Botschaft von Japan

Kultur

Traditionelle Fertigkeiten, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden

Die Kultur des alten Tokyo wird bis auf den heutigen Tag bewahrt und weiter überliefert, ohne dass sie dabei an Glanz einbüßt – dies stellt die Welt des Kunsthandwerks eindrucksvoll unter Beweis. Wir laden Sie ein zu einem Besuch bei zwei zeitgenössischen Künstlern, die Tradition mit neuen künstlerischen Empfindungen verknüpfen und so dazu beitragen, dass die Fertigkeiten und die Empfindsamkeit derjenigen, die diese Kultur überliefert haben, weiterleben. (Fotos: Chiharu Ito)

江戸切子 Edo Kiriko

Im Atelier, in dem die Farbe Weiß dominiert, reiht sich eine Werkbank an die nächste. An einer dieser Bänke sitzt Toru Horiguchi und hält ein Glas gegen einen rotierenden Schleifstein. Sobald das Glas mit dem Schleifstein in Berührung kommt, wird die farbige Oberfläche abgeschliffen und hell glänzendes Licht scheint von innen her durch das Glas.

Edo kiriko ist eine Art geschliffenes Glas – ein traditionelles Kunsthandwerk, das in Tokyo von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dieses Glas ist bekannt für seine leuchtenden Farben und prächtigen Muster. Unter den zahleichen Varianten sind Horiguchis Arbeiten besonders eindrucksvoll: Die Muster sind nicht übermäßig dekorativ und erscheinen auf den ersten Blick eher schlicht, aber dahinter verbirgt sich eine erstaunlich feine Präzision. Wer eines seiner Gläser in die Hand nimmt, ist sofort überrascht von der großen Liebe zum Detail.

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Bild: Toru Horiguchi wurde 1976 in Tokyo geboren. Seine Werke sind auch auf Ausstellungen im Ausland zu sehen. „Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen den Charme von Edo kiriko Kristallglas entdecken.“

Horiguchis edler Stil wird selbst von Leuten, die nicht aktiv in die Kunst des Glasschleifens involviert sind, hoch gelobt. So ist er auch an zahlreichen Projekten beteiligt, die keine direkte Verbindung zur Herstellung von Gläsern haben, wie zum Beispiel die Innenausstattung von Hotels oder das Anfertigen von Schmuck.

Indem er Werke kreiert, die über die Grenzen von Edo kiriko hinausgehen, hat Horiguchi seinem Kunsthandwerk neuen Auftrieb gegeben. Nichtsdestoweniger steht bei seiner künstlerischen Sichtweise die Tradition überraschenderweise im Mittelpunkt.

„Wenn man die Seele von etwas wirklich kennenlernen will, muss man dessen Geschichte studieren. Wenn ich einmal etwas mehr Zeit habe, möchte ich über Edo kiriko forschen, das vor langer Zeit hergestellt wurde.“

Mit jugendlicher Energie graviert dieser Künstler neue Traditionen in Glas ein.

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Bild: Oben: Die verschiedenen Elemente in dieser Hotellounge kreieren Motive, die in hohem Maße vom kiriko Kristallglas dominiert werden. Man beachte den Licht und Schatten-Effekt, der durch die ineinander verwobenen Formen entsteht. Oben rechts: Die Lampen über der Theke bestehen aus Glasscheiben, die von Toru Horiguchi einzeln gefertigt wurden. (Kiriko Lounge, Tokyu Plaza Ginza; Foto: Nacasa & Partners Inc.) Unten rechts: Mit kikuka-mon (einem traditionellen Chrysanthemen-Wappen) dekorierte Gläser. Ob man eines dieser Gläser in die Hand nimmt, eine Flüssigkeit hineinfüllt oder einfach gegen das Licht hält – jedes Mal sind andere Licht- und Farbeffekte zu beobachten.

紋章上絵 Monsho uwa-e

In japanischen Familien wird eine besondere Form von monsho (Wappen) von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die an Symbole erinnernden Designs der Wappen zeugen vom Status und der Abstammung der Familien und schmücken beispielsweise Kimonos sowie persönliche Gegenstände. Monsho uwa-e sind Wappen, die von Hand auf Kimonos aufgemalt werden. Shoryu Hatoba ist in dritter Generation ein Meister dieser Kunst und folgt damit dem Pfad, den sein Großvater einst einschlug. Dabei ist er stets bemüht, neue Wege zu finden und verwendet Wappendesigns unter anderem auch für Inneneinrichtungen, Produktlogos und vieles mehr. Eine seiner Innovationen war die Verwendung eines Computers zur Erstellung von Designs.

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Bild: Shoryu Hatoba malt ein Wappen auf einen Kimono und verwendet dafür einen speziell angefertigten bun-mawashi Kompass aus Bambus. In seiner Werkstatt gehen präzises Handwerk aus einer früheren Zeit sowie digitale Technologien eine neue Verbindung ein.

„Die Linien der Wappen bestehen in der Regel aus Bögen“, erläutert er. „Alles beruht auf mathematischen Grundlagen, und ein Computer eignet sich dafür hervorragend.“

Auf dem Computerbildschirm werden Kreise mit zahlreichen anderen Kreisen kombiniert; so entstehen neue Linien, die es bisher nicht gab. Trotz der Verwendung fortschrittlicher Technologien zeigen seine Wappen nach wie vor eine echte Wertschätzung für den traditionellen Sinn für Schönheit in Japan. „Welche Interaktion entsteht, wenn Tradition und Innovation miteinander verschmelzen? Ich bin jedes Mal neugierig gespannt, wenn ich darüber nachdenke.“

Für die heutigen Japaner besitzen Familienwappen oft ein formales und eher steifes Image. Hatoba aber möchte diese Wappen auch in den Mainstream des heutigen Alltagslebens einführen. Die Herausforderung besteht für ihn darin, eine altehrwürdige Tradition zu bewahren und gleichzeitig nach einem Platz für Familienwappen in unserer heutigen Zeit zu suchen.

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Bild: Oben: Die masu genannte hölzerne Trinkschale in der zweiten Reihe ganz rechts trägt das Kiri-mon (Paulownien-Wappen) der japanischen Regierung auf ihrer linken Seite und das Aoi-mon (Malven-Wappen) der Familie Tokugawa auf der rechten Seite. Unten links: Das Moncho ist ein Nachschlagewerk für traditionelle Familienwappen. Unten rechts: Auf dem Computerbildschirm ist eine Vielzahl von Kreisen zu sehen. Nur einige wenige Bögen werden schließlich ausgewählt und als Linien für fantasievolle Wappen verwendet.

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