Botschaft von Japan
.Neues aus Japan Nr.                            April 2005

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Die Rolle der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau des Irak


 

 

 

 

 

Am 29. November 2003 wurden der japanische Diplomat Katsuhiko Oku, sein junger Kollege Masamori Inoue und ihr irakischer Fahrer südlich von Tikrit, Irak, von Unbekannten erschossen. Oku war als Botschaftsrat (er wurde postum zum Botschafter befördert) längerfristig in den Irak entsandt worden, um verschiedene Aufgaben der japanischen Regierung im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Landes wahrzunehmen. So prüfte er, was die Menschen im Irak für den Wiederaufbau ihres Landes benötigen und sorgte dafür, dass die japanischen Hilfsprojekte im Land effizient durchgeführt werden. Den nachfolgenden Artikel hat er während seines Aufenthalts in Bagdad verfasst. Neues aus Japan gibt in dieser Ausgabe das Manuskript leicht gekürzt wieder.

 


Die Rolle der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau des Irak

von Katsuhiko Oku

Ein Schock für die Menschen im Irak
Am Nachmittag des 19. August 2003 hörte ich in der jordanischen Hauptstadt Amman, von wo aus ich nach dem Ende meines Sommerurlaubs nach Bagdad weiterreisen wollte, plötzlich eine schockierende Nachricht. Das Canal-Hotel im Nordosten Bagdads, das als Sitz der Vereinten Nationen im Irak diente, war durch einen Bombenanschlag weitgehend zerstört worden.
Bereits Anfang August, als auf die Jordanische Botschaft in Bagdad ein Bombenanschlag verübt worden war, hatte man sich insgeheim gefragt, ob sich die Angriffe nun nicht mehr nur auf die amerikanischen Soldaten beschränkten. Dass aber auch die VN ein Ziel sein könnten, daran hatte niemand geglaubt. Als ich am nächsten Tag nach Bagdad zurückkehrte, spürte ich gleich, dass dieser Anschlag für die Menschen im Irak, die der Übergangsregierung unter Führung der Vereinigten Staaten skeptisch gegenüberstanden, ein großer Schock war und sie tief beunruhigte. Die Skepsis der einfachen Menschen im Irak gegenüber den Beatzungsbehörden, denen es bei Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius nicht gelang, die Sicherheit und die lebensnotwendige Infrastruktur wie Stromversorgung zu gewährleisten, nahm weiter zu. Da sich trotz der erlangten Freiheit das Leben gegenüber der Vorkriegszeit verschlechterte, hatte die anfänglich herrschende positive Einstellung gegenüber den US-Streitkräften deutlich nachgelassen. Die meisten Iraker glauben, dass allein die VN ihnen wirklich helfen können. Uns Mitarbeitern der Coalition Provisional Authority (CPA) und den US-Streitkräften erscheint diese Auffassung - ehrlich gesagt - nicht unbedingt fair gegenüber unserem Engagement. Jedoch ist dies ein Beweis dafür, dass die VN mit ihren Beiträgen im Bereich humanitäre Hilfe bei den Menschen im Irak trotz ihrer ausländischen Provenienz eine besondere Stellung einnehmen. Gerade deshalb war der Schock nun besonders groß. Es ist noch nicht abzusehen, welche Auswirkungen der Anschlag auf die künftige Rolle der VN haben wird, jedoch bildet er für den weiteren Weg des Iraks nach dem Krieg einen einschneidenden Wendepunkt.

Der bei diesem Anschlag ums Leben gekommene Sonderbeauftragte des VN-Generalsekretärs für den Irak, Sergio de Mello, hatte nach Annahme der Resolution 1483 des Sicherheitsrates (vom 22. 05. 2003) gegenüber dem Chef der CPA, Paul Bremer, die Präsenz der VN allmählich ausgebaut. Von Seiten der CPA bestand nun durchaus die Bereitschaft, die kooperativen Beziehungen zu den VN weiter zu vertiefen, als dieser Anschlag geschah. Sollten die VN sich nun zurückziehen, entspräche dies genau der Absicht der Terroristen. Die jetzige Situation im Irak bietet uns zahlreiches Anschauungsmaterial dafür, ernsthaft darüber nachzudenken, welche Aufgaben die VN angesichts der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten innerhalb der internationalen Gemeinschaft erfüllen können.

Stärkeres Engagement der Vereinten Nationen im Irak
Vielen dürfte nicht bekannt sein, dass der Irak zu den Gründungsmitgliedern der VN zählt. Die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Irak und den VN ist ironischerweise dadurch geprägt, dass jedes Mal, wenn Saddam Hussein einen Konflikt mit einem Nachbarstaat auslöste, sich die Beziehungen zwischen dem Irak und den VN intensivierten. Das geschah während der Überwachung des Waffenstillstands nach dem acht Jahre währenden Krieg zwischen dem Irak und dem Iran auf der Grundlage der Resolution 678 des Sicherheitsrates, bei der Billigung der Anwendung von Gewalt durch die internationalen Streitkräfte im Golfkrieg 1991 sowie später erneut bei der Einrichtung der Flugverbotszonen im Irak. Schließlich gab es noch die humanitäre Hilfe im Rahmen des Programms Öl-für-Lebensmittel sowie das Inspektionsteam der VN für die Suche nach Massenvernichtungswaffen. Die Beziehungen zwischen den VN und dem Irak vertieften sich dadurch immer mehr.
Wie kommt es, dass sich das Verhältnis zwischen den VN und dem Irak - insbesondere in Bezug auf Sicherheitsfragen - so sehr vom Engagement der VN im Rahmen anderer Konflikte weltweit unterscheidet? Ein Grund dürfte sein, dass Ereignisse im Irak das Kräfteverhältnis in der ganzen Region Mittlerer Osten beeinflussen können. Wir alle erinnern uns noch gut an den Konflikt, der unmittelbar vor dem Krieg zwischen dem von den Vereinigten Staaten und Großbritannien angeführten Lager, das die Anwendung militärischer Gewalt gegenüber dem Irak für unverzichtbar hielt, und dem anderen Lager unter der Führung Frankreichs, Russlands und Deutschlands bestand, das eine Fortsetzung der Inspektionen durch die VN forderte. In diesem Zusammenhang gestaltet sich die Position der VN trotz der Annahme der Resolution 1483 des Sicherheitsrates, die die Unterstützung der Rolle der VN in der Verwaltung des Iraks nach dem Krieg festlegt, außerordentlich komplex.

Für den Wiederaufbau vor Ort sind die Vereinten Nationen unerlässlich
Schon vor der Erklärung von US-Präsident George W. Bush vom 1. Mai 2003, dass die wichtigsten Kampfhandlungen im Irak beendet seien, hatten Hilfsorganisationen der VN ihre Tätigkeit im Irak wieder aufgenommen. Anfang April, noch während der Kämpfe um Bagdad, war ein Expertenteam des Kinderhilfswerks der VN (UNICEF) mit der Versorgung mit Wasser und Medikamenten im Südirak befasst, insbesondere in der Umgebung von Basra und Umm Qasr. Während der Vorgänger der CPA, das Office of Reconstruction and Humanitarian Aid (ORHA) in Kuwait noch die Pläne für die Entwicklung des Nachkriegsiraks zusammenstellte, hatte das UNICEF-Team bereits die Wasserversorgung im einzigen Krankenhaus von Umm Qasr wiederhergestellt. Als einer der ersten Japaner, die seit März offiziell in den Irak gekommen waren, hatte ich das Glück, Mitglied dieses Teams zu sein.
Ich erinnere mich, wie überrascht ich war, als das UNICEF-Team sich selbst als Untersuchungsteam bezeichnete. Es hatte zahlreiche Wassertanks aus Polyvinyl mitgebracht, die nun sofort beim Krankenhaus aufgebaut wurden. Das war zu einer Zeit, als die Wasserversorgung in den befreiten Zonen des Iraks komplett zusammengebrochen war und große Teile des Landes von der Wasserversorgung der UNICEF, die mit gemieteten Tankwagen aus Kuwait durchgeführt wurde, abhängig waren. Chris Klein-Beekman, der beim Anschlag auf das VN-Hauptquartier ums Leben kam, hatte mir erzählt, dass mit diesen LKW jeden Tag etwa sechzig Tankladungen Wasser transportiert wurden.
Die Vorbereitungen dafür, so erfuhr ich, hatten bereits vor dem Krieg mit der sorgfältigen Prüfung der irakischen Einrichtungen in den Sektoren medizinische Versorgung und Bildung durch UNICEF begonnen, so dass - wenn auch als Interimslösung - die Tätigkeit sofort aufgenommen werden konnte. Bisher hatte ich immer geglaubt, dass die VN-Hilfsorganisationen sich durch hohe Verwaltungskosten und geringe Effizienz auszeichneten. Nun merkte ich, dass ich falsch gedacht hatte. Dies war ein gutes Vorbild für dringend benötigte Hilfe.
Die Diskussion um die Vertiefung des Hafens von Umm Qasr, der zu klein war, um die Schiffe des Welternährungsprogramms (WFP) aufzunehmen, begann ebenfalls zu dieser Zeit. Die britischen Streitkräfte hatten das Problem als erste erkannt, und sie fragten mich, ob Japan zusammen mit Großbritannien die Arbeiten für die Vertiefung des Hafens übernehmen könne. Es bestand die Sorge, dass sonst die Hilfslieferungen nicht rechtzeitig zu den Menschen im Irak gelangten. Auch die Mitarbeiter des WFP drangen auf eine rasche Lösung.
Nach japanischen Recht kann, wenn ein Staat über keine funktionsfähige Regierung verfügt, Japan seine Hilfe nur über Nichtregierungsorganisationen oder internationale Organisationen anbieten. Ich rief sofort beim VN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in Kuwait an und bat dieses um Zusammenarbeit. Der verantwortliche Mitarbeiter, der Belgier Peter Ruysseveldt, lachte und sagte: „Herr Oku, das ist nicht einfach, aber wir versuchen es mal!“
Das Projekt erfuhr einiges Hin und Her - so das Ausscheiden der Briten, als die britische Ministerin für Internationale Entwicklung, Clare Short, bestimmte, dass es gegen die Prinzipien verstoße, den Streitkräften zu helfen, sowie der Versuch des US-Beratungsunternehmens Bechtel, Japan beiseite zu schieben, indem es erklärte, die Arbeiten würden am nächsten Tag aufgenommen. Aber Ruysseveldt blieb standhaft und sorgte dafür, dass die Vertiefung des Hafens von Umm Qasr als japanisches Projekt durchgeführt wird. Er selbst war vom Anschlag auf das Canal-Hotel nicht betroffen, da er gerade woanders war, aber seine Frau wurde verletzt.
Dies sind nur einige der Aktivitäten, die die Hilfsorganisationen der VN im Irak mit japanischer Beteiligung durchführten. Aus eigener Erfahrung möchte ich sagen, dass die Arbeit dieser Organisationen zweifellos unverzichtbar ist. Wegen des Bombenanschlags haben nun aber viele nicht-irakische Mitarbeiter der VN das Land verlassen, so dass der Wiederaufbau erheblich behindert wird.

[…]

Erfüllen der Vision von Sergio de Mello
Auch wenn die Präsenz der VN im Irak derzeit abnimmt, möchte ich doch daran erinnern, dass das politische und gesellschaftliche Fundament für die Akzeptanz der Tätigkeit der VN im Irak bereits vorhanden ist. Auf diesem Fundament muss aufgebaut werden. Manche glauben, dass die VN ohne amerikanische Unterstützung machtlos sein werden, solange die Vereinigten Staaten die einzige wirkliche Großmacht sind. Man kann dies nicht völlig von der Hand weisen, wie der Lauf der Ereignisse, der zum Beginn der Kampfhandlungen im Irak führte, gezeigt hat. Jedoch wird die Einsetzung einer Übergangsregierung sowie einer regulären, auf der neuen Verfassung beruhenden Regierung viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Vielleicht wird die Last für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu groß werden, um sie allein zu tragen. Letztendlich wird das Engagement der VN notwendig und entscheidend sein.
Angesichts dessen verfügt die Regierung von Japan über angemessenen Spielraum, selbst einen Beitrag zum Wiederaufbau des Iraks zu leisten - und zwar nicht unter Bedingungen, die durch einen Zusammenstoß der islamischen Kultur mit den nicht-islamischen Kulturen geprägt sind, sondern durch die Ermunterung islamischer Staaten wie Syrien und Pakistan - nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates - sich selbst an die Spitze des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus zu stellen. Nur wenn es uns gelingt, den Wiederaufbau mit dieser Konstellation durchzuführen, können wir die Vision des VN-Sonderbeauftragten Sergio de Mello erfüllen, der selbst, als er sterbend unter den Trümmern des Hotels lag, noch darum gebeten hatte, nicht von seiner Aufgabe entbunden zu werden.
                                                                                (Auszug aus "Gaiko Forum" Nr. 184)

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