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Japan Brief (Foreign Press Center Japan):


19. 03. 2008 

 

 

Regierungsfeindliche Unruhen eskalieren in Tibet

 

Die umfangreichen Unruhen, die am 14. März in Lhasa, der Hauptstadt der Autonomen Region Tibet in China, begannen, breiteten sich innerhalb von Tagen in den Gebieten um diese Region aus, wobei es zu Zusammenstößen zwischen Tibetern und den öffentlichen Sicherheitskräften kam, die unter anderem in den Privinzen Qinghai, Gansu und Sichuan ausbrachen. Die zweite Regierung von Präsident Hu Jintao, die am 17. März auf dem Nationalen Volkskongress gewählt wurde, versprach, neben der Weiterführung der wirtschaftlichen Entwicklung, Anstrengungen zur Verwirklichung der sozialen Harmonie durch eine Verringerung der Wohlstandslücke und der regionalen Unterschiede zu unternehmen. Ihr Ziel sei es, erfolgreiche Olympische Spiele im August in Peking zu veranstalten und damit China der internationalen Gemeinschaft als eine Großmacht zu präsentieren. Die sozialen Unruhen, die mit dem Aufruhr in der Autonomen Region Tibet zum Vorschein kamen, drohen nun, einen Schatten auf die Aussichten dieser grundlegenden Strategien zu werfen.   

Am Abend des 15. März erklärte Chefkabinettsekretär Nobutaka Machimura gegenüber den Medien: "Obwohl dies im Grunde genommen eine innere Angelegenheit Chinas ist, hoffe ich, dass beide Seiten Zurückhaltung üben und dass die Ausschreitungen nicht eskalieren." Der Pressesprecher des Außenministeriums gab ebenfalls eine Erklärung ab und sagte: "Wir sind besorgt über die Situation und beobachten diese aufmerksam. Wir drängen die beteiligten Seiten dazu, ruhig zu reagieren, und hoffen sehr, dass die Situation sich so schnell wie möglich auf friedlichem Wege beruhigt." Diese Kommentare von Seiten der japanischen Regierung lassen darauf schließen, dass sie zu einem prekären Zeitpunkt in den japanisch-chinesischen Beziehungen mit Blick auf den geplanten Besuch von Präsident Hu in Japan Anfang Mai zurückhaltend auf die Unruhen in Tibet reagiert.  

Medien decken Hintergründe der Unruhen in Tibet auf

Nach dem Ausbruch der Unruhen in Lhasa war es ausländischen Medien nicht mehr gestattet, in die Autonome Region Tibet einzureisen, und innerhalb Chinas waren die offiziellen Bekanntmachungen der Regierung die einzigen Berichte über die Situation. Aus diesem Grund blieben viele Fragen und Ungewissheiten hinsichtlich der Hintergründe des jüngsten Aufruhrs und der derzeitigen Unruhen selbst offen.

Am 15. März zitierte Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Regierungsbeamten der Autonomen Region Tibet mit den Worten: "Es gibt genügend Beweise dafür, dass die jüngsten Sabotageaktionen in Lhasa von der Dalai-Clique organisiert, vorsätzlich geplant und gelenkt wurden." Auf der anderen Seite hielt der 14. Dalai Lama, der oberste Führer des tibetischen Buddhismus, in Dharamsala, in Nordindien, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, am 16. März seine erste Pressekonferenz seit dem Ausbruch der Unruhen ab. Auf dieser Konferenz kritisierte der Dalai Lama aufs Schärfste die Unterdrückung durch die chinesischen Behörden und sprach von einem "kulturellen Völkermord".  Der Dalai Lama unterstrich jedoch erneut sein Prinzip der völligen Gewaltlosigkeit und des Friedens und rief die chinesische Regierung auf, ein internationales Gremium zu akzeptieren: "Eine internationale Organisation kann versuchen, zuerst Nachforschungen über die Lage in Tibet anzustellen."  

Die japanischen Medien verfolgten eine nachdrückliche Berichterstattung bei der Suche nach den Hintergründen für die Unruhen in Tibet und setzten nicht nur ihre Sonderkorrespondenten in Peking ein, sondern entsendeten außerdem Journalisten in die Gebiete rund um die Autonome Region Tibet. Wie ein gemeinsamer roter Faden, der sich durch die Berichte zog, wurden die aufgestaute Unzufriedenheit und Verärgerung hervorgehoben, die die ethnische Gruppe der Tibeter gegenüber der ethnischen Gruppe der Han fühlen.  

Der Korrespondent der Yomiuri Shimbun in Peking schrieb (in der Ausgabe vom 17. März): "Für viele ethnischen Tibeter ist die chinesische Regierung, die faktisch das Monopol der politischen Macht vor dem Hintergrund einer überwältigenden militärischen Stärke ausübt und den Dalai Lama als ‚Separatisten' kritisiert, Gegenstand des Hasses, was gleichermaßen für die Unternehmer und Arbeiter der ethnischen Gruppe der Han gilt, die wirtschaftliche Vorteile unter dem Schutz dieser Regierung genießen." Zur gleichen Zeit lenkte der Artikel die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die chinesische Regierung bestrebt ist, die ethnischen Konflikte durch großzügige Unterstützungsmaßnahmen zu mildern. Er führte aus, dass sich zwischen 2002, dem Zeitpunkt der Amtseinführung der Regierung von Präsident Hu, und 2007 das Bruttoprodukt der Autonomen Region Tibet fast verdoppelt hat und dass in diesem Zeitraum die Eisenbahnlinie Qinghai-Tibet eröffnet sowie 8.800 Kilometer an Straßen gebaut wurden. Der Artikel wies jedoch auch darauf hin, dass die Unruhen in Tibet trotz dieser Entwicklungen ausgebrochen sind und warnte, dass die ethnischen Konflikte zu einem Hauptfaktor für die Instabilität in China werden. Er führte weiter aus: "In der Autonomen Region von Xinjiang Uighur verfolgt die chinesische Regierung ebenfalls eine Politik der ‚Stabilität durch Entwicklung', aber die Unruhen in Lhasa haben erwiesen, dass dieser Kurs nicht störungsfrei verläuft." 

In der Mainichi Shimbun (Abendausgabe vom 17. März) berichtete der Sonderkorrespondent der Zeitung in Neu Delhi, dass unter den im Exil in Nordindien und anderswo lebenden Tibetern eine wachsende Opposition gegen das Prinzip der Gewaltlosigkeit zu verzeichnen sei, das vom 14. Dalai Lama verfochten wird. "Sollten sich die repressiven Aktionen der chinesischen Behörden verstärken, wächst die Gefahr, dass die tibetische Exilregierung nicht mehr in der Lage ist, die Tibeter zu kontrollieren, die sich in der ganzen Welt im Exil befinden." Der Artikel brachte die Besorgnis zum Ausdruck, das die tibetische Widerstandsbewegung in wachsendem Maße extremistisch werden könnte und meinte: "Bis jetzt hat der 14. Dalai Lama versucht, die Unabhängigkeit durch die Übergabe der Sicherheits- und Außenpolitik an die chinesische Regierung zu erreichen; allerdings wurde er von China nicht beachtet. Darüber hinaus stießen die Aussöhnungsversuche der internationalen Gemeinschaft einschließlich der Vereinten Nationen bei der chinesischen Regierung auf Ablehnung und schlugen bislang fehl. Die junge Generation der Tibeter ist irritiert und gelangte so zu der Auffassung, dass weder die Exilregierung noch die internationale Gemeinschaft zu einer Verbesserung der Situation beitragen."     

Leitartikel der Tageszeitungen zum Tibet-Problem

1989 brachen in Lhasa Demonstrationen aus, bei denen die Unabhängigkeit gefordert wurde. Aus diesem Anlass rief die chinesische Regierung den Ausnahmezustand in der Autonomen Region Tibet aus. Die jüngsten Unruhen nun stellen die bislang größte Zuspitzung der Situation dar. Der Aufruhr in Lhasa und die Unruhen, die an anderen Orten aufflackerten, haben die Tatsache offen gelegt, dass, obwohl China weiterhin ein spektakuläres Wirtschaftswachstum erreicht, in dem Land einige gefährliche Konflikte schwelen. Es ist geplant, dass Präsident Hu im Mai Japan besucht, und zudem finden im August die Olympischen Spiele von Peking als ein "Fest des Friedens" statt. Aus diesen Gründen zeigten die japanischen Medien ein großes Interesse an den Unruhen in Lhasa, wobei alle fünf landesweiten Tageszeitungen einen Leitartikel zu diesem Thema brachten.

Die Asahi kommentierte in ihrem Leitartikel (vom 16. März): "Da die Olympiade von Peking nur noch einige Monate entfernt ist, schenkt die internationale Gemeinschaft der Menschenrechtssituation in China mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Die Tatsache, dass der Dalai Lama mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, zeigt, dass der internationalen Gemeinschaft die Lage in Tibet bewusst ist. Die chinesischen Behörden müssen aufhören, militärische Gewalt anzuwenden, und akzeptieren, dass der einzige Weg zur Beruhigung der Lage der Dialog mit dem Volk ist." Sie fügte hinzu: "[...] unbarmherzige Maßnahmen würden nur dem Ansehen Chinas schaden."     

Die Mainichi gab in ihrem Leitartikel (vom 16. März) den Rat: "Beim Fackellauf der Pekinger Olympiade wird eine gemeinsame Bergsteigermannschaft von Tibetern und Han die Fackel auf den Gipfel des Mount Everest tragen, dem heiligen Berg von Tibet. Aber wenn man dies tun, warum lädt man den 14. Dalai Lama nicht zur Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele ein? Würde China sein Gesicht verlieren, wenn Präsident Hu Großmut zeigt und im Gespräch mit dem geistigen Führer des tibetischen Volks auf den VIP-Plätzen gesehen wird? Gewiss nicht. Das ist es, was ‚Harmonie' bedeutet. Es würde Chinas sanfte Macht voranbringen."

Die Yomiuri lenkte in ihrem Leitartikel (vom 18. März) die Aufmerksamkeit auf die Verärgerung und Unzufriedenheit des tibetischen Volkes über den Verlust ihrer eigenen Kultur und Freiheit. Sie beobachtete: "Die tibetische Exilregierung meint, dass aufgrund der Einwanderungspolitik Chinas die Han den Tibetern in den von Tibetern bewohnten Regionen zahlenmäßig überlegen sind, einschließlich der Autonomen Region Tibet, die eine Gesamtbevölkerung von rund 2,8 Millionen aufweist. Mittlerweile sind die chinesischen Behörden streng gegen Mönche und Einwohner vorgegangen, die an regierungsfeindlichen Aktionen teilgenommen haben, es wurden Parteifunktionäre und Soldaten in die Tempel entsandt und eine patriotische Erziehung als Teil der Anstrengungen zur Unterdrückung der tibetischen Kultur durchgesetzt."

Die Nikkei bemerkte in ihrem Leitartikel (vom 16. März): "Der diesjährige Nationale Volkskongress war eine denkwürdige Versammlung, die die Ernennung von Xi Jinping zum Vizepräsidenten erlebte, der als Kandidat für die Nachfolge von Präsident Hu Jintao gilt (Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas). Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass die Unruhen in Lhasa das Ziel hatten, die Regierung von Hu zu erschüttern. In der Tat war es Hu, der damals als oberster Regierungsvertreter in der Autonomen Region von Tibet die Niederschlagung des Aufruhrs von 1989 leitete. Gelingt es wiederum nicht, ein Blutvergießen zu vermeiden, ist dies ein Schlag für die Regierung von Hu."

Die Sankei Shimbun bemerkte in ihrem Leitartikel (vom 18. März): "Während er die Reaktion der chinesischen Behörden [auf die Unruhen von Lhasa] als ‚Terrorherrschaft' kritisierte, sagte der 14. Dalai Lama auf seiner Pressekonferenz in Indien in Bezug auf die Olympischen Spiele von Peking ruhig, dass ‚es China verdient hat, Gastgeber der Olympischen Spiele zu sein'. Augenscheinlich ist er es, der an die internationale Gemeinschaft appelliert. Es würde in der Tat einem Gastgeber der Olympiade gut zu Gesicht stehen, Großmut zu zeigen und ein internationales Gremium zu akzeptieren, das die Unruhen untersucht, so wie es vom 14. Dalai Lama vorgeschlagen wurde."


(Copyright 2008 Foreign Press Center, Japan)

 

 

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