Neues aus Japan Nr. 145 | Dezember 2016
Kultur
Am 20. November wurde der in Berlin lebenden Schriftstellerin Yoko Tawada der Kleist-Preis überreicht. Der von der Heinrich-von Kleist-Gesellschaft vergebene Literaturpreis würdigt damit das umfangreiche Werk der in Japan geborenen und seit den 1980er Jahren auch in deutscher Sprache schreibenden Schriftstellerin. In ihren Gedichten, Romanen, Theaterstücken und Essays hat Yoko Tawada eine ganz originäre Schreibweise entwickelt. Für ihre Werke in deutscher und in japanischer Sprache wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet, so u.a. 1993 in Japan mit dem renommierten Akutagawa-Preis.
Bild: Die Schriftstellerin Yoko Tawada beim Gespräch (Foto: Botschaft von Japan)
Anlässlich der Verleihung des Kleist-Preises an Yoko Tawada beantwortete sie am 18. November im Rahmen eines Pressegesprächs Fragen japanischer Journalisten, die in Deutschland akkreditiert sind. Neues aus Japan stellt hier einen Auszug aus dem Gespräch vor.
Über diese Auszeichnung habe ich mich sehr gefreut. Ich habe auch in Deutschland bereits einige Literaturpreise erhalten, aber bei diesen Preisen lag der Schwerpunkt vor allem auf dem Austausch zwischen zwei verschiedenen Sprachen und Kulturen. Der jetzige Preis ist ein echter Literaturpreis, und es ist das erste Mal, dass ich einen solchen Preis bekomme. Seit etwa 1986 habe ich wirklich viel auf Deutsch geschrieben, und ich freue mich sehr, dass diese Werke nun als Literatur gewürdigt wurden. Mein deutschsprachiges Schaffen unterscheidet sich durchaus von den Werken, die ich auf Japanisch schreibe. Bei dem auf Deutsch geschriebenen Dingen gibt es vieles, was es auf Japanisch nicht gibt, und ich denke, dass das japanische Publikum, das meine japanischen Werke gelesen hat, wohl keine oder nur eine geringe Vorstellung davon hat, worüber ich auf Deutsch schreibe. Für mich ist das, was ich auf Deutsch schreibe, außerordentlich wichtig und genau so wichtig wie meine Werke in japanischer Sprache. Darüber, dass meine deutschen Werke nun gewürdigt wurden, freue ich mich wirklich sehr.
Dieser Preis bereitet mir große Freude. Wenn jemand wie Heinrich von Kleist heute leben würde, dann wäre er – so wie er damals von Goethe als schlechter Schriftsteller bezeichnet wurde – bestimmt kein Schriftsteller, der allgemein anerkannt wäre. Ich weiß nicht, ob es dieses überreizte Großartige à la Kleist ist – ich wollte ihn mir jedenfalls immer schon zum Vorbild nehmen. Deshalb habe ich mich über die jetzige Auszeichnung mit dem Kleistpreis wirklich sehr gefreut.
Beides ist schwer und macht Spaß (lacht). Da ich auf Deutsch in meinem eigenen Tempo schreibe, tauche ich regelrecht in die Worte ein. Ich empfinde wohl keine größere Freude, als während der Zeit, die ich beim Schreiben gemeinsam mit Worten verbringe. Von daher macht das Schreiben auf Deutsch mehr Spaß.
Für mich ist der Klang der deutschen Sprache unglaublich faszinierend. Woran das liegt? Man spürt, dass jedem einzelnen Wort eine große Kraft innewohnt, so dass die Worte nicht einfach nur so dahinfließen. Indem man beim Sprechen ein Wort auf das nächste setzt, entsteht schließlich so etwas wie ein festes Gebäude, das man fast mit Händen greifen kann. Es ist mitnichten irgendetwas, das beim Sprechen wegfließt. Das Sprechen lässt auch Gedanken entstehen und diese bleiben exakt erhalten. Das Sprechen der Worte ist wie ein Gebäude, wie etwas Solides …
Ich frage mich, wie es nun weitergehen wird. Es ist wirklich sehr schlimm. Es fühlt sich genau so an wie Exophonie, wie Anderssprachigkeit. Ich habe gedacht, wir alle sind so etwas wie Bürger dieser Welt, Bewohner dieser Erde – und jetzt geht es genau in die andere Richtung? Ich bin sehr besorgt über ein Denken, bei dem mein Land immer nur mein Land ist und Ausländer stets Ausländer bleiben, egal wie lange sie dort schon leben.
Aber ja doch. Vielleicht so geschickt, dass es schon wieder gefährlich ist. Wie zu der Zeit, als die Judenverfolgung in Deutschland begann – in den 1930er Jahren. Gerade weil sie mit der deutschen Gesellschaft verschmolzen – selbstverständlich sprachen sie sehr gut Deutsch, sie hatten Berufe wie Professoren oder Ärzte – wurden sie verfolgt. Wie man an dieser Zeit sehen kann, wurden die Juden auch als Ausländer verfolgt, aber ich denke, es spielte da auch eine gegen Intellektuelle gerichtete Strömung, die den Intellekt verachtet. Wenn man sich Trump anschaut, dann versteht man das. Jemand, der Bücher liest, der an der Universität Philosophie lehrt, der Gesellschaftskritik übt, diese sogenannten Intellektuellen – auf Japanisch klingt das besonders übertrieben – diese für uns ganz normalen Menschen, Menschen, die Bücher lesen, die galten damals als schlecht. Ich denke, eine solche Strömung ist auch bei Trump zu beobachten, und ich halte das für sehr gefährlich. Und dann gibt es auch hier in Deutschland Leute, die sich darüber freuen, dass er die Wahl gewonnen hat. Damit ist diese Strömung so stark geworden, dass man so etwas laut aussprechen darf, dass man es offen sagen kann. Da frage ich mich schon, wie meine Zukunft aussieht.