
Japan ist wieder da
Rede von Premierminister Shinzo Abe am Center for Strategic and International Studies in Washington am 22.02.2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im vergangenen Jahr veröffentlichten Richard Armitage, Joseph Nye, Michael Green und andere eine Studie über Japan. Sie fragten, ob Japan als ein zweigeteiltes Land enden wird.
Herr Armitage, hier ist meine Antwort an Sie:
Japan ist kein zweigeteiltes Land und es wird auch nie eines werden. Dies ist der Kern der Botschaft, die ich Ihnen hier und heute vermitteln wollte. Ich möchte es noch einmal wiederholen: Ich bin wieder da und das gilt auch für Japan.
Dies ist es, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte. Ich könnte hier schließen und in den nächsten fünfzig Minuten Ihre Fragen beantworten. Allerdings sehe ich, dass Herr Botschafter Sasae jetzt doch sehr besorgt schaut. Daher werde ich nun fortfahren zu sprechen. Geben Sie mir noch weitere zwanzig Minuten.
Die fünf Jahre nach meinem Ausscheiden aus dem Amt des Premierministers waren für mich eine Zeit des intensiven Nachdenkens. Zuerst und vor allem habe ich darüber nachgedacht, wo Japan in Zukunft stehen wird. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob Japan dies oder jenes tun kann. Ich habe vielmehr daran gedacht, was Japan weiter tun muss.
Hier sind die drei Aufgaben, mit denen ich mich ständig beschäftigt habe.
Erstens: Während der Wohlstand in der Region Asien-Pazifik oder Indo-Pazifik immer mehr zunimmt, muss Japan weiterhin an führender Stelle als ein Förderer von Regeln auftreten. Mit Regeln meine ich solche für Handel, Investitionen, geistigen Besitz, Arbeit, Umwelt und so weiter.
Zweitens: Japan muss weiterhin als ein Wächter globalen Gemeinguts agieren, etwa des maritimen Gemeinguts, das offen genug ist, damit alle davon profitieren können.
Mit diesem Anspruch muss Japan drittens noch enger mit den Vereinigten Staaten, Südkorea, Australien und anderen gleichgesinnten Demokratien in der ganzen Region zusammenwirken.
Japan muss ein Förderer von Regeln sowie ein effektiver Verbündeter der Vereinigten Staaten und anderer Demokratien sein.
Ich habe auch einen Globus betrachtet. Dies hat mir klargemacht, dass Japan als Ihr langjähriger Verbündeter und Partner mehr als ein halbes Jahrhundert lang vom Frieden und Wohlstand in Asien-Pazifik profitiert und zugleich einen Beitrag dafür geleistet hat. Das Fundament dafür bildete natürlich unser Bündnis. Es ist nun für Japan an der Zeit, in dieser Ära des Wiederaufstiegs Asiens noch mehr Verantwortung zu übernehmen, um unsere gemeinsamen Regeln und Werte zu fördern, das Gemeingut zu schützen und Seite an Seite mit den leistungsstarken Akteuren in dieser Region weiter zu wachsen. Japan kann sich nicht den Luxus erlauben, sich bei seinem Kampf gegen die wirtschaftliche Malaise nur mit sich selbst zu beschäftigen.
Das Betrachten des Globus hat mir zudem deutlich gemacht, dass Japan auch weiterhin ein starker Partner im Kampf gegen den Terrorismus sein muss. Meine Entschlossenheit ist nach den Ereignissen in Algerien noch gewachsen, wo zehn japanische und drei amerikanische Ingenieure getötet wurden.
Ich habe gespürt, dass die Welt nach wie vor auf einen Beitrag Japans wartet – bei der Förderung der Menschenrechte sowie beim Kampf gegen Armut, Krankheiten oder die globale Erwärmung. Diese Liste lässt sich weiter fortsetzen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich mich erneut um das Amt des Premierministers beworben. Deswegen bin ich fest entschlossen, Japans Wirtschaft auf den Weg der Gesundung zurückzuführen.
Ich habe eben gesagt, dass die Menschen in Asien große Fortschritte machen. Ich sollte jedoch hinzufügen: mit Ausnahme eines einzigen Landes. Diese Ausnahme ist – Sie wissen es bestimmt selber – Nordkorea.
Meine Regierung hat als Reaktion auf den jüngsten Nukleartest zusätzliche Sanktionen gegen Pjöngjang verhängt. Wir dürfen die nuklearen Ambitionen dieses Landes nicht hinnehmen. Solange Nordkorea die Entwicklung eines nuklearen Arsenals und von Raketentechnologie nicht aufgibt und solange nicht alle entführten japanischen Staatsbürger freigelassen wurden, wird meine Regierung dieses Land nicht belohnen.
Dies ist nicht bloß eine regionale Angelegenheit, sondern vielmehr eine globale. Japan muss eng mit den Vereinigten Staaten, Südkorea, anderen Ländern und den Vereinten Nationen zusammenwirken, um Nordkorea von seinen Ambitionen abzubringen.
Am Aufschlag meines Jackets trage ich einen Anstecker in Form einer blauen Schleife. Dieser Anstecker erinnert mich jeden Tag daran, dass ich die Japanerinnen und Japaner zurückholen muss, die Nordkorea in den 1970er und 80er Jahren entführt hat. Unter ihnen war auch ein erst dreizehn Jahre altes Mädchen, Megumi Yokota.
Dies ist auch der Grund, warum Japan – als ein Land, das fest in den Menschenrechten verwurzelt ist – stark bleiben muss, wirtschaftlich stark und auch stark im Hinblick auf seine Verteidigung.
Lassen Sie mich Ihnen sagen: Japan muss auch streng sein. Meine Regierung wird zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder den Verteidigungsetat erhöhen.
Heute gebe ich vor Ihnen, liebe Freunde und Gäste, ein Versprechen ab. Ich werde ein starkes Japan zurückbringen, ein Japan, das stark genug ist, um noch mehr Gutes für die Verbesserung der Welt zu leisten.
Die Wählerinnen und Wähler in Japan haben mir nun erneut die Gelegenheit zuteilwerden lassen, als Premierminister das, was ich mir vorgenommen habe, in die Realität umzusetzen. Jeden Morgen wache ich mit dem feierlichen und gleichzeitig bedrückenden Gefühl einer ungeheuer schweren Verantwortung auf.
Es gibt den Begriff „Abenomics“. Er stammt nicht von mir, sondern die Märkte haben ihn geprägt. Dieser Begriff bezeichnet meinen Plan zur wirtschaftlichen Erholung, der auf drei Pfeilern ruht. Japan leidet seit mehr als zehn Jahren unter einer Deflation. Mein Plan oder anders gesagt das Ziel von „Abenomics“ besteht darin, als Erstes diese Deflation zu überwinden.
Tatsächlich hat dieser Plan einen beeindruckenden Start hingelegt. Als ersten Pfeiler habe ich die Bank of Japan aufgefordert, ihren Job in einem Umfang zu machen, von dem sie glaubte, dass sie dazu nicht in der Lage sei. Investoren – sowohl japanische als auch ausländische – haben begonnen, japanische Aktien zu kaufen. Japans Industrie läuft wieder besser infolge des Anstiegs bei den Exporten. Dies wiederum hat zu einem Anstieg der Aktienkurse an der Tokyoter Börse geführt.
Der zweite Pfeiler ist die Verabschiedung eines Nachtragshaushalts, der groß genug ist, um die Wirtschaftsleistung um zwei Prozent anzuheben und 600.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Der dritte Pfeiler ist eine Wachstumsstrategie. Konsum und Investitionen des privaten Sektors legen früher als erwartet zu. Somit zeigen alle Indikatoren nach oben.
Es stimmt, dass diese Maßnahmen bereits in der Vergangenheit ergriffen wurden, aber stets nur zaghaft und schrittweise. In meinem Plan werden diese drei Pfeiler robust, schnell und ohne Unterbrechung gesetzt. Bald werden sowohl Japans Exporte als auch seine Importe zunehmen. Die Vereinigten Staaten werden davon als Erstes profitieren, gefolgt von China, Indien, Indonesien usw.
Das ist aber noch nicht das Ende dieser Geschichte. Es bleibt noch eine Aufgabe, die sogar noch größer ist. Sie besteht darin, Japans Produktivität auszuweiten. Dafür müssen die Strukturen der japanischen Wirtschaft neu ausgerichtet werden. Frauen sollten mehr Chancen bekommen. Die fleißigen Sparer – dies sind vor allem die älteren Menschen – müssen in die Lage versetzt werden, ihr Geld mit einer geringeren Steuerlast an die junge Generation weiterzugeben. Dies ist genau das, was meine Regierung derzeit unternimmt.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch kurz auf China eingehen, um im Anschluss meine Sicht der Beziehungen zwischen Japan und den Vereinigten Staaten darzulegen.
Zunächst zu den Senkaku-Inseln. Sowohl die Geschichte als auch das Völkerrecht belegen, dass diese Inseln zum Staatsgebiet Japans gehören. Tatsächlich wurde die Souveränität Japans über diese Inseln zwischen 1895 und 1971 von niemandem in Frage gestellt.
Wir können jetzt und in Zukunft keine Anzweifelungen hinnehmen. Kein Land sollte sich hinsichtlich unserer festen Entschlossenheit zu einer Fehleinschätzung verleiten lassen. Und niemand sollte die Stärke des japanisch-amerikanischen Bündnisses in Zweifel ziehen.
Gleichzeitig habe ich keineswegs die Absicht, die Situation weiter eskalieren zu lassen. Tatsächlich investiert meine Regierung verstärkt in einen direkten Austausch zwischen den Menschen in Japan und China. Japans Beziehungen zu China zählen für mich mit zu den wichtigsten Beziehungen meines Landes überhaupt. Ich habe niemals aufgehört, nach „Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen auf der Grundlage gemeinsamer strategischer Interessen“ mit China zu streben. Auf meiner Seite halte ich die Tür für die chinesische Führung stets geöffnet.
Nun möchte ich abschließend einige Bemerkungen zu den festen Banden machen, durch die Japan und die Vereinigten Staaten miteinander verbunden sind.
Damit wir, Japan und die Vereinigten Staaten, gemeinsam diese Region und die ganze Welt mit mehr Herrschaft des Rechts, mehr Demokratie, mehr Sicherheit und weniger Armut ausstatten können, muss Japan stark bleiben. Dies ist der erste Punkt.
Ich habe damit begonnen, die Planungen für unser Verteidigungsprogramm zu überprüfen. Japans Verteidigungsministerium wird dafür mehr Mittel erhalten.
In der Rückschau finde ich es bemerkenswert, dass die festen Bande, die sich zwischen Japan und den Vereinigten Staaten sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten gebildet haben, bereits über mehr als ein Viertel der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten reichen. Dies sollte eigentlich niemanden überraschen.
Die Vereinigten Staaten, die älteste und größte maritime Demokratie, und Japan, die erfahrenste und größte freiheitliche Demokratie in Asien und ebenfalls eine Seefahrernation, passen einfach gut zusammen. Sie tun dies seit vielen Jahrzehnten, und sie werden dies noch viele Jahrzehnte lang weiter tun.
Manche sagen, dass die größten aufstrebenden Märkte heute mitten in den Vereinigten Staaten liegen, etwa in den beiden Dakotas oder Carolinas.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Meine Aufgabe besteht darin, in die Zukunft zu schauen und Japan zum zweitgrößten aufstrebenden Markt in der Welt zu machen sowie zu einem noch vertrauenswürdigeren Partner für die Region und die ganze Welt.
Ich weiß, vor uns liegt ein langer Weg. Aber ich bin zurückgekommen, um diesen Weg zu beschreiten. Japan muss noch härter für die Verbesserung der Welt arbeiten. Und ich weiß, dass auch ich hart arbeiten muss, damit dies Wirklichkeit wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Japan ist wieder da.
Rechnen Sie weiterhin mit meinem Land.
Vielen Dank.