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Japan Brief (Foreign Press Center Japan)
21. 02. 2007
Kabinettteam erstellt Maßnahmenpaket gegen zunehmende soziale Ungleichheit, deren Bedeutung als politisches Thema zunimmt
Da sich die angebliche Zunahme der Einkommensunterschiede sowie der sozialen Ungleichheit zunehmend zu einem wichtigen politischen Thema entwickelt und die Oppositionsparteien die Regierung mit ihrer diesbezüglichen Verantwortung konfrontieren, hat ein Kabinettteam nun ein Paket von Maßnahmen erstellt, um dieses Problem in Angriff zu nehmen. Die Maßnahmen werden in die für Mitte des Jahres geplanten grundlegenden Maßnahmen für das Wirtschafts- und Finanzmanagement integriert und konzentrieren sich (1) auf Programme zur Aneignung von beruflichen Fähigkeiten für junge Menschen ohne Beschäftigung und Haushalte, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, (2) auf die Vermittlung von Arbeitsplätzen für alleinerziehende Mütter und Personen, die von staatlicher Unterstützung abhängen sowie (3) auf die Anhebung der Mindestlöhne und der Produktivität kleiner und mittlerer Unternehmen.
Das Team unter der Leitung von Chefkabinettsekretär Yasuhisa Shiozaki legte das Maßnahmenpaket am 15. Februar dem Rat für Wirtschafts- und Finanzpolitik unter dem Vorsitz von Premierminister Shinzo Abe vor. Das Paket wurde innerhalb kürzester Frist zusammengestellt, nachdem die Regierung Abe wegen dieses Problems von der Opposition im Parlament heftig kritisiert worden war.
In Japan herrscht nach wie vor kein Konsens darüber, ob sich im Land zunehmend Ungleichheit breit macht und falls ja, was die Gründe dafür sind. Allerdings sind immer mehr Menschen der Auffassung, dass dies tatsächlich der Fall ist. Diese Entwicklung gilt weitgehend als negative Hinterlassenschaft unterschiedlicher Maßnahmen unter der Vorgängerregierung von Premierminister Junichiro Koizumi. Abes Versuch, die zunehmende Ungleichheit zu stoppen und denjenigen zu helfen, von denen man annimmt, dass sie diese Hilfe benötigen, steht nun ganz oben auf der Tagesordnung der japanischen Innenpolitik.
Zahlreiche Argumente verweisen auf eine zunehmende soziale Ungleichheit und führen dabei insbesondere die große Zahl junger Menschen mit geringfügiger Beschäftigung an, denen es an soliden Berufskarrieren, Fähigkeiten und regulärer Arbeit fehlt, sowie die zunehmende Zahl von alleinerziehenden Müttern und Personen, die von staatlicher Unterstützung abhängig sind. Inzwischen hat der Begriff "working poor" Einzug in die gesellschaftliche Diskussion in Japan gehalten, mit dem Menschen bezeichnet werden, die zwar arbeiten, aber nur wenig Geld dafür erhalten.
Die Zahl der jungen Menschen, die nur geringfügig arbeiten, und von denen viele zwischen 25 und 35 Jahre alt sind, wird auf zwei Millionen geschätzt. Sie sind größtenteils Opfer der Einstellungspolitik der Unternehmen während der ein Jahrzehnt dauernden Flaute der japanischen Wirtschaft. Die Unternehmen haben während dieser Dekade die Einstellung frischer Hochschulabgänger als reguläre Mitarbeiter unterlassen und stattdessen zahlreiche Formen der Zeitarbeit eingeführt, um auf diese Weise ihren Personalabbau zu gestalten. Das Problem wird noch dadurch zusätzlich kompliziert, weil man befürchtet, dass diese jungen Menschen, falls man sie in dieser Situation belässt, nicht in der Lage sein werden, für sich selbst oder ihre Familien angemessen zu sorgen, wenn sie zunehmend älter werden. Die Zahl der Haushalte mit alleinerziehenden Müttern - viele von ihnen ohne richtige Arbeit und ausreichendes Einkommen - wird auf insgesamt 1,3 Millionen geschätzt. Ein weiteres grundlegendes Problem ist die schwierige wirtschaftliche Lage einer großen Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen, von denen viele als Zulieferer für Großunternehmen oder in Dienstleistungsbereichen mit geringer Effizienz tätig sind. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat in ihrem jüngsten Bericht in Japan eine zunehmende Ungleichheit ausgemacht und nennt als Ursache dafür eine Zweiteilung des Arbeitsmarktes.
Das Maßnahmenpaket des Kabinettteams soll sich dieser Probleme nun annehmen. Für die Aneignung beruflicher Fähigkeiten junger Arbeitnehmer schlägt es ein System für "Job Cards" vor, mit dem abgeschlossene Ausbildungsprogramme in Privatunternehmen und öffentlichen Einrichtungen bescheinigt werden. Damit soll den Inhabern der "Job Cards" die Suche nach einem Arbeitsplatz erleichtert werden. Das Paket enthält zudem ein Fünfjahresprogramm zur Anhebung des Anteils berufstätiger alleinerziehender Mütter und Personen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, von derzeit 48 % auf 60 %. In Bezug auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wird ein Runder Tisch aus Vertretern der Regierung, der Wirtschaft und des Arbeitssektors langfristig einen Konsens über die Anhebung der Mindestlöhne, angemessene Bedingungen bei der Auftragsvergabe der großen Unternehmen sowie die Förderung von Projekten zur Anhebung der Produktivität durch die bessere Nutzung von Informationstechnologie und andere Maßnahmen anstreben.
Regierung zu größerem Engagement aufgefordert
Die Reaktionen der Medien auf die vorgeschlagenen Maßnahmen waren gemischt und reichten von harscher Kritik bis zu zurückhaltender Unterstützung. Die Mainichi Shimbun meinte, dass das Paket kaum als gut durchdachte Strategie bezeichnet werden könne. In ihrem Leitartikel vom 18. Februar meinte die Zeitung: "Wir hegen in Bezug auf die Durchführbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Fähigkeiten der Arbeitnehmer sowie der Beschäftigungssituation große Zweifel." Auch wenn das System der "Job Cards" nicht schlecht sei, so die Zeitung, fragte sie: "Wie viele Unternehmen werden sich an diesem System beteiligen? Damit wird nur einer Handvoll der schätzungsweise zwei Millionen jungen Menschen mit geringfügiger Beschäftigung sowie der 1,3 Millionen Haushalte mit alleinerziehenden Müttern geholfen. Es gibt keine Garantie, dass dies zu einer Zunahme regulärer Beschäftigung führt." Für die kleinen und mittleren Unternehmen, so die Mainichi, "dürfte es schwierig sein, Verbesserungen zu erreichen, wenn ihren Mutterunternehmen, vor allem den Großunternehmen, weiterhin freie Hand dabei gelassen wird, Druck auf die Zulieferer für noch mehr Kostensenkungen auszuüben, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken."
Die Asahi Shimbun bezeichnet die Teilung zwischen regulären und nichtregulären Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt als eine dringende Angelegenheit auf der politischen Agenda. In ihrem Leitartikel vom 18. Februar meinte sie: "Die Ungleichbehandlung von regulären und nichtregulären Arbeitnehmern muss vor allem durch Maßnahmen bekämpft werden, die auf die Löhne, die Dauer der Arbeitsverträge und auf andere Arbeitsbedingungen abzielen." Sie fügte hinzu: "Wir müssen von den Managern Änderungen verlangen, die auf dem Rücken der schlecht bezahlten nichtregulären Arbeitnehmer hohe Gewinne einfahren."
Die Yomiuri Shimbun rief die Regierung dazu auf, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich effektiv sind. In ihrem Leitartikel vom 19. Februar kritisierte sie, dass "es dem System der Job Cards an konkreten Details mangelt, vor allem in Bezug auf die Anzahl der Menschen und die Wirtschaftssektoren, die dieses System abdecken soll." Die Zeitung meinte: "Solange der Umfang der öffentlichen Unterstützung für die Unternehmen, die sich an diesem System beteiligen, nicht festgelegt ist, ist von der Wirtschaft nur wenig Engagement zu erwarten." Sie stellte zudem die Durchführbarkeit des Runden Tisches in Frage, der eine Abhebung der Mindestlöhne in kleinen und mittleren Unternehmen anstrebt, ohne "ein umfassendes Verständnis für die Betriebsführung dieser Unternehmen."
Die Sankei Shimbun äußerte sich ähnlich skeptisch über das Maßnahmenpaket. "Die Job Card ist ohne Bedeutung, solange sie von den Unternehmen nicht anerkannt und akzeptiert wird." In ihrem Leitartikel vom 18. Februar meinte sie: "Während numerische Ziele und andere Details noch ausgearbeitet und in das für den Sommer geplante mittelfristige Wirtschafts- und Finanzprogramm eingefügt werden müssen, bleibt die Effektivität des Programms fraglich. Wichtig ist, die bereits bestehenden beschäftigungspolitischen Maßnahmen für junge Menschen umfassend zu prüfen und effektive Maßnahmen zu erstellen." Sie fügte hinzu: "Es sollte eine systematische Politik in Bezug auf Beschäftigung angestrebt werden und kein Flickwerk unzusammenhängender Vorschläge."
Die Nikkei war die einzige führende Tageszeitung, die das vorgestellte Programm positiv bewertete. In ihrem Leitartikel vom 17. Februar meinte sie: "Um zu verhindern, dass sich die Ungleichheit bei den Einkommen und anderswo verfestigt, [....] sind zunehmend Maßnahmen erforderlich, die mittels Deregulierung Faktoren beseitigen, die das Wirtschaftswachstum behindern, und die das Einkommensniveau der arbeitenden Bevölkerung durch Verbesserung ihrer Fähigkeiten anheben. Die gemachten Vorschläge stimmen mit dieser Richtung weitgehend überein und sind daher zu begrüßen." Mit Blick auf das System der Job Cards verwies die Zeitung auf das britische Vorbild und meinte, die Zusammenarbeit der Wirtschaft sei dafür unerlässlich. Sie rief führende Vertreter der Wirtschaft wie Fujio Mitarai und Uichiro Niwa, die dem Rat für Wirtschafts- und Finanzpolitik angehören, dazu auf, hierbei die Führung zu übernehmen. Die Zeitung betonte zudem die große Bedeutung der Anhebung der Mindestlöhne sowie der Produktivität der kleinen und mittleren Unternehmen insbesondere im nichtproduzierenden Bereich.
(Copyright 2007 Foreign Press Center, Japan)