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Kultur

Shojin Ryori – vegetarische Küche des Buddhismus aus Japan

Interview mit Frau Mari Fujii

Shojin Ryori ist die japanische Version der traditionellen buddhistischen Küche. Der Begriff Shojin selbst ist eine Übersetzung des Sanskrit-Begriffs Virya und bedeutet „sich mit ganzer Kraft für Etwas einsetzen“. Anfang Juni hielt Frau Mari Fujii, Expertin für Shojin Ryori, auf Vermittlung von Herrn Bernd Schellhorn im Veranstaltungssaal der Botschaft von Japan einen Vortrag. In dieser Ausgabe von Neues aus Japan präsentieren wir den Leserinnen und Lesern ein Interview mit Frau Fujii, das aus diesem Anlass geführt wurde.

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Bild: Frau Mari Fujii (Foto: Thomas Kierok, Berlin)

Mari Fujii

Geboren 1947 in Hokkaido; Studienabschluss an der Waseda University, Tokyo. Gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Sotetsu Fujii (1941-2006) betrieb sie das „Fushikian“ in Inamuragasaki, Kamakura, sowie die Shojin Ryori Schule „Zenmikai“, wo sie bis heute unterrichtet. 1992 Studium der traditionellen chinesischen Yakuzen und Shojin Ryori Küche in Beijing. Heute erteilt sie vor allem zuhause Unterricht in Shojin Ryori; daneben hält sie zahlreiche Vorträge u.a. in Paris und London. Zudem ist sie Verfasserin zahlreicher Werke über Shojin Ryori.

Über Shojin Ryori im Allgemeinen

Neues aus Japan: Welche Art von Küche ist Shojin Ryori überhaupt?

Fujii: Ursprünglich waren dies Gerichte, die für die Mönche und Nonnen in den buddhistischen Klöstern zubereitet wurden, die dort ihre religiösen Übungen praktizieren. Dafür wurde kein Fleisch von Fischen, Vögeln, Rindern oder Schweinen verwendet, also von Tieren, die fliehen, wenn man sie fangen will. Stattdessen nahm man Zutaten wie Gemüse und Seegras. Eier fliehen zwar nicht, aber da sie Ursprung des Lebens sind, werden sie ebenfalls nicht verwendet.

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Bild: Shojin Ryori (Foto: Thomas Kierok, Berlin)

Neues aus Japan: Woher stammt diese Überlegung, Dinge nicht als Zutaten zu verwenden, die fliehen, wenn man sie fangen will?

Fujii: Shojin Ryori kam während der Heian-Zeit (794-1185) zusammen mit dem Buddhismus aus China nach Japan. Im Buddhismus gilt das Gebot, keine Lebewesen zu töten. Daraus entwickelte sich die Vorschrift, nichts zu essen, das flieht, wenn man es fangen will.

Neues aus Japan: Wie steht es mit Milch? Gibt es noch andere Zutaten außer Fischen und Meeresfrüchten, Rind und Schwein oder Eiern, die nicht erlaubt sind?

Fujii: Das wird je nach Schule und Region unterschiedlich gehandhabt. Ich persönlich verwende keine Milch, aber es gibt die bekannte Erzählung von dem Dorfmädchen Sujata, die dem Buddha nach Jahren extremer Askese Milchreis anbot und ihn so stärkte für den Weg zur Erleuchtung. Von daher wird manchmal auch Milch als Zutat verwendet. Darüber hinaus gibt es fünf stark aromatische Lauchpflanzen, gokun genannt, die ebenfalls nicht verwendet werden. Es sind dies Porree, Schnittlauch, Knoblauch, Gemüsezwiebeln und Schalotten. Hier besteht ein Unterschied zur makrobiotischen und vegetarischen Küche.

Neues aus Japan: In der japanischen Küche werden Porree und Schnittlauch eigentlich häufig verwendet. Aus welchem Grund passiert das bei Shojin Ryori nicht?

Fujii: Das ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt kenne ich den genauen Grund auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Zutaten mit starkem Aroma wie Knoblauch durch ihren Geruch andere belästigen könnten, wenn die Mönche und Nonnen während ihrer Übungen in großer Zahl zusammenleben. Daneben könnte auch eine Rolle spielen, dass diese Zutaten zu viel aktivierende Energie enthalten.

Shojin Ryori und Zen

Neues aus Japan: Steve Jobs, einer der Mitgründer von Apple, hat Zen praktiziert. Das zeigt, dass Zen und ein entsprechendes Bewusstsein bei den Menschen im Westen sehr beliebt sind. Es heißt, die Gerichte von Shojin Ryori im Zen-Buddhismus verfügten über besondere Merkmale. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Fujii: Der Mönch Dogen (1200-1253), der Gründer der japanischen Soto-Schule des Zen, hat zwei Bücher über Shojin Ryori geschrieben. Eines davon, Tenzo Kyokun („Anweisungen für den Zen-Koch“), behandelt die Zubereitung von Speisen, aber auch die innere Haltung, die Zusammenstellung des Speiseplans sowie u.a. auch die Art des Kochens und Würzens. Tenzo ist die Bezeichnung für den Mönch, der für die Küche in einem Zen-Tempel zuständig ist.

Neues aus Japan: Und das andere Buch?

Fujii: Das andere Buch heißt Fushuku Hanpo („Das Dharma des Speisens“). Dort schreibt er darüber, wie man sich während des Essens benehmen soll … also die Essmanieren. Diese beiden Bücher bilden die Grundlage für die Speisen der Soto-Schule; im Zen-Buddhismus werden ihre Inhalte bis heute befolgt.

Neues aus Japan: Wann hat Dogen diese Bücher geschrieben?

Fujii: Im 13. Jahrhundert.

Neues aus Japan: Aus welchen Gründen hat er damals diese Bücher eigentlich verfasst?

Fujii: Ich denke, er wollte die Botschaft vermitteln, dass es sehr wichtig ist, den Alltag um die Mahlzeiten als Mittelpunkt genau zu regeln. Letztendlich sind alle kleinen Verrichtungen, denen wir tagtäglich nachgehen, stets auch Übungen, die der Achtsamkeit bedürfen.

Neues aus Japan: In Tenzo Kyokun wird von den „Drei Herzen“ während des Zubereitens der Speisen gesprochen. Was hat es damit auf sich?

Fujii: Die „Drei Herzen“ sind das „freudige Herz“, das „ Herz der elterlichen Liebe“ und das „große Herz“. „Freudiges Herz“ bedeutet, dass man die Speisen mit Freude zubereiten soll. Das „Herz der elterlichen Liebe“ sagt, dass man die Speisen für die anderen mit Sorgfalt zubereiten soll, so wie z.B. eine Mutter dies für ihr Kind tut. Das „große Herz“ schließlich bringt zum Ausdruck, dass man die Gerichte mit stets gleichbleibendem Herzen zubereiten soll, auch wenn man manchmal erschöpft ist und eigentlich keine Lust hat zu kochen.

Neues aus Japan: Das passt ja auch gut in unsere heutige Zeit, nicht wahr?

Fujii: Genau. Dogen war wohl einer der ersten, der mittels der Zubereitung der Speisen über die menschliche Existenz an sich nachdachte sowie über die Art und Weise, wie unser Herz sein sollte. Diese Philosophie bildet den geistigen Hintergrund für Shojin Ryori im Zen. Das steht im deutlichen Gegensatz zu einer Küche, die allein nach kulinarischen Genüssen strebt.

Neues aus Japan: Ihr verstorbener Mann war auch Zen-Mönch, nicht wahr?

Fujii: Das stimmt. Mein Mann Sotetsu war gegen Ende seiner Ausbildung zwar im Tempel Kenchoji der Rinzai-Schule, der zweiten japanischen Zen-Schule neben der Soto-Schule, aber das Buch Tenzo Kyokun gehörte stets zu seiner Lieblingslektüre. Das Zubereiten der Speisen mit der Einstellung, dem Buddha eine Opfergabe darzubringen, beim Essen genau auf den Geschmack der Speisen zu achten, da dieser nicht ein zweites Mal genauso erfahren werden kann, das heißt, alles stets mit wachem Herzen tun, das bezeichnete mein Mann mit dem Ausdruck „Essen spiegelt die Seele wider“.

Grundsätzliches zur Zubereitung von Shojin Ryori

Neues aus Japan: Lassen Sie uns nun konkret zum Kochen und Würzen bei Shojin Ryori kommen. Welche grundlegenden Dinge sind bei der Zubereitung dieser Speisen zu beachten?

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Bild: Shojin Ryori (Foto: Thomas Kierok, Berlin)

Fujii: Als Geist von Shojin Ryori kommt dem Kochen „aller Teile einer Zutat“ große Bedeutung zu. Wenn man z.B. einen Daikon Rettich zubereitet, dann zerkleinert man nicht nur die Wurzel, sondern auch die grünen Blätter vollständig. Man wirft also nichts weg. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass auch Gemüse eine Form von Leben ist; würde man etwas wegschmeißen, wäre das wie unnützes Töten.

Neues aus Japan: Was sollte man sonst noch beachten?

Fujii: Neben dem Grundsatz „alle Teile einer Zutat“ gibt es noch den Ausdruck Shindo Fuji. Er bedeutet, dass sich der Mensch nicht von der Erde, auf der er geboren und aufgewachsen ist, trennen lässt. Daher ist es für ihn am besten, wenn auch die Dinge, die er zu sich nimmt, aus derselben Erde stammen, auf der er aufgewachsen ist. Das führt letztendlich dazu, dass man Zutaten verwendet, die in den jeweiligen Jahreszeiten gedeihen und den Zutaten besondere Wertschätzung entgegenbringt, die in der unmittelbaren Region angebaut werden, also nichts anderes als der Grundsatz „regional zu essen“.

Zubereiten von Shojin Ryori

Neues aus Japan: Welche Dinge sollte man beim Zubereiten von Shojin Ryori unbedingt beachten?

Fujii: Bei der Zubereitung gibt es „fünf Geschmäcker“, „fünf Farben“ und „fünf Art und Weisen der Zubereitung“. Die „fünf Geschmäcker“ sind sauer, süß, scharf, bitter und salzig. Als „fünf Farben“ gibt es Grün, Rot, Gelb, Weiß und Schwarz; und die „fünf Zubereitungsweisen“ sind roh zubereitet, gekocht, gedämpft, frittiert und gegrillt. Wenn man diese jeweils fünf Vorgaben in einem ausgewogenen Verhältnis umsetzt, entsteht ein gutes Menü.

Was beim Würzen beachtet werden sollte

Neues aus Japan: Und was ist beim Würzen zu beachten?

Fujii: Für das Würzen der Speisen gilt, dass man dies nur sehr zurückhaltend tun sollte. Man vermeidet es, einen bestimmten Geschmack allzu deutlich hervorzuheben und strebt eher eine ausgewogene Balance an. Es geht nicht darum, einen bestimmten Geschmack hinzuzufügen, sondern den natürlichen Geschmack der Zutaten nach Kräften hervorzuheben. Von daher besteht der Grundsatz, nur sehr zurückhaltend zu würzen. Die beim Kochen verwendeten Gewürze sind Salz, Soja-Soße, Miso-Paste, Mirin und Sake, also fermentierte Gewürze. Um die natürliche Süße der Zutaten hervorzuheben, verwendet man zudem keinen Zucker.

Neues aus Japan: Viele der Gerichte, die wir heutzutage essen, enthalten zahlreiche Gewürze und Zusatzstoffe. Von daher erscheint der Grundsatz, „den natürlichen Geschmack der Zutaten hervorzuheben“, sehr wichtig.

Fujii: Genauso ist es. Geschmack ist etwas, an das man sich gewöhnt. Vielen wird Shojin Ryori anfangs als zu schwach gewürzt schmecken, aber wenn man diese Gerichte immer wieder probiert, dann gewöhnt man sich daran. Man entdeckt dann den natürlichen Geschmack der Zutaten und ist schließlich in der Lage, diesen Wohlgeschmack zu genießen. Wenn man dann wieder einmal Gerichte isst, die Zucker oder andere den Geschmack extrem reizende Gewürze verwenden, dann mag man sie einfach nicht mehr. Das Geschmacksempfinden hat sich also grundlegend verändert.

Essmanieren bei Shojin Ryori

Neues aus Japan: Gibt es bei Shojin Ryori auch bestimmte Essmanieren, die man beachten sollte?

Fujii: Im vorhin genannten Werk Fushuku Hanpo findet man zu den Essmanieren über fünfzig Punkte angeführt.

Neues aus Japan: Was wird konkret vorgeschrieben?

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Bild: Während des Essens (Foto: Thomas Kierok, Berlin)

Fujii: Am Wichtigsten ist, dass man beim Essen aufrecht sitzend und mit geradem Rücken isst. Der Begründer der Soto-Schule des Zen, der Mönch Dogen, hat der äußeren Form sehr große Bedeutung beigemessen. Das Herz, also das Innere, wird von der äußeren Form aus bereit gemacht. Diese Einstellung prägt auch die Etikette der Teezeremonie.

Neues aus Japan: Die Teezeremonie ist in hohem Maße vom Zen-Buddhismus beeinflusst. Man erkennt wirklich gut, wie die äußere Form nach Innen wirkt und das Herz bereit macht. Wenn man von der Etikette spricht, dann rezitieren Zen-Mönche vor dem Essen den „Vers der fünf Betrachtungen“, auf Sanskrit Gatha (siehe Anmerkung unten). Was hat es damit auf sich?

Fujii: Dieser Vers wird vor jedem Essen rezitiert; durch ihn wird zum einen der Dank für die Speisen, die vor einem stehen, zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig ist er auch eine Reflexion: Bin ich es überhaupt wert, dass ich diese Speisen empfange? Es sind gerade diese Speisen, die Leben und Kraft für die religiösen Übungen verleihen. Ich denke, es ist nicht nur während dieser Übungen sehr wichtig, sich auf der Grundlage dieses „Verses der fünf Betrachtungen“ bei jeder Mahlzeit bewusst zu werden, dass man den Speisen Dank schuldet und dass sie es sind, die uns Leben verleihen.

Neues aus Japan: Frau Fujii, vielen Dank für dieses Interview!

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Bild: (Foto: Thomas Kierok, Berlin)

Anmerkung: Der „Vers der fünf Betrachtungen“ Gokan no ge wird zu jeder Mahlzeit gesprochen, um Dank für die Speisen zu sagen, um sich selbst kritisch zu fragen, ob man dieser Speisen wirklich würdig ist, und um sich zu verdeutlichen, dass es die Speisen sind, die die Kraft für die religiösen Übungen verleihen. Konkret lauten sie wie folgt:

Erstens: Diese Speisen vor meinen Augen sind ein Geschenk der Erde und des Himmels; sie sind dank vieler Lebewesen und anstrengender, liebevoller Arbeit entstanden.

Zweitens: Man soll die Speisen aufmerksam und in Dankbarkeit einnehmen, um sich des Essens würdig zu erweisen.

Drittens: Von den drei Giften, die die Seele verunreinigen, soll man insbesondere auf die Gier achtgeben und versuchen, sich von ihr zu reinigen und sie zu meiden.

Viertens: Man soll nur zu sich nehmen, was nahrhaft ist und dabei hilft gesund zu bleiben.

Fünftens: Durch das Einnehmen dieser Speisen soll die buddhistische Gemeinschaft Sangha entstehen, in der alle Menschen Brüder und Schwestern sind und das Ideal verwirklichen, allen Lebewesen zu dienen.

photographs by Thomas Kierok, Berlin; courtesy of the artist & Bernd Schellhorn, Berlin