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Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
21. 09. 2006
LDP wählt Abe zum Parteivorsitzenden - Vorbereitung der Wahl des jüngsten Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit
Chefkabinettsekretär Shinzo Abe wurde am 20. September zum 21. Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei gewählt. Wenn die Mitglieder des Unter- und Oberhauses am 26. September zu einer Sondersitzung des Parlaments zusammenkommen, dürfte Abe zum neunzigsten Ministerpräsidenten Japans bestimmt werden. Er ist damit die 57. Person, die dieses Amt innehaben wird. Es wird erwartet, dass er noch am selben Tag ein neues Kabinett ernennt. Abe, der am 21. September seinen 52. Geburtstag feierte, wird der jüngste Ministerpräsident Japans in der Nachkriegszeit sein. Er löst damit Kakuei Tanaka ab, der mit 54 Jahren Ministerpräsident wurde.
Versprechen, die Fackel hoher Ideale und der Reformen weiterzutragen
Die Wahl innerhalb der LDP war notwendig geworden, um die Lücke zu füllen, die durch das Ende der Amtszeit des derzeitigen Ministerpräsidenten und LDP-Vorsitzenden Junichiro Koizumi entstanden war. Die Wahl war ein Wettrennen zwischen Chefkabinettsekretär Abe, Finanzminister Sadakazu Tanigaki und Außenminister Taro Aso. Von den insgesamt 702 gültigen Stimmen (es gab eine ungültige Stimme) erhielt Abe bereits im ersten Durchgang 464 oder 66 % der Stimmen. Aso kam mit 136 Stimmen auf Platz zwei, während Tanigaki 102 Stimmen erhielt. Abes Amtszeit als Vorsitzender der LDP wird bis zum 30. September 2009 dauern. Es gelang ihm nicht, wie von seinem Unterstützerlager angestrebt, die 70 %-Marke zu erreichen, da viele LDP-Mitglieder es nicht gerne gesehen hätten, wenn Abe mit einem zu großen Vorsprung gewonnen hätte. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass manche Parteimitglieder ihm wegen jüngster Bemerkungen hinsichtlich möglicher Änderungen bei der Kandidatenaufstellung der LDP für die anstehende Oberhauswahl 2007 einen Denkzettel verpassen wollten. Dagegen konnten Aso und Tanigaki mehr Stimmen auf sich vereinigen, als ursprünglich angenommen worden war. Insbesondere der zweitplatzierte Aso dürfte sich dadurch eine mögliche Kandidatur nach Abe gesichert haben.
Bei einer Zusammenkunft aller LDP-Abgeordneten der beiden Häuser des Parlaments im Anschluss an die Wahl des Vorsitzenden betonte Abe den Generationenwechsel: "Ich werde dafür sorgen, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben, genau so wie dies die früheren Vorsitzenden taten. Als erster LDP-Vorsitzender, der nach dem Krieg geboren wurde, verspreche ich, die Fackel der hohen Ideale und der Reformen weiterzutragen." Er fuhr fort: "Ich werde mich mit ganzer Kraft für die Gestaltung eines schönen Japans einsetzen." Auf seiner ersten Pressekonferenz im Anschluss an seine Ernennung deutete Abe an, dass seine Prioritäten während der außerordentlichen Sitzungsperiode des Parlaments, die am 26. September beginnt, das Vorlegen eines Entwurfes für ein grundlegendes Gesetz zur Bildung sowie die Verlängerung der Sondergesetze für den Kampf gegen den Terrorismus sein werden, deren Gültigkeit am 1. November endet. In Bezug auf die Auswahl der Kandidaten für die Führungsposten in Partei und Kabinett unterstrich Abe, er werde Mannschaften "aus den richtigen Leuten auf den richtigen Posten" bilden und dabei auf eine ausgewogene Altersstruktur achten.
In einem Kommentar vom 21. September bemerkte die Mainichi Shimbun: "Die ersten Aufgaben, denen sich der neue LDP-Vorsitzende Shinzo Abe stellen muss, wenn er am 26. September zum Ministerpräsidenten ernannt wird, sind die Neuordnung der japanischen Außenpolitik und eine Korrektur der Verzerrungen der Koizumi-Reformen. Es wird nicht einfach für ihn sein, dem Kurs, den Koizumi vorgegeben hat, weiter zu folgen und gleichzeitig Anpassungen vorzunehmen. Wenn er solche Probleme wie die Auseinandersetzung mit China und Südkorea sowie die zunehmende soziale Kluft in Japan lösen will, muss es Abe gelingen, sich gegenüber Koizumi deutlich abzusetzen." Die Mainichi schloss: "Die Wiederaufnahme der Gipfeltreffen mit China und Südkorea stellt für die allernächste Zukunft das Hauptziel bei der Neuordnung der Außenpolitik Japans dar."
Der Kommentar der Asahi Shimbun vom 21. September unter der Überschrift "Die Grenzen einer ‚ambitionierten Strategie' sowie die Zwänge in Bezug auf die Partei- und Ministerposten" führte aus: "Falls Abe darauf bestehen sollte, die Posten in Partei und Kabinett in der Art Koizumis selbst zu bestimmen, könnte er auf einen Schlag die Unterstützung innerhalb der LDP verlieren, die er derzeit genießt. Sollte er der Taktik Koizumis folgen, dürfte es ihm nicht gelingen, die LDP zusammenzuhalten. Falls er aber zu sehr versucht, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der LDP herzustellen, verlöre er die Unterstützung der Öffentlichkeit." Die Asahi kritisierte Abe auch für seine Politik und meinte: "Er hat verkündet, dass er die Verfassung ändern und den Bildungsbereich reformieren will, ohne irgendwelche speziellen Maßnahmen dafür anzuführen. Am offensichtlichsten wird seine unbestimmte Haltung in Wirtschafts- und Steuerfragen, in der Asienpolitik und in seiner Auffassung über die Geschichte."
Starker Widerstand in der Opposition gegen neuen Vorsitzenden Abe
Mit Blick auf Abes Wahl zum LDP-Vorsitzenden machte der Chef der Neuen Komei-Partei, Takenori Kanzaki, deutlich, dass seine Partei die Koalitionsregierung auch nach der Ernennung Abes zum Ministerpräsidenten fortsetzen wolle: "Wir wünschen uns, dass er aus seiner Jugend den größten Vorteil für eine langlebige und stabile Regierung zieht. Wir werden ihm auf seinem Weg folgen." Er fügte hinzu: "Er wird die Strukturreformen höchstwahrscheinlich fortsetzen; zugleich aber möchten wir, dass er sich auch mit der rückläufigen Geburtenrate, der sozialen Ungleichheit und Japans Beziehungen zu seinen asiatischen Nachbarn befasst."
Ichiro Ozawa, Vorsitzender der Demokratischen Partei Japans (DPJ) versicherte, er werde "den Menschen in Japan die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der DPJ und der Regierung Abe deutlich machen." Er merkte zudem an, dass er für die direkte Auseinandersetzung bei der kommenden außerordentlichen Sitzungsperiode bereit sei: "Die unmittelbaren Debatten zwischen den Parteichefs im Parlament sind ein gutes Mittel, um den Menschen in Japan ihre politischen Führer vorzustellen. Diese Debatten führen ihnen die Unterschiede in der Denkweise zwischen beiden deutlich vor Augen, und sie lassen auch Schlüsse auf den persönlichen Charakter zu. Ich werde diese Debatten uneingeschränkt nutzen."
Der DPJ-Generalsekretär Yukio Hatoyama meinte: "Es wird ein einfacher Kampf, wenn Abe beabsichtigt, die Politik von Koizumi weiterzuführen. Die DPJ wird sich mit ganzer Kraft für die schwierige Aufgabe der Korrektur der zunehmenden sozialen Ungleichheit in diesem Land einsetzen."
Kazuo Shii, Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Partei Japans, kommentierte: "Die LDP-Politik wird sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik rasch in eine Sackgasse geraten. Wir hegen keine großen Hoffnungen dafür, dass die Regierung Abe irgend einen wichtigen Durchbruch erzielt."
Die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Mizuho Fukushima, meinte: "Abe steht von allen LDP-Vorsitzenden der Nachkriegszeit einem Krieg am nächsten. Wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, eine liberale Front zu bilden sowie seine Politik zu vereiteln."
Eine Person, die mit der Wahl Abes zum LDP-Vorsitzenden plötzlich ins Rampenlicht trat, ist Takeo Hiranuma, ein Unterhausabgeordneter, der die LDP aus Protest gegen das Gesetz über die Privatisierung der Postdienstleistungen verlassen hatte. Hiranuma deutete an, er werde im Unterhaus für Abe als Ministerpräsident stimmen. Über den neuen LDP-Vorsitzenden meinte er: "Er kommt meinen eigenen Vorstellungen in Bezug auf die Verfassung und in Bezug auf ein grundlegendes Gesetz über die Bildung nahe." Er führte zudem aus, er werde "auf jede mögliche Art und Weise dabei mitwirken", Probleme wie die Entführungen japanischer Bürger in der Vergangenheit durch Nordkorea zu lösen.
Leitartikel der führenden Tageszeitungen
Alle führenden Tageszeitungen Japans behandelten Abes Wahl zum LDP-Vorsitzenden in ihren Leitartikeln vom 21. September.
Unter der Überschrift "Abe am Steuer: Wir können unsere Sorgen in Bezug auf seine Fähigkeiten nicht unterdrücken" fragte die Asahi: "Warum [...] empfinden wir keine freudige Erwartung angesichts der neuen Ära, die nun anbricht?" Die Asahi zitierte Abes Entschlossenheit, sich "vom System der Nachkriegszeit abzuwenden" und sein Versprechen, die Verfassung zu ändern, eine Agenda, die er von seinem Großvater, dem früheren Ministerpräsident Nobusuke Kishi geerbt habe, und meinte: "Auch wenn Abe nach dem Krieg geboren wurde, scheinen seine Worte die Erfolge der Nachkriegszeit, die Japan erzielt hat, zu verneinen. Vielleicht hat unsere Zurückhaltung gegenüber Abe etwas zu tun mit seinem Hang zur Erweckung." Sie fuhr fort: "Abes Beliebtheit ist seine größte Stärke und zugleich ein Grund zur Besorgnis. Seine harte Haltung gegenüber Nordkorea und China in Bezug auf die Entführungen und in Bezug auf die Kontroverse über den Yasukuni-Schrein hat ihm die Gunst der Menschen im Land eingetragen und ihm dabei geholfen, einen sich immer mehr ausbreitenden Nationalismus zu fördern." Die Asahi meinte zudem: "Sollte Abes Beliebtheit, auf der er sich jetzt stützt, schwinden, steht zu befürchten, dass er den Nationalismus weiter anheizt. Kann er das Land ruhig und fest entschlossen durch eine Welt steuern, die nach dem Kalten Krieg erheblich komplexer geworden ist? Wir können unsere Sorgen nicht unterdrücken." Allerdings schloss die Asahi: "Status lässt einen Menschen wachsen. Indem er an Weisheit gewinnt, kann Abe die Sorgen in Hoffnungen verwandeln. Wir wünschen der neuen Regierung viel Glück."
Unter der Überschrift "Nutze die jugendliche Flexibilität, aber sein nicht übereifrig" kommentierte die Mainichi: "Ministerpräsident Junichiro Koizumi kam ebenfalls auf einer Welle landesweiter Beliebtheit in sein Amt und er war für das Land ein Gewinn. Warum spüren wir die selbe Spannung jetzt nicht?" Die Mainichi führte als Grund dafür an, dass "während Abes Jugend einerseits Hoffnungen nährt, sie auf der anderen Seite auch zu Unbehagen führt." Sie fuhr fort: "Abe selbst scheint unsicher zu sein, wie weit er gehen soll, um sich selbst zu artikulieren." Sollte Abe die Gipfeltreffen mit China und Südkorea nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident so rasch wie möglich wieder aufnehmen wollen, riet ihm die Mainichi, "sich selbst etwas zurückzunehmen und zunächst deutlich zu machen, dass er Japans Kolonialherrschaft und Invasion in diesen Ländern anerkennt und bedauert." Die Zeitung schrieb: "Führungsstärke erfordert sowohl Flexibilität als auch Entschlossenheit. Abe legt großen Wert auf das Staatswesen, aber er sollte in seinem Denken vielfältiger werden und Japan mit fester Hand aus dem insularen Nationalismus herausführen."
Die Yomiuri Shimbun wies in ihrem Leitartikel mit der Überschrift "Neuer LDP-Vorsitzender braucht eine starke Mannschaft" darauf hin, dass "der wichtigste Faktor, der hinter Abes Sieg lag, seine Beliebtheit in der Bevölkerung ist, wie dies die Meinungsumfragen deutlich gemacht haben." Die Yomiuri fuhr fort: "Allerdings waren es nicht seine Visionen und vorgestellten Maßnahmen, sondern seine Beliebtheit, die ihm geholfen hat [...] Sollte seine Regierung in Schwierigkeiten geraten und die Unterstützung für ihn schwinden, würde dies seine Fähigkeit, die Regierung und die LDP zu steuern, verringern und so seine Regierung schwächen." Die Yomiuri konzentrierte sich auf Abes unbestimmte politische Erklärungen während seines Wahlkampfes für den LDP-Vorsitz und meinte, dass es ihm "zudem nicht gelang, klare Positionen in Bezug auf den Yasukuni-Schrein und die Bewertung der Geschichte unseres Landes zu vermitteln. Seine Strategie schien darin zu bestehen, während des Wahlkampfes dieses Thema zu vermeiden, anstatt sich hinter unbestimmten Aussagen zu verstecken. Als Ministerpräsident ist es Abe jedoch nicht erlaubt, eine derart unbestimmte Haltung einzunehmen." Die Yomiuri verlangte, dass Abe "nun seine Ansichten deutlich machen sollte, wie er die verschiedenen Aufgaben angehen will." Sie schloss: "Abe braucht eine starke Mannschaft, die sich ganz ihrer Aufgabe verschreibt, da sie eine Reihe ungelöster Probleme von der Regierung Koizumi übernimmt."
Der Leitartikel der Sankei Shimbun führte unter der Überschrift "Gestaltung eines Landes, das die Menschen beschützt: Beibehalten eines unerschütterlichen politischen Standpunktes" aus: "Der neue LDP-Vorsitzende ist der erste, der erklärt hat, dass er sich von der Nachkriegsära ‚abwenden' und die Änderung der Verfassung zu einem Hauptanliegen seiner politischen Agenda machen will. Wir begrüßen diese grundsätzliche Haltung." Die Sankei meinte: "Abes Vorschläge für eine Neugestaltung des Landes sind das wichtigste Projekt, das vom Japan der Nachkriegszeit umgesetzt werden sollte. [...] Die Gestaltung eines Landes, das seine Menschen beschützt, kann als Abes historische Aufgabe betrachtet werden." Die Zeitung fuhr fort: "Abe sollte sich darauf konzentrieren, eine stabile Regierung aufzubauen. Denn ohne dies wird er sein letztendliches Ziel der Gestaltung des Landes nicht erreichen." Hierfür, so die Sankei, "muss er den Menschen in Japan noch besser und in deutlichen Worten seine politischen Überzeugungen und seine Vision des Landes vermitteln." Die Sankei gab zu, dass "es strategisch vielleicht notwendig ist, in Fragen wie dem Besuch des Yasukuni-Schreins vage zu sein. Sollte seine Haltung jedoch allzu lange unbestimmt bleiben, verlören die Menschen in Japan den Glauben an seine Politik." Die Zeitung schloss: "Die Regierung Abe wird an Stärke gewinnen, wenn sie sich aller Aufgaben annimmt: eine nach der anderen und mit großer Entschlossenheit."
Die Nihon Keizai Shimbun (Nikkei) überschrieb ihren Leitartikel: "Neuer LDP-Vorsitzender Abe muss Wahlversprechen durch starke Führungskraft als Ministerpräsident erfüllen." In seinem Wahlkampf für den LDP-Vorsitz habe Abe deutlich gemacht, dass er sich darüber im Klaren sei, die Versprechungen der LDP bei der Unterhauswahl im vergangenen Jahr erfüllen zu müssen. Die Nikkei bezeichnete dies als "selbstverständlich." Mit Blick auf die Koizumi-Reformen als Beispiel fuhr sie fort: "Bei der Umsetzung seiner Politik muss er starke Führungsqualitäten beweisen." Vor dem Hintergrund der Äußerung Abes, er beabsichtige, das Amt des Ministerpräsidenten u.a. durch die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates für Japan und eine größere Zahl politischer Ernennungen zu verstärken, forderte die Nikkei Abe auf, damit " so weit wie möglich" zu beginnen. Als sofortige Aufgabe für die Auswahl der Kandidaten für die Partei- und Kabinettsposten verlangte die Nikkei von Abe, "die richtigen Leute auf die richtigen Posten zu setzen und nicht so sehr Posten als Belohnungen zu vergeben." Die Zeitung schloss mit der Erklärung: "Die politischen Ernennungen bestimmen den Charakter einer Regierung. Es ist zu hoffen, dass Abe bei der Umsetzung seiner Politik große Entschlossenheit zeigt, indem er die Schlüsselstellen in Partei und Regierung mit überzeugenden Leuten besetzt."
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