Home > Presse & Publikationen > Japan Brief

Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
08. 11. 2006
Irakisches Sondertribunal verurteilt ehemaligen Präsidenten Hussein zum Tode
Ein Jahr nach der ersten Sitzung des im Oktober 2005 begonnenen Prozesses verhängte das irakische Sondertribunal, das den Fall des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein sowie weiterer hochrangiger Funktionäre der ehemaligen Regierung Iraks verhandelte, gegen Saddam Hussein am 5. November das Todesurteil und folgte damit der Forderung der Anklage. Das Tribunal erkannte Hussein als schuldig am Massenmord an Einwohnern eines schiitischen Dorfes im Jahre 1982 und verurteilte ihn wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zum Tode durch den Strang. Damit ist der Krieg im Irak, der im März 2003 begann, nach dreieinhalb Jahren an einem wichtigen Punkt angelangt.
Die japanischen Medien widmeten der Verhängung der Todesstrafe gegen den Ex-Diktator großes Interesse. Am 6. November berichteten die führenden Tageszeitungen und ein Großteil der anderen Zeitungen auf ihren Titelseiten über die Nachricht und untersuchten zudem sowohl auf den außenpolitischen Seiten als auch auf den Meinungsseiten die Auswirkungen des Urteilsspruchs auf die Lage im Irak. Darüber hinaus widmeten sich die fünf größten japanischen Tageszeitungen am 7. November der Bedeutung der Verurteilung Saddams auch in ihren Leitartikeln.
Verurteilung des Diktators, der Irak ins Unglück stürzte
Alle Leitartikel der landesweiten Tageszeitungen hoben hervor, dass eine der wichtigsten Ursachen für die chaotische Situation im heutigen Irak die Tyrannei und Gewaltherrschaft des ehemaligen Präsidenten Saddam Husseins war. Hinsichtlich der Todesstrafe wurde kein Wort des Bedauerns für Saddam gefunden.
Die Mainichi Shimbun stellte fest: "Der ehemalige Präsident hat dieses harte Urteil selbst herausgefordert. Irak ist an sich ein reiches Land. Es verfügt über einige der ergiebigsten Ölressourcen der Welt und wird von zwei großen Flüssen durchströmt. Doch trotz dieser ausgezeichneten Bedingungen führte der Ex-Präsident ununterbrochen Krieg: zunächst der Krieg gegen Iran 1980-1988, dann der Golfkrieg 1991 und schließlich der Krieg im Irak. Seine Verantwortung für die Verarmung des irakischen Volkes ist immens."
Der Leitartikel der Yomiuri Shimbun schrieb: "Während Saddams 25-jähriger Herrschaft starben vermutlich eine Million Menschen durch außergerichtliche Hinrichtungen u.a. Dies ist die erste Verurteilung eines Diktators, der eine Politik der Angst betrieben hat. Der Prozess fand trotz Einwänden insbesondere von Seiten der Schiiten und der Kurden statt, welche die Hauptlast der Unterdrückung durch das Regime Saddams trugen und die den Prozess als unnötig ansahen. Mit Blick darauf, dass die Justiz zu Zeiten von Saddams Herrschaft nicht funktionierte, kommt dem Prozess [gegen Saddam] eine besondere Bedeutung zu."
Zweifel hinsichtlich Unparteilichkeit des Gerichts und Legitimität des Urteils
Nichtsdestotrotz zogen sich auch Hinweise auf Fehler und Unterlassungen im Rahmen des Prozesses vor dem irakischen Sondertribunal durch die Leitartikel der japanischen Tageszeitungen. Unter Verwendung der Formulierungen "Zahlreiche Fragen bleiben unbeantwortet" bzw. "Führt einen Prozess, der einer historischen Bewertung standhalten kann" wählten die Asahi Shimbun und die Mainichi Überschriften, die Zweifel daran aufkommen ließen, ob der Prozess tatsächlich rechtlich legitimiert und politisch fair war.
Die Asahi unterstrich: "Obgleich er auf irakischem Recht basierte, wurde der Prozess unter US-amerikanischer Besatzung geführt und von Washington unterstützt. Die Richter waren entweder Schiiten oder Kurden, die unter Saddams Regime verfolgt wurden. Nicht ein einziger Sunnit war in dem Gremium vertreten. Wir machen uns auch Gedanken über den Zeitpunkt des Urteilsspruchs, der gerade zwei Tage vor den Kongresswahlen in den Vereinigten Staaten erfolgte. War das reiner Zufall? Die derzeitige irakische Regierung unter schiitischer Führung muss gegenwärtig gegen die anhaltende Spirale der Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen kämpfen. Sollte das Urteil dazu dienen, die Moral der Sunniten zu brechen?" Die Zeitung fuhr fort: "Wiederholt legten die vorsitzenden Richter ihr Amt nieder oder wurden ausgewechselt; Verteidiger wurden ermordet, und einige der Anhörungen wurden aus Sicherheitsgründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Vielleicht konnte man keine richterliche Fairness vergleichbar einer 'stabilen' Nation erwarten. Doch dann ist dies um so mehr ein Grund dafür, das Urteil nicht zu überstürzen."
Unter der Überschrift "Heizt dies den Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen an?" brachte die Yomuri ihre Besorgnis über die bedenklichen Auswirkungen zum Ausdruck, die das Urteil haben könnte. Sie schrieb: "Schauen wir uns die Realität des Prozesses an, so erkennen wir, dass er von Anfang an mit Problemen behaftet war - darunter Dinge, welche die Unabhängigkeit des Gerichts gefährdeten sowie Mängel beim rechtlichen Verfahren. Trug der Prozess nicht den Charakter eines Racheurteils derjenigen, die in der Vergangenheit unterdrückt wurden und nun aufgrund von Wahlen die Regierung stellen? Wir fürchten, dass das Urteil Öl ins Feuer des komplizierten Glaubenskriegs zwischen Schiiten und Sunniten gießen könnte."
Innerhalb dieses allgemeinen Tenors bildete die zumindest teilweise positive Einschätzung des Prozesses durch die Sankei Shimbun eher die Ausnahme. Sie schrieb: "Das Tribunal ist bedeutsam, da es eine gründliche Untersuchung der Geschichte der Diktatur des ehemaligen Präsidenten und der Herrschaft der Bath-Partei ermöglichte, von der man annimmt, dass sie Hunderttausende irakischer Bürger, in erster Linie Schiiten und Kurden, ermordet hat." Die Sankei fügte hinzu: "Es mag Zweifel an der Legitimität geben, aber wir gehen davon aus, dass es tatsächlich keine andere Möglichkeit gab."
Berufungsverfahren für Saddam und Iraks Zukunft
Gemäß den Vorschriften für das irakische Sondertribunal, das gegen den ehemaligen Präsidenten Saddam verhandelte, muss im Falle der Verhängung einer lebenslangen Haftstrafe oder der Todesstrafe ein aus neun Richtern bestehendes Gremium den Urteilsspruch prüfen. Sollte dieses Revisionsgericht feststellen, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Auslegung des Rechts oder beim Gerichtsverfahren gab, wird das Urteil revidiert oder ein Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet. Sollte das Gremium jedoch das ursprüngliche Urteil bestätigen, wird das Urteil rechtskräftig und muss innerhalb von 90 Tagen nach Billigung durch den Rat des Präsidenten vollstreckt werden. Saddam Hussein sieht sich jedoch mehr als zehn weiteren Anklagen gegenüber, so dass unklar ist, wann das Urteil letztendlich rechtskräftig wird.
Die japanischen Tageszeitungen, die ihrerseits Zweifel am Prozess anmeldeten, der letztendlich zur Verhängung der Todesstrafe führte, zeigten großes Interesse am weiteren Verfahren und der Anhörung vor dem Revisionsgericht, die nun durchgeführt werden. Sie werteten diese als wichtigen Testfall für die Schaffung einer transparenten und fairen Rechtssprechung im Irak.
Unter Hinweis auf die Bedeutung der Aufgabe des Revisionsgerichts unterstrich die Mainichi: "Die internationale Gemeinschaft wünscht sich nicht, dass der ehemalige Präsident auf der Grundlage eines oder zweier Urteile die Todesstrafe erhält. Wir müssen den Spruch des Sondertribunals respektieren, doch sollte das Verfahren allgemein als eine Art Vergeltung durch Schiiten und Kurden betrachtet werden, die in der Vergangenheit so hart bedrängt wurden, dann würde der Prozess selbst zu einem Hindernis für die nationale Aussöhnung. Was vom Sondertribunal erwartet wird, ist, dass man sich Zeit für die Untersuchung einer Reihe wichtiger Probleme nimmt, um gemeinsam mit den Menschen im Irak zu rekapitulieren, was die Ära Saddam bedeutete und der Welt die Ergebnisse präsentiert."
Der Leitartikel der Yomiuri zeigte sich wegen der Möglichkeit besorgt, dass der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten aufgrund der Todesstrafe gegen Saddam Hussein weiter an Schärfe zunehmen könnte. Die Zeitung schrieb: "Wir sorgen uns darüber, was geschieht, wenn das Urteil schnell vollzogen wird." Indem sie davor warnte, dass eine übereilte Überprüfung und Vollstreckung der Todesstrafe die Spaltung innerhalb Iraks vertiefen könnte, kommentierte die Yomiuri: "Gegen Saddam liegen zahlreiche Anklagepunkte vor; sie umschließen nicht nur das Massaker an Kurden während des Krieges zwischen Iran und Irak, sondern u.a. auch den Einsatz chemischer Kampfstoffe und die Invasion und Annektierung Kuwaits im Jahre 1990. Sollte die Todesstrafe schnell vollstreckt werden, besteht die Gefahr, dass diese historischen Ereignisse nicht angemessen untersucht werden."
(Copyright 2006 Foreign Press Center, Japan)