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Studienreise nach Japan


Reisebericht mit Fotos des Siegers 2004 aus Berlin / Neue Bundesländer 
Wolf Nicolas Sauter, Jahrgang 1981:

Reisebericht der European Youth Study Tour 2004

"Japan: Eine fremde und doch nahe Insel, deren freundliche Bewohner in der Gegenwart Stärke aus den Widersprüchen von Tradition und Moderne ziehen." So lautet mein Kurzresümee der zweiwöchigen Studienfahrt durch Japan, an der ich gemeinsam mit 30 anderen jungen Europäern im Herbst 2004 teilnehmen konnte. Herzlich bedanken möchte ich mich vor allem bei Herrn Takahashi, Kulturattaché der Botschaft Japans, der mich aufgrund meines eingesandten Essays zum Bewerbungsgespräch nach Berlin einlud und mir ermöglichte, sein Heimatland kennen zu lernen. Außerdem gilt mein Dank Frau von Bülow, die mich bei der Organisation der Reise mit Rat und Tat hilfreich unterstützte.

Als ich bereits wenige Stunden nach dem Bewerbungsgespräch die Mitteilung erhielt, dass ich als Teilnehmer nominiert war, war meine Freude darüber natürlich riesengroß. Bald begann ich jedoch, mir Fragen zu stellen: Was wird mich auf der Reise erwarten? Wie wird sich das Leben in einer so entfernten Kultur von dem Leben in Deutschland unterscheiden? Und vor allem: Wie soll ich mich verständigen, wie mich orientieren ohne Kenntnisse der japanischen Sprache? Die Lektüre mehrerer Reiseführer sowie von Büchern zur Geschichte und Gesellschaft brachten mich der japanischen Kultur zwar näher, aber bestehen blieb meine Unsicherheit über tradierte, stringente Verhaltensregeln in Japan. Ich fürchtete, dass ich gleich am ersten Tag ins Fettnäpfchen tappen würde. Von den Mitreisenden, die aus vielen europäischen Ländern kamen und somit einen Kessel Buntes der Kulturen Europas repräsentierten, erfuhr ich schon auf unserem gemeinsamen Flug, dass sie meine Sorge hinsichtlich des korrekten Verhaltens teilten. Während der gesamten Reise rissen Diskussionen über unser Reiseziel Japan, aber auch über Europa und seine vielfältigen Nationen nicht mehr ab.

Nach elfstündigem Flug wurden wir am Tokyo Airport von unseren beiden liebenswürdigen japanischen Reisebegleitern am Tokyo Airport freundlich empfangen. Sie hatten die gesamte Reise vorbildlich geplant und konnten jederzeit mit ihrem unterhaltsam vorgetragenen Wissen die Tour bereichern. Nachdem wir in unserem Hotel, das in der Stadtmitte am eiffelturmähnlichen
Tokyo Tower lag, eingecheckt hatten, suchten wir ein typisch japanisches
Speiselokal auf: ein Izakaya , eine Mischform aus Restaurant und Kneipe.
Bierlokale wie in Deutschland gibt es in Japan nicht, in einem Izakaya
wird zum Bier immer auch etwas zu Essen gereicht.  Wir kehrten im Laufe der Reise noch in mehrere Izakayas ein. Die Atmosphäre in diesen Gaststätten hat mich stets besonders angesprochen. Geschäftsleute, Familien und Freundesgruppen mischen sich hier, wobei mir auffiel, dass, verglichen mit Europa, weniger geschlechtlich heterogene Gruppen gemeinsam ausgehen. Das Essen selbst war exzellent und nicht zu vergleichen mit dem Essen, das ich in Deutschland in japanischen Restaurants kennen gelernt hatte.
 

Der zweite Tag begann mir einer Reiseeinführung im Außenministerium, von wo aus wir weiter zum Parlament fuhren. Die Architektur des ca. 100 Jahre alten Parlamentsgebäudes ist eher westlich ausgerichtet. Das Regierungssystem selbst ist eine Mischung aus amerikanischer und britischer Demokratie, wobei in Japan seit dem Zweiten Weltkrieg fast immer nur eine Partei, die LPD, die Regierungsmehrheit gestellt hat.

In ihrer Parteizentrale konnten wir mit einem Abgeordneten über japanische Politik diskutieren, eine einmalige Chance, auf die ich und offenbar auch die anderen Teilnehmer sich besonders gefreut hatten. Sehr offen wurden Themen wie die Rolle Chinas in Asien, die wirtschaftliche Situation Japans und die Bedeutung des Kaisers im heutigen Japan angesprochen.

Der anschließende Besuch des Edo-Museums offenbarte interessante Einblicke in die Entwicklung Tokyos seit 1600. Das Museum gefiel mir sehr gut, da hier Geschichte sehr bildhaft dargestellt ist. Am Abend konnten wir dann bei einem Kendo-Training dabei sein. Ständige Schläge mit dem Holzstab auf den durch einen Helm geschützten Kopf führten mir die Härte dieses Sportes vor Augen.

Dieser ereignisreiche Tag war kaum ausgeklungen, da fing der nächste schon wieder an. Um vier Uhr morgens machten wir uns auf den Weg zum Fischmarkt, doch das frühe Aufstehen lohnte sich. Die Thunfischauktion auf dem größten Fischmarkt der Welt (Tagesumsatz: 25 Mio. € Fisch) war einmalig und eine Kostprobe frischen Fisches ist dort sehr zu empfehlen. Hunderte von Thunfischen lagen aneinandergereiht in den Auktionshallen und wurden in einem Tohuwabohu von Händlern, Zulieferern und Transporteuren versteigert. Dazu rasten Dreiräder durch die engen Gassen des Marktes, mitten durch die Menschenmengen, so dass stets die Gefahr bestand, angefahren zu werden. Nach dieser Hektik war Entspannung wirklich notwendig. Vom Tokyo Tower aus konnten wir über die Stadt hinwegschauen. Eine Stadtgrenze war nicht auszumachen. Unmengen riesiger Hochhäuser erstreckten sich vor unseren Augen.

Der nächste Programmpunkt war ein Ikebana Kurs. Ikebana ist die Kunst Blumengestecke stilvoll zu arrangieren. Nach einer Präsentation durch eine Meisterin konnten wir selbst tätig werden. Wir sollten versuchen, ein möglichst stimmiges Gesteck zu gestalten. Hierbei sind insbesondere die räumlichen und farblichen Dimensionen zu beachten. Wider Erwarten machte mir die Arbeit an den Gestecken sehr viel Spaß und weckte in mir neue Interessen. Leider keine Talente, wie ich im anschließenden Vergleich der Gestecke feststellen musste. Der touristische Teil Tokyos, Asakusa, schloss die Tour ab. Um den berühmten Tempel herum, konnte man das traditionelle Tokyo bewundern, das im Rest der Stadt meist durch Wolkenkratzer und Betonbauten ersetzt worden ist.

Am vorerst letzten Tag in Tokyo stand Wirtschaft auf dem Programm. Zuerst besuchten wir ein mittelständisches Unternehmen, in dem der lebensweise Vorstandsvorsitzende über die Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Philosophie sprach: Während der Westen versucht, die Natur zu erobern, akzeptiert man im Osten die Natur und gehorcht ihren Gesetzen. So orientiert sich die buddhistische Lehre am Hier und Jetzt, das man akzeptiert, wohingegen im christlichen Glauben nicht die Gegenwart an erster Stelle steht, sondern Vergangenheit und Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Während der Reise habe ich immer wieder Beobachtungen hinsichtlich der Lebensart der Japaner machen können, die diese Aussagen bestätigen und untermauern: So findet z.B. in Japan das Lösen von Problemen in der Gegenwart statt.
 

Anschließend fuhren wir ins Panasonic Centre, wo wir Einblick in die neusten High-Tech-Entwicklungen erhielten. Derzeit wird sehr viel Geld in die Verbesserung biometrischer Verfahren für Sicherheitsanwendungen investiert. Wie in James Bond Filmen können mittlerweile Augen- oder Fingerabdrücke Türen öffnen.

Als wenig angenehm empfand ich dagegen die elektronischen Überwachungskameras, die praktisch unendliche Mengen an Orten und Bildern speichern können - Big Brother scheint mittlerweile technisch möglich zu sein. Das Highlight der japanischen Elektroindustrie ist meiner Meinung nach das e-book. Es kann elektronisch gespeicherte Bücher auf zwei aufklappbaren, nicht beleuchteten Displays anzeigen. Eine erstklassige Erfindung, die Wälder retten und Rücken schonen kann! Schon jetzt freue ich mich auf den Tag, an dem diese Innovation auch in Deutschland erhältlich sein wird.

Der Höhepunkt der Reise war für mich der Besuch Hiroshimas, wo wir das Peace Memorial besichtigten und jeder von uns einen Tag in einer japanischen Familie verbringen durfte.
Der Weg vom Flughafen zum Museum war befremdlich. Wir fuhren durch eine moderne Millionenstadt aus Beton und Glas, eine Stadt, die vor 60 Jahren dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ein merkwürdige Mischung aus Momenten der Trauer, aber auch der Hoffnung durchzog mich.

Im Memorial Park wurde diese Stimmung noch verstärkt: Eine Überlebende schilderte uns die Ereignisse vom 6. August 1945. An ihrer bewegenden Darstellung überraschte mich besonders, dass sich im Laufe der Jahre ihr Hass gegen die USA differenziert hat. Sie verspürt gegenüber den Amerikanern als Nation keine Abneigung mehr, sondern nur gegenüber der damaligen Regierung der USA.

Zurück in der Gegenwart hatte ich das Glück, in meiner Gastfamilie am heutigen japanischen Familienleben teilhaben zu können. Dies war für mich eine wertvolle Erfahrung, die einem "normalem" Japanreisenden wohl kaum möglich wäre. So erfuhr ich u.a., dass mein Gastvater, der seit 35 Jahren als Qualitätstester für Mazda arbeitet, trotz wenig Urlaub und langen Arbeitszeiten mit seinem Job sehr zufrieden ist. Natürlich gab es auch Unterschiede bei der Gestaltung des Alltags, doch insgesamt waren die Differenzen bei weitem geringer als ich angenommen hatte - Japan: so fern und doch so nah. Gemeinsam aßen wir verschiedenste typische Gerichte, wie Okonomiyaki und Udon, wobei ich Okonomiyaki, die Spezialität Hiroshimas, jedem nur empfehlen kann. Zum Frühstück gab es gebratenen Fisch, Miso Suppe, Reis und Natto, was unangenehm riecht und aus vergorenen Sojabohnen besteht. Wie gut ein solches Frühstück ist, merkt man hinterher: Vorhaltend gestärkt, jedoch ohne jegliches Völlegefühl kann man in den Tag starten.


Am nächsten Tag fuhren wir mir dem Schnellzug Nozomi, der im Gegensatz zum ICE auch wirklich schnell ist und eine durchschnittliche Verspätung von 12 (sic!) Sekunden hat, in die alte Kaiserstadt Kyoto. Mit seinen vielen Tempeln, Palästen und abendlichen Angeboten, war Kyoto das kulturelle Bonbon der Reise.


Nach einer Kimono-Modenschau besichtigten wir den Palast des Shogun und den sogenannten Goldenen Pavillon. Außen mit Gold patiniert, glänzte dieses wunderbare Gebäude in der Abendsonne. Eine sehr entspannende Atmosphäre, wären da nicht all die anderen Touristen, die auch etwas davon abhaben wollen.
 

Tags darauf konnte ich Kalligraphie üben. Meine Pinselzeichnung "Eine Begegnung, eine Chance", hängt bereits über meinem Schreibtisch, zumal wissenschaftliche Texte einem meist tatsächlich nur einmal begegnen. Nach einer Teezeremonie besichtigen wir den bekannten Kiyomizu-Tempel, bevor wir einer Vorführung traditioneller japanischer Künste im für seine Geishas bekannten Gion-Corner beiwohnen.

Die Präzision und Ausdauer, die man bei den japanischen Künsten wie Kalligraphie, Ikebana, Kendo oder Judo trainiert, beeindruckte mich sehr. Mir scheint, als würde diese aus der Tradition erlernte Kraft das moderne Japan zusammenhalten.

Am vorletzten Tag der Reise hatten wir Möglichkeit eine Vorlesung über die japanische Gesellschaft zu hören, die viele unserer Erlebnisse besser verständlich werden ließ. Insbesondere der Gegensatz von Tradition und Modernität wurde betont. So gelten oft noch traditionelle hierarchische Verhaltensweisen, während viele andere gesellschaftliche Institutionen radikal modernisiert worden sind. Tradition und Moderne existieren gemeinsam. Im Anschluss hieran hatten wir die Möglichkeit mit Studenten zu diskutieren. Sie waren sehr interessiert und es ergaben sich schnell Gespräche, die beim großen Abschiedsempfang fortgesetzt werden konnten. Als abschließenden Event haben wir mit einem Trommelverein gemeinsam ein Stück einstudiert. Zusammen mit den äußerst freundlichen Vereinsmitgliedern und ihren Kindern hatten wir viel Spaß. Wir wurden auch zu einem selbst gemachten Buffet eingeladen und genossen ihre Gastfreundschaft. Dieser herzliche Ausklang endete überraschend mit einem Feuerwerk von Disneyland Tokyo - ein wunderbarer Zufall.

Leider war damit auch die Reise durch Japan zu Ende. Es überraschte mich, dass ich mich nie verloren oder unwohl fühlte, obwohl ich oft weder Straßenzeichen noch Speisekarten lesen konnte. Immer kamen freundliche Menschen und halfen uns weiter. Auch meine Befürchtung, in diverse Fettnäpfchen zu treten, hat sich nicht bestätigt - niemand nimmt Ausländern kleine Fehler übel.

Essen in einem Ryokan

Die freundlichen Menschen und die Vielschichtigkeit der japanischen Kultur haben mich begeistert und mein Interesse für dieses Land geweckt. Ich bin sehr dankbar, dass ich das Land auf diese Weise kennen lernen durfte. Die interessierten Mitreisenden waren aufgeschlossen und fühlten sich in der Gruppe wohl. Die Atmosphäre war durchweg positiv, so dass ich mich abschließend bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken möchte.

Domo arigato gozaimashita.

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