Bild: Hiromasa Ogura. Hintergrund für Ghost in the Shell (1995). © Shirow Masamune / Kodansha - Bandai Visual - Manga Entertainment Ltd.
Im Juli beginnen die Schulferien und damit auch die Zeit, in der viele Menschen in den Urlaub fahren. Die Frage: „Und wo machen Sie Urlaub in diesem Sommer?“ ist dann regelmäßig zu hören und gehört fast schon zur Begrüßung. Ich selbst werde zum zweiten Mal Großbritannien besuchen. Mein jetziger Dienstort mitten in Europa bietet meiner Familie und mir die Gelegenheit, viele Dinge und Orte in Deutschland und in anderen europäischen Ländern einmal anzusehen bzw. zu besuchen. Als großer Harry Potter-Fan reicht meiner Tochter allerdings ein Besuch in London und seiner Umgebung nicht aus; sie möchte unbedingt auch eine „Pilgerreise“ nach Schottland unternehmen, um dort die Drehorte der Harry Potter-Filme endlich mit eigenen Augen sehen zu können. Ich selbst habe mich von ihr immerhin überreden lassen, die beiden ersten Teile der Harry Potter-Filmreihe anzusehen, aber als sogenannter „Andersgläubiger“ dürfte es mir wohl schwer fallen, einen besonderen Nutzen aus dieser „Pilgerreise“ zu ziehen; nichtsdestoweniger freue ich mich darauf, bislang unbekannte Orte kennenzulernen.
Wenn man vom „Pilgern“ spricht, sollte man aber nicht nur über andere reden. Denn das Ziel meiner allerersten Reise ins Ausland, über die ich selbst entscheiden durfte, war New York. Offiziell diente der mehrmonatige Aufenthalt dem Sprachstudium, aber tatsächlich gab es noch andere Gründe, warum ich gerade diese Stadt besuchen wollte – und einer dieser Gründe hatte ebenfalls mit dem Kino zu tun: Ich war erfüllt von einer vagen Sehnsucht nach dem New York, das ich in den Filmen von Woody Allen kennengelernt hatte.
Auf meinem jetzigen Dienstposten hier in Berlin höre ich immer wieder, dass viele junge Deutsche als eingefleischte Anime-Fans gerne einmal die Orte in Japan besuchen wollen, an denen ihre Lieblingsserien spielen. Für sie ist eine Reise nach Japan ebenfalls eine „Pilgerreise“. Der Tokyoter Bezirk Nakano, in dem ich zuvor gewohnt habe, soll für viele Anime-Fans eine dieser „heiligen Stätten“ sein. Als „Andersgläubiger“ mag es mir zwar am richtigen Verständnis dafür fehlen, aber darüber, dass dies für viele junge Leute den Anlass bildet, einmal nach Japan zu reisen, freue ich mich natürlich sehr. In Japan kennen wir das Sprichwort „Vom Ochsen zum Tempel Zenkoji geführt werden“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass eine zufällige Begebenheit zu einer Pilgerreise mit einem besonders glücklichen Ausgang führt. Ich wünsche mir sehr, dass junge Menschen bei ihren „Pilgerreisen“ auch andere Dinge und Orte in Japan kennenlernen und auf diese Weise ihr Interesse für mein Land geweckt wird.
Von Ende Juli bis Mitte Oktober zeigt das Museum für Architekturzeichnung der Tschoban Foundation in Berlin die Ausstellung „Anime Architektur“. Wie der Name des Museums bereits andeutet, werden Originalzeichnungen mit einem Fokus auf großstädtische Architektur der Zukunft aus einer Reihe berühmter Anime präsentiert. Ich muss gestehen, dass ich bisher keinen einzigen der vorgestellten Filme selbst gesehen habe. Sollte daher das besondere Vergnügen dieser Ausstellung darin bestehen, erneut Orten zu begegnen, die man bereits aus Filmen kennt, dürfte sie insbesondere für eingefleischte Filmfans ein besonderer Genuss werden. Bei der hier gezeigten Welt bilden zwar Visionen von Städten der Zukunft die gemeinsame Grundlage, aber vieles erinnert doch an das Tokyo von heute, dessen gegenwärtiges Bild bereits die Zukunft erahnen lässt. Damit bietet diese Ausstellung die Gelegenheit, einmal sowohl über das Japan der Gegenwart als auch über das zukünftige Japan nachzudenken.
Während der Sommerferien finden viele Menschen in meinem Land ein besonderes Vergnügen darin, in klimatisierten Bibliotheken und Museen Abkühlung von der Hitze des japanischen Sommers zu finden. Zwar weiß ich nicht, ob Ende Juli der Sommer hier in Berlin so heiß werden wird wie in Japan und auch nicht, ob sich das Museum für Architekturzeichnung als Zufluchtsort vor der Hitze eignet, aber bestimmt lohnt sich sowohl für „Pilger“ als auch für „Andersgläubige“ ein kleiner Ausflug, der die Besucher in Gedanken nach Japan entführt.
Kiminori Iwama, Gesandter