
Bild: Teilnehmer des ersten Forums über japanisch-chinesische Drittmarkt-Kooperationen (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Im Rahmen des Chinabesuchs von Premierminister Shinzo Abe Ende Oktober dieses Jahres stand neben Zusammenkünften mit führenden Vertretern der chinesischen Seite eine Vielzahl weiterer Veranstaltungen auf dem Programm. Eine davon war die erste Zusammenkunft des Forums über japanisch-chinesische Drittmarkt-Kooperationen mit rund 1.500 Teilnehmern, unter ihnen auch führende Wirtschaftsvertreter aus Japan und China. Im Rahmen des Forums wurden insgesamt 52 Absichtserklärungen für eine Zusammenarbeit in Bereichen wie Infrastruktur, Logistik, IT, Gesundheitsversorgung sowie Finanzen u.a. zwischen dem öffentlichen Sektor, Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in beiden Ländern unterzeichnet. In seiner Rede bezeichnete Premierminister Abe dieses Forum als einen „historischen Wendepunkt“ in der Geschichte der bilateralen Beziehungen; es sei nun an der Zeit, dass „Japan und China gemeinsam einen Beitrag für die Welt leisten.“ Nachfolgend die Rede des Premierministers.

Bild: Premierminister Abe während seiner Rede (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Sehr geehrter Herr Premierminister Li Keqiang,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zur Veranstaltung dieses Forums über die japanisch-chinesische Zusammenarbeit in Drittmärkten.
Japan und China haben sich über den langen Zeitraum von mehr als einem Jahrtausend hinweg immer wieder gegenseitig beeinflusst. Im 5. Jahrhundert gelangten chinesische Schriftzeichen als erste Schriftzeichen überhaupt nach Japan. Der im 6. Jahrhundert übernommene Buddhismus hat auf das Denken der Japaner einen großen Einfluss ausgeübt. Und durch die offiziellen Gesandtschaften ins China der Sui- sowie Tang-Dynastie im 8. Jahrhundert lernte Japan das chinesische Gesellschaftssystem sowie die Anlage von Städten kennen. China war über lange Zeit hinweg Vorbild für Japan.
Noch heute lernen japanische Oberschüler im Rahmen des Japanischunterrichts Kambun, d.h. klassisches Chinesisch. Ich denke, dass auch unter den hier Anwesenden viele sind, die sich als Schüler damit schwer getan haben. Allerdings bedeutet die große Tiefe der klassischen chinesischen Sprache eine Bereicherung für das Japanische, und ich persönlich glaube, dass man auch heute noch viel von Kambun lernen kann.
Im 19. Jahrhundert nahmen die Japaner westliche Technologien auf und verwendeten die in China entstandenen Schriftzeichen für die Übersetzung westlichen Denkens. Begriffe wie „Tetsugaku“ (Philosophie) oder „Keizai“ (Wirtschaft), die damals neu geschaffen wurden, traten dann den umgekehrten Weg nach China an und sind bis heute Bestandteil der chinesischen Sprache.
In den 1980er Jahren war es Japan, das China als erstes seine Unterstützung zuteil werden ließ. Die japanische Regierung und Unternehmen aus meinem Land tätigten Investitionen und trieben zusammen mit den Menschen in China die Modernisierung dieses Landes voran. Dass wir heute die Gestalt des entwickelten Chinas betrachten können, erfüllt auch die Menschen in Japan mit Stolz.
Nun ist es an der Zeit, dass das entwickelte China und Japan endlich gemeinsam einen Beitrag für die Welt leisten.
Es ist mir eine große Freude, heute zusammen mit Premierminister Li und Ihnen allen an diesem Ort zu sein, der einen historischen Wendepunkt darstellt.
Die Hauptakteure der japanisch-chinesischen Kooperation sind die Unternehmen. Heute sind hier in der Großen Halle des Volkes mehr als eintausend führende Vertreter von Unternehmen aus beiden Ländern zusammengekommen. Dies kann wahrlich als eine ganz besondere Versammlung bezeichnet werden, die einen festen Platz in der Geschichte haben wird. Aus diesem Anlass wurden von den hier versammelten Vertretern von Unternehmen und beteiligten Institutionen aus Japan und China über fünfzig Kooperationsvereinbarungen unterzeichnet. Sie reichen von Infrastruktur über Logistik bis hin zu Gesundheitsversorgung oder Finanzen – sämtlich Bereiche, von denen man sich neue Potentiale erhofft. Heute öffnet sich der Vorhang für wahrlich neue japanisch-chinesische Beziehungen.
Unser Kontinent Asien ist das Wachstumszentrum der Welt. In Asien besteht bis 2030 eine Nachfrage nach Infrastrukturmaßnahmen in Höhe 1,7 Bill. Dollar pro Jahr. Dagegen belaufen sich die tatsächlichen Investitionen auf gerade einmal 900 Mrd. Dollar. Darüber hinaus gestaltet sich innerhalb Asiens mit seiner großen Vielfalt auch das wirtschaftliche Umfeld sehr vielfältig. Indem die Gepflogenheiten vor Ort und die internationalen Regeln angenommen werden, werden – entsprechend der von den Konsumenten vor Ort nachgefragten Qualität und der Kosten – zusammen mit den heimischen Arbeitskräften Projekte vorangetrieben, ohne dabei das vernünftige Maß aus den Augen zu verlieren. Überall stehen Unternehmen vor den unterschiedlichsten Herausforderungen. Es wird nicht leicht sein, diese riesige Nachfrage und die verschiedensten Aufgaben durch Unternehmen eines einzigen Landes in Angriff zu nehmen.
Sie alle, die Sie hier versammelt sind, verfügen über jeweils eigene hervorragende Fähigkeiten. Die Unternehmen unserer beiden Länder stehen nicht nur im Wettbewerb untereinander; sie werden darüber hinaus – indem sie ihre Potentiale zusammenlegen und kooperieren – ihre Fähigkeiten so verbessern, dass sie sowohl der Nachfrage als auch den Aufgaben gerecht werden können. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich Infrastruktur bei der Stromversorgung. Hier sind in zahlreichen Ländern umfangreiche Investitionen erforderlich, und Unternehmen aus Japan und China stehen hier in einem heftigen Wettbewerb untereinander. In jüngster Zeit hingegen sind auch Beispiele zu erkennen, dass Unternehmen aus beiden Ländern ihre jeweiligen Stärken wie technologische Fähigkeiten, wettbewerbsfähige Preise oder Netzwerke zusammenführen und gemeinsam Projekte vorantreiben. Vorhin wurden einige Erfolgsbeispiele im Rahmen einer Panelveranstaltung von Unternehmensvertretern vorgestellt. In Zukunft dürfte der Aufbau einer qualitativ hochwertigen Infrastruktur zur Stromversorgung einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung vor Ort leisten.
Es sollte nicht vergessen werden, dass beim Vorantreiben dieser Kooperation eine gemeinsame Denkweise, d.h. eine Grundlage erforderlich ist. Es ist von großer Bedeutung, bei Investitionen in die Infrastruktur Projekte ins Leben zu rufen, die den internationalen Standards in Bezug auf Offenheit, Transparenz, Wirtschaftlichkeit sowie finanzieller Belastungsfähigkeit der betreffenden Länder entsprechen.
Ein Beispiel: Thailand treibt derzeit ein regionales Entwicklungsprojekt namens Eastern Economic Corridor (EEC) voran. Heute haben Unternehmen aus Japan, China und Thailand ein Projekt zur Entwicklung einer Smart City in diesem EEC ins Leben gerufen. Dieses Projekt umfasst Planungen zur Schaffung einer Infrastruktur, die von jedermann genutzt werden kann, sowie den Aufruf an internationale Unternehmen, sich hier in großer Zahl niederzulassen. Dadurch werden Offenheit und Transparenz sichergestellt.
1999 wurde ein Projekt zur Erneuerung von Raffinerien in Kasachstan ins Leben gerufen. Anfangs waren damit – mit Kapital aus Japan – japanische Unternehmen betraut. In den zwölf Jahren von der Übergabe im Jahr 2006 bis heute wurde so eine qualitativ hochwertige Infrastruktur geschaffen, die tadellos funktioniert. Im 2009 gestarteten zweiten Abschnitt kam die Unterstützung von Seiten der chinesischen Regierung hinzu; sie stellte in der schwierigen Phase nach dem Lehman-Schock Risikokapital bereit und griff Kasachstan so unter die Arme. Und seit dem dritten Abschnitt, der 2011 begann, wirken japanische und chinesische Unternehmen Hand in Hand zusammen und stellen sich als starkes Team allen Herausforderungen. Finanzinstitutionen aus den Regierungssektoren beider Länder sowie auch private Finanzinstitute stellen finanzielle Unterstützung bereit, so dass dieses Projekt ein erfolgreiches Beispiel für die Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit sowie finanziellen Tragfähigkeit bildet.
Dieser Erfolg in Kasachstan wird künftig auf die ganze Welt ausgeweitet werden. Unternehmen aus Japan und China werden auf der Grundlage dieser Erfahrung einen Beitrag für eine weltweite nachhaltige Entwicklung leisten.
Derartige Projekte, die internationalen Standards entsprechen, sind in hohem Maße kosteneffizient und zeichnen sich darüber hinaus durch große Nachhaltigkeit aus. Mithilfe des so erworbenen guten Rufs werden sich in dem betreffenden Land bzw. in anderen Ländern weitere Chancen für Kooperationen und Investitionen ergeben. Auch internationale Finanzinstitutionen wie etwa die Asian Development Bank sowie private Investoren können dadurch leichter miteinander kooperieren. Dies ist sowohl für Unternehmen aus Japan und China als auch für das Drittland, das von der Kooperation profitiert, wünschenswert.
Indem japanische und chinesische Unternehmen, den internationalen Standards entsprechend, nachhaltige Wirtschaftsprojekte vorantreiben, können sie als Vorbilder für andere Länder dienen. Ich möchte Sie alle bitten, dieses Engagement in Japan und China zu unterstützen. Ich habe gehört, dass auch die chinesische Regierung sich bezüglich internationaler Standards wie Offenheit und Transparenz mit Blick auf qualitativ hochwertige Infrastruktur geäußert hat und fühle mich dadurch sehr ermutigt.
Eingangs habe ich Ihnen hier ein Beispiel vorgestellt, dass unter Verwendung der in China geschaffenen Schriftzeichen in Japan entwickelte Begriffe anschließend wieder zurück nach China gelangten. Tatsächlich werden solche Begriffe nicht allein in Japan und China verwendet. In Vietnam zum Beispiel werden diese Wörter ebenfalls gebraucht. Bedeutet das nicht, dass bereits seit dem 19. Jahrhundert Japan und China Drittmarkt-Kooperationen unterhalten?
Diese Entwicklung haben nicht die Regierungen erzwungen, vielmehr ist sie in Form einer Verschmelzung chinesischer Schriftzeichen, die damals internationaler Standard waren, mit westlicher Kultur ganz natürlich entstanden.
Das heutige Forum ist ein Startpunkt. Japan und China sollten nun zusammenwirken und in Übereinstimmung mit internationalen Standards Win-win-win-Projekte ins Leben rufen, die auch für Dritte von Nutzen sind. Auch meine Regierung möchte gemeinsam mit der chinesischen Regierung solche Projekte mit großem Nachdruck fördern.
Es ist meine große Erwartung, dass Sie, die Sie heute hier zusammengekommen sind, als Vertreter japanischer und chinesischer Unternehmen durch die Diskussionen im Rahmen dieses Forums weitere wirtschaftliche Aktivitäten hervorbringen sowie dass unsere beiden Länder gemeinsam einen großen Beitrag für die Entwicklung der Weltwirtschaft leisten. Ich möchte meine Rede mit der Hoffnung beschließen, dass immer mehr Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit entstehen mögen.
Vielen Dank.