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Neues aus Japan Nr.82 September 2011

"Hokusai – Retrospektive" -
Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin

Interview mit Shimizu Yôichi, stellv. Generalsekretär des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin

Die „Hokusai – Retrospektive“, die vom 26. 08. bis 24. 10. 2011 im Martin-Gropius-Bau, Berlin, zu sehen ist, kann als ein Höhepunkt der Feierlichkeiten von „150 Jahre Freundschaft Japan-Deutschland“ bezeichnet werden. Mit insgesamt 441 Exponaten ist sie die bisher größte Ausstellung über den Ukiyo-e Künstler Katsushika Hokusai im Ausland. Shimizu Yôichi, stellvertretender Generalsekretär des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, begann bereits vor dreißig Jahren den Traum für diese Ausstellung zu träumen und hat sich beharrlich für seine Verwirklichung eingesetzt. In diesem Interview haben wir Herrn Shimizu zur Vorgeschichte der Ausstellung sowie zu dem, was sie so sehenswert macht, befragt.

Angaben zur Person: Shimizu Yôichi
Geboren 1943 in Beijing, China. Studium der Politikwissenschaften an der International Christian University, Tokyo, sowie der Deutschen Geschichte an der Universität Marburg. 1964 Eintritt ins Außenministerium von Japan. U.a. Leiter des Japanischen Kulturinstituts Köln sowie Japanischer Generalkonsul in München. Seit 2009 stellv. Generalsekretär des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin.

 

Auch für Sie, Herr Shimizu, der Sie seit vielen Jahren mit dem kulturellen Austausch zwischen Japan und Europa befasst sind, dürfte die jetzige Hokusai-Retrospektive gewiss eine Ausstellung sein, die Sie in ganz besonderer Weise anspricht.

Seit ich mit Mitte dreißig meine Faszination für das Werk von Katsushika Hokusai entdeckte, bin ich fest davon überzeugt, dass Hokusai einer der größten Maler nicht nur Japans, sondern weltweit ist. Vergleicht man ihn mit anderen europäischen Malern, die zur selben Zeit lebten wie er – also von der zweiten Hälfte des 18. Jh. bis zur ersten Hälfte des 19. Jh. – so gibt es eigentlich niemanden, der ihm gleichkommt, am ehesten vielleicht noch Goya. Er war in hohem Maße mit Energie und Genie gesegnet und hat uns in seiner siebzigjährigen Schaffensphase Werke in den unterschiedlichsten Stilrichtungen hinterlassen.
Hokusai wird in Deutschland allein als „Hokusai des Berges Fuji“ oder als „Manga-Hokusai“ rezipiert. Selbstverständlich halten ihn die meisten Menschen für einen großartigen Maler, aber der „Hokusai des Berges Fuji“ zum Beispiel war gerade einmal eine etwa eineinhalb Jahre währende kurze Schaffensphase des bereits über 70-Jährigen. Es ist daher schon viele Jahre lang mein Wunsch gewesen, den Menschen in Deutschland einmal das gesamte Werk von Hokusai zu präsentieren, angefangen bei den Werken in seinen Zwanzigern bis zu denen des 90-Jährigen. Allerdings besteht in Deutschland ein föderales System und anders als in Großbritannien mit London oder Frankreich mit Paris gibt es nicht den einen großen Ausstellungsort; auch sind nur wenige Bundesländer finanziell üppig ausgestattet. Während ich also, was meine Dienstorte anging, von Köln nach Japan und dann nach München wechselte, erreichte ich schließlich die Pensionsgrenze, ohne dass mein Wunsch nach dieser Ausstellung in Erfüllung gegangen war. Im Herbst 2008 aber bat man mich von Seiten der Zentrale der Japan Foundation, noch einmal in Berlin tätig zu werden. Ich gebe ehrlich zu, dass ich anfangs keine große Lust hatte. Aber nach einigem Überlegen kam mir das 150-jährige Jubiläum des Austausches zwischen Japan und Deutschland im Jahr 2011 in den Sinn. Und ich dachte an Gereon Sievernich, den Leiter des Martin-Gropius-Baus, mit dem ich seit dreißig Jahren befreundet bin – mit ihm würde es vielleicht klappen mit der Ausstellung. Aber auch wenn damals für mich der Entschluss feststand, eine Hokusai-Ausstellung in Berlin zu organisieren, war es anfangs doch bloß ein Traum. Nachdem ich zugesagt hatte, nach Berlin zu gehen, traf ich mich mit Nagata Seiji, dem führenden Experten der Hokusai-Forschung in Japan, und bat ihn um seine Unterstützung. Ich sagte ihm, dass ich mich um die Organisation sowie um die finanzielle Seite kümmern würde; ihm dagegen würde ich bei der inhaltlichen Gestaltung vollkommen freie Hand lassen. Dazu erklärte er sich gerne bereit. Nachdem ich im April 2009 nach Berlin gekommen war, dauerte es einige Zeit, bis die Fragen in Bezug auf die Finanzierung geklärt waren, aber im Juni letzten Jahres kamen dann die Verantwortlichen der Japan Foundation und des Martin-Gropius-Baus zusammen, um die Realisierung der Ausstellung offiziell zu besiegeln. Weil aber gerade einmal ein Jahr für die Vorbereitung zur Verfügung stand, war es dann noch wirklich eine harte Zeit. Normalerweise braucht man, um eine Ausstellung von diesem Umfang vorzubereiten, vier bis fünf Jahre.

Mit dieser Ausstellung geht also ein lang gehegter Wunsch Ihrerseits in Erfüllung. Was ist nun das inhaltlich Besondere an dieser Hokusai-Retrospektive?

Mit Herrn Sievernich und Herrn Nagata hatte ich vereinbart, dass nicht bereits bekannte und daher auch schon etwas abgegriffene Kollektionen aus Europa, sondern grundsätzlich Werke aus Japan, die sich in einem guten Zustand befinden, gezeigt werden sollten. Von den jetzt gezeigten 441 Exponaten stammen 429 aus Japan. Bei den übrigen zwölf handelt es sich einmal um zehn Exponate aus der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst in Berlin. Im letzten Jahr besuchte ich zusammen mit Herrn Nagata dieses Museum; dort stieß Herr Nagata auf die Erstausgaben der zehn Bände seines Skizzenbuches „Hokusai-Manga“. Von Museumsseite her war man sich gar nicht bewusst gewesen, dass es sich um Erstausgaben handelte. Es war wirklich eine Überraschung für uns, dass diese auch in Japan seltenen Erstausgaben hier in Berlin vollständig und in sehr gutem Zustand vorlagen. Es gelang uns dann, diese als Leihgaben zu erhalten. Ein weiteres Exponat ist ein Selbstporträt des 83-Jährigen. Es befindet sich im Besitz des Völkerkundemuseums in Leiden in den Niederlanden und ist ein weltweites Unikat. Man muss wissen, dass Selbstporträts in Europa ein Genre sind, dem man hier großes Interesse entgegenbringt. Und schließlich handelt es sich um das Werk „Nippon“ von Philipp Franz von Siebold, der als erster Hokusai in Europa bekannt gemacht haben soll. Es ist eine Leihgabe der Universität Bonn. Nur diese zwölf Exponate stammen aus europäischen Sammlungen, alle anderen kommen aus Japan.

Bei welchen Werken der Ausstellung empfehlen Sie persönlich, sie sich einmal ganz genau anzuschauen?

Eines ist das gerade genannte Selbstporträt des 83-Jährigen. Hokusai war von einem ungewöhnlichen Eifer erfüllt und meinte, bis 70 sei er nicht in der Lage gewesen, sich selbst in seinen Bildern auszudrücken. Daher wolle er bis 100 leben und die Geheimnisse der Malerei wirklich ergründen. Das Publikum sollte daher einmal genau hinschauen, was für ein Gesicht ein solcher Mensch mit 83 Jahren hatte. Parallel dazu sind uns Briefe überliefert, die Hokusai mit etwa 80 Jahren verfasst hat; in ihnen wird sein humorvoller Charakter deutlich.
Und dann eben auch die „36 Ansichten des Berges Fuji“. Es sind nicht alle 36 Bilder zu sehen, sondern nur 28, aber darunter sind alle, von denen ich finde, dass sie wirklich sehenswert sind. Ich mag besonders „Aoyama enza no matsu“ mit der schönen Form des Kiefernberges, „Koishikawa yuki no ashita“ mit der Schneeszenerie von Koishikawa oder das Bild „Bishu Fujimigahara“, das für sein Fass berühmt ist; aber auch „Koshu Mishimagoe“ mit der originellen Komposition des Baums genau in der Mitte oder „Totomi sanchu“ gefallen mir sehr. Die rund 50 Exponate, die uns der Bezirk Sumida in Tokyo, der Geburtsort von Hokusai, überlassen hat – darunter auch die berühmte „Große Welle vor Kanagawa“ – sind wirklich großartig und können wohl als Prunkstücke dieser Ausstellung bezeichnet werden.
Weniger bekannt ist, dass Hokusai auch die Illustrationen für den Roman „Chinzei Hachiro Tametomo gaiden Chinsetsu Yumiharizuki“ (Seltsame Geschichten unter dem Halbmond) von Takizawa Bakin gezeichnet hat. Dort findet man auch Bilder von Geistern, etwa von Oiwa. Daneben gibt es auch Bilder von Skeletten, die nach westlichen Vorlagen gezeichnet wurden, farbenprächtige Bilder von Kriegern oder die „Rundreise zu Wasserfällen aus den Provinzen“ mit ihren vom Wasser geprägten Stimmungen. Auch Porträts schöner Frauen, die Hokusai eher weniger zeichnete, kann man sehen. Und schließlich gibt es auch die fast sieben Meter lange, eigenhändig von ihm gemalte großformatige „Bildrolle mit Bergen und Wasser“, die in dieser Ausstellung in einer extra für sie angefertigten Vitrine zu sehen ist.

Auch bei der Gestaltung der Ausstellung hat man sich etwas ganz besonderes überlegt, nicht wahr?

So ist es. So wurde ein „Hokusai Manga-Saal“ eingerichtet, in dem man die „Hokusai Manga“ wie ein elektronisches Buch lesen kann. Die Audioguides (Englisch und Deutsch) enthalten zudem interessante Anekdoten, die den Besuchern helfen, ihr Verständnis für die Exponate zu vertiefen.
Daneben wird es im Rahmen von Präsentationen Nachdrucke der „Großen Welle vor Kanagawa“ geben, die die Druckerin des Adachi Institute for Preservation of Woodcut Paintings erstellt (am 27. und 28. August sowie am 3. und 4. September); und am 26. August gibt es zudem einen Vortrag von Herrn Nagata. Es besteht also ein umfangreiches Begleitprogramm u.a. auch für Kinder. Am 14. und 15. Oktober schließlich wird das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin noch ein Symposium über Hokusai und seine Zeit veranstalten.

Das ist wirklich ein vielfältiges Angebot. Nun bleibt nichts anderes übrig als auf die Eröffnung zu warten. Welche Botschaft möchten Sie zum Schluss den Leserinnen und Lesern noch mitteilen?

Im letzten Jahr zog die Frida Kahlo-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau die meisten Besucher an (rund 200.000 in drei Monaten). Für die Hokusai-Retrospektive hat Herr Sievernich 100.000 und ich habe 200.000 Besucher gewettet (lacht). Ich finde eben, dass es eine Ausstellung von großem Reiz ist.
Ich wünsche mir, dass das bisher in Deutschland vorherrschende Bild von Hokusai korrigiert wird und dass die Besucher erkennen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jh. und in der ersten Hälfte des 19. Jh. ein solch beeindruckender Künstler lebte. Zugleich sollen die Menschen auch den großen Reiz der Edo-Zeit, die jemanden wie Hokusai hervorgebracht hat, in vollem Umfang erfahren können. Es wäre schön, wenn möglichst viele Menschen hier in Deutschland, aber auch Japaner, die Ausstellung besuchen und Hokusai sowie Japan wiederentdecken könnten.

Interview und Arrangement: Masato Nakamura

Anmerkung:
Der vorliegende Beitrag erschien am 19.08.2011 in der Zeitschrift Doitsu News Digest (Nr. 881). Er wurde für Neues aus Japan ins Deutsche übersetzt.

 

Hokusai – Retrospektive im Rahmen der Veranstaltungsreihe „150 Jahre Freundschaft Japan und Deutschland“

Zeit: 26.08. – 24.10.2011
Ort: Martin-Gropius-Bau
Adresse: Niederkirchnerstr. 7, 10963 Berlin
Öffnungszeiten: 10.00 – 20.00 Uhr (dienstags geschlossen)
Eintrittspreise: 9 Euro (ermäßigt 6 Euro), Gruppen (ab 10 Pers.) 6 Euro, unter 16 Jahre Eintritt frei
www.gropiusbau.de


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