Mit dem Monat September nähert sich der Sommer seinem Ende und unwillkürlich muss ich daran denken, dass auch dieses Jahr schon wieder mehr als die Hälfte vergangen ist. Es mag noch etwas früh sein, aber in ein oder zwei Monaten wird man in Japan darüber zu sprechen beginnen, was „in diesem Jahr die zehn wichtigsten Nachrichten“ waren. Auch wenn ich nicht weiß, ob es für den ersten Platz reichen wird, gibt es doch ein Bild, das mir persönlich sofort einfällt, wenn ich an die Nachrichten des Jahres 2016 denke. Es ist das Foto von Präsident Obama in Hiroshima, wie er ein Opfer der Atombombe umarmt.
Ich denke, dass über den Hintergrund und die Bedeutung dieses Besuchs eines US-Präsidenten in Hiroshima bereits sehr ausführlich berichtet wurde und möchte daher dies hier nicht wiederholen. Wichtig fände ich vielmehr, dass dieser Besuch nicht als eine historische Episode für sich allein stehen bleibt. Wenn man andererseits die Realitäten des globalen sicherheitspolitischen Umfelds sieht, ist es auch eine ernüchternde Wahrheit, dass der Weg zu einer „Welt ohne Atomwaffen“ gewiss kein kurzer sein wird. Es ist daher von großer Bedeutung, dass ein bestimmtes Datum uns die Gelegenheit bietet, einmal aus dem Alltag herauszutreten, sich der Toten zu erinnern und darüber nachzudenken, wie die Welt sein sollte.
Ab dem 21. September wird in Dresden etwa einen Monat lang eine Ausstellung über die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zu sehen sein. Der Veranstalter ist eine Organisation aus Nagasaki, die seit 2005 jedes Jahr diese Ausstellung weltweit in verschiedenen Staaten präsentiert. Bislang war sie in siebzehn Städten in zehn Ländern zu sehen. In diesem Jahr nun wird sie erstmals auch in Deutschland gezeigt. Extra zur Eröffnung werden Opfer der Atombomben aus Japan anreisen, um in Dresden über ihre Erlebnisse zu berichten. Hier schweife ich nun wieder ins Persönliche ab, aber die größte Veränderung, die mir bei meinem jetzigen Aufenthalt in Deutschland nach vierzehn Jahren Pause auffiel, war die wiedererstandene Frauenkirche in Dresden. Als ich während meiner ersten Dienstzeit hierzulande die Trümmer dieser Kirche betrachtete, die so da lagen, als sei sie eben erst eingestürzt, musste ich an das berühmte japanische Lied „Mond über der Burgruine“ denken, das den Anblick verfallener Mauern mit der Erinnerung an einstige Pracht verbindet. Vor zwei Jahren dann war ich wieder in Dresden und schier überwältigt vom Anblick der Frauenkirche, die - Stein für Stein wiederaufgebaut - in ihrer ursprünglichen wunderschönen Gestalt vor mir aufragte. Ich denke, dass unter den deutschen Städten Dresden durchaus ein geeigneter Ort ist, um einmal „in Stille zu verharren, sich der Toten zu erinnern und über die Zukunft nachzudenken“. In Dresden fand darüber hinaus im vergangenen Jahr auf private Initiative hin auch ein Gemeinschaftsprojekt statt, bei dem die Dresdner Sinfoniker ein Open Air-Konzert gaben - zusammen mit einer Präsentation des bekannten japanischen Comics „Barfuß durch Hiroshima“. Zu diesem Event kamen laut Angaben des Veranstalters über eintausend Besucher.
Der Tag, an dem die oben genannte Ausstellung über Hiroshima und Nagasaki eröffnet wird, fällt übrigens mit einem besonderen Datum in Japan zusammen, dem Ohigan. In meinem Land gedenkt man um diesen Zeitraum der herbstlichen Tagundnachtgleiche herum der Verstorbenen, die „am jenseitigen Ufer“ (so die Bedeutung von Ohigan) stehen. Dies ist die Zeit, in der viele Menschen in meinem Land die Gräber ihrer Vorfahren aufsuchen. Ohigan ist ein besonderer buddhistischer Brauch, der speziell in Japan gepflegt wird. Der September ist für die Menschen in Japan aber auch der Monat, in dem man in besonderer Weise an den Mond denkt. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen diese Ausstellung in Dresden besuchen und dabei vielleicht auch den leuchtenden Mond betrachten, wie er sich in den Wellen der Elbe widerspiegelt.
Kiminori Iwama, Gesandter