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Neues aus Japan Nr.96 November 2012

Rede von Premierminister Yoshihiko Noda

- anlässlich der Eröffnung des Asahi World Environment Forum 2012
in Tokyo am 15.10.2012

Foto: Amt des Premierministers       

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

mir wurde heute die Gelegenheit zuteil, Ihnen hier meine Überlegungen in Bezug auf die „Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft“ zu erläutern. Dafür möchte ich dem Verlag Asahi Shimbun sowie allen Beteiligten, die sich für die Realisierung dieser Veranstaltung engagiert haben, aufrichtig danken.

Die Erde: unser im dunklen All treibender wunderbarer Planet, gesegnet mit Wasser und Leben. Seit wir Menschen die Möglichkeit haben, diese Erde von außen zu betrachten, sind wir auch in der Lage, uns in hohem Maße der „Begrenztheit der globalen Umwelt“ bewusst zu werden.

Mit dem „Erdgipfel“ in Rio vor zwanzig Jahren streben wir nunmehr eine nachhaltige Gesellschaft an, bei der Wohlstand ohne Verknappung von Ressourcen und Energie erreicht werden kann und nicht mit einer Verschlechterung der globalen Umwelt einhergeht.

Japan ist sich der bestehenden großen Meinungsunterschiede innerhalb der internationalen Gemeinschaft durchaus bewusst, und trotzdem haben wir den Versuch unternommen, ein neues Konzept auf den Weg zu bringen. Es ist dies das Konzept eines „Niedrig-Karbon-Wachstums“, bei dem sich mittels Innovationen zur Verringerung der Kohlendioxydemissionen neue Möglichkeiten für wirtschaftliches Wachstum eröffnen.

Der Stromerzeugung mittels Kernkraft, die ohne den Ausstoß von Kohlendioxyd auskommt, kam dabei eine große Rolle als wichtiger Bestandteil des Konzeptes des Niedrig-Karbon-Wachstums zu. So war ursprünglich geplant, bis 2030 die Hälfte des in Japan produzierten Stroms mittels Kernkraft zu erzeugen.

Allerdings hat der Unfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi des Betreibers TEPCO in Bezug auf die bisher verfolgte Atompolitik dazu geführt, dass diese nun in hohem Maße in Frage gestellt wird. Heute möchte eine große Zahl der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land so rasch wie möglich eine Gesellschaft verwirklichen, die nicht von Kernkraft abhängig ist.

Wir müssen diesen Wunsch von Seiten zahlreicher Menschen in Japan ehrlich aufnehmen, zugleich aber auch eine stabile Energieversorgung sicherstellen und uns bei der Bekämpfung des Klimawandels engagieren. Der neue Lösungsweg für diese komplizierte Aufgabe, die einer „Gleichung mit mehreren Unbekannten“ ähnelt, ist die kürzlich von uns aufgestellte „Innovative Energie- und Umweltstrategie“. Diese Strategie sieht vor, den Betrieb von Atomreaktoren in den 2030er Jahren auf null zu bringen. Für dieses Ziel werden wir alle politischen Ressourcen einsetzen.

Selbstverständlich kann der Kurs der Förderung der Kernkraft, der schon bald nach dem Krieg eingeschlagen und über viele Jahre hinweg mit Nachdruck verfolgt wurde, nicht von heute auf morgen quasi im „Hauruck-Verfahren“ umgestoßen werden. Vielmehr müssen wir uns darum bemühen, sowohl das Verständnis der Kommunen und Regionen, die als Standorte der Anlagen dienen, als auch der Staatengemeinschaft zu erlangen. Zudem bestehen zahlreiche weitere Faktoren, die noch unklar sind, etwa die weitere Entwicklung der technischen Innovationen. Daher müssen wir diese schwierige und komplexe Aufgabe Schritt für Schritt in Angriff nehmen.

Wir dürfen vor dieser gewaltigen Aufgabe, vor der wir heute stehen, nicht die Augen verschließen, und wir dürfen auch nicht vor ihr davonlaufen und aufgeben. Vielmehr müssen wir das Ruder in Richtung Verwirklichung einer Gesellschaft, die nicht von Kernkraft abhängig ist, entschlossen herum legen und die Herausforderungen, die vor uns liegen, mit Nachdruck angehen. Dies ist es, worauf unsere neue Strategie abzielt.

Der Weg, den wir von nun an beschreiten müssen, liegt jetzt deutlich vor uns. Er besteht darin, einen Platz an der Spitze der Grünen Energie-Revolution einzunehmen und die Welt dabei anzuführen. Hierfür müssen wir die beiden Pfeiler „Verwirklichung einer Energiespar-Gesellschaft“ sowie „Ausweitung der Einführung erneuerbarer Energien“ entschlossen vorantreiben.
Auf der anderen Seite darf der Prozess der Umsetzung aber auch nicht dazu führen, das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger allzu sehr zu belasten.

Auch wenn der Weg deutlich vor uns liegt, wissen wir nicht, wie schwierig er sich gestaltet, solange wir ihn nicht wirklich beschreiten. Er mag durchaus holpriger sein als wir uns jetzt vorstellen, und er mag auch Fallen beinhalten. Aus diesem Grund müssen wir bei der Verwirklichung unserer Planungen zwar das Ziel entschlossen im Auge behalten, zugleich aber dieses auch immer wieder überprüfen und anpassen, um so möglichst flexibel auf eventuelle Veränderungen reagieren zu können.

Die Realisierung einer Gesellschaft, die dem Einsparen von Strom große Bedeutung beimisst, ist etwas, das wir besonders gut können – ja man kann sagen, es ist eine Spezialität Japans.

Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben in diesem Sommer eine schwierige Periode des Einsparens von Elektrizität gemeistert. Die Realisierung einer Stromspar-Gesellschaft kann jedoch nicht allein mit Hilfe persönlicher Einschränkungen wie dem Einstellen höherer Temperaturen bei Klimaanlagen oder dem Ausschalten der Beleuchtung bewerkstelligt werden. Vielmehr liegt die schöpferische Herausforderung vor uns, mittels technologischer Innovationen und einer Erneuerung des Städtebaus eine ganz neue Kultur im Hinblick auf Energie zu gestalten.

Die Verwendung hocheffizienter Beleuchtungstechnik wie LED-Birnen wird umfassend eingeführt werden. Die Verbreitung von Autos der nächsten Generation wird erheblich ausgeweitet werden. Die Standards für das Einsparen von Energie bei Wohn- und Bürogebäuden werden verschärft und entschlossen umgesetzt werden. Die einzelnen technischen Einrichtungen zum Energiesparen werden auch künftig weiterentwickelt werden. Zuvor aber müssen wir die Bereiche Haushalte, Gebäude und Infrastruktur sämtlich in einem gemeinsamen Netzwerk miteinander verknüpfen und den ehrgeizigen Ansatz verfolgen, mittels Nutzung von Informationstechnologien und Speicherbatterien ein Konzept der Energieeinsparung zu verwirklichen, das die „Stadt als Ganzes“ umfasst. Dieses Vorgehen wird mit dem Begriff „Smart Community“ umschrieben.

Es ist unser Ziel, die ganze Bevölkerung mit Unterstützung der Politik dafür zu mobilisieren, und mit dem großen Potential, das Japan als Ganzes besitzt, zum „weltweit führenden Land auf dem Gebiet des Energiesparens“ zu werden.

Nun möchte ich über die Ausweitung der Einführung erneuerbarer Energien sprechen.
In Japan besteht seit alters her die Einstellung, dem harmonischen Zusammenleben mit der Natur einen besonders hohen Stellenwert beizumessen. Die Menschen in unserem Land glauben, dass Pflanzen und Bäume beseelt sind, so dass sie sowohl den „Segen“ als auch die „Gefahren“ der Natur in Demut akzeptieren. Daher wurzelt das Vorgehen, auch den neuen Segen der Natur in Form von Energie aus der Mitte der Natur zu empfangen, in dem Weg, den Japan seit jeher traditionell beschreitet.

Der Segen der Sonne in Form ihrer Strahlen. Der Segen des Windes, der über dem Land und dem Meer weht. Der Segen der Erdwärme, die unter diesem Land mit seinen vielen Vulkanen schlummert. In unserem eigenen Land bieten sich uns zahlreiche Potentiale für natürliche Energien, die erschlossen werden können.

Damit die Ausweitung der Nutzung von Erdwärme gemeinsam mit der Natur beschleunigt wird, haben wir eine umfassende Regulierungsreform durchgeführt, um die praktische Anwendung in staatlichen und öffentlichen Naturparks zu erleichtern. Auch um die vergleichsweise kostengünstige Stromerzeugung mittels Windkraft zu fördern, werden derzeit die entsprechenden Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Umwelt gestaltet. Für Japan als maritimem Staat, der auf allen Seiten vom Meer umgeben ist, bietet auch die Nutzung der Windkraft auf dem Meer großes Potential. In Großbritannien wird derzeit ein ehrgeiziges Projekt vorangetrieben, bei dem 6.400 Windräder im Meer errichtet werden. Dem dürfen wir nicht nachstehen. In verschiedenen Küstenregionen werden bereits Probeanlagen errichtet, und die Regierung wird sich geschlossen dafür einsetzen, die Windkraft so rasch wie möglich praktisch umzusetzen und ihre Verbreitung zu fördern.

Als Infrastrukturrahmen zur Förderung der Einführung erneuerbarer Energien wurde ein System eingeführt, bei dem Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu Festpreisen abgenommen wird. Damit vielfältige private Investitionen in großem Umfang getätigt werden, die zu einer erheblichen Ausweitung der Stromproduktion führen und so die Potentiale der erneuerbaren Energien freisetzen, müssen wir alle dafür notwendigen Maßnahmen und Schritte umsetzen. Darüber hinaus müssen wir uns auch für den Ausbau und die stabile Entwicklung der Stromnetze einsetzen, die für die verstärkte Einführung der erneuerbaren Energien unerlässlich sind.

Bis Ende dieses Jahres werden wir einen „Umriss für grüne Maßnahmen“ erstellen, der die konkreten Schritte für eine umfassende Realisierung des Einsparens von Strom sowie für eine erhebliche Ausweitung der erneuerbaren Energien aufzeigen wird. Im Rahmen dieses neuen Systems wird auch die weitere Prüfung einen festen Stellenwert einnehmen. Auf diese Weise ist schon bald der Start einer Grünen Energie-Revolution möglich, mit der wir die Verwirklichung einer Niedrig-Karbon-Gesellschaft anstreben, wie sie weltweit einmalig ist.

Sowohl die umfassende Verwirklichung einer Energiespar-Gesellschaft als auch die Ausweitung der erneuerbaren Energien haben gemeinsam, dass der Schlüssel für ihre Realisierung in den Händen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger liegt.

Etwa ein Drittel des in Japan verbrauchten Stroms wird in den Haushalten konsumiert. Dies bedeutet, dass – unabhängig davon, welch ambitionierte Pläne die Regierung auch aufstellen mag – die Perspektiven für eine Energiespar-Gesellschaft in hohem Maße von dem Grad abhängen, in dem die Konsumenten das Einsparen von Strom in ihren Haushalten praktizieren können.

Im Vergleich zu den bestehenden Energiequellen bieten die erneuerbaren Energien den Nachteil, dass sie teurer sind. Auch ist die Versorgung noch nicht so stabil. Als Finanzierungsquelle für Ausgleichsmaßnahmen im Hinblick auf die unterschiedlichen Kosten bleibt uns nichts anderes übrig, als die Bürgerinnen und Bürger stärker zu belasten. Ich bitte alle Menschen in Japan um ihr Verständnis für diese Situation einschließlich des gerade genannten Punktes sowie um ihre Bereitschaft, diese schwierige Situation gemeinsam zu meistern. Wir brauchen eine entsprechende Haltung, um diese neue Energie-Gesellschaft aktiv zu gestalten.

Für die Kultur des „mottainai“, also des Vermeidens unnötiger Verschwendung, wird Japan in der ganzen Welt bewundert. Sie ist Ausdruck der Rücksichtnahme der Konsumenten in unserem Land auf die Natur sowie ihres hohen moralischen Standards. Diese Tradition wird ohne Zweifel eine wichtige Antriebsquelle für eine Grüne Energie-Revolution sein, die von den Menschen in Japan angeführt wird.

Japan wird sich mit all seiner Kraft für die Verwirklichung einer Energiespar-Gesellschaft sowie für die Ausweitung der erneuerbaren Energien einsetzen. Dafür werden wir einen Ansatz verfolgen, der das ganze Land umfasst. Aber trotz dieser Anstrengungen wird es eine schwierige Herausforderung bleiben, die Reduzierung der Kohlendioxydemissionen zu verwirklichen, die mit Hilfe des Einsatzes von Kernkraft vorgesehen waren.

Selbstverständlich wird Japan auch weiterhin zu seinem Beitrag für ein weltweites „Niedrig-Karbon-Wachstum“ stehen. Jedoch werden wir zusätzlich zu dem gerade genannten Engagement in Japan selbst auch den Export unserer führenden Umwelttechnologien in andere Länder aktiv fördern, etwa für energieeffiziente Stahlwerke oder Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen, damit auf diese Weise die Kohlendioxydemissionen weltweit weiter reduziert werden. Dem System der sogenannten Offset-Kredite auf bilateraler Ebene, mit dem Japan einen Beitrag zum Umfang der Reduzierungen leistet, kommt als Förderung unseres globalen Beitrags im Bereich der Umwelt eine wichtige Bedeutung zu. Wir möchten daher die entsprechenden Verhandlungen u.a. mit Indonesien und Vietnam beschleunigen.

Wir werden eine Grüne Energie-Revolution in Angriff nehmen, die ihren Ausgangspunkt in Japan hat. Dies ist eine Strategie, an der wir mit Nachdruck festhalten werden; und es ist eine große Aufgabe, die alle Bürgerinnen und Bürger von nun an übernehmen werden. Darüber hinaus stellt diese Revolution zudem einen internationalen Beitrag dar, der der Menschheit insgesamt eine bessere Zukunft erschließen wird. Dieses Engagement Japans werden wir der ganzen Staatengemeinschaft aufzeigen.

Lassen Sie uns diese Grüne Energie-Revolution gemeinsam in Angriff nehmen. Damit wir so rasch wie möglich eine Gesellschaft verwirklichen, die nicht länger von der Kernkraft abhängig ist. Und damit wir der ganzen Welt ein Beispiel geben können für ein Niedrig-Karbon-Wachstum, bei dem Wohlstand und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang stehen.

Vielen Dank.

 

 


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