
Bild: Premierminister Ishiba während seiner Rede im Rahmen der diesjährigen Generalversammlung (Foto: Cabinet Public Affairs Office)
Im Rahmen der 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York hielt Japans Premierminister ISHIBA Shigeru die folgende Rede, in der er sich insbesondere zu den Themen Reform des Sicherheitsrats, Lage im Nahen Osten, Kernwaffen, Nordkorea sowie Japans Engagement für die internationale Gemeinschaft äußerte. Einen Überblick über die weiteren Aktivitäten des Premierministers sowie von Außenminister IWAYA Takeshi anlässlich der diesjährigen Generalversammlung finden Sie hier (Link zur Webseite des Außenministeriums von Japan – in engl. Sprache).
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Anwesende,
welchen Zweck haben die Vereinten Nationen, die nun hier an diesem einen Ort zusammengekommen sind? Erfüllen die Vereinten Nationen heute die Rolle, die sie eigentlich erfüllen sollten?
Vor achtzig Jahren wurden die Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um als Kern einer neuen internationalen Ordnung zu fungieren, die sich auf kollektive Sicherheit stützt. Der Erste Weltkrieg war der erste totale Krieg in der Geschichte. Um seine Wiederkehr zu vermeiden, wurde der Völkerbund gegründet. Jedoch konnte dies den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern. Ausgehend von dieser Selbstkritik wurden sodann als eine Organisation für die Bewahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit mit den Siegermächten im Zentrum die Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Aber erfüllen heute, achtzig Jahre später, die aktuellen Vereinten Nationen die Rolle, die man sich zu Beginn von ihnen erhofft hat? Sind sie in der Lage, ihre Funktion vollständig auszuüben?
(Reform des Sicherheitsrats)
Frau Präsidentin,
Frieden und Sicherheit sind keineswegs selbstverständlich. Es wird keinen Frieden und keine Sicherheit geben, wenn wir uns nicht aktiv dafür einsetzen. Der wichtigste Zweck der Vereinten Nationen, der in ihrer Charta festgeschrieben ist, besteht in der Bewahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit. Die größte Verantwortung kommt dabei dem Sicherheitsrat zu. Da den fünf Staaten, die bei der Gründung der Vereinten Nationen eine führende Rolle spielten, mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat sowie mit dem Vetorecht besondere Privilegien zuteil wurden, übernahmen sie gerade aus diesem Grund auch eine besondere Verantwortung. Es wurde sogar bestimmt, dass unter der Führung des Sicherheitsrats eigene Streitkräfte der Vereinten Nationen geschaffen werden. Für den Fall, dass der Sicherheitsrat nicht funktionieren sollte, wurde den einzelnen Staaten ein individuelles Recht auf Selbstverteidigung sowie ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugestanden. Allerdings sah sich der Sicherheitsrat gerade wegen des Vetorechts seiner ständigen Mitglieder bei zahlreichen Krisen außerstande, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Selbstverständlich haben die Mitgliedstaaten ihre ganze Weisheit zusammengeführt und in kreativer Art und Weise verschiedene Vorgehensweisen entwickelt. 1950 wurde die Resolution „United for Peace“ verabschiedet, bei der auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen endlich zum Akteur wurde. Während der Suez-Krise 1956 stimmten die beteiligten Staaten, darunter die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich, der Resolution einer Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung zu, mit der die Kämpfe beendet wurden. Zudem wurden friedenserhaltende Maßnahmen, die in der Charta der Vereinten Nationen nicht aufgeführt sind, ins Leben gerufen. Während des Golfkriegs wurde durch eine Resolution des Sicherheitsrats die Ausübung militärischer Gewalt durch die Mitgliedstaaten gebilligt. 2022 wurde ein ständiges Mitglied, das sein Veto eingelegt hatte, von dieser Generalversammlung aufgefordert, sein Vorgehen zu erläutern. Aber trotz dieses Engagements ist der Sicherheitsrat auch heute noch außerstande, seine Funktionen in ausreichendem Maße auszuüben.
Das beste Beispiel dafür ist der Angriff Russlands auf die Ukraine. Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, das eine besondere Verantwortung für den internationalen Frieden und die Sicherheit tragen sollte, greift ein Nachbarland an und erschüttert so die Grundpfeiler der internationalen Ordnung. Eine Resolution des Sicherheitsrats kommt wegen eines Vetos nicht zustande. Auch als die Generalversammlung eine Resolution verabschiedet, in der Russland zum sofortigen Rückzug aufgefordert wird, wird diese Resolution nicht umgesetzt. Russland interpretiert den Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in eigenmächtiger Weise und setzt seinen Angriff auf die Ukraine fort. Dies erinnert an den „Prager Frühling“ von 1968. Der Artikel 51 der Charta sollte unter keinen Umständen willkürlich angewendet werden. Ich denke, das Vetorecht stellt eine notgedrungene Entscheidung für eine Sicherheitsvorrichtung dar, um eine direkte Konfrontation zwischen den Großmächten zu verhindern. Jedoch verdeutlicht es zugleich die den Vereinten Nationen innewohnenden Beschränkungen.
Frau Präsidentin,
blickt man auf den Weg zurück, den die Vereinten Nationen beschritten haben, so ist gerade jetzt eine entschlossene Reform des Sicherheitsrats erforderlich. Die Zahl der Mitglieder dieses Gremiums – sowohl der ständigen als auch der nichtständigen – muss ausgeweitet werden. Obwohl sich die Mitgliederzahl der Vereinten Nationen gegenüber dem Zeitpunkt ihrer Gründung vervierfacht hat, ist die Zahl der ständigen Sicherheitsratsmitglieder seitdem gleich geblieben. Und es reicht auch nicht aus, einfach nur die Zahl der Mitglieder dieses Gremiums zu erhöhen. Vielmehr besteht nun die Möglichkeit, den repräsentativen Charakter des Sicherheitsrats in einer Weise zu erhöhen, die seine Effektivität nicht beeinträchtigt. Bei der Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Sicherheitsrats ist zudem auch die Handhabung des Vetorechts der ständigen Mitglieder zu berücksichtigen. So schlagen die G4 (Japan, Brasilien, Deutschland und Indien) vor, das Vetorecht neuer ständiger Mitglieder für den Zeitraum von fünfzehn Jahren einzufrieren.
Durch eine Ausweitung der Zahl der Mitglieder des Sicherheitsrats würden die Vereinten Nationen dadurch, dass sie sich aufgrund einer verbesserten Legitimität der Lösung der anstehenden Aufgaben annehmen, zu einer besseren Organisation werden. Man könnte sogar sagen, sie würden so zu einer Organisation, die „zumindest besser ist als die heutige.“ Wir Anführer der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben im vergangenen Jahr im Rahmen des „Zukunftspakts“ die dringende Notwendigkeit einer Reform des Sicherheitsrats anerkannt und der Welt zugesagt, unser entsprechendes Engagement zu verstärken. Welche Fortschritte aber gab es in diesem einen Jahr? Wir stehen nun in der Verantwortung, die Debatte über die Verwirklichung einer solchen Reform zu beschleunigen und zu einem raschen Abschluss zu führen. Wir haben keine Zeit mehr, um zu zögern, während die Mitgliedstaaten sich über die Art und Weise, wie der Sicherheitsrat erweitert werden sollte, gegenseitig behindern. Sogar in diesem Moment, in dem ich diese Rede halte, müssen wir uns deutlich darüber im Klaren sein, dass auf dieser Welt friedfertige und unschuldige Menschen ihr Leben verlieren. Es muss eine verantwortungsvolle Global Governance neu errichtet werden. Und die Reform des Sicherheitsrats muss fest entschlossen in Angriff genommen werden. Japan ruft die internationale Gemeinschaft hierzu mit Nachdruck auf.
Frau Präsidentin,
mit dem Ende des Kalten Krieges gab es tatsächlich eine Zeit, in der die Hoffnung aufkeimte, Frieden in dieser Welt verwirklichen zu können. Aber diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Es kam zu ethnischen Konflikten, beispielhaft dafür das ehemalige Jugoslawien. Es gab Terroranschläge – sogar hier in New York. Es entstand eine Situation, in der nichtstaatliche Akteure im Besitz eines Zerstörungspotenzials gelangten, das dem von Staaten gleichkommt – eine Situation, die man sich zurzeit der Grünung der Vereinten Nationen nicht vorstellen konnte. Territorien, Ethnien, Religionen, wirtschaftliche Unterschiede. All diese Ursachen für Konflikte sind bedauerlicherweise nicht aus der Welt verschwunden. Vielmehr haben sich diese Gegensätze in einer multipolaren Staatengemeinschaft noch zugespitzt. Welche Rolle müssen nun die Vereinten Nationen in diesem schwierigen Epochenumfeld erfüllen?
(Lage im Nahen Osten)
Frau Präsidentin,
die Lage in Bezug auf Palästina gestaltet sich ausgesprochen schwierig und gibt Anlass zu großer Sorge, da es dazu kommen könnte, dass die Voraussetzungen für eine von der internationalen Gemeinschaft seit langem angestrebte und auch von Japan stets unterstützte „Zweistaatenlösung“ nicht länger bestehen. Die jüngste Ausweitung der Bodenoperation der israelischen Streitkräfte in Gaza-Stadt führt bei der bereits ausgesprochen schwierigen humanitären Krise in Gaza unter Einschluss von Hunger zu einer erheblichen Verschlechterung. Japan kann dies unter keinen Umständen akzeptieren und kritisiert dies in den schärfsten Worten. Wir fordern einen sofortigen Stopp dieser Operation. Über Äußerungen führender Mitglieder der israelischen Regierung, die eine vollständige Ablehnung des Konzepts eines palästinensischen Staates nahelegen, sind wir zutiefst empört. Die unvorstellbare Not der Menschen in Gaza darf keineswegs ignoriert werden. Japan hat bereits bisher, angefangen bei der medizinischen Behandlung von Verletzten und Kranken aus Gaza in Japan, im Rahmen humanitärer Hilfe seine Unterstützung für das Leben und die Würde der Menschen in Gaza fortgeführt. Mein Land wird auch weiterhin alles Mögliche hierfür unternehmen. Einstmals gab es tatsächlich eine Zeit, in der Juden und Araber jahrhundertelang friedlich zusammenlebten. Viele Menschen sind nun von tiefer Trauer erfüllt über den Terror der Hamas sowie über die Bilder der Verwüstung in Gaza. Der Weg hin zur Koexistenz beider Staaten, der seit dem Abkommen von Oslo von der Staatengemeinschaft über zahlreiche Schwierigkeiten hinweg beschritten wurde, darf keinesfalls aufgegeben werden. Für Japan handelt es sich bei der Anerkennung eines palästinensischen Staates nicht um die Frage „ob ein solcher Staat anerkannt werden sollte“, sondern darum, „wann er anerkannt werden sollte.“ Die Fortsetzung einseitiger Maßnahmen durch die israelische Regierung darf unter keinen Umständen hingenommen werden. Ich sage hier ganz deutlich: Sollten weitere Maßnahmen folgen, die den Weg zur Verwirklichung einer „Zweitsaatenlösung“ versperren, würde Japan neue Schritte ergreifen. Das Wichtigste ist, dass Palästina in einer nachhaltigen Form und in Koexistenz mit Israel fortbesteht. Japan wird damit fortfahren, eine realistische sowie aktive Rolle zu spielen, um auf dem Weg hin zum Ziel einer Zweistaatenlösung weiter voranzukommen. Damit Palästina als ein verantwortungsvolles Mitglied der internationalen Gemeinschaft aufgenommen wird, muss auch die palästinensische Seite Strukturen für eine verantwortungsvolle Regierungsführung aufbauen. Wie die Generalversammlung in ihrer Resolution vom 12. September bekräftigt hat, fordern wir von der Hamas nachdrücklich die sofortige Freilassung aller Geiseln sowie die Übergabe ihrer Waffen an die Palästinensische Behörde.
Japan unterstützt tatkräftig den Aufbau staatlicher Strukturen für Palästina, das heißt wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Etablierung einer effektiven Regierung. Der Jericho Agro-Industrial Park, der mit japanischer Unterstützung im Westjordanland errichtet wurde, bietet aktuell in siebzehn palästinensischen Unternehmen über 300 Arbeitsplätze. Dazu zählen etwa die Herstellung von Ergänzungsmitteln sowie von Lebensmitteln und Arzneimitteln auf Oliven-Basis, um Produkte mit höherem Mehrwert zu exportieren. Die wirtschaftliche Eigenständigkeit muss gewährleistet werden. Ohne Beamte, die über ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre Bestimmung und hohe Fähigkeiten verfügen, kann ein Staat nicht funktionieren. Beamte dürfen unter keinen Umständen korrupt sein. Um die Fähigkeiten von Beamten zu stärken, nahmen innerhalb von 27 Jahren mehr als 7.000 Palästinenser an entsprechenden Bildungsprogrammen Japans teil. Wir werden auch künftig die Ausbildung von Humanressourcen in Palästina aktiv unterstützen. Bei der Fortführung diese Engagements kooperieren wir mit unseren Freunden in Südostasien einschließlich der muslimischen Länder Indonesien und Malaysia. Hierfür hat Japan 2013 einen entsprechenden Rahmen geschaffen und eine Führungsrolle übernommen. Mein Land unterstützt mit Nachdruck das Konzept, mithilfe einer Ausweitung der Abraham-Abkommen nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der ganzen Region des Nahen und Mittleren Ostens zu erreichen. Die Abraham-Abkommen tragen den Namen des gemeinsamen Stammvaters von Juden, Christen und Muslimen. Es ist äußerst bedauerlich, dass es in den vergangenen zwei Jahren keine weiteren Fortschritte hin zu einer Verwirklichung der Abraham-Abkommen gab. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Wert, den die Abraham-Abkommen besitzen, unter keinen Umständen beeinträchtigt werden darf.
(Kernwaffen)
Frau Präsidentin,
heute werden von ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats unverblümt nukleare Drohungen ausgesprochen. Ich bin zutiefst über die aktuelle Lage besorgt, in der die Hürden für den Einsatz von Kernwaffen gesenkt werden sowie auch die Wirksamkeit der nuklearen Abschreckung neuen Belastungen ausgesetzt ist. Wir müssen uns der Problematik der Kernwaffen gerade jetzt aufrichtig stellen. Ich weiß sehr gut, dass es im In- und Ausland Stimmen gibt, die von Japan, das als einziges Land weltweit den Einsatz von Kernwaffen selbst erfahren hat, fordern, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Allerdings müssen wir an einer „Welt ohne Atomkrieg“ festhalten und eine „Welt ohne Kernwaffen“ realisieren. Wir müssen eine Welt ohne Atomkrieg und für die Zukunft eine Welt ohne Kernwaffen verwirklichen. Hierfür bildet gerade der Nichtverbreitungsvertrag (NPT), dem sowohl Kernwaffenstaaten als auch Nichtkernwaffenstaaten angehören, den wirksamsten sowie einzigen realistischen Rahmen. Japan appelliert mit Nachdruck an den Geist des Dialogs und des Zusammenwirkens innerhalb der Staatengemeinschaft, damit die im nächsten Jahr anstehende NPT-Überprüfungskonferenz erfolgreich verläuft und unsere Welt dem Ziel einer „Welt ohne Kernwaffen“ einen Schritt näher kommt.
Für mein Land, das sich in Bezug auf die Nuklearproblematik in einem äußerst schwierigen sicherheitspolitischen Umfeld befindet, ist die erweiterte Abschreckung unter Einbezug von Kernwaffen durch die Vereinigten Staaten für den Schutz des Lebens und des Besitzes seiner Bevölkerung auch in Zukunft notwendig. Es ist mir nicht möglich, eine Position einzunehmen, in der ich die Abschreckung ablehne. Dies ist die Realität, innerhalb der sich eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik gestaltet. Jedoch dürfen sich die Katastrophe und die Tragödie infolge der Atombomben, die Japan am eigenen Leib erfahren musste, kein zweites Mal auf dieser Welt wiederholen. Dass Hiroshima der erste Ort ist, der Ziel einer Atombombe wurde, ist eine historische Tatsache. Dies können wird nichts ändern. Aber dass Nagasaki der letzte Ort ist, der Ziel einer Atombombe wurde, hängt vom unermüdlichen Engagement und den weisen Entscheidungen der Menschheit ab. Für viele Menschen auf der Welt besteht das Bild einer Atombombe aus dem unmittelbar nach dem Abwurf aus der Luft aufgenommenen Foto des aufsteigenden Atompilzes. Was aber geschah tatsächlich vor achtzig Jahren in Hiroshima und Nagasaki unter diesem Atompilz? Am 6. August dieses Jahres nahm ich in Hiroshima an der Friedensgedenkfeier teil. Dort wurde ein kurzes Gedicht vorgestellt.
„Die großen Knochen
sind wohl die der Lehrer.
Um sie herum
kleine Schädelknochen.“
Dieses Gedicht der Dichterin SHODA Shinoe ist auf dem „Gedenkstein für die Lehrer und Schüler der Volksschulen, die Opfer der Atombombe wurden“ eingraviert, der in der Nähe des Explosionsortes der Bombe steht. Inmitten der aufsteigenden Flammen scharen sich die Schüler voller Verzweiflung um die Lehrer und klammern sich an ihnen fest. Die Lehrer konnten das Leben der Schüler nicht schützen. Man meint ihre Stimmen voller Gram zu hören.
Vielen einfachen Menschen wurde in einem einzigen Augenblick ihr Leben und ihre Zukunft geraubt. Und auch die Überlebenden litten lange unter den gesundheitlichen Schäden infolge der radioaktiven Strahlung. Dieses Leid setzt sich auch achtzig Jahre nach dem Abwurf der Atombombe bis heute fort. Ich möchte die führenden Persönlichkeiten auf der Welt sowie die jungen Menschen, die ein neues Zeitalter erschließen, nachdrücklich bitten, die Orte der Atombombenabwürfe, Hiroshima und Nagasaki, unbedingt zu besuchen und die realen Auswirkungen dieser Bomben kennenzulernen.
(Nordkorea)
Frau Präsidentin,
dieses Engagement für eine „Welt ohne Kernwaffen“ wird heute von Nordkorea offen herausgefordert. Das Nuklear- und Raketenprogramm dieses Landes stellt eine ernste Bedrohung des Friedens und der Sicherheit der internationalen Gemeinschaft dar. Wir fordern Nordkorea mit großem Nachdruck dazu auf, die zahlreichen Resolutionen des Sicherheitsrats für seine vollständige Denuklearisierung ohne Abstriche umzusetzen. Zusätzlich besteht zwischen Japan und Nordkorea das Problem der entführten japanischen Staatsangehörigen. Die Entführten und ihre Familien sind bereits hoch betagt; die Entführungsproblematik steht heute unter großem Zeitdruck und sie bildet ein humanitäres Problem, das wir unter keinen Umständen ignorieren dürfen. Auf der Grundlage der japanisch-nordkoreanischen Erklärung von Pjöngjang streben wir die umfassende Lösung der noch ausstehenden Probleme der Entführungen sowie des Nuklear- und Raketenprogramms, die Aufarbeitung der unglücklichen Vergangenheit und die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Nordkorea an. Dieser Kurs besteht unverändert fort. Japan ruft Nordkorea weiterhin zum Dialog auf. Ich bitte die internationale Gemeinschaft hierfür nachdrücklich um ihr Verständnis und ihre weitere Unterstützung.
(Japans Engagement für die internationale Gemeinschaft)
Frau Präsidentin,
die Rolle der Vereinten Nationen beschränkt sich nicht nur auf den Bereich Sicherheit im engeren Sinn. Um Frieden und Sicherheit international zu verwirklichen, sind auch die Aktivitäten dieser Organisation in den Bereichen Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich. Das Konzept von „Human Security“, dem Japan besondere Bedeutung beimisst, lenkt den Blick auf den einzelnen Menschen und die Vorstellung, die Würde jedes Menschen zu schützen. Japan strebt keineswegs danach, durch seine Hilfe wirtschaftliche Vorteile oder gar militärische Stützpunkte zu erlangen. Vielmehr möchten wir aufrichtig mit allen Ländern auf der Welt zusammen lachen, zusammen weinen und gemeinsam Schweiß vergießen. Dies ist die Grundlage der internationalen Zusammenarbeit Japans. Auf der Basis dieses Entschlusses hat Japan letzten Monat in Yokohama die 9. Tokyo International Conference on African Development (TICAD) veranstaltet. Seit ihrer Gründung 1993 hält Japan kontinuierlich an seiner Haltung fest, Afrika dabei zu unterstützen, die Aufgaben, vor denen dieser Kontinent steht, selbst zu lösen. Auch bei der diesjährigen Konferenz hat Japan gemeinsam mit Afrika innovative Lösungen hervorgebracht, bei denen Technologien und Knowhow aus Japan genutzt werden. Wir haben auch die „Economic Region Initiative of Indian Ocean-Africa“ ins Leben gerufen, mit der Handel und Investitionen zwischen Afrika und der Region des Indischen Ozeans gefördert und die Integration innerhalb Afrikas unterstützt werden sollen. Beim Vorantreiben dieser Initiative werden wir zudem eng mit Indien zusammenwirken. Japan wird sich auf weiterhin dafür engagieren, einen „Freien und Offenen Indopazifik“ (FOIP) zu realisieren.
Frau Präsidentin,
jedes Land muss sich seiner Geschichte aufrichtig stellen, wenn es eine helle Zukunft genießen will. Das Unheil des Krieges darf sich unter keinen Umständen wiederholen. Anlässlich des Gedenktages zum Kriegsende am 15. August dieses Jahres habe ich mir selbst geschworen, mir dies erneut zu Herzen zu nehmen. Viele Angehörige der Generation, die den zweiten weltweiten Krieg der Menschheit miterlebt hat, der die Staatengemeinschaft spaltete, haben sich in den einzelnen Ländern aus der Mitte der Gesellschaft zurückgezogen. In dieser Situation beschreitet die internationale Gemeinschaft erneut einen Weg in Richtung Spaltung und Konfrontation. Tagtäglich verlieren in der Ukraine und im Nahen Osten zahlreiche Menschen ihr Leben. Das passiert auch in Ostasien, wo Japan liegt. Die Sicherheit dieser Regionen ist eng miteinander verknüpft. Die auf der Herrschaft des Rechts basierende freie und offene internationale Ordnung, die wir bisher angestrebt haben, steht heute vor einer historischen Herausforderung. Ich möchte eindringlich appellieren: Wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen wollen, ist es von großer Wichtigkeit, dass wir von nun an gesunde und widerstandsfähige Demokratien ausbilden und diese verteidigen. Dazu möchte ich mit Nachdruck aufrufen. Ich bin kein Optimist, der glaubt, Frieden werde automatisch in die Welt einziehen, sobald Demokratie sich ausbreite. Wir müssen uns gegen Totalitarismus und verantwortungslosen Populismus wenden und dürfen nicht in engstirnigen Nationalismus verfallen. Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit verbieten sich. Es ist meine feste Überzeugung, dass gerade gesunde und widerstandsfähige Demokratien einen großen Beitrag für die Bewahrung und Stärkung einer freien und offenen internationalen Ordnung sowie für weltweiten Frieden und Sicherheit leisten. Das Fundament hierfür sind der Mut und die Aufrichtigkeit, die Vergangenheit ehrlich zu betrachten, die Ausbildung eines Bewusstseins für die Menschenrechte sowie ein gesunder Raum für offene Debatten unter Einschluss eines Journalismus, der sich seiner Bestimmung genau bewusst ist. Dazu kommt ein Liberalismus im ursprünglichen Sinne, der tolerant genug ist, anderen Meinungen aufrichtig zuzuhören.
Frau Präsidentin,
seit der Konferenz von Bandung, bei der erstmals Staaten aus Asien und Afrika zusammenkamen, um zur Förderung des weltweiten Friedens und zur Zusammenarbeit aufzurufen, sind siebzig Jahre vergangen. Es war die erste richtige internationale Konferenz, an der Japan nach dem Zweiten Weltkrieg teilnahm. Die Menschen in Asien haben bei der Aufnahme Japans nach dem Krieg einen Geist der Toleranz gezeigt. Dabei muss es zuvor heftige Kontroversen gegeben haben. Jedoch hat sich mein Land, unterstützt durch diesen Geist der Toleranz und mit dem Schwur, keine Kriege mehr zu führen, für die Verwirklichung eines dauerhaften Friedens in der Welt eingesetzt. Bei dem Meinungsaustausch, den ich mit den Anführern asiatischer Länder – angefangen bei Südkorea, China und den Staaten Südostasiens – führte, war ich erneut bestrebt, die zukunftsweisenden Beziehungen weiter auszubauen, und ich habe diese Überzeugung mit den Anführern dieser Länder geteilt. In den vergangenen zwölf Monaten bin ich zusätzlich zu meinen Besuchen in den Ländern Asiens sowie Lateinamerikas auch in Japan mit zahlreichen Regierungschefs zu Gesprächen zusammengetroffen. Insgesamt waren es in diesem einen Jahr neunzig Länder und vier internationale Organisationen. Dabei habe ich bei vielen Gelegenheiten gespürt, dass die Länder weltweit Japan brauchen. Ich wünsche mir, dass Japan auch in Zukunft ein Land sein wird, nach dem die Welt fragt. Dies hoffe ich von ganzem Herzen.
Für eine möglichst rasche Verwirklichung der Reform des Sicherheitsrats. Für die Realisierung einer „Welt ohne Atomkrieg“ sowie einer „Welt ohne Kernwaffen“. Für eine Welt, die die globalen Aufgaben gemeinsam meistert. Und schließlich: Für Solidarität statt Spaltung und für Toleranz statt Konfrontation. Japan wird auch weiterhin gemeinsam mit der Staatengemeinschaft diesen Weg beschreiten. Mein Land wird, ohne zu wanken, sein Engagement – an der Spitze stehend – fortsetzen. Mit diesem festen Entschluss möchte ich meine Rede beschließen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.