Botschaft von Japan

Politik

Rede von Premierminister Abe bei der 74. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 25. 09. 2019

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Bild: Premierminister Abe während seiner Rede im Rahmen der Generaldebatte (Foto: Cabinet Public Relations Office)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
unter Ihrer Leitung werden die Vereinten Nationen den 75. Jahrestag ihrer Gründung begehen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, dass Japan – die Prinzipien der Vereinten Nationen achtend – fest entschlossen einen Pfad beschritten hat, auf dem es stets danach strebte, die Ziele der Vereinten Nationen zu realisieren. Für die VN, die heute auf ein Dreiviertel Jahrhundert seit ihrer Gründung zurückblicken können, stellt eine Strukturreform – insbesondere eine Reform des Sicherheitsrats – eine dringende Aufgabe dar. Wir streben die rasche Verwirklichung einer solchen Reform an.

Darüber hinaus wird Japan bei der Wahl zum Sicherheitsrat im Jahr 2022 kandidieren. Indem wir erneut die Unterstützung zahlreicher Staaten erlangen, möchten wir uns als nichtständiges Mitglied dieses Gremiums engagieren und alles in unseren Kräften Stehende für die weitere Realisierung der Prinzipien der VN unternehmen. Ich bitte Sie dabei inständig um Ihre Hilfe.

In Japan hat ein neuer Kaiser den Thron bestiegen, und die Zeremonie der Verkündung dieser Thronbesteigung vor den Menschen im In- und Ausland steht in Kürze, nämlich am 22. Oktober, an. Staats- und Regierungschefs sowie führende Persönlichkeiten aus fast 200 Staaten und internationalen Organisationen werden daran teilnehmen, und es gibt für uns keine größere Freude als die über die Glückwünsche, die uns zu Beginn der neuen Regierungszeit eines Kaisers zuteil wurden. Die Menschen in Japan sehen dies als eine einmalige Gelegenheit, und sie werden daher erneut über die Rolle nachdenken, die Japan in der Welt einnehmen sollte.

Die Zeit der langanhaltenden wirtschaftlichen Flaute in meinem Land, die die Menschen dazu führte, ihren Blick vor allem nach innen zu richten, gehört endlich der Vergangenheit an. Es sind die folgenden Ereignisse, die das Bewusstsein für unsere starken Bande mit der Welt stärken und die die Blicke der Menschen nach außen und auf die Zukunft lenken: die Rugby-Weltmeisterschaft, die zurzeit in Japan mit viel Leidenschaft ausgetragen wird, die Olympischen und Paralympischen Spiele, die im kommenden Jahr in Tokyo stattfinden werden, sowie die World Expo 2025, als deren Gastgeberin Osaka und die Region Kansai fungieren werden – diese Events sind im Veranstaltungskalender Japans als wichtige Ereignisse markiert. Auf diese Weise wird eine neue Generation von Menschen in Japan aufwachsen, eine Generation, auf die Verlass ist und die bereit ist, die Ideale der VN weiterzutragen.

Ich bitte Sie zudem, sich die Zusammenkunft zu merken, die im April nächsten Jahres in Japan stattfinden wird. Der 14. Weltkongress für Verbrechensverhütung und Strafjustizpflege, allgemein bekannt als „UN Crime Congress“, wird dann in Kyoto veranstaltet. Das Büro der VN für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) richtet diese Zusammenkunft alle fünf Jahre aus. Fünfzig Jahre sind vergangen, seit Japan diesen Weltkongress 1970 erstmals in einem Land außerhalb Europas durchführte. Ich bin mir sicher, dass auf dem Höhepunkt der Kirschblüte Kyoto die anreisenden Experten auf dem Gebiet der Strafverfolgung herzlich willkommen heißen wird. Das gerade Gesagte leitet dazu über einmal zu schauen, nach welchen Werten Japan im Rahmen seines weltweiten Engagements strebt, nämlich nach dem hohen Stellenwert der Bildung, da das oberste Ziel meines Landes darin besteht, die Potenziale jedes Einzelnen zu fördern. Dieses Engagement fortzusetzen war und ist nach wie vor die Essenz dessen, was Japan zur Welt beitragen kann. Was nun die Fachleute im Bereich Strafverfolgung angeht, die im kommenden Frühjahr in Kyoto zusammenkommen werden, so hat Japan hier keinen einmaligen Schritt unternommen, wie z.B. sie nur zu dieser einen Zusammenkunft einzuladen. Vielmehr hat mein Land seit langem nach einer eigenen Rolle gesucht, um diese Experten zu unterstützen. Bereits 1962 rief Japan, das seine Kenntnisse über die Förderung der Verbrechensverhütung als ein wichtiges Ziel immer weiter vertiefte, in Tokyo die erste Organisation der VN auf diesem Gebiet ins Leben. Unter der Bezeichnung „United Nations Asia and Far East Institute for the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders“ wurde dieses Institut in Zusammenarbeit mit dem bekannten Kriminologen Norval Morris als Gründungsdirektor eröffnet. Bis Ende dieses Monats hat dieses Institut eine große Zahl von Absolventen hervorgebracht – insgesamt mehr als 5.900, unter ihnen 2.949 aus Asien und 678 aus Afrika.

Im vergangenen März besuchte Malala Yousafzai Tokyo. Bei unserer Begegnung schaute sie mir in die Augen und sagte: „100 Millionen Mädchen fehlen die Fähigkeiten, um moderne Technologien gut beherrschen zu können, da sie keine Bildung erhalten, die sich über mindestens zwölf Jahre erstreckt.“ Ihren Worten zufolge könnten, wenn alle Mädchen eine zwölfjährige Schulbildung erhielten, diese einen Beitrag in Höhe von bis zu 30 Billionen Dollar zur Weltwirtschaft leisten. Ich hatte Malala im Vorfeld des G20-Gipfels von Osaka nach Japan eingeladen, dessen Vorsitz ich im Juni innehatte, und damit die Hoffnung verknüpft, den Fokus auf Maßnahmen zur Stärkung von Frauen und Mädchen zu lenken. Wenn Frauen die Chance zuteil würde, das Potenzial, das in ihnen steckt, unter Beweis zu stellen, würde die Welt ein sehr viel hellerer Ort sein. Aber das ist eine ganz offensichtliche Wahrheit, nicht wahr? In Japan, wo die Zahl der Frauen, die einer Beschäftigung nachgehen, deutlich zugenommen hat, sind wir tagtäglich Zeugen dieser selbstverständlichen Tatsache. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir in der Lage waren, das, wofür Malala eintritt, sowohl in der Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G20 als auch in den anderen Dokumenten im Anhang des Gipfeltreffens aufzunehmen. Wir haben uns zur „Förderung einer inklusiven und qualitativ hochwertigen Bildung für alle Mädchen und Frauen“ verpflichtet, und Japan möchte bei diesem Engagement auch weiterhin an vorderster Stelle stehen.

Lassen Sie mich Ihnen nun von einem Beispiel aus Tansania berichten. Als ich um die Dreißig war, gab es einen Marathonläufer aus diesem Land namens Juma Ikangaa, der jedes Mal, wenn er am Tokyo Marathon teilnahm, durch seine kämpferische Leidenschaft beeindruckte. Nachdem er in sein Heimatland Tansania zurückgekehrt war – Herr Ikangaa betrachtet Japan als seine zweite Heimat – wurde er Goodwill-Botschafter für Öffentlichkeitsarbeit des Tansania-Büros der Japan International Cooperation Agency (JICA). Damals war dort eine Frau voller Energie tätig, die aus Japan dorthin entsandt worden war: Frau Miwa Ito. Beide vereinten ihre Kräfte: Frau Ito gewann die Unterstützung von dreizehn japanischen Unternehmen und Herr Ikangaa suchte nach talentierten Läuferinnen, die an Olympischen Spielen teilnehmen sollten. Ihre gemeinsamen Anstrengungen führten schließlich zu den ersten Leichtathletikmeisterschaften Tansanias für Frauen überhaupt; das war im November 2017. Eintausend Mädchen, die Grund- und Mittelschulen in der Umgebung besuchen, wurden als Zuschauerinnen eingeladen. Sie waren aber nicht allein da, um dem Event zuzuschauen. Es wurden auch Unterlagen verteilt, die darüber informieren, wie Teenager-Schwangerschaften verhindert werden können. Ein weiteres Ziel dieser Veranstaltung bestand also darin, dass sich die Mädchen mithilfe dieser Unterlagen informieren konnten.

In Arusha, Tansania, einer Gegend, die u.a. die Massai als ihre Heimat bezeichnen und wo der hohe Gipfel des Kilimandscharo im Nordosten sichtbar ist, öffnete im Januar 2016 eine Mittelschule nur für Mädchen mit Namen „Sakura“ ihre Pforten. Dies ist dem Engagement einer Gruppe von Japanern zu verdanken. Die Schule ist ein reines Internat und bietet den Schülerinnen dadurch mehr Sicherheit. Ihre Zahl ist von 24 zu Beginn auf mittlerweile 162 in diesem Frühjahr angewachsen. Die Regierung von Japan unterstützt die Schule finanziell, jedoch wird sie von NGOs aus Japan und aus Tansania betrieben. Dort werden die Schülerinnen in sogenannten MINT-Fächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik unterrichtet; zudem lernen sie, wie ungewollte Schwangerschaften vermieden werden können.

Auch in Kambodscha kenne ich einen japanischen Unternehmer, der sich für die Verbesserung der Bildung vor Ort engagiert, ein Projekt, das ganz allein sein geistiges Kind ist. Auf seine Initiative hin werden erfahrene Lehrer aus Japan, die Mathematik und Naturwissenschaft unterrichten, nach Kambodscha entsandt. Dort unterrichten sie junge Männer und Frauen, die Lehrer werden wollen. Die Initiative nennt sich „Lehrer ohne Grenzen.“ Es bewegt mich zutiefst, wenn ich sehe, wie Japaner aus dem zivilen Sektor sich auf diese Weise freiwillig für die Bildung junger Menschen, insbesondere Mädchen, in Tansania und Kambodscha engagieren – allein aus eigenem Antrieb und ohne die Anerkennung anderer zu suchen. In den kommenden drei Jahren wird die Regierung von Japan mindestens neun Millionen Kindern und Jugendlichen in Staaten in Afrika südlich der Sahara sowie in Asien eine qualitativ hochwertige Bildung ermöglichen. Wir planen zudem, das „e-learning“ für Grundschüler in Sri Lanka auszuweiten sowie die Internet-basierte Bildungsarbeit in Mathematik und Naturwissenschaft in Ruanda zu fördern. Allerdings muss ich zugeben, dass wir uns bei diesem Engagement größtenteils von den Anstrengungen der Vertreter des zivilen Sektors inspirieren ließen.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
dies ist das siebte Jahr in Folge, dass ich hier bei der Generaldebatte im Rahmen der VN-Generalversammlung eine Rede halte. In diesem Zeitraum habe ich stets die große Bedeutung der Stärkung von Frauen und Mädchen hervorgehoben sowie auf den hohen Stellenwert, den die Schaffung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung bildet, hingewiesen. Auch in diesem Jahr habe ich diese beiden Themen bei separaten Zusammenkünften behandelt, die parallel zur Generalversammlung veranstaltet wurden. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass der Kern des japanischen Engagements im Rahmen der internationalen Gemeinschaft in der Tatsache sichtbar wird, dass wir in aufrichtiger Weise der Bildung eine besondere Bedeutung beimessen, wie an den Beiträgen meines Landes zu erkennen ist, die ich gerade genannt habe. Japan strebt an, eine „fördernde Macht“ zu werden, also eine Macht, die die Fähigkeiten der Menschen fördert.

Nun möchte ich zum Ende meiner Rede noch kurz auf drei Punkte eingehen.

Der erste Punkt betrifft Nordkorea. Japan unterstützt den Ansatz von Präsident Trump, bei dem die beiden Staatschefs offen miteinander sprechen und versuchen, die bestehenden Probleme anzupacken, während der Blick auf eine leuchtende Zukunft die Dynamik im Umfeld Nordkoreas bereits verändert hat. Ich bin entschlossen, mit dem Vorsitzenden Kim Jong-un persönlich und ohne Vorbedingungen zusammenzutreffen. Japans unverändertes Ziel ist es, seine Beziehungen zu Nordkorea durch eine umfassende Lösung der noch ausstehenden Fragen mit Nordkorea zu normalisieren; dies schließt die Entführungen, die Nuklear- und Raketenproblematik sowie die Bereinigung der unglücklichen Vergangenheit ein.

Der zweite Punkt ist, dass Japan die Sorgen in Bezug auf die Situation im Mittleren Osten teilt. Die Angriffe auf Saudi-Arabiens Ölanlagen stellen ein äußerst verachtenswertes Verbrechen dar, das die internationale Wirtschaft in Geiselhaft nimmt. Ich schätze sehr die Erklärung, die der Oberste Führer Irans, Ali Chamenei, mir gegenüber persönlich abgegeben hat, dass er in Form einer Fatwa drei Zurückweisungen in Bezug auf Kernwaffen herausgegeben hat, nämlich solche Waffen „nicht zu besitzen, herzustellen oder anzuwenden“ sowie die gründliche Umsetzung dieser Fatwa sichergestellt hat. Ebenfalls bin ich heute Morgen mit Präsident Rohani zu einem Gipfelgespräch zusammengetroffen; es war bereits unser neuntes Treffen. Es ist meine eigene unveränderliche Rolle, Iran als eine führende Macht dazu aufzurufen, Schritte zu unternehmen, die sich auf die Weisheit gründen, die das Land aus seiner reichen Geschichte bezieht.

Der dritte und letzte Punkt ist, dass Japan multilaterale Rahmenwerke sowie die Prinzipien des Globalismus dazu nutzen wird, um u.a. die bestehenden Ungleichheiten zu reduzieren. Nach den Abkommen über die Transpazifische Partnerschaft (TPP) und der Wirtschaftspartnerschaft zwischen Japan und der EU stehen wir nun bei der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) für Ostasien vor einer Einigung, bei der Japans Beitrag als treibende Kraft fungiert. Die Welt wird immer mehr miteinander verknüpft werden, und dies wird dazu führen, dass mehr Menschen der Armut entkommen. In den letzten Jahren hatte ich den Vorsitz sowohl bei G7- und G20-Gipfeln als auch dreimal bei der Tokyo International Conference on African Development (TICAD) inne, und ich habe dabei wiederholt unter Beweis gestellt, dass multilaterale Rahmenwerke durchaus eine wichtige Rolle spielen. Als eine Konsequenz haben – dies möchte ich Ihnen gegenüber anmerken – die Begriffe „qualitativ hochwertige Infrastruktur“ sowie „freier und offener Indo-Pazifik“ Eingang in das Lexikon der internationalen Gemeinschaft gefunden. Die TICAD 7, die erst vor kurzem stattfand, wurde als „Neue TICAD“ wiedergeboren. Der Grund dafür ist, dass die Worte, mit denen von nun an über Afrika gesprochen wird, vor allem eine Geschichte der Investitionen und des Wachstums erzählen sollten. Tatsächlich wurde das Business Forum, das parallel zur TICAD stattfand, von einer großen Zahl von Wirtschaftsvertretern aus Afrika und Japan besucht, und dieses Forum sprudelte nur so vor Enthusiasmus. Auch ich habe diese Veranstaltung mit dem Gefühl verlassen, dass es schon bald neue Angebote für Investitionen und neue Projekte geben wird. Der Wandel in Afrika ermutigt uns. Die Welt wandelt sich tatsächlich. Wir sind in der Lage, sie aufgrund unserer Anstrengungen zu verändern. Und diese Zuversicht muss genau hier in diesem Saal erneut bekräftigt werden. Damit möchte ich meine Ausführungen schließen.

Vielen Dank.