Rede von Premierminister Abe beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos am 23. 01. 2019

Bild: Premierminister Abe während seiner Rede (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Vielen Dank, Herr Professor Schwab,
und ja, es sind fünf Jahre, seit ich das letzte Mal hier wahr. Ich freue mich, dass ich wieder da bin.
Am 26. Dezember 2012 übernahm ich erneut das Amt des Premierministers. Damals erblickten wir in meinem Land eine hohe Wand, auf der viele „die Schrift sahen“ und dachten, Japans Schicksal sei besiegelt. Die Zahl der Einwohner sank. Die Überalterung der Bevölkerung schritt voran. Deshalb kann es kein Wachstum geben – so lauteten die Argumente. Es war eine Wand der Hoffnungslosigkeit, eine Wand des Pessimismus.
Seitdem ist der Umfang der Erwerbsbevölkerung um 4,5 Mio. Menschen zurückgegangen. Darauf haben wir geantwortet, indem wir mit Nachdruck die „Womenomics“ gestartet und - während die Belastung für die Frauen verringert wurde - immer mehr Frauen dazu ermuntert haben, eine Arbeit aufzunehmen.
Den Defätismus besiegt
Als Ergebnis haben wir nun zwei Millionen Frauen mehr – ich wiederhole: zwei Millionen Frauen mehr – in Beschäftigung. Der Anteil der berufstätigen Frauen hat 67 Prozent erreicht, der höchste Wert, der jemals in Japan gemessen wurde und höher als beispielsweise der entsprechende Wert in den Vereinigten Staaten. Mittlerweile hat auch die Zahl der Menschen über 65 Jahre, die nach wie vor berufstätig sind, ebenfalls um zwei Millionen zugelegt. Dies ist unseren Maßnahmen zu verdanken, die es diesen älteren Menschen ermöglichen, weiter zu arbeiten. Auf jeden Arbeitssuchenden kommt heute mehr ein Arbeitgeber, der eine freie Stelle besetzen will, und diese Situation ist im ganzen Land dieselbe – etwas, was es zuvor nie gegeben hat. Von 100 Universitätsabsolventen finden heute 98 einen Arbeitsplatz; auch dies ist ein Rekordwert.
Die Unternehmen haben auf diese Situation reagiert, indem sie Löhne und Gehälter in den letzten fünf Jahren jeweils um zwei Prozent angehoben haben, der höchste Anstieg seit Beginn dieses Jahrhunderts. Als Ergebnis dessen ist Japans BIP in den sechs Jahren meiner Amtszeit um 10,9 Prozent gewachsen und hat um 490 Mrd. Dollar zugenommen. Ein positiver Kreislauf, auf den wir lange gewartet haben, hat sich nun etabliert, bei dem Wachstum bei Beschäftigung und Einkommen mehr Nachfrage erzeugen und dies wiederum zu neuer Beschäftigung führt. Damit unser Wachstum langfristig ist, rufen wir zu weiteren Investitionen auf, die dann erneut zur Ausweitung der Produktivität führen. Vor kurzem haben wir ein neues Gesetz verabschiedet, mit dem in den kommenden fünf Jahren bis zu 340 Tsd. ausgebildete Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Japan eingeladen werden.
Wie steht es mit der Kluft zwischen Arm und Reich? Während meiner Amtszeit ist der Anteil der Kinder, die in Armut leben - eine Quote, bei der zuvor nie ein Rückgang verzeichnet wurde – zum ersten Mal gesunken und zwar ganz erheblich. Vor dem Beginn meiner Regierung besuchten nur 24 Prozent der Oberschulabsolventen aus alleinerziehenden Haushalten eine Universität. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass dieser Anteil mittlerweile auf 42 Prozent gestiegen ist. Er wird weiter zunehmen, da wir ab Oktober dieses Jahres unser Programm für kostenfreie Bildung ausweiten werden.
Wir vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich nicht, sondern wir verkleinern sie. Die Hoffnungslosigkeit wurde von einer erneuerten Hoffnung überwunden. Hoffnung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der wichtigste Faktor für Wachstum. Ein alterndes Land kann als eine „von der Hoffnung angetriebene Wirtschaft“ nach wie vor wachsen. Erlauben Sie mir hier eine feierliche Erklärung. Der Defätismus, von dem Japan befallen war, ist nun besiegt.
Osaka Track für Data Governance
Im kommenden Juni wird Japan in Osaka als Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels auftreten. Lassen Sie uns dies als Chance nutzen, um den Optimismus für die Zukunft wiederzuerlangen, der uns die Zuversicht vermittelt, dass eine von der Hoffnung angetriebene Wirtschaft möglich ist.
Wie immer werden wir bei diesem Gipfeltreffen ein breites Spektrum von Themen behandeln. Heute möchte ich mich auf zwei wichtige Themen – nur zwei – konzentrieren.
Erstens möchte ich, dass der G20-Gipfel in Osaka als die Zusammenkunft in Erinnerung bleibt, auf der die weltweite Data Governance gestartet wurde. Lassen Sie den G20-Gipfel von Osaka einen neuen Weg (Track) erschließen, mit dem wir auf das Thema Data Governance schauen – unter dem Dach der WTO – und lassen sie uns diesen Weg Osaka Track nennen.
Die Zeit dafür ist nun reif, meine Damen und Herren, da wir alle wissen, dass in den kommenden Jahrzehnten digitale Daten als Antrieb unserer Wirtschaft fungieren werden. Wir sollten besser jetzt handeln, denn an jedem einzelnen Tag entstehen über 2,5 Trillionen Bytes an neuen Daten; das ist einer Schätzung zufolge soviel wie das 250.000-Fache des gedruckten Materials der US-Kongressbibliothek. Eine Verzögerung von einem Jahr bedeutet, dass wir Lichtjahre hinterher hinken werden. Auf der einen Seite müssen wir unsere persönlichen Daten sowie die Daten, die unser geistiges Eigentum, unsere nationale Sicherheit usw. bilden, sorgfältig schützen. Auf der anderen Seite müssen wir den freien Fluss von medizinischen, industriellen, verkehrsbezogenen und weiteren äußerst nützlichen nicht-persönlichen und anonymen Daten grenzüberschreitend – ich wiederhole: grenzüberschreitend –ermöglichen.
Das System, das wir dafür errichten müssen, ist ein sogenannter D.F.F.T. (Data Free Flow with Trust) – selbstverständlich sprechen wir hier von nicht-persönlichen Daten. Es sind nicht die großen kapitalintensiven Industrien, sondern vielmehr wir selbst, die von der Vierten Industriellen Revolution und der von dieser Revolution hervorgebrachten „Societey 5.0“, wie wir sie nennen, profitieren werden.
In der Society 5.0 ist es nicht länger Kapital, sondern es sind Daten, die alles mit jedem verbinden sowie antreiben und somit helfen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen. Dienstleistungen in Medizin und Bildung – von der Grundschule bis zur beruflichen Ausbildung – werden Einzug in die kleinen Dörfer Afrikas südlich der Sahara halten. Mädchen, die die Hoffnung schon aufgegeben haben, jemals zur Schule gehen zu können, werden über ihr Heimatdorf hinaus einen weiten Horizont erblicken, der nur vom blauen Himmel begrenzt wird.
Unsere Aufgabe ist klar: Wir müssen Daten in ein wichtiges Instrument zur Überwindung der Kluft verwandeln.
Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge und Robotik – die von Daten angetriebene Society 5.0 wird eine neue Realität für die Städte schaffen. Unsere Städte werden für alle möglichen Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft lebenswerter werden.
Vor fünf Jahren habe ich ein Versprechen abgegeben, das bis heute gilt: dass ich weiterhin als ein Bohrkopf tätig bin, der sich durch veraltete Regulierungen bohrt, um sie zu reformieren. Der Motor für Wachstum wird, wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, nicht von Benzin, sondern immer mehr von digitalen Daten angetrieben. Wenn wir sagen, dass die WTO reformiert werden muss, denken wir noch immer an Güter, etwa Agrarprodukte und andere Waren, für die Entfernungen und Grenzen eine Rolle spielen. Wir müssen die neue Realität erst noch erkennen, in der Daten alles antreiben und in der D.F.F.T. (Data Free Flow with Trust) ganz oben auf der Agenda unserer neuen Wirtschaft stehen sollte. In gewissem Sinn ist dies alles ein Déjà-vu. Als John D. Rockefeller sein Unternehmen Standard Oil gründete, wusste niemand, was man mit Benzin anfangen kann. Es wurde in den nahegelegenen Cuyahoga-Fluss geleitet, wo es oft Brände verursachte. Es brauchte drei bis vier Jahrzehnte, bis die Menschheit den Wert von Benzin erkannte. Als das 20. Jahrhundert gerade einmal zwanzig Jahre alt war, trieb Benzin Autos an und ließ Flugzeuge in den Himmel aufsteigen.
Und mit den Daten ist es genau dasselbe. Um 1995 begannen wir das Internet in großem Maßstab zu nutzen, aber es brauchte fast zwanzig Jahre bis ins 21. Jahrhundert hinein, bis wir herausfanden, dass Daten unsere Wirtschaft antreiben. Warum starten wir nun nicht den Osaka Track und machen ihn zu einem sehr schnellen Weg? Es wäre wunderbar, wenn jeder einzelne von uns, von den Vereinigten Staaten, Europa, Japan, China und Indien bis hin zu den rasch aufstrebenden afrikanischen Staaten, an unserem Engagement und unseren Erfolgen teilnehmen und in der WTO einen frischen Wind wehen lassen könnte.
Revolutionäre Innovationen für den Klimawandel
In Osaka – dies ist nun der zweite Punkt, meine Damen und Herren, möchte ich den Fokus in hohem Maß darauf richten, was Innovationen bewirken können und wie wichtig diese in Bezug auf den Kampf gegen den Klimawandel sind, weil – und dies ist ein bedeutungsvolles „weil“ – wir etwas wirklich Revolutionäres brauchen. Um uns daran zu erinnern, hat der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten „1,5 Grad-Bericht“ mitgeteilt, dass die weltweit von Menschen verursachten Kohlendioxyd-Emissionen um das Jahr 2050 herum „in der Summe bei Null“ liegen müssten; das bedeutet, dass alle dann noch vorhandenen Emissionen dadurch ausgeglichen werden müssen, indem man der Luft Kohlendioxyd entzieht.
Wir müssen in großer Zahl umwälzende Innovationen einführen, bevor es zu spät ist. Kohlendioxyd, meine Damen und Herren, könnte die beste und am einfachsten zur verfügende stehende Ressource für vielfältige Zwecke sein. Da gibt es z.B. künstliche Fotosynthese, bei der eine wegweisende Entdeckung in Bezug auf die Fotokatalyse von Akira Fujishima, einem japanischen Forscher, gemacht wurde. Eine bereits ältere Technologie der Methanisierung zieht erneut Aufmerksamkeit auf sich als Verfahren zur Beseitigung von Kohlendioxyd. Es ist nun an der Zeit, über CCU nachzudenken, also über die Abscheidung von Kohlendioxyd und seine Verwendung. Wasserstoff, der nicht allein eine primäre Energiequelle, sondern – was noch wichtiger ist – ein Energieträger ist, muss billiger und noch leichter zugänglich gemacht werden. Meine Regierung verfolgt das Ziel, die Produktionskosten von Wasserstoff bis 2050 um mindestens neunzig Prozent zu senken, damit er billiger als Erdgas ist.
Wir werden die führenden Experten in den Bereichen Wissenschaft und Technologie aus den Mitgliedstaaten der G20 nach Japan einladen, damit sie ihre Potenziale für die Beschleunigung der Innovationen zusammenführen. Ich freue mich zudem Ihnen mitteilen zu können, dass meine Regierung im Dezember letzten Jahres als erste ein Leitpapier in Übereinstimmung mit der TCFD, der Task Force on Climate-related Financial Disclosures, veröffentlicht hat. Die Investitionen in Environment Social Governance (ESG) haben in den letzten fünf Jahren um mehr als neun Mrd. Dollar zugelegt. Dies ist eine große Summe, aber wir müssen noch mehr Mittel in grüne Innovationen leiten. Das nun erstellte Leitpapier wird dabei helfen, weitere Unternehmen dafür zu motivieren, noch größere Beträge für revolutionäre Innovationen aufzuwenden.
Investitionen in eine grüne Erde und in blaue Ozeane wurden früher als Kosten betrachtet. Heute tragen sie zu neuem Wachstum bei. Dekarbonisierung und Profit funktionieren als Tandem. Wir politischen Entscheidungsträger sind dafür verantwortlich, dass diese Entwicklung Wirklichkeit wird. Auch dies werde ich dieses Jahr in Osaka betonen.
Am tiefsten Punkt des Pazifischen Ozeans passiert derzeit etwas Schreckliches. Die Körper von Seeläusen auf dem Grund des Meeres enthalten Verunreinigungen in Form giftiger PCB in hohen Konzentrationen. Manche sagen, dass Mikroplastik die Ursache dafür ist. Ich möchte in Osaka ebenfalls ein gemeinsames Bewusstsein dafür schaffen, dass es weltweiter Anstrengungen bedarf, damit die Menge an Plastik, die in die Meere gelangt, nicht nur nicht weiter ansteigt, sondern sogar gesenkt wird. Es besteht für uns keine Notwendigkeit, unsere wirtschaftlichen Aktivitäten einzuschränken – erneut sind es Innovationen, die zählen. Lassen Sie uns für dieses Ziel von Osaka aus ein weltweites Vorgehen ins Leben rufen.
Die von Japan gestützte internationale Ordnung
Nun der dritte und letzte Punkt – Japans Beitrag.
Japan ist entschlossen, die freie, offene und regelbasierte internationale Ordnung zu bewahren und setzt sich für deren Ausweitung ein. Meine Damen und Herren, ich bin sehr glücklich und stolz, Ihnen mitteilen zu können, dass wir am 30. Dezember 2018 das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (TPP11) endlich in Kraft setzen konnten. Zudem bin ich glücklich und stolz, Ihnen hier eine weitere Ankündigung machen zu können. Am 1. Februar, also in Kürze, wird das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zwischen Japan und der EU in Kraft treten. Die ganze Welt dürfte vom Umfang und der Effizienz dieser beiden Mega Deals profitieren. Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren, Ihr Vertrauen in das System des internationalen Handels wiederherzustellen.
Dies sollte ein System sein, das fair und transparent sowie in Bezug auf den Schutz des Geistigen Eigentums sowie auch auf Gebieten wie E-Commerce und staatliche Aufträge effektiv ist.
Das TPP11 und das EPA zwischen Japan und der EU streben danach, diese Ziele zu verwirklichen. Lassen Sie uns nun damit beginnen. Die Vereinigten Staaten, Europa und Japan müssen ihre Kräfte bündeln, um eine Reform der WTO zu erreichen, insbesondere bei ihren Regeln für staatliche Subventionen. Es muss nicht extra betont werden, dass der Osaka Track die Bedeutung der WTO in der Ära einer von Daten angetriebenen Wirtschaft weiter steigern wird.
Eine neue Ära erreicht Japan
Zu Beginn habe ich ausgeführt, meine Damen und Herren, dass es vor allem die Hoffnung ist, auf die es bei der Schaffung von Wachstum ankommt. Hoffnung bedeutet, den Blick voller Hoffen auf das Morgen zu richten, auf das nächste Jahr, auf das darauf folgende Jahr oder auf die nächsten zehn oder zwanzig Jahre. Mein Land darf sich glücklich schätzen.
Die Events, die wir in den kommenden zehn Jahren veranstalten, beginnen mit dem G20-Gipfel und der Rugby-Weltmeisterschaft in diesem Jahr und gehen weiter mit den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokyo 2020 sowie der Welt Expo 2025 in Osaka-Kansai. Das Wichtigste aber ist, dass in diesem Jahr erstmals seit über 200 Jahren Seine Majestät der Kaiser abdanken und ein neuer Kaiser den Thron besteigen wird. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Japan, das nun wiedererstarkt ist und neue Kraft erlangt hat, wird mit Ihrem Segen weiterhin eines der einflussreichsten Länder unter den offenen, demokratischen und das Recht achtenden Staaten sein, die einen Beitrag zu Frieden und Wohlstand in der Welt leisten.
Vielen Dank.