Botschaft von Japan
Neues aus Japan Nr.46                          September 2008

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bericht eines Teilnehmers am JET-Programm:

Als deutscher CIR in der Präfektur Ehime auf Shikoku

 

Jedes Jahr Anfang August machen sich junge deutsche Hochschulabsolventen auf den Weg nach Japan, um sich für die Internationalisierung Japans zu engagieren. Dies geschieht im Rahmen des Japan Exchange and Teaching (JET) Programms, mit dem jährlich über 5000 junge Menschen aus fast 40 Ländern hauptsächlich als Assistenz-Sprachlehrer oder Sporttrainer in Schulen arbeiten bzw. in Rathäusern oder Präfekturverwaltungen außerhalb der großen Zentren wie Tokyo oder Osaka im Bereich Internationale Beziehungen assistieren.
Zur Zeit arbeiten zwei Assistenz-Deutschlehrer und 15 deutsche Koordinatoren für Internationale Beziehungen (CIR) in Japan. Einer von letzteren, Marco Schulze, ist seit über einem Jahr in der Präfektur Ehime auf Shikoku, der kleinsten der vier Hauptinseln Japans.
Lesen Sie hier seinen poetischen Bericht, wie er nach Japan und zu den japanischen Kampfkünsten kam:
 

 

 

 

 

 

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Es ist unglaublich und doch irgendwie zu real. Ich liege hier in meinem kleinen 6-Tatami-Raum und starre an die Decke. Draußen brennt die Sonne und diese feuchtwarme Schwüle ist schon fast unerträglich. Mein ganzer Körper klebt vom Schweiß. Dabei bin ich doch gerade erst vor fünf Minuten aus dem Bad gekommen, wo ich mir eine erfrischende Dusche gegönnt hatte.

Die zwei Ventilatoren in meinem Zimmer laufen auf Hochtouren, doch sind sie kaum wahrzunehmen, denn draußen zirpen die Zikaden und schreien es mit der ganzen Kraft ihres kleinen Leibes hinaus „Es ist Sommer! Es ist Somme me me meee r!“.

Das ist er also, der unverwechselbare Klang der heißen Jahreszeit hier in Japan!

Ich starre an die Decke und kann es kaum fassen. Nun ist also tatsächlich ein Jahr vergangen, seitdem ich hierher kam. Hier in das kleine verschlafene Städtchen in den Bergen von Uchiko einer Region in Ehime, der nördlichen Präfektur von Shikoku.

Es ist schon merkwürdig, doch irgendwie, so scheint es, ist mein Leben bereits seit langem mit Japan und besonders dieser Insel hier verbunden.

   

Ich erinnere mich noch genau wie mein Vater damals, auf meine kindliche Frage hin, warum ich Marco heiße, plötzlich aufstand, zum Bücherregal ging und ein schon ergrautes Buch sehr behutsam und mit wichtiger Mine aus dem Regal holte. Er blätterte kurz in den Seiten, atmete tief ein … dann hielt er inne, stand einfach nur da, das Buch in den Händen und für einen Augenblick, so erschien es mir, versank er in eine andere mir noch unbekannte Welt. Als er seinen Blick wieder auf mich richtete, erschien ein leichtes Lächeln in seinem Gesicht. Er setzte sich zu mir und begann mir eine so abenteuerliche Geschichte zu erzählen, dass mir vor Aufregung das Herz bis in die Ohren schlug. Er erzählte mir eine uralte Geschichte von einem jungen Mann, der ans andere Ende der Welt reiste, Wüsten durchquerte, das Kämpfen bei einem wilden Reitervolk erlernte, der Vertraute des großen Khan wurde, dem Herrscher eines riesigen Reiches weit im Osten, sich unsterblich in eine asiatische Prinzessin verliebte, für sie sein Leben riskierte, … und in ein Inselland als Botschafter des Khan reiste, in dem ein noch kriegerischeres Volk lebte, einem Land, wo die Dächer der Häuser aus puren Gold bestanden haben sollen … Zipangu … Japan, das „Land der aufgehenden Sonne“! Es war die Geschichte von Marco Polo, die meinen Vater von Kindheit an in den Bann zog und ihn dazu bewegte, mich, seinen Sohn, nach diesem Mann zu benennen.

Von diesem Tag an ließ auch mich diese Geschichte nicht mehr los. Und ein um das andere Mal träumte ich mich in so wundervolle Abenteuer und bestritt atemberaubende Kämpfe in diesem fernen und faszinierenden Land.
Und nun … ?! Nun bin ich hier! In Japan, genau wie Marco Polo!

War mein Leben also bereits vor meiner Geburt mit diesem Land verbunden? Mein Herz schlägt schneller bei diesem Gedanken. Ich muss lachen! Ich bin immer noch der kleine Marco von früher … immer noch ein Kind … immer noch ein Träumer!
Und doch ist es kein Traum! Ich bin hier!

Ich arbeite hier im Rathaus der Stadt! Bin ein Vertrauter unseres Bürgermeisters! Na, ich will mal nicht übertreiben. Ich bin vertraut mit ihm. Aber wer will schon so kleinlich sein. Ich bin hierher als CIR (Koordinator für internationale Beziehungen) gekommen und somit als Kulturbotschafter meines Landes. Und seit Monaten lerne ich hier in diesem kleinen verschlafenen Bergstädtchen zu kämpfen, wie einst die legendären Samurai. Es ist die Jahrhunderte alte „Kunst des Schwertziehens“, die man auf Japanisch „Iaido“ nennt. Und auch diese Geschichte könnte, so unglaublich es sich auch anhören mag, von einem Film abgeschrieben sein.

Als ich hier mit meinen zwei Kollegen (aus Amerika und Australien) ankam, gab es eine offizielle Begrüßungsfeier für uns, die JETs. Und auf dieser Feier wurde mir und den anderen beiden ausländischen Mitstreitern, die nun hier als ALT (Assistenz Englisch Lehrer) arbeiten, verschiedene japanische Traditionen (die Kunst des Schreibens mit dem Pinsel, Shodo; die des Blumenarragements, Ikebana; der Teezubereitung, Sado; des Papierfaltens, Origami) vorgestellt.

Dann … erschienen zwei ältere Japaner. Sie trugen Kleidung, wie man sie aus den Samuraifilmen kennt und … in ihren Händen hielten sie Samuraischwerter. Ihr Schritt war erhaben und in ihren Gesichtern spiegelte sich vollkommene Gelassenheit. Sie verbeugten sich vor uns, den Zuschauern, dann voreinander und schließlich auch vor ihren Schwertern. Alles geschah in vollkommender Ruhe und mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit. Nun gingen sie in Position und zogen ihre Schwerter. Sie hoben ihre Schwerter hoch über den Kopf. Ihre Augen funkelten einander an. Doch ihre Gesichter waren keineswegs zu einer grimmigen Fratze verzerrt. Wie die Sehne eines Bogens, dem Zerreißen nah, war die Spannung, die den Raum erfüllte. Dann stürmten beide mit unnachgiebiger und tödlicher Konsequenz aufeinander zu. Doch plötzlich … für den Hauch eines Augenblickes hielten beide vor dem Schlagaustausch inne. Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu brennen. Wie ein zusammengedrückter Luftballon, so war die Spannung zwischen den beiden dem Bersten nahe.

Ein gellender Schrei zerriß die Luft. Dann ging alles blitzschnell! Das Schwert des einen Japaners sauste durch die Luft, direkt auf den Kopf seines Gegenüber hinab. Mein Herz blieb stehen! Gleich fließt Blut, dachte ich noch und wollte schon meine Augen vor dem Grauen verschließen, da wich der Japaner im letzten Augenblick nach hinten aus. Das Schwert flirrte durch die Luft und traf ins Leere. Doch schon im nächsten Moment schnellte derselbe Japaner wieder nach vorn und ließ nun seinerseits sein Schwert niedersausen, gefolgt von einem bis ins Mark erschütternden Schrei. Nur wenige Zentimeter, wenn gar nur wenige Millimeter, stoppte das Schwert über dem Scheitel des nun durch den Schwung des eigenen Schwertes leicht nach vorn gebeugten Japaners.

Vorsichtig, den Gegner nicht aus den Augen verlierend, wich nun der geschlagene Japaner zurück. Unnachgiebig folgte ihm die Spitze des Schwertes seines Gegenübers und stand nun drohend zwischen dessen Augen. Noch einen Schritt zurückweichend, löste sich der Geschlagene nun aus der bedrohlichen Umarmung des Todes. Doch der Gegner folgte ihm mit einem weiteren Schritt und erhob nun abermals das Schwert hoch über den Kopf. Keiner ließ den Blick vom anderen. Der geschlagene Japaner richtete sich langsam wieder auf und hob vorsichtig sein Schwert an. Da löste sich sein Gegner, glitt einen Schritt nach hinten und senkte nun auch seinerseits das Schwert. Mit einem leisen Klirren berührten sich nun die Spitzen der beiden Schwerter. Fast zärtlich berührten sie sich und rieben sich aneinander wie Liebende, als sich die beiden Schwertmeister lautlos, bis auf das Rauschen der weiten Hosenröcke, zurück zur Mitte der Bühne bewegten. Ich begann wieder zu atmen. Darauf folgten noch neun weitere Kata-Formen.

Am Ende war ich allein vom Zuschauen völlig erschöpft. Es war einfach großartig.

Nun zeigte einer der beiden Schwertmeister noch einige Formen der japanischen Kunst des Schwertziehens. Die waren nicht minder aufregend, auch wenn hier „nur“ gegen einen imaginären Gegner gekämpft wird. Betrachtet man Iaido nur einfach so, ist vielleicht nichts besonders faszinierend. Es sei denn, man kann sich für die schönen und harmonischen Bewegungen begeistern. Doch wenn man sich darauf einlässt und die Spannung dieser tödlichen Auseinandersetzung versucht zu erspüren, eröffnet sich einem eine ganz neue Welt. Wie die Schlange den Frosch, fixiert der Schwertmeister seinen Gegner und nähert sich ihm unmerklich. Bewegt sich die Schlange zu früh, ist der Frosch noch außer Reichweite, ist sie zu nah, springt er weg. Es gibt nur eine Chance. Man muss Ruhe bewahren. Ruhe bewahren in einer Situation, die auch für einen selbst tödlich enden kann. Ist der richtige Moment gekommen, darf man nicht mehr zögern, darf man nicht mehr zweifeln, das ganze Selbst aufgebend, sich voll und ganz in den Schlag vergessend investieren. Aus dieser Ruhe heraus muss nun die Energie förmlich explodieren und das Schwert kraftvoll, blitzschnell und mit tödlicher Präzision in sein Ziel geführt werden. Der Schwertmeister bewegt sich. Doch wann und aus welcher Richtung wird er nun sein Schwert aus der Scheide springen lassen? Iaido ist eine Kunst mit „einer tödlichen Eleganz“.

Bis zu diesem Augenblick dachte ich noch, dass es sich bei den Schwertern um die sonst verwendeten Schwertimitate handelte. Doch dann demonstrierte der Iaido-Meister die Schärfe seiner Klinge an einem freihängenden Tuch. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, als mir klar wurde, was ich an diesem Tag eigentlich gesehen hatte. Ich war fasziniert und mein Interesse war geweckt.

Irgendwie muss dieser eine Lehrer das in meinen Augen gelesen haben, denn wenige Tage später besuchte er uns in unserem Büro und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, Iaido zu erlernen, er wolle eine kleine Gruppe hier gleich in der Nähe eröffnen.

Mein Herz schlug Purzelbäume, als ich dies vernahm, und ich konnte es kaum glauben. Natürlich war ich sofort Feuer und Flamme. Von da an trainierte mich dieser nette kleine ältere Herr, dessen Lächeln und Geduld kein Ende zu haben schienen. Die Gruppe war klein und es gab etliche Tage, an denen ich allein mit meinem Lehrer trainierte. Die Übungen waren hart, denn nichts blieb ihm und seinem wachen Auge verborgen. Alle meine Schwächen deckte er nach und nach auf und begann sich daran zu machen, diese Kanten und Ecken vorsichtig abzuschleifen und zu polieren. Als ich bereits einige Monate hart trainiert hatte, trat er an mich heran und sagte, es sei an der Zeit, das wahre Gefühl für das Schwert und dessen Seele zu bekommen. Und so kam es, dass er mich auch in der Kunst des Schwertschneidens „Tameshigiri“ unterrichtete. Es war ein komisches Gefühl, als ich zum ersten Mal ein echtes japanisches Schwert in den Händen hielt. Das Gefühl damit zu schneiden ist noch unglaublicher. Dieser weiche Widerstand, den auch harte Objekte dem japanischen Schwert nur, entgegenbringen können …. Um so erschreckender ist der brachiale Ruck, der den ganzen Körper durchfährt, wenn man in der Technik fehlt. Diese Faszination, die von der Handhabung des Schwertes ausgeht, ist kaum in Worte zu fassen. Und dennoch, wenn ich versuche, mir vorzustellen, was der eigentliche Zweck dieser Übung war, die ich nun mit so viel Hingabe erlerne, wird mir ganz schummrig, und der kindliche Glanz der Augen verliert vor der erschreckenden Brutalität dieser gar nicht so fernen Realität sein Strahlen, und man wird ernst und ruhig.

Gelassenheit zu bewahren in möglichst allen Situationen, ist eine der wichtigen Tugenden, die die japanischen Kampfkünste zu vermitteln versuchen.

Doch wie kann man Gelassenheit bewahren, wenn der Lehrer einem eröffnet an einem Wettkampf teilzunehmen? Einem Wettkampf? Hier in Japan …? Ich, ein Ausländer, der gerade mal angefangen hat, diese uralte Kunst zu erlernen? Zuerst dachte ich, es war ein guter Scherz, den sich da mein Lehrer mit mir erlaubte. Doch es war kein Scherz! Genauso wenig, wie ein Monat zuvor, als ich an der 1. Kyu Prüfung teilnehmen sollte … und bestand. Vor dem Wettkampf erhöhte ich noch einmal mein Trainingspensum um ein Vielfaches. Ich war sicher in dem, was ich gelernt hatte, und ich hatte nichts zu verlieren. Wenn ich unterliege, hier in Japan, so ist es das Normale, das, was alle hier erwarten. Für die Japaner aber, die gegen mich antreten mussten, stand viel mehr auf dem Spiel. Sie durften nicht verlieren! Nicht gegen einen Ausländer! So ging ich also recht gelassen in meinen ersten Wettkampf. Allen eigenen Erwartungen zum Trotz stand ich, den Prophezeiungen meines Lehrers entsprechend, nach einem langen Tag im Finale und siegte. Es war unglaublich. Mein Name wurde verlesen, dann stand ich vorn und bekam den Pokal überreicht! Nun ist mein Name Teil der Geschichte dieses Wettkampfes und somit auch fest eingebrannt in den Annalen der japanischen Geschichte. Ein ein Schauer überfiel mich, als mir dies bewusst wurde, und leichtes Beben erfasste meinen Körper, so wie wenn einen die Unendlichkeit berührt. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Nach meiner 1. Dan Prüfung nahm ich noch an zwei weiteren Wettkämpfen teil und rang alle Gegner bis zum Finale nieder. Noch einmal konnte ich den Sieg davon tragen. Bei meinem letzten Wettkampf verlor ich jedoch den Finalkampf und wurde somit Zweiter. Doch der nächste Wettkampf steht bereits vor der Tür und das Training geht weiter.

Nun ist es aber nicht so, dass ich in Japan zum ersten Mal mit japanischer Kampfkunst in Berührung gekommen bin. Nein, ganz und gar nicht. Bereits vor 18 Jahren begegnete ich, genau zur Wendezeit, im Sommer 1990, in einer kleinen schmutzigen Turnhalle auf dem Gelände einer Ostberliner Polizei Wache, in der Nähe der Grenze zu Westberlin, einem jungen Japaner, der ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, einigen Ostberliner Interessierten, die japanische Kampfkunst „Kendo“ unterrichtete. Diese Begegnung sollte von nun an mein weiteres Leben nachhaltig mitbestimmen, eine großartige Freundschaft hervorbringen und mich am Ende hierher verschlagen, hier in dieses kleine 6-Tatami-Zimmer, in einem Ort nicht fern seiner Heimat. Denn er stammt auch aus Ehime, aus dem kleinen Fischerdorf Miyakubo auf der Insel Oshima, wo er jetzt wieder zusammen mit seiner Familie lebt. Sein Name ist Hiroshi ...

Ich habe Muskelkater, Blasen an Händen und Füßen … und bin total am Ende. Denn ich bin gerade erst vor einer Stunde vom fünftägigen Kendo-Sommertrainingslager der Universität von Ehime zurück. Ich schaue noch zur Decke, dann verschwimmen die Konturen vor meinen Augen, die Müdigkeit überwältigt mich und entführt mich in ein neues Abenteuer.
 

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