
Das Kreieren von Manga
- Ein Einblick in die japanische Manga-Industrie, die stets neue Meisterwerke hervorbringt
Die Manga-Kultur Japans kann auf eine riesige Zahl von Fans verweisen, die in allen Ländern der Welt leben. Eine Frage, die sich den Lesern von Manga im Ausland immer wieder stellt, lautet: „Warum Japan? Was ist am japanischen System so besonders, dass es in der Lage ist, ein qualitativ hochwertiges Meisterwerk nach dem anderen hervorzubringen?“ In diesem Beitrag werfen wir einen Blick hinter die Kulissen und stellen einige der Faktoren vor, die Manga Made in Japan zu einem künstlerischen Genre machen, das sich durch große Vielfalt und Tiefe auszeichnet und gleichberechtigt neben Literatur und Film steht.
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Enges Zusammenwirken zwischen Künstler und Herausgeber
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Ein Grund, der oft im Zusammenhang mit der hohen Qualität japanischer Manga genannt wird, ist die hervorgehobene Rolle, die der Herausgeber (Editor) spielt. Die erste Phase der Serienproduktion eines jeden Manga beginnt damit, dass sich Künstler und Herausgeber zusammensetzen, um über eine Story zu sprechen. Danach entwirft der Künstler ein grobes Storyboard, das als „Name“ bezeichnet wird. In dieser Phase besteht der Manga nur aus rohen Skizzen, die einfache Zeichnungen mit Dialogtext wiedergeben. Erst wenn der Herausgeber diesem Entwurf sein OK gibt, beginnt die eigentliche Arbeit am Manga. In dieser Phase muss auch über den weiteren Verlauf der Geschichte und die Entwicklung der Charaktere entschieden werden. Abhängig von der Art des Manga führt der Künstler nun Interviews und weitere Recherchen durch. Wenn der Künstler einmal nicht mehr weiter weiß, ist der Herausgeber der perfekte Ansprechpartner für das Einholen von Rat. Viele Mangas sind durch frühe Hinweise des Herausgebers auf eine höhere Stufe der Qualität gehoben worden. Aus Sicht des Künstlers ist der Herausgeber ein kreativer Partner und enger Freund, der die eigenen Bedenken teilt und dafür Sorge trägt, dass die Arbeit zügig vorankommt. Man sagt, dass der Herausgeber zu 30 Prozent am Erfolg eines Manga beteiligt ist.
In Japan fungiert der Herausgeber zudem als Verbindungsglied zwischen Künstler und Leser. So besucht er Buchhandlungen, um die Meinungen von Lesern persönlich zu erfragen, oder er führt Untersuchungen durch, um in Erfahrung zu bringen, wie die Leser nach Erscheinen der einzelnen Episoden eines Manga auf diese reagieren. Diese Art von Feedback kann unter Umständen direkte Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Manga haben. Der Herausgeber wirkt zugleich als Promoter, der Lesungen organisiert, vom Künstler signierte Andenken verteilt, und sich überlegt, wie der Absatz weiter gesteigert werden kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Jobs eines Herausgebers besteht zudem darin, neue Talente zu entdecken und zu fördern.
Das System Made in Japan, das herausragende Manga kreiert
Dem einzigartigen System mit dem Herausgeber im Mittelpunkt, das in Japans Manga-Welt besteht, kommt ein entscheidender Anteil am weltweiten Erfolg der Manga zu. Ein gutes Beispiel dafür, wie dieses System funktioniert, ist das Abstimmungssystem, das vom Manga-Magazin Shonen Jump eingeführt wurde. Jeder Ausgabe des Magazins liegt eine Postkarte bei, mit der die Leser dem Verlag ihre Lieblingsserien nennen können. Der Herausgeber erstellt anhand dieser Abstimmung eine Reihenfolge bezüglich der Popularität der einzelnen Serien für die nächste Ausgabe, bei der die beliebtesten Serien an den Anfang des Magazins gestellt werden. Nicht so beliebte Serien werden aufgrund solcher Abstimmungen oft eingestellt. Die Herausgeber anderer Magazine agieren ähnlich kompromisslos. Wenn die Leser erst einmal das Interesse an einer Geschichte verloren haben, wird ein Magazin die Serienproduktion dieser Geschichte sehr wahrscheinlich nicht fortsetzen – völlig unabhängig vom Bekanntheitsgrad des Künstlers.
Kenichi Nakada, ein Herausgeber japanischer Manga mit vielen Jahren Erfahrung beim Verlag Shogakukan, einem der führenden Verlage Japans, meint, dass Japans einzigartige Infrastruktur mit Blick auf die Herausgeber eine der wichtigsten Stärken der Manga-Industrie in Japan ist: „Ich denke, dass es fast ein halbes Jahrhundert gedauert hat, um das heute bestehende System aufzubauen, das in der Lage ist, eine solch große Menge qualitativ hochwertiger Manga zu kreieren. Der riesige Bestand alter Manga ist eine weitere Stärke der japanischen Manga-Industrie. Wir können auf eine lange Geschichte von Versuchen und Irrtümern zurückblicken – in allen Genres sind die unterschiedlichsten Ideen bereits einmal ausprobiert worden. Es ist daher ganz natürlich, dass dieser große Schatz an Ideen ein großer Vorteil für Manga aus Japan ist.“

Wettbewerb ist ein weiteres wichtiges Element in Japan. Das jedenfalls meint Kyoko Kumagai, eine der bekanntesten Manga-Zeichnerinnen unter Nakadas Fittichen: „Es besteht stets der Anspruch, besser zu sein als die anderen, um einen wirklich großen Erfolg zu landen. Dieser Geist der Konkurrenz treibt die Künstler an und trägt dazu bei, unsere Fähigkeiten weiter zu verbessern. […] Auch talentierte Helfer sind sehr wichtig. Ich habe zurzeit zwei Serien am Laufen, die alle zwei Wochen erscheinen. Jede Episode umfasst 30 Seiten. Alleine könnte ich die ganze Arbeit gar nicht bewältigen, daher arbeite ich stets mit fünf Helfern zusammen. Wichtig sind die kleinen Details, etwa der Hintergrund eines Bildes oder Gegenstände, die die Figuren in ihren Händen halten. Die Qualität des gesamten Produkts leidet, wenn man die Details vernachlässigt. Daher bestehe ich stets darauf, dass alles richtig gemacht wird, bis in die kleinsten Einzelheiten hinein.“
Es ist dem einzigartigen japanischen System der zentralen Rolle des Herausgebers und der Leidenschaft der Künstler und Autoren, die sich ganz dem Kreieren von Manga verschrieben haben, zu verdanken, dass sich Manga Made in Japan zu einem weltweiten Phänomen entwickeln konnten.
(C) Web Japan 2011