Südkorea ihre Position verdeutlichten, die nukleare Abrüstung im Rahmen eines realistischen und zugleich praktikablen Ansatzes („Step-by-Step“) zu unterstützen.
Botschafter Sano führte als Vertreter Japans folgende Punkte aus: (1) Die humanitären Auswirkungen von Kernwaffen müssen über Ländergrenzen und Generationen hinweg vermittelt werden. (2) Da eine solche Diskussion eine grundsätzliche Unterstützung der verschiedenen Schritte zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung darstellt, müssen die einzelnen Staaten den Blick auf die gemeinsamen Grundlagen richten; zudem muss die Staatengemeinschaft geschlossen auf eine „Welt ohne Kernwaffen“ hinwirken. (3) Diesbezüglich sind konkrete und praktikable Schritte für die nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung zeitgleich und parallel zu unternehmen (sogenannter „Building-Block“-Ansatz). (Erklärung von Botschafter Sano (Link zum jap. Außenministerium – englisch).
(4) Zusammenfassung des Vorsitzenden
Im Anschluss an die Konferenz wurde in der Verantwortung des Vorsitzenden eine Zusammenfassung der Inhalte und Ergebnisse der Konferenz herausgegeben (Link zum jap. Außenministerium – englisch). Die wichtigsten Punkte sind wie folgt:
I. Wichtigste Ergebnisse
- Die Auswirkungen von Kernwaffenexplosionen lassen sich nicht durch Ländergrenzen begrenzen; vielmehr haben sie regionale und weltweite Auswirkungen auf Umwelt, Klima, Gesundheit, Entwicklung und Wirtschaft.
- Solange es Kernwaffen gibt, besteht auch das Risiko von Kernwaffenexplosionen. Auch wenn dieses Risiko als gering angesehen wird, ist es mit Blick auf die verheerenden Auswirkungen einer Kernwaffenexplosion inakzeptabel.
- Mit Blick auf internationale Konflikte und Spannungen sowie angesichts der aktuellen Sicherheitsdoktrin der Kernwaffenstaaten bestehen zahlreiche Situationen, in denen ein Kernwaffeneinsatz potentiell vorstellbar ist.
- Kein Staat und keine internationale Organisation sind in der Lage, die dringenden humanitären Konsequenzen einer Kernwaffenexplosion in dichtbesiedelten Regionen in angemessener Form zu handhaben und angemessene Hilfe zu leisten.
- Es ist deutlich geworden, dass umfassende Rechtsnormen für ein allgemeines Verbot von Besitz, Weitergabe, Produktion und Einsatz von Kernwaffen nicht existieren. Die neuen Lehren, die aus der Diskussion der beiden vergangenen Jahre über die Unmenschlichkeit von Kernwaffen gewonnen werden konnten, wecken Zweifel, ob ein Einsatz von Kernwaffen mit dem Humanitären Völkerrecht vereinbar ist.
II. Allgemeine Auffassungen und politische Maßnahmen
- Die Teilnehmer würdigten in hohem Maße die Zeugnisse der Opfer von Kernwaffeneinsätzen bzw. -tests, auch mit Blick auf deren Nutzung für die Bildungsarbeit von jungen Menschen und die Stärkung des Bewusstseins.
- Viele Delegationen hoben hervor, dass die inhumanen Auswirkungen in den Mittelpunkt der Diskussionen über nukleare Abrüstung gerückt werden sollten; zugleich wurde die zahlreiche Teilnahme unter Einschluss einer Reihe von Kernwaffenstaaten begrüßt. Viele Delegationen bekräftigten zudem, dass die Verhinderung eines zweiten Einsatzes von Kernwaffen unter allen Umständen für die Existenz der Menschheit von größter Bedeutung ist.
- Die teilnehmenden Staaten äußerten in Bezug auf Verfahren und Mittel zum Vorantreiben der nuklearen Abrüstungsagenda unterschiedliche Auffassungen. Es wurden verschiedene rechtsverbindliche kollektive Ansätze für das Erreichen von Fortschritten mit Blick auf eine Welt ohne Kernwaffen diskutiert. Zahlreiche Delegationen bekräftigten erneut, dass eine vollständige Beseitigung der Kernwaffen das geeignetste Vorgehen darstellt, um einen Kernwaffeneinsatz zu verhindern.
- Zahlreiche Delegationen hoben die Notwendigkeit eines multilateralen und offenen Ansatzes bei der Verfolgung des Ziels einer kernwaffenfreien Welt hervor.
- Eine Mehrheit der Delegationen bekräftigte, dass die Beseitigung der Kernwaffen einschließlich eines Übereinkommens über das Verbot von Kernwaffen letztendlich im Rahmen eines im Konsens gestalteten rechtlichen Rahmens verfolgt werden sollte.
- Eine beträchtliche Zahl von Delegationen erinnerte an das rasche Inkrafttreten des Kernwaffenteststopp-Vertrags (CTBT) sowie des Vertrags für das Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke (FMCT) und bekräftigte, dass ein schrittweiser Ansatz zur Verwirklichung der nuklearen Abrüstung das effektivste und am meisten praktikable Vorgehen darstellt. Diese Delegationen wiesen zudem darauf hin, dass in Bezug auf die Diskussion über Kernwaffen und nukleare Abrüstung das globale sicherheitspolitische Umfeld berücksichtigt werden sollte. In diesem Zusammenhang werden verschiedene kurz- und mittelfristig zu überlegende Schritte in Form eines „Building-Block“-Ansatzes für eine Welt ohne Kernwaffen durch einzelne Staaten sowie im bi- und multilateralen Rahmen gefördert.
- Viele Delegationen brachten ihre Unterstützung für Verhandlungen über ein neues Rechtsdokument zum Verbot von Kernwaffen zum Ausdruck, das als wirkungsvolles Instrument für die nukleare Abrüstung auch im Nichtverbreitungsvertrag (NPT) gefordert wird.
- Die Teilnehmer sind sich bewusst, dass sich 2015 der 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki jährt sowie dass in diesem Zusammenhang ein deutlicher und eindringlicher Appell für die nukleare Abrüstung unternommen werden muss.
3. Bewertung
(1) Zur jüngsten Konferenz kamen mehr Teilnehmer zusammen als zu den beiden ersten Konferenzen. Zahlreiche Staaten, internationale Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft ergriffen im Rahmen von Fragen und Antworten sowie in Form von Erklärungen das Wort; alle diese Äußerungen bildeten wertvolle Beiträge zu der intensiv geführten Diskussion. Auf der Grundlage der Kenntnisse und Erfahrungen von Experten und Atombombenopfern war Japan in der Lage, im Rahmen seines, das ganze Land umfassenden Engagements einen aktiven Beitrag für die Diskussion im Rahmen dieser Konferenz zu leisten.
(2) Es ist lobenswert, dass sich in der Zusammenfassung des Vorsitzenden verschiedene Ansätze und Auffassungen zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung widerspiegeln, die auch Überlegungen aus den Ausführungen der japanischen Vertreter beinhalten. Zudem finden sich dort auch von Japan vorgeschlagene Punkte u.a. in Bezug auf die Bildungsarbeit im Bereich nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung sowie hinsichtlich des „Building-Block“-Ansatzes wieder.
(3) Der erstmaligen Teilnahme der Vereinigten Staaten und Großbritanniens an dieser Konferenz misst auch Japan große Bedeutung bei, da unser Land sich stets für eine breite Beteiligung an dieser Konferenz unter Einschluss der Kernwaffenstaaten eingesetzt hat.
(4) In Bezug auf die nächste Konferenz hat Südafrika erklärt, es werde im Rahmen des anstehenden Follow-Up verschiedene Optionen einschließlich der eigenen Rolle prüfen. Allerdings wurde kein eindeutiger Beschluss zum Gastgeberland der nächsten Konferenz getroffen. Es ist daher notwendig, die künftige Entwicklung dieser Konferenz aufmerksam weiter zu beobachten. Die im Rahmen der jetzigen Konferenz geführte Diskussion ermöglichte es, das Bewusstsein in Bezug auf die humanitären Auswirkungen von Kernwaffen weiter zu fördern; zudem ließen sich zahlreiche Stimmen vernehmen, die auf einen Erfolg der 2015 anstehenden NVV-Überprüfungskonferenz hoffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies alles zu einer positiven Entwicklung im Rahmen der Überprüfungskonferenz im kommenden Jahr beitragen wird.