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Japan Brief (Foreign Press Center Japan):
01. 03. 2006
Arakawas Goldmedaille und die Probleme für Japans Sport
Die Menschen in Japan gerieten am 23. Februar, dem 14. Tag der Olympischen Winterspiele von Turin fast in Ekstase, als Shizuka Arakawa die Goldmedaille im Eiskunstlauf der Frauen gewann. Nicht nur Sportzeitungen, sondern auch die landesweiten Tageszeitungen berichteten ausführlich über diesen Erfolg als wichtigste Meldung des Tages. In ihren Abendausgaben vom 24. Februar lobten die drei größten Zeitungen, die Yomiuri Shimbun, Asahi Shimbun und Mainichi Shimbun, die "neue Königin" nicht nur auf ihren Titelseiten, sondern auch auf ihren Sonderseiten über die Olympischen Spiele und auf den Gesellschaftsseiten. Alle Zeitungen brachten zudem mehr als zehn Farbbilder von diesem Ereignis.
Wegen der Zeitverschiebung fand die Live-Übertragung aus Turin in Japan am frühen Morgen des 24. Februar statt. Der Hauptkanal von NHK verzeichnete vorübergehend eine Zuschauerquote von 43,1 % in der Kanto-Region (um 7:11 Uhr während des Abspielens der japanischen Nationalhymne bei der Medaillenverleihung) und 36,7 % in der Kansai-Region (um 07:10 Uhr, als Arakawa ihre Goldmedaille erhielt):
Goldmedaille inmitten schwachen Abschneidens der japanischen Sportler
Arakawas Erfolg war für die japanische Gesellschaft ein freudiges Ereignis und verursachte ein gesellschaftliches Phänomen. Der erste Grund war natürlich die außerordentlich große Freude darüber, dass Arakawa als erste Sportlerin aus Asien eine olympische Goldmedaille beim Eiskunstlauf errang, einer Sportart, die zuvor von Sportlern aus Europa und Nordamerika dominiert wurde. Allerdings war dies nicht der einzige Grund. Bis Arakawa ihre Mitkonkurrentinnen Sasha Cohen (Vereinigte Staaten), Irina Slutskaya (Russland) und andere, die als Anwärterinnen für die Goldmedaille galten, überbieten konnte, hatten die japanischen Sportler bei den anderen Wettkämpfen unerwartet schlecht abgeschnitten.
Vor dem Aufbruch der japanischen Olympia-Mannschaft nach Turin war das Nationale Olympische Komitee Japans davon ausgegangen, dass Japan in fünf verschiedenen Kategorien Medaillenchancen hat. In den ersten dreizehn Wettkampftagen nach der Eröffnungszeremonie war es den Sportlern aus Japan jedoch nicht gelungen, auch nur eine einzige Medaille zu gewinnen. In der japanischen Olympia-Mannschaft machte sich zunehmend Pessimismus breit und man befürchtete bereits, erstmals seit den Olympischen Winterspielen von Innsbruck 1976 ohne eine Medaille nach Hause zurückkehren zu müssen.
Einen Tag vor dem Sieg Arakawas schrieb der Filmregisseur Terry Ito in der Yomiuri (23. Februar), dass Gewinnen oder Verlieren nicht so wichtig sei. Er meinte: "Bis jetzt gab es nach Olympischen Spielen, die für Japan nicht so gut liefen, stets eine Diskussion darüber, warum Japan es nicht schafft Medaillen zu gewinnen, so als wäre dies das wichtigste Problem für unser Land. Anstelle eines solchen Krisengefühls sollten wir vielmehr sagen, das ‚es auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht hat'." Arakawas graziöse Darbietung, die das Publikum auf der ganzen Welt entzückte, vertrieb jedoch jede trübe Stimmung im Handumdrehen.
Lob für Arakawas Ruhe auch unter starkem Druck
Typisch für die festliche Stimmung und das Gefühl des Stolzes, die die Nation erfassten, war der Leitartikel der Mainichi vom 25. Februar mit der Überschrift "Danke für die Freude und den Mut". Sie schrieb: "Die beiden großen Rivalinnen, die nach dem Kurzprogramm vor Arakawa lagen, stürzten vielleicht auch wegen des starken Drucks in der Kür und verloren dadurch Punkte. Arakawa hingegen blieb ruhig und ihre selbstbewusste Vorstellung bezauberte das Publikum. Ihre mentale Stärke und die Fähigkeit, sich auf ihre eigene Darbietung zu konzentrieren ohne dem Druck nachzugeben, verdienen großes Lob." Sie fuhr fort: "Wir gratulieren von ganzem Herzen und danken ihr zugleich dafür, dass sie alle Schwierigkeiten überwunden und auf so großartige Weise die Goldmedaille gewinnen konnte."
Der Leitartikel der Yomiuri (25. Februar) war - sonst eher ungewöhnlich für einen Leitartikel - sehr gefühlsbetont verfasst. Dort hieß es: "'Herzlichen Glückwunsch!' Ohne Zweifel haben viele Menschen, die am frühen Morgen die Fernsehübertragung sahen, dies gesagt. So wie auch ‚Danke für den Traum!' Die Olympischen Spiele neigten sich bereits dem Ende entgegen, und Japan hatte noch keine einzige Medaille gewonnen. Die japanischen Eiskunstläufer standen sicher unter starkem Druck, diesmal gewinnen zu müssen. Arakawa hat trotz dieses Drucks ihre Ruhe bewahrt. Sie schaute zur japanische Flagge hoch und sang die Nationalhymne mit. Die Königin des Eiskunstlaufs strahlte richtiggehend."
Der Leitartikel der Asahi (25. Februar) lobte Arakawas großartige Fähigkeiten und ihre mentale Stärke. Dort hieß es: "Die Welt des Eiskunstlaufs ist in hohem Maße von der Kultur Europas und Nordamerikas geprägt. Westliche Ästhetik und Werte spiegeln sich im Ausdruck und in der Harmonie mit der Musik wider, die zugleich mit Punkten gewertet werden. Für den Westen ist Eiskunstlauf zugleich auch eine Kunst. In diesem Sinne haben japanische Eiskunstläufer schon vor dem Betreten der Eisfläche ein Handicap. Mit Arakawas Sieg ist dieses Handicap überwunden."
Künftige Olympische Spiele und die Probleme für Japans Sport
Nachdem die Olympischen Winterspiele von Turin am 26. Februar zu Ende gingen, kommentierten die führenden Tageszeitungen in ihren Leitartikeln und Meinungsartikeln die Fragen, die diese Spiele für Japan aufgeworfen haben. Ein gemeinsames Merkmal aller Kommentare war die Konzentration auf das unerwartet schwache Abschneiden der japanischen Sportler.
Traditionell haben die europäischen und nordamerikanischen Länder die Olympischen Winterspiele stets dominiert. Daher galt es vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Lebensumwelt und der Kulturen bislang als selbstverständlich, dass die Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre eine führende Rolle beim Wintersport spielen. Unter diesen Voraussetzungen bildete Japan mit seinen gut entwickelten Wintersportmöglichkeiten eine Ausnahme in Asien. Allerdings hat der Ausgang der Olympischen Spiele von Turin das Vertrauen der Japaner in dieser Hinsicht erschüttert. Während Arakawas Goldmedaille die einzige Medaille für Japan war, machten Südkorea mit elf Medaillen (sechsmal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze) sowie China mit ebenfalls elf Medaillen (zweimal Gold, viermal Silber und fünfmal Bronze) große Fortschritte.
Der Leitartikel der Mainichi vom 28. Februar schrieb: "Die Schwäche der japanischen Sportler im Wintersport wird solange anhalten, bis wir nicht die vielen Lehren aus dem jetzigen Misserfolg gezogen haben. Was wir jetzt brauchen ist, dass Japan seinen Stolz der Vergangenheit als führende Nation Asiens beiseite lässt und in aller Bescheidenheit von Südkorea und China lernt, wie man Sportler trainiert und Nachwuchssportler fördert."
Kazuhiro Takaoka, Sportredakteur der Yomiuri, rief in der Abendausgabe vom 27. Februar die Verantwortlichen in Japans Sport nachdrücklich dazu auf, ihre Einstellung zu ändern. Er meinte: "Mit Blick auf die nächsten Olympischen Spiele von Beijing wird für die Sportler derzeit ein nationales Trainingszentrum gebaut. Für die Wintersportler hingegen bestehen keine derartigen Pläne. Für die Führungsriege der japanischen Olympia-Mannschaft besteht die wichtigste Aufgabe nicht darin, den Einmarsch der Athleten bei der Eröffnungsfeier anzuführen, sondern dafür zu sorgen, dass stets ausreichende Finanzmittel und angemessene Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung stehen."
Laut der Asahi (Abendausgabe vom 28. Februar) meinte Ministerpräsident Koizumi bei einer informellen Kabinettsitzung am 28. Februar: "Die Regierung scheint für die Sommersportarten eine Menge getan zu haben. Wir müssen nun aber darüber nachdenken, wie wir auch den Wintersport unterstützen können." Auch andere Minister führten wiederholt die Notwendigkeit an, ein Trainingsumfeld für Sportler zu schaffen, so dass diese auch bei Olympischen Winterspielen erfolgreich sein können.
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