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Neues aus Japan Nr.97 Dezember 2012

Persönlichkeiten des Austausches zwischen
Japan und Deutschland (6)

Max Dauthendey (1867-1918)

Foto: Wikipedia

 

Der Schriftsteller Max Dauthendey wurde 1867 in Würzburg geboren. Sein Vater war als junger Mann ins russische St. Petersburg ausgewandert und hatte dort die Daguerreotypie eingeführt, eine frühe Technik der Fotografie. Nach dem Tod seiner ersten Frau und einer zweiten Heirat kehrte der Vater 1864 nach Deutschland zurück, um sich in Würzburg eine neue berufliche Existenz als Fotograf aufzubauen. Hier wurde Max Dauthendey geboren. Obwohl er schon früh ausgeprägte künstlerische Neigungen erkennen ließ, erwartete der Vater doch, dass Max später als sein Nachfolger das Fotoatelier übernehmen sollte. So ging er nach dem Abschluss der Schule bei seinem Vater in die Lehre. Schließlich jedoch musste auch der Vater einsehen, dass Max nicht für den technisch-naturwissenschaftlich geprägten Beruf des Fotografen geeignet war, sondern vielmehr künstlerisch begabt war. Max eigener Berufswunsch, Maler zu werden, scheiterte am Widerstand des Vaters, der sich für seinen Sohn eine gesicherte berufliche Existenz wünschte.

1889 entzog sich Max Dauthendey dem zunehmend als einengend empfundenen Einfluss des Vaters, indem er für ein halbes Jahr bei Verwandten der Familie in St. Petersburg lebte. Dieser Aufenthalt in Russland bildete den Auftakt für eine Vielzahl von Reisen, die ihn zunächst in zahlreiche Länder Europas und schließlich in die ganze Welt führen sollten. 1891 erfolgte nach einer schweren Krankheit der endgültige Bruch mit dem Vater, als Dauthendey unvermittelt nach Berlin ging, um endlich seinen neuen Wunsch zu verwirklichen, Schriftsteller zu werden. In Berlin als dem kulturellen und künstlerischen Zentrum des damaligen Deutschlands fand er rasch Anschluss an die literarischen Kreise. So machte er u.a. Bekanntschaft mit den Dichtern Richard Dehmel und Stefan George. Erste Veröffentlichungen seiner impressionistischen Gedichte, die ihm die Bezeichnung „Farbendichter“ eintrugen, waren jedoch zunächst wenig erfolgreich und verlängerten die finanzielle Misere, die für weite Strecken seines Lebens kennzeichnend werden sollte. 1896 heiratete Dauthendey Annie Johanson, Tochter eines schwedischen Kaufmanns, die er bei einem Aufenthalt dort kennengelernt hatte. Das junge Paar lebte dann u.a. in Paris, von wo aus immer wieder Reisen in andere Länder unternommen wurden, z.B. auch nach Mexiko – stets mit Unterstützung von Freunden, Bekannten und Förderern.

Ende 1905 brach Max Dauthendey zu einer Weltreise auf, um sich auf diese Weise neue Anregungen für sein literarisches Schaffen zu holen. Das Geld dafür hatte er von Freunden und Gönnern erhalten. Diese Reise um die Welt führte ihn über Ägypten sowie Indien bis nach China und Japan sowie weiter in die Vereinigten Staaten. Die Erlebnisse und Eindrücke, die er dabei sammelte, bildeten die Grundlage für ein reiches literarisches Schaffen, das ihm endlich auch den lang ersehnten Durchbruch als Schriftsteller brachte. Das 1910 entstandene Drama „Spielereien einer Kaiserin“ war ein großer Erfolg, der ihm auch die Bekanntschaft von Robert Walser und Rainer Maria Rilke eintrug.

Besonders Japan, das er im April und Mai 1906 besuchte, hat einen nachhaltigen Einfluss auf Max Dauthendey ausgeübt. So meinte er in Bezug auf dieses Land, es sei für seine Frau und ihn das „Idealland zum Leben“. Auch diente ihm die Bühne des traditionellen Kabuki-Theaters, die er in Japan sah, als Vorbild für sein Konzept der „Plastischen Bühne“, das insbesondere das Merkmal des „Blumenweges“ (hanamichi) aufnahm, eine Nebenbühne an der Seite des Zuschauerraums, die zwischen Schauspielern und Publikum eine besondere Atmosphäre der Vertrautheit und Nähe schafft. Sein Bühnenkonzept stellte Dauthendey sogar dem bekannten Theaterregisseur Max Reinhardt in Berlin vor, der es jedoch nicht aufnahm. In der Nähe von Würzburg ließ er sich nach eigenen Plänen ein Haus im japanischen Stil, „ein Gartenpavillon mit Küchenhäuschen“ erbauen.

Insbesondere aber war Dauthendeys 1911 erschienene Novellensammlung „Die acht Gesichter am Biwasee“ das bedeutendste Produkt seines Aufenthaltes in Japan. Diese Geschichten gelten zugleich als ein Höhepunkt seines literarischen Werkes. Dabei ließ er sich von den „Acht Ansichten der Provinz Omi“ (Omi hakkei) inspirieren, die als besonders beeindruckende Szenerien landschaftlicher Schönheit in der Umgebung des Biwasees in der damaligen Provinz Omi (heute Präfektur Shiga) östlich von Kyoto galten. Ihren Ursprung hatten sie in den „Acht Ansichten von Xiaoxiang“ in der südchinesischen Provinz Hunan, die seit der Song-Dynastie (960-1279) bekannt waren und sich so großer Beliebtheit erfreuten, dass das Genre der „Acht Ansichten“ in der Malerei und Literatur schließlich auch nach Japan und Korea gelangte. In Japan waren die Omi hakkei die bekanntesten Ansichten, insbesondere nachdem der Ukiyo-e Künstler Utagawa Hiroshige (1797-1858) sie in den 1830er Jahren in Farbholzschnitten bekanntgemacht hatte. Damit war ihm ein so großer Erfolg beschieden, dass er insgesamt rund zwanzig verschiedene Serien der Omi hakkei schuf.
Diese Vorlage nun diente Dauthendey für acht Geschichten, in denen er mythenhafte Begebenheiten schildert und wo es scheint, als würden die handelnden Figuren stets von einer höheren Macht gelenkt. Dabei ging es ihm keineswegs darum, den Lesern einen Einblick in das reale Leben und Fühlen der Menschen im Japan um 1900 zu vermitteln. Vielmehr zeichnet er Japan als ein exotisches Märchenland, das im Stil des literarischen Impressionismus Schauplatz beeindruckender Naturstimmungen ist. Es wird deutlich, dass Dauthendey mit dem von ihm beschriebenen Japan einen fernen Zufluchtsort erstehen ließ, den er dem vom rationalen Denken beherrschten Europa gegenüberstellte. Nichtsdestotrotz sind die „Acht Geschichten am Biwasee“ eines der wenigen Zeugnisse in der deutschen Literatur dafür, wie Deutsche das Japan zur Meiji-Zeit erlebt haben, als das Land im Verlauf seiner Modernisierung einen umfassenden Wandel erfuhr.

Nach dem Erfolg seiner ersten Reise brach Max Dauthendey im Frühjahr 1914 zu einer zweiten Weltreise auf, die ihn über das Mittelmeer, Arabien und Singapur bis zur damaligen deutschen Kolonie auf Neuguinea führte. Dort wurde er vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht, der ihm die Rückkehr nach Europa verwehrte. Im August 1918, kurz vor Ende des Krieges, ist er, geschwächt durch Krankheit und Heimweh, auf Java im heutigen Indonesien gestorben.

Auch wenn sein Werk heute leider zum größten Teil in Vergessenheit geraten ist, werden zumindest die „Acht Gesichter am Biwasee“ doch immer wieder neu aufgelegt. Diese Geschichten vermitteln dem Leser das Bild eines Japans als magischen Sehnsuchtsort, der – gerade wegen seiner imaginierten Schilderung – auch heute nichts von seiner Faszination verloren hat. Als vielleicht wichtigstes Werk des innerhalb der deutschen Literatur eher wenig bekannten Exotismus legen die „Acht Gesichter am Biwasee“ noch heute eindrucksvoll Zeugnis von der kurzen aber fruchtbaren Begegnung eines deutschen Schriftstellers mit Japan ab.

 

Verwendete Quellen:

Sieben Welten nahmen mich auf. Lebensbild Max Dauthendeys mit Dokumenten aus dem Nachlass, Berlin 1990.

Masaharu Oba: Max Dauthendey und seine „Plastische Bühne“ nach dem Vorbild asiatischer Theaterhäuser, Nagoya o.J.

Die acht Gesichter am Biwasee, in: japanliteratur.net

 

 


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