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Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
01. 07. 2006
Das Abkommen
über friedliche Atomkooperation zwischen den USA und Indien
und die japanisch-amerikanische Allianz
Nach dem Gipfeltreffen zwischen Japan und den Vereinigten Staaten am 29. Juni gaben beide Länder in einer gemeinsamen Erklärung bekannt, dass sie eine Zusammenarbeit im weltweiten Rahmen anstreben. Ein Thema, das man auf der Gesprächsagenda von Ministerpräsident Junichiro Koizumi und Präsident George W. Bush vermutet hatte, fand jedoch in der Erklärung keine Erwähnung. Es geht um Frage der Reaktion Japans auf das Abkommen über friedliche Atomkooperation, das US-Präsident Bush mit Indiens Ministerpräsident Manmohan Singh bei seinem Besuch in Indien im März dieses Jahres abschloss. Nach Medienberichten tut sich die japanische Regierung mit einer Stellungnahme zu diesem Abkommen schwer, da diese Vereinbarung zwischen den USA und Indien die Möglichkeit einer Verstimmung im japanisch-amerikanischen Verhältnis birgt.
Japanische Medien kritisieren Abkommen über friedliche Atomkooperation zwischen USA und Indien
In der gemeinsamen Erklärung bekräftigten Japan und die Vereinigten Staaten ihre Zusammenarbeit zur Lösung schwieriger und umfassender Probleme, mit denen sich die internationale Staatengemeinschaft konfrontiert sieht. In Bezug auf die Frage der Verbreitung von Kernwaffen wurde in dem Dokument lediglich Nordkorea aufgefordert, "seiner innerhalb der gemeinsamen Erklärung der Sechsparteien-Gespräche im September 2005 getroffenen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nachzukommen"; zudem wurden die gemeinsamen Bemühungen Japans und der USA bei der "Zusammenarbeit zur Nichtverbreitung von Kernwaffen einschließlich des iranischen Atomprogramms" begrüßt. Das Abkommen über die friedliche Atomkooperation zwischen den USA und Indien wird hingegen in der Erklärung nicht erwähnt.
Wie bereits im Japan Brief vom 07. 03. 2006 "Vereinigte Staaten und Indien unterzeichnen Abkommen zur friedlichen Atomkooperation" ausführlich erläutert, kommentierten die japanischen Medien die Vereinbarung zum Zeitpunkt ihres Abschlusses äußerst kritisch. Im Zentrum der Kritik stand dabei die Tatsache, dass die Organisation der nuklearen Lieferländer (NSG) aufgrund des Abkommens ihr Exportverbot für Reaktoren und Kernbrennstoff nach Indien unter der Bedingung von Inspektionen seiner zivil genutzten nuklearen Anlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) aufheben würde. Und das, obgleich Indien, von dem man annimmt, dass es Kernwaffen besitzt, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) nicht unterzeichnet hat. Unter Verweis darauf, dass das Abkommen der harten Haltung gegenüber dem Atomprogramm Irans, der zudem ein Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags ist, und demjenigen Nordkoreas, das sich aus dem Vertrag zurückgezogen hat, zuwiderläuft, warnten die japanischen Tageszeitungen in ihren Leitartikeln davor, dass die Vereinbarung zwischen den USA und Indien zu einer Schwächung des Nichtverbreitungsregimes führen könnte.
Kommentare der Tageszeitungen im Vorfeld des japanisch-amerikanischen Gipfels
Am 28. Juni, einen Tag vor dem Gipfeltreffen zwischen Japan und den USA, veröffentlichte die Asahi Shimbun einen Leitartikel unter der Überschrift "Atomabkommen zwischen den USA und Indien: Koizumi muss gegen zweierlei Maß kämpfen". Darin forderte sie Ministerpräsident Koizumi auf, gegen die indisch-amerikanische Vereinbarung offen zu protestieren. Sie schrieb: "[Indien als Nichtunterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags und im Besitz von Kernwaffen mit Kernbrennstoff und Technologien für seine zivilen Kernkraftwerke zu versorgen,] belegt eindeutig, dass die Regierung Bush mit zweierlei Maß misst. Im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags sind lediglich die Vereinigten Staaten, Russland, Großbritannien, Frankreich und China als Kernwaffenstaaten anerkannt. Allen anderen Unterzeichnerstaaten ist es erlaubt, im Gegenzug für den Verzicht auf nukleare Rüstung Kernkraft für friedliche Zwecke zu nutzen. Im Falle Indiens eine Ausnahme zu gestatten, ist mit den Regelungen des Nichtverbreitungsvertrags schlichtweg nicht zu vereinbaren. Die Regierung Bush hingegen argumentiert wie folgt: Indien ist ein demokratischer Staat; daher besteht kein Risiko, dass es seine Nukleartechnologie an andere Länder weiter verkauft. Indiens Abhängigkeit vom Erdöl für seinen immensen Energiebedarf könnte das weltweite Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage für Erdöl aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb muss Indiens Kurs bei der Nutzung der Kernenergie unterstützt werden. Allerdings stellt sich die Frage, was passiert, wenn Pakistan, das nach Indien 1998 einen Nuklearversuch unternahm, eine Gleichbehandlung fordert?"
Der Leitartikel der Yomiuri Shimbun vom 28. Juni analysierte die politischen Intentionen der USA und fragte: "Wie sollte Japans Reaktion auf die angestrebte Atomkooperation zwischen den USA und Indien aussehen? Dies ist für Japans Nuklearpolitik eine entscheidende Frage. Im US-Kongress hat bereits die Debatte über eine Revision des Gesetzes zur Kernenergie begonnen, um die indisch-amerikanische Zusammenarbeit zu ermöglichen. In einer Anhörung des Kongresses zur Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Indien auf dem Sektor der Kernenergie hob Außenministerin Condoleezza Rice zwei Punkte hervor: die Intensivierung der strategischen Zusammenarbeit und die Stärkung des internationalen Regimes zur Nichtverbreitung von Kernwaffen. Für die Vereinigten Staaten ist die strategische Bedeutung - einschließlich der Eindämmung Chinas, der Energiesicherheit und des Zugangs seiner Atomindustrie auf den indischen Markt - von großer Bedeutung." Der Leitartikel verwies gleichfalls auf die Gefahr, dass die Vereinbarung zwischen den USA und Indien zu einer Unterwanderung des Nichtverbreitungsvertrags führen könnte und beklagte: "Indien erhält das den Unterzeichnern des Nichtverbreitungsvertrags zugestandene Privileg der Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, ohne den Vertrag akzeptiert zu haben."
Auswirkungen auf die Atomprogramme Irans und Nordkoreas
Vor dem Hintergrund, dass die Probleme in Bezug auf die Atomprogramme Irans und Nordkoreas für die internationale Gemeinschaft einen erheblichen destabilisierenden Faktor darstellen, warnten sowohl die Asahi als auch die Yomiuri einen Tag vor dem Gipfeltreffen, dass der Umgang mit Iran und Nordkorea durch die Atomkooperation zwischen den USA und Indien erschwert werden könnte.
Die Asahi stellte am 28. Juni fest: "Und dann gibt es den Fall Iran, der ein Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags ist und internationale Inspektionen zulassen muss. Zur gleichen Zeit versucht die internationale Gemeinschaft ihr Äußerstes, um Iran sein Programm zur Urananreicherung auszureden. Akzeptiert man jetzt die Vereinbarung zwischen den USA und Indien vom März, hieße das mit zweierlei Maß zu messen, und dies ist falsch. Es steht außer Frage, dass das Abkommen sich negativ auf die nächste Runde der Sechsparteien-Gespräche über Nordkoreas Atomprogramm auswirken wird. Das Argument, dass man einer Demokratie Kernwaffen anvertrauen kann, bietet lediglich Munition für die Befürworter einer nuklearen Aufrüstung in Japan und Südkorea. Die Fortschritte bei der Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Kernenergie können nur durch den Verzicht auf Kernwaffen gewährleistet werden. Dieses Grundprinzip des Nichtverbreitungsvertrags darf auf keinen Fall durch Vereinbarungen wie die zwischen Indien und den USA in Frage gestellt werden. Koizumi muss dies Bush unmissverständlich klar machen."
Der Leitartikel der Yomiuri vom selben Tag meinte: "Es besteht die Gefahr, dass eine Sonderbehandlung Indiens, das sich außerhalb des Rahmens des Nichtverbreitungsvertrags bewegt, die Glaubwürdigkeit des Vertrags erschüttert. Für Staaten wie Iran und Nordkorea, die rückwärts gewandt denken und Inspektionen ablehnend gegenüberstehen, könnte das indisch-amerikanische Abkommen eine willkommene Entschuldigung bieten." Unter Forderung nach Selbstbeschränkung auf Seiten der Vereinigten Staaten und einer verstärkten Zusammenarbeit mit anderen Ländern fuhr sie fort: "Bei Zusammenkünften der 45 Mitgliedsstaaten der Organisation der nuklearen Lieferländer, der auch Japan angehört, forderte die US-Regierung, dass Indien bei der Anwendung der Richtlinien zur Verhinderung des Exports von Nuklearmaterial und Technologien in Länder, die strenge Inspektionen ablehnen, ausgenommen wird. Wenn sich der Streit der Befürworter und Widersacher fortsetzt, besteht die Gefahr, dass diese Organisation, die auf der Basis der Einstimmigkeit agiert, ihre Handlungsfähigkeit verliert. Dies würde zu einer Schwächung des Nichtverbreitungsregimes führen."
Zum Inhalt der Gipfelgespräche zwischen Japan und den USA schrieb die Asahi am 30. Juni in einem Sonderbericht aus Washington: "In Bezug auf das indisch-amerikanische Abkommen zur Atomkooperation äußerte Ministerpräsident Koizumi, dass Japan die Situation unter Berücksichtigung sowohl der ‚strategischen Bedeutung Indiens' als auch des ‚Einflusses auf den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen' bewerten werde. Diese Aussage des Ministerpräsidenten, so die Zeitung, "zeigt, dass er sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zurückhält."
Die Yomiuri schrieb in ihrem Leitartikel vom 1. Juli: "Tokyo folgt Washington nicht in allen Fragen blindlings. Es ist für die japanische Regierung selbstverständlich, dass sie offen ihre Meinung vertritt, wenn sie mit Washington uneins ist, z.B. beim iranischen Atomprogramm oder dem Atomkooperationsabkommen zwischen den USA und Indien. Ein ehrlicher Meinungsaustausch kann die Beziehungen nur stärken."
(Copyright 2006 Foreign Press Center, Japan)