Am 24. 01. 2020 nahm Premierminister Shinzo Abe am Empfang anlässlich des 4. Seminars über Managementstrategien für weibliche Führungskräfte in der Wirtschaft (Executive Program for Women Leaders) in Tokyo teil. Dabei hielt er die folgende Ansprache.

(Foto: Cabinet Public Relations Office)
Nachdem Sie alle dieses einwöchige Seminar nun abgeschlossen haben, bin ich gleich nach Ende der heutigen Sitzung des Oberhauses zu Ihnen geeilt, um hier mit Ihnen zusammenzukommen.
Dieses Programm über Managementstrategien für weibliche Führungskräfte fand nun bereits zum vierten Mal statt, und mir wurde berichtet, dass es mit 72 Teilnehmerinnen einen neuen Teilnahmerekord gab. Ich denke daher, es trifft wirklich zu, dass aus Kontinuität Stärke entsteht. Von Jahr zu Jahr lernen immer mehr Frauen bei weltweit führenden Lehrern ihres Fachs neue Dinge über Betriebswirtschaft, und ich finde dies ganz hervorragend. Das Engagement von Frauen bildet eine Säule der Abenomics. Die Zahl der berufstätigen Frauen in Japan hat in den letzten sechs Jahren um mehr als 2,8 Mio. zugenommen, und die Beschäftigungsquote von Frauen in unserem Land liegt bei allen Altersgruppen ab 25 Jahren über der entsprechenden Quote in den Vereinigten Staaten.
Ich möchte an dieser Stelle ein wenig von meinem Redemanuskript abweichen. Lassen Sie uns einmal das Beispiel der Rente nehmen. Im vergangenen Jahr wurden Berechnungen zur Finanzierungsgrundlage der Rente angestellt. Davor hatte es geheißen, die sogenannte Nettolohnersatzquote bei der Rente, also letztendlich die Rentenhöhe, werde wahrscheinlich sinken. Da die Bekanntgabe dieser Berechnungen für die Zeit nach der Oberhauswahl anstand, musste ich mir sagen lassen, ich hätte den Termin extra so gelegt, um negative Auswirkungen auf die Wahl zu vermeiden und ich solle die Zahlen gefälligst vor der Wahl bekanntgeben. Diese Berechnungen müssen aber in Ruhe durchgeführt werden und es geht nicht an, sich in deren Zeitplanung einzumischen. So wurden die Zahlen erst nach der Wahl veröffentlicht. Warum sollten diese Zahlen sich eigentlich verschlechtern? Nun, da die durchschnittliche Lebenserwartung weiter steigt, gleichzeitig aber die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter abnimmt, geht selbstverständlich die Zahl der Beitragszahler zurück, während die Zahl der Rentenempfänger zunimmt. Aus diesem Grund ging man davon aus, dass die Nettolohnersatzquote bei der Rente sinken wird. Tatsächlich aber stellte sich dann heraus, dass sie sich verbessert hatte. Und warum? Weil die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwar um 4,5 Mio. gesunken war, gleichzeitig aber die Zahl derjenigen, die Beiträge in die Rentenkasse einzahlen, um 5 Mio. zulegte. Im Ergebnis stieg die Nettolohnersatzquote also. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Rente somit einen Anstieg um 0,1 Prozent und in diesem Jahr wird sie erneut um 0,2 Prozent zulegen. Diese Zahlen hätte ich sehr gerne vor der Wahl bekanntgegeben, aber solche taktischen Überlegungen habe ich nicht zugelassen. Es genügt, wenn man diese Entwicklung gut findet und wir dafür gelobt werden.
Ich komme nun auf das eigentliche Thema zurück. Das gerade Gesagte zeigt, dass immer mehr Frauen eine Arbeit aufnehmen. Allerdings ist der Anteil der Frauen in Unternehmensvorständen im Vergleich zu Europa und Nordamerika nach wie vor sehr gering. Mit dem im vergangenen Jahr überarbeiteten Gesetz zur Förderung der Aktivitäten von Frauen wurde die Zahl der Unternehmen, die verpflichtet sind, einen Aktionsplan zur Steigerung der Zahl weiblicher Vorstände zu erstellen, verdreifacht.
Die Erwartungen an Unternehmen gestalten sich immer vielfältiger, und es wird eine Tendenz deutlich, die Rolle von Unternehmen zu verändern und nicht länger allein auf die Interessen der Aktionäre abzuzielen. Die sogenannten SDGs (Nachhaltige Entwicklungsziele) und ESG (Environment Social Governance) erfahren weltweit Unterstützung, und bisherige Gewissheiten im Bereich Unternehmensmanagement werden zunehmend infrage gestellt. Hinzu kommt, dass Japan vor dem schwierigen Problem des Geburtenrückgangs und der Überalterung steht. Deshalb muss jeder Einzelne von uns dazu beitragen, die Produktivität zu steigern, und gleichzeitig muss die individuelle Sichtweise aller wichtig genommen werden, damit wir den vielfältigen Anforderungen in Bezug auf Umwelt, Sicherheit und Annehmlichkeit entsprechen können.
Es geht nicht länger an, dass die Führungspositionen in Unternehmen wie bisher nur von Männern eingenommen werden. Das gilt selbstverständlich auch für die Politik. Chie Toriumi, Executive Vice President von Nomura Securities Co., Ltd., hat in ihrem Vortrag beim zweiten Seminar ausgeführt, dass das stärkere Auftreten von Frauen mit einem Gefühl der Krise verbunden ist, nämlich dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Die Frauen seien nun entschlossen, mit ihrer neuen Sichtweise die Dinge anzusprechen, die nicht in Ordnung sind und ihre Veränderung anzuregen.
In diesem Jahr kehren die Olympischen und Paralympischen Spiele nach 56 Jahren wieder nach Tokyo zurück. Als bei den ersten Spielen 1964 die japanischen Volleyballspielerinnen, die damals anerkennend als "witches of the orient"
bezeichnet wurden, mittels einer grandiosen Siegesserie die Goldmedaille gewannen, waren Sie alle wohl noch nicht geboren, und ich selbst war ein kleiner Junge von zehn Jahren. Aber die Bilder von damals haben sich mir regelrecht eingebrannt. Seinerzeit belief sich der Frauenanteil bei den Olympiateilnehmern auf gerade einmal 13 Prozent. Das lag auch daran, dass es nur wenige Disziplinen für Frauen gab. Seinerzeit setzten sich Japan und die Sowjetunion gemeinsam dafür ein, dass die Volleyballwettkämpfe für Frauen in das Olympische Programm von Tokyo aufgenommen wurden. Das Ergebnis: Japan gewann die Goldmedaille und die Sowjetunion die Bronzemedaille. Ich denke, das war eine gute Sache. Bei der jetzigen japanischen Olympiamannschaft liegt der Anteil der Frauen etwa bei der Hälfte, und ich hoffe sehr, dass sie viele Medaillen erringen werden. Tatsächlich haben unsere Athletinnen bei den neun Olympischen Spielen, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts stattfanden, mehr Goldmedaillen gewonnen als ihre männlichen Kollegen. Wer auf der Bühne steht, zeigt auch, dass er/sie erfolgreich sein kann - ich denke, dass dies in Japan für Frauen noch stärker gilt als für Männer. Immer mehr Frauen werden zu tragenden Säulen, und dabei verändern sie sich selbst, ihre Unternehmen und schließlich unsere Gesellschaft insgesamt. Ich werde mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen ein Umfeld zu bereiten und die Schritte zu ergreifen, damit Sie alle Ihre Fähigkeiten so einsetzen können, wie Sie sich das möchten.
Die Zukunft lässt sich tatsächlich verändern. Es kommt darauf an, was Sie und wir alle tun - das ist meine Überzeugung. Lassen Sie uns unsere Kräfte zusammenführen, damit Japan ein Land wird, das mitten in der Welt leuchtet und in dem Frauen eine immer größere Rolle spielen. Lassen Sie uns diese Aufgabe gemeinsam in Angriff nehmen.
Ich möchte mein Grußwort beschließen mit meinem ausdrücklichen Dank an diejenigen, die bei diesem Seminar Unterricht auf höchstem Niveau geboten haben: Prof. Badaracco, Prof. Moss und Prof. Takeuchi, alle drei von der Harvard Business School - ganz herzlichen Dank!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.