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Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
07. 09. 2006
Geburt des
dritten Kindes von Prinz und Prinzessin Akishino
und das System der kaiserlichen Thronfolge
Prinzessin Kiko, die Gemahlin des zweiten Sohnes von Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko, Prinz Akishino, bekam am 6. September ihr drittes Kind. Prinz und Prinzessin Akishino hatten zuvor bereits zwei Töchter bekommen, während das dritte Kind nun ein Sohn ist. Unmittelbar nachdem das Fernsehen in Sondermeldungen die Geburt meldete, sah man Menschen vor den großen Bahnhöfen nach Sonderausgaben der Zeitungen greifen, und von morgens bis abends am 6. September strahlten der öffentliche Fernsehsender NHK sowie die privaten Sender Sondersendungen aus. Im ganzen Land breitete sich wegen des freudigen Ereignisses innerhalb der kaiserlichen Familie eine fröhliche Stimmung aus. Die Abendausgaben der überregionalen Tageszeitungen dieses Tages widmeten ihre Titelseiten mit großen Schlagzeilen größtenteils diesem Ereignis und berichteten auch im Innern auf einer Reihe von Seiten darüber. Am 7. September befassten sich auch die Leitartikel der großen Tageszeitungen mit diesem Thema.
Das enorme Interesse der japanischen Medien an der Schwangerschaft von Prinzessin Kiko galt nicht allein dem freudigen Ereignis in der kaiserlichen Familie, sondern wurde auch dadurch bedingt, dass die Geburt eines Jungen in der Familie Akishino bedeutet, dass ein neuer Thronfolger geboren ist. Die Leitartikel der führenden Tageszeitungen des Landes widmeten sich ausnahmslos dem Zusammenhang zwischen der Geburt und der Frage der kaiserlichen Thronfolge.
Geburt eines Jungen, der zur kaiserlichen Thronfolge berechtigt ist
Die kaiserliche Familie Japans ist die älteste Monarchie der Welt. Die Kultur und Traditionen, die von der kaiserlichen Familie gepflegt und weitergegeben werden, bilden einen wichtigen Faktor bei der Bildung der nationalen Identität. Artikel 1 der Verfassung von Japan, in dem es heißt: "Der Kaiser ist das Symbol des Staates und der Einheit des Volkes ...", wird in der Regel so interpretiert, dass der Staat durch diese Rolle und Funktion der kaiserlichen Familie unterstützt wird. In den letzten Jahren sind jedoch Faktoren der Unsicherheit aufgetreten in Bezug auf die Stabilität des kaiserlichen Haushaltssystems. Der Grund dafür ist, dass Zweifel an der Effizienz des gegenwärtigen Systems der kaiserlichen Thronfolge aufgetreten sind.
Artikel 1 des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt, das 1947 in Kraft trat, bestimmt, dass "der kaiserliche Thron von einem Mann in männlicher Erblinie der kaiserlichen Abstammung eingenommen werden soll." Die "männliche Erblinie" bedeutet, dass es sich um die Nachfahren eines männlichen Kaisers handelt. Allerdings war bislang seit der Geburt von Prinz Akishino am 30. November 1965 kein "Mann in männlicher Erblinie", der zur kaiserlichen Thronfolge berechtigt wäre, geboren worden. Die Geburt eines Jungen in der Familie Akishino bedeutet daher, dass die kaiserliche Familie nun mit dem ersten "Mann in männlicher Erblinie" seit 41 Jahren gesegnet ist. Entsprechend dem gegenwärtig geltenden Gesetz über den kaiserlichen Haushalt nimmt der neugeborene Junge in der Familie Akishino nach Kronprinz Naruhito und Prinz Akishino den dritten Platz in der Thronfolge ein.
Bericht des Beratungsgremium dürfte überprüft werden
Die Geburt eines "Mannes in männlicher Erblinie" innerhalb der kaiserlichen Familie facht die Debatte über die Bestimmungen zur kaiserlichen Thronfolge erneut an. Im Dezember 2004 berief Ministerpräsident Junichiro Koizumi ein privates Beratungsgremium mit der Bezeichnung "Rat gebildeter Persönlichkeiten über das Gesetz über den kaiserlichen Haushalt" und betraute dieses Gremium mit der Überprüfung des Systems der kaiserlichen Thronfolge. Wie in Japan Brief vom 26. 11. 2005 "Bericht an Ministerpräsidenten empfiehlt Anerkennung der weiblichen Thronfolge und Erblinie" erläutert, legte der Rat dem Ministerpräsidenten im November 2005 einen Bericht vor, in dem die Annerkennung eines weiblichen Kaisers und eines Kaisers in weiblicher Erblinie sowie das Recht auf Thronfolge für das erstgeborene Kind, unabhängig davon, ob Junge oder Mädchen, empfohlen wird. Die Regierung hatte ursprünglich geplant, dem Parlament im Frühjahr dieses Jahres einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt vorzulegen.
Wäre die Änderung entsprechend den Empfehlungen des Berichts des Beratungsgremiums erfolgt, hätte dies für das System der kaiserlichen Thronfolge in Japan einen großen Wendepunkt bedeutet, und Prinzessin Aiko, die Tochter von Kronprinz Naruhito und Kronprinzessin Masako, währe hinter ihrem Vater auf Platz zwei der Thronfolge gerückt. Damals unterstützten die meisten großen Tageszeitungen in ihren Leitartikeln den Bericht des Beratungsgremiums. Jedoch wurde im Februar dieses Jahres die Schwangerschaft von Prinzessin Kiko bekannt, und nach der Geburt eines Jungen hat sich die Stimmung in Bezug auf die Debatte erheblich verändert. In der Bevölkerung sowie in Politik und Medien werden nun die Rufe lauter, die eine Neubewertung des Berichts des Beratungsgremiums verlangen. Ministerpräsident Koizumi machte am Abend des 6. September gegenüber der Presse klar, dass er von der Vorlage eines Entwurfs zur Änderung des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt Abstand nehmen werde.
Ruhige und geduldige Debatte über das System der kaiserlichen Thronfolge notwendig
Die Leitartikel der Ausgaben der landesweiten Tageszeitungen am 7. September spiegelten diesen Stimmungswandel wider. Die übereinstimmende Haltung fast aller Tageszeitungen ist erstens, dass keine rasche Änderung des jetzigen Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt notwendig ist, dass jedoch zweitens für die kontinuierliche Stabilität des Systems der kaiserlichen Thronfolge die betreffenden Bestimmungen des Gesetzes in irgendeiner Weise geändert werden müssen.
Der Leitartikel der Asahi Shimbun meinte: "Als das Expertengremium seinen Bericht im November vorlegte, bezeichneten wir die Schlussfolgerungen dieses Berichts als ‚angemessen'. Gleichzeitig wiesen wir darauf hin, dass noch immer ein Junge innerhalb der kaiserlichen Familie geboren werden könnte. Aus diesem Grund sagten wir damals, dass die Reihenfolge der kaiserlichen Thronfolge sorgfältig festgelegt werden müsse. Nun, da ein Junge geboren wurde, erscheint eine Änderung des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt, mit der die bestehende Reihenfolge geändert würde, unrealistisch. Allerdings bestehen mit gerade einmal einem Jungen als Thronfolger in der Generation nach dem Kronprinzen nach wie vor Zweifel, ob die kaiserliche Familie über die kommenden Generationen erhalten werden kann. Es gibt zahlreiche Stimmen, die eine Thronbesteigung durch eine Frau und ihrer Nachkommen in weiblicher Erblinie befürworten."
Der Leitartikel der Mainichi Shimbun schrieb: "Die Aussichten für die kaiserliche Thronfolge sind nun für einige Jahrzehnte sicherer geworden. Daher ist es nun an der Zeit, über das Für und Wider einer Änderung des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt zu diskutieren. Der Grund dafür ist der, dass wir nun in der Lage sein sollten, ein universales System in offener Weise zu diskutieren. Die Form der kaiserlichen Thronfolge zu diskutieren, bedeutet nicht nur zu fragen, wie die Nachfolger ausgewählt werden sollten, sondern auch, dass wir uns erneut fragen, was der Kaiser ist und welche Beziehung zwischen dem Kaiser und dem Volk bestehen sollte. Die kaiserliche Familie wahrt nicht nur die Tradition, sondern passt sich auch den Veränderungen im Laufe der Zeit an und lässt eine frische Brise hinein."
Der Leitartikel der Yomiuri Shimbun wies zudem auf das Problem hin, dass die weiblichen Mitglieder der kaiserlichen Familie mit ihrer Heirat ihren Status verlieren. Die Zeitung schrieb: "Manche sind nach wie vor der Ansicht, dass den Frauen der kaiserlichen Familie und ihren Nachkommen aus weiblicher Erblinie erlaubt werden sollte, den Thron zu besteigen, während andere meinen, dass die Geburt des neuen Prinzen eine Änderung des Gesetzes über den kaiserlichen Haushalt überflüssig macht. Es besteht nun nicht länger die Notwendigkeit, eine rasche Lösung zu finden, allerdings sollte die Diskussion über diese Angelegenheit fortgeführt werden. Unter dem gegenwärtigen kaiserlichen System werden Prinzessin Aiko, Prinzessin Mako [die ältere Tochter von Prinz und Prinzessin Akishino] sowie Prinzessin Kako [die jüngere Tochter von Prinz und Prinzessin Akishino] die kaiserliche Familie verlassen, wenn sie heiraten. Es ist klar, dass die Zahl der Mitglieder der kaiserlichen Familie in Zukunft abnehmen wird. Man wird prüfen müssen, wie man damit umgeht."
Ein Kommentar in der Yomiuri vom 7. September richtete die Aufmerksamkeit auf das hohe Alter der derzeitigen Mitglieder der kaiserlichen Familie und die rechtliche Unterscheidung von Männern und Frauen innerhalb dieser Familie. Die Zeitung meinte: "Während sie den neuen Prinzen willkommen heißen, beläuft sich das Durchschnittsalter des Kaisers und der sechs männlichen Mitglieder der kaiserlichen Familie auf 62,28 Jahre. Wie in der normalen Gesellschaft schreitet auch hier die Überalterung voran und die Geburtenrate sinkt. Prinz Mikasa ist neunzig Jahre alt, der Kaiser und Prinz Hitachi sind in ihren Siebzigern, Prinz Tomohito von Mikasa und Prinz Katsura sind in ihren Sechzigern und Fünfzigern, und Kronprinz Naruhito sowie Prinz Akishino in ihren Vierzigern. Ich bin sehr besorgt darüber, dass es keine anderen Jungen in der selben Generation des neugeborenen Prinzen gibt. Er ist wie ein junger Baum, der vom Wald getrennt wurde. Wir müssen sorgfältig darüber nachdenken, wie wir ein stabiles System der kaiserlichen Thronfolge sicherstellen können, bis die Zeit des neuen Prinzen gekommen ist. Wie das Beratungsgremium der Regierung empfohlen hat, wäre die Zulassung der weiblichen Familienmitglieder zur Thronfolge ein Weg; allerdings dürfen wir nicht die Möglichkeit vergessen, dass diese weiblichen Mitglieder entschwinden könnten."
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