
Bild: Premierminister Abe während seiner Rede (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Guten Abend, meine Damen und Herren,
ich möchte Ihnen heute zum Abschluss des Symposiums „Geteilte Werte und Demokratie in Asien“ einige persönliche Überlegungen darlegen. Dies ist bereits das vierte Symposium seiner Art, und ich gratuliere Ihnen allen ganz herzlich zu der dadurch unter Beweis gestellten Kontinuität.
Dieses Symposium bildet eine einzigartige Bühne für Diskussionen. Diese Veranstaltung sucht nicht nur ihresgleichen in der Welt, sondern auch innerhalb der Geschichte. Die Anfänge gehen auf einen Vorschlag zurück, den der indische Premierminister Narendra Modi und ich gemeinsam unterbreitet haben, als er vor vier Jahren Japan einen Besuch abstattete. Premierminister Modi hat uns diesmal erneut eine Grußbotschaft zukommen lassen. Wir beide sind außerordentlich dankbar, dass dieses Symposium weiterhin stattfindet.
Erlauben Sie mir, Sie an den Grund zu erinnern, aus dem heraus wir dieses Seminar ins Leben gerufen haben. Das Land, das regelmäßig die größten demokratischen Wahlen in der Geschichte der Menschheit veranstaltet und bis zum heutigen Tag jedes Mal die Ergebnisse dieser Wahlen respektiert hat, ist kein anderes Land als Indien. Diese Tatsache erfüllt mich mit Ehrfurcht. Premierminister Modi hat verstanden, dass Demokratie nicht etwas ist, das rein zufällig aufblüht, und ich teile diese Auffassung.
Demokratie ist selbstverständlich etwas, das sich im Laufe von Jahrzehnten entwickelt – oder vielmehr über mehrere Generationen hinweg. In Japan feiern wir in diesem Jahr den 150. Jahrestag der Meiji-Restauration. Vor 150 Jahren, als das neue Japan gestaltet wurde, lautete der erste Artikel des aus fünf Artikeln bestehenden Schwurs, den Seine Majestät der Kaiser ablegte: „Die Praxis der Diskussion und Debatte soll allgemein angenommen werden, und alle Maßnahmen sollen durch öffentliche Diskussion entschieden werden.“
Seit damals beschreiten wir diesen – wie ich glaube – nie endenden Pfad, während wir unsere Demokratie gestaltet sowie ausgebaut und dabei verschiedenste Prüfungen gemeistert haben. Ist Demokratie nicht wie ein Baum, der viele Jahre braucht, bis er ausgewachsen ist? Damit er wachsen kann, muss er seine Wurzeln tief in die Erde treiben. Demokratie ist eben nicht wie ein modisches T-Shirt, das man einfach von der Stange nehmen und anziehen kann und das jedem, unabhängig von Größe oder Muster, passt. Demokratie ist vielmehr etwas, das entsprechend dem nationalen Charakter maßgeschneidert werden muss, damit es Wurzeln schlägt, und selbst dann braucht es lange Zeit, bis diese Wurzeln fest im Boden verankert sind. Letztendlich gibt es kein anderes System, das an die Stelle der Demokratie treten könnte.
Wenn dies zutreffen sollte, wäre es dann nicht ideal, wenn es einen Platz gäbe, wo mindestens einmal im Jahr Vertreter aus ganz Asien zusammenkommen und wo sie das Wissen und die Erfahrungen, wie man Demokratie fördern kann, mitbringen – die eigenen Meinungen und auch die eigenen Sorgen? Dies war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen, dieses Seminar ins Leben zu rufen: Demokratie nicht als etwas „Ausländisches“ zu sehen, das einfach vom Westen übernommen wird. Demokratie, über die man nicht in Übersetzungen spricht, sondern in den Worten unserer eigenen Sprache und Konzepte. Wie könnte das aussehen? Wir beschlossen, dass wir darüber weiter diskutieren wollten.
Wie fördern wir nun unsere eigene Demokratie? Dieser Punkt unterscheidet sich je nach Land und Zeit. Eines steht fest, unabhängig von der Zeit oder den Umständen: Das Fundament der Demokratie liegt in den Herzen der Menschen. In Myanmar, das sich derzeit zu einem demokratischen Staat entwickelt, wird zurzeit eine vollständige Überprüfung der Lehrbücher an den Grundschulen vorgenommen. Die Regierung von Myanmar hat beschlossen, dass sie in den Menschen von Kindesbeinen an die Fähigkeit fördern will, Fragen zu stellen und die Lösungen dafür selbst zu suchen – also die Fähigkeit, selbständig zu denken. Ich werte dies als ein Vorhaben, das der Gestaltung künftiger humaner Ressourcen gleichkommt, die die Mühe auf sich nehmen werden, die Demokratie zu kultivieren und sie zu etwas Gutem zu entwickeln.
Als ich dieses Vorgehen von diesem Standpunkt aus betrachtete, wurden meine Überlegungen recht feierlich. Denn eine große Zahl von Experten aus Japan ist bereits in Yangon (Rangun) tätig, um im Rahmen des Engagements der Japan International Cooperation Agency (JICA) bei der kompletten Überprüfung der Lehrbücher zu assistieren. Diese Experten arbeiten schon seit mehreren Jahren mit Lehrern in Myanmar zusammen. Im 150. Jahr seit der Meiji-Restauration unterstützt Japan somit erfolgreich den Aufbau eines Staatswesens in Asien sowie die Gestaltung demokratischer Grundlagen. Hätten unsere Vorfahren, die die Welt der Meiji-Zeit gestaltet haben, dies gewusst, dann wären sie sicherlich sehr zufrieden gewesen über den Lohn ihrer Mühen. Ich bin der Auffassung, dass Japan dieses Engagement fortsetzen sollte, damit es auch in Zukunft ein Land bleibt, dem man diese Art von Vertrauen entgegenbringt.
Heute weilen Prof. Sengaku Mayeda und weitere Experten des Eastern Institute unter uns. Ich bin ausgesprochen dankbar, dass das Werk des verstorbenen Prof. Hajime Nakamura durch das Eastern Institute und die Eastern Academy – beides Institutionen, die von ihm selbst ins Leben gerufen wurden – in die Hände einer neuen Generation gelegt wurde. Prof. Nakamura sprach ausgezeichnet Sanskrit, Pali, Tibetisch, Englisch, Deutsch, Griechisch und Französisch. Er hat 1.186 Werke und Aufsätze in japanischer und weitere 300 in englischer Sprache und anderen westlichen Sprachen verfasst. Und dies ist nur die Anzahl der Werke, die man bisher identifiziert hat. Seine Verdienste sind wirklich erstaunlich. Ich bin stolz darauf, dass ich in derselben Zeit leben durfte, in der eine Persönlichkeit von derart umfassender Bildung, ein wirklich großer Mann, wirkte.
In seinem Werk widmete er sich besonders dem Konzept des „Mitgefühls“, das sowohl von buddhistischen als auch von indischen Lehren propagiert wird. Es sieht so aus, als habe der Begriff „Mitgefühl“ verschiedene Ursprünge, zu denen auch das Sanskritwort „karunâ“ zählt. Prof. Nakamura erklärte, dass innerhalb der Wurzeln der Lehren, die dem „Mitgefühl“ einen besonderen Wert beimessen, die Vorstellung existiert, dass das eigene Ich und der Andere nicht verschieden, sondern tatsächlich ein und dasselbe sind. Von Anfang an bestehen keine Unterschiede hinsichtlich sozialer Stellung oder Hierarchie, und es gibt keine Höheren und Niedrigeren. Es existiert auch kein einzelnes absolutes Wesen, das sich in den anderen, die alle gleich sind, widerspiegelt. Vielmehr sind von Beginn an alle gleich – alle sind gleichwertig. Dies ist eine Sicht auf den Menschen, der der Begriff des „Mitgefühls“ innewohnt.
Die Reformer, die die Meiji-Restauration vorangetrieben haben, waren junge Leute. Die meisten waren Samurai, allerdings aus den niedrigen und nicht aus den führenden Rängen. Die Idee, dass Du und Ich – also jeder – gleich ist, ist ein Konzept, dass diese jungen Reformer damals auf ganz natürliche Weise verinnerlichten. Wir können uns vorstellen, dass dies die Reformen in die Richtung der Gründung einer Volksversammlung lenkte, die auf dem Grundsatz „ein Wähler eine Stimme“ beruht.
Man kann hier auch eine der Quellen unseres Denkens entdecken, das bis in das Japan der Gegenwart reicht, nämlich nicht die Armut abzulehnen, sondern in erster Linie die Ungleichheit.
Ich bin der Überzeugung, dass in den Staaten Asiens eine große Vielfalt an Nährstoffen und Mineralien zu finden ist, die man benötigt, um Demokratie wachsen zu lassen. Dieses Symposium wirft ein Schlaglicht auf diese Tatsache und fördert zugleich unser Selbstbewusstsein. Ich möchte Ihnen allen zum erfolgreichen Abschluss des diesjährigen Symposiums gratulieren und beende meine Ausführungen mit dem Wunsch, dass die Diskussion in den kommenden Jahren weiter vertieft werden möge.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!