Der Film von Hirokazu Kore-Eda, der bei den Filmfestspielen von Cannes im
letzten Jahr für Furore sorgte und bereits auf zahlreiche Auszeichnungen wie Bester Hauptdarsteller (Cannes) oder den Großen Preis von Film Chicago
2004 verweisen kann, ist in Deutschland gerade jetzt von ungeahnter
Aktualität.
Erst
vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass in Hamburg die siebenjährige Jessica
qualvoll in ihrer Wohnung verhungerte – ein Mädchen, von dessen Existenz
kaum jemand wusste, das niemand je gesehen hatte und das keine Schule
besuchte. Kore-Eda, dessen filmisches Schaffen bekannt dafür ist, dass er
Menschen genau beobachtet und mit seinen Werken immer Anlass gibt, das Leben
in Frage zu stellen und nach seinem Sinn zu befragen, sieht bevorzugt dahin,
wo es weh tut. Existentiell ist so auch der Plot von „Dare mo shiranai –
Nobody knows“. Eine Mutter lässt ihre Kinder (zwei Jungen und zwei Mädchen
von jeweils verschiedenen Vätern) im Großstadtmoloch Tokyo zurück, um
unbeschwert ein neues Leben beginnen zu können. Nur Akira (Yuya Yagira) -
mit 12 Jahren der Älteste - darf vor die Tür, um seine jüngeren Geschwister
zu versorgen, von denen niemand weiß, dass es sie überhaupt gibt. Schickt
die Mutter zu Beginn noch ab und an Geld, beginnt bald der Kampf der Kinder
um das pure Überleben...
Kore-Eda erzählt die Geschichte über einen Zeitraum von einem Jahr mit
seinen sich wandelnden Jahreszeiten in bedächtigen, fast meditativen
Bildern. 70% der Handlung spielen in der klaustrophobisch kleinen
Drei-Zimmer-Wohnung, in der die Kinder versuchen, ihr Leben zu
reorganisieren. Was sich Kinder vielleicht wie einen paradiesischen Zustand
ausmalen – nicht zur Schule
zu
müssen, bis in den frühen Morgen aufbleiben können, tun und lassen, was man mag -
entwickelt sich für Akira und seine Geschwister zum Alptraum. Der Regisseur
hält sich mit Schuldzuweisungen und definitiven Aussagen zum Versagen der
modernen Gesellschaft zurück. Seine Intention bestand offensichtlich eher
darin, behutsam das Verhalten der Kinder untereinander, ihre Versuche, ihre
innere Welt zu organisieren und sich in die fremde Außenwelt vorsichtig
einzufügen, zu beobachten und zu illustrieren. Der plötzlich für seine
Geschwister verantwortliche Akira ist gezwungen, in kürzester Zeit erwachsen
zu werden und folgenschwere Entscheidungen zu fällen. Je verschlissener
seine Shirts, desto entschlossener wird sein Blick. Für diesen Prozess fand
Kore-Eda wundervolle leise Bilder, die er wie in einer Dokumentation
aneinanderfügt.
Kore-Eda: „Der Film soll kein sozialkritisches Statement sein. Das Anliegen
meines Filmes ist es, ein gewisses Bewusstsein für unser Umfeld zu fördern,
um solche Zwischenfälle zu vermeiden.“
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