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Neues aus Japan Nr.111 Februar 2014

Ein neues Japan legt eine neue Vision vor

Rede von Premierminister Shinzo Abe beim Weltwirtschaftsforum in Davos
am 22.01.2014

Foto: Cabinet Public Relations Office

 

Erlebt Japan seine Abenddämmerung?

Vielen Dank, Herr Professor Schwab, für Ihre freundlichen einleitenden Worte. Herr Präsident, es ist mir eine große Ehre, nach Ihnen das Wort ergreifen zu dürfen.

Ich weiß nicht, wer den Begriff geprägt hat, aber meine Wirtschaftspolitik wird allgemein als „Abenomics“ bezeichnet. Eigentlich widerstrebt es mir, ständig meinen eigenen Namen anzuführen, aber erlauben Sie mir, diese Bezeichnung heute zu verwenden.
Die Abenomics bestehen aus drei Pfeilen. Der erste ist eine entschlossene Geldpolitik. Den zweiten bildet eine flexible Fiskalpolitik. Und der dritte Pfeil wird fortgesetzte private Investitionen generieren.
Japans Wirtschaft ist derzeit dabei, die chronische Deflation zu überwinden. In diesem Frühjahr werden die Löhne und Gehälter steigen. Höhere Löhne und Gehälter – die seit langem überfällig sind – werden zu mehr Konsum führen. Auch unsere fiskalische Situation macht stetige Fortschritte. Japan ist nun auf dem Weg der haushaltspolitischen Konsolidierung.
Viele Experten glaubten, Japan erlebe nun seine Abenddämmerung oder sie nannten es das Land der untergehenden Sonne. Man meinte, in einem derart reifen Land wie Japan sei Wachstum nicht länger möglich. Diese Behauptungen klangen irgendwie überzeugend.
Sie erkennen hier die Psyche Japans, bevor ich das Amt des Premierministers antrat. Heute sind solche Ansichten so gut wie gar nicht mehr zu hören. Unsere Wachstumsrate hat sich rasant verändert, nämlich von negativem zu positivem Wachstum.
In sechs Jahren werden in Tokyo die Olympischen und Paralympischen Spiele stattfinden. Die Menschen sind heute aktiver und auch zuversichtlicher. Es ist keine Abenddämmerung, die Japan derzeit erlebt, sondern vielmehr eine neue Morgendämmerung.

 

Ist so etwas in Japan möglich?

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich darf Ihnen verkünden, dass wir Ende letzten Jahres umfangreiche Reformen beschlossen haben.
Damit habe ich die Behauptung widerlegt, dass bestimmte Reformen niemals durchgeführt werden können.
Wir werden beispielsweise Japans Strommarkt vollständig liberalisieren. Wenn 2020 die Olympischen Spiele in Tokyo stattfinden, wird auch der Strommarkt meines Landes einem umfassenden Wettbewerb ausgesetzt sein, sowohl in Bezug auf die Erzeugung als auch auf die Verteilung von Strom. Hierzu werden Stromerzeugung und Stromübertragung voneinander getrennt.
In Japan hat man lange geglaubt, dies sei einfach unmöglich.
Wir werden zudem die medizinische Versorgung als eine eigenständige Industrie umfassend fördern. Japan steht bei der regenerativen Medizin weltweit an führender Stelle. Wir werden es möglich machen, dass in Einrichtungen des Privatsektors Körperzellen künstlich hergestellt werden.
Auch dies, so hat man in Japan lange geglaubt, sei nicht möglich. Wir werden darüber hinaus unser System der „Anpassung der Reisproduktion“ aufgeben.
Dieses System besteht bereits seit über vierzig Jahren. Privatunternehmen werden nun in die Lage versetzt, sich ohne Hürden in der Agrarwirtschaft zu engagieren und die Produkte anzubauen, die sie anbauen möchten, ohne künstliche Kontrolle von Angebot und Nachfrage.
Auch diesbezüglich hat man in Japan lange geglaubt, so etwas sei nicht möglich. Und trotzdem haben wir im vergangenen Herbst beschlossen, diese Veränderungen umzusetzen.
Darüber hinaus habe ich gestern Morgen weitere Anweisungen zur Reform der bestehenden Systeme in Japan erteilt, weil wir auch in meinem Land große Unternehmen im Gesundheitsbereich in der Form von Holdings brauchen wie etwa die Mayo-Klinik in den USA.
Ich werde damit fortfahren, wie ein Bohrkopf zu agieren, der stark genug ist, um auch den härtesten Fels etablierter Interessen zu durchbohren.
Unser Reformpaket wird schon in Kürze umgesetzt werden. Die designierten Sonderreformzonen werden unter meiner persönlichen Aufsicht die bestehenden bürokratischen Hürden überwinden.
In den kommenden zwei Jahren werden in diesen Zonen keinerlei etablierte Interessen vor meinem Bohrer sicher sein.
In Städten, die sich einen Anschluss an die weltweite Spitzenklasse erhoffen, werden Dinge wie die Beschränkung von Grundflächen und Raumvolumen bei Gebäuden der Vergangenheit angehören. Einzig der Himmel wird die Grenze bilden. Wir werden schon bald überall neue qualitativ hochwertige Wohngebäude sehen sowie viele Städte, die keine Emissionen mehr produzieren.
Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) wird auch weiterhin ein zentraler Pfeiler meiner Wirtschaftspolitik sein. Und auch für das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Japan und der EU werden wir uns weiter mit Nachdruck einsetzen. Diese Vereinbarungen werden Japans Wirtschaft mit Sicherheit noch enger an die globalen Ströme von Wissen, Handel und Investitionen anbinden. Unternehmen und Menschen aus dem Ausland werden entdecken, dass Japan zu den wirtschaftsfreundlichsten Orten weltweit zählt.
Auch das Management der öffentlichen Fonds in Japan steht vor umfassenden Veränderungen. Der Pensionsfonds der japanischen Regierung (GPIF) hat heute einen Umfang von rund 1,2 Billionen US-Dollar.
Wir werden auch hier mit unseren Reformen fortfahren, einschließlich einer Überprüfung der Portfolios.
Der GPIF wird künftig Investitionen tätigen, die neues Wachstum generieren. Auch das Steuersystem für Unternehmen muss international wettbewerbsfähig gemacht werden.
Wir werden daher ab kommendem April den Unternehmenssteuersatz auf 2,4 Prozent senken.
Zudem werden wir Unternehmen dazu ermutigen, ihre Barmittel für Kapitalinvestitionen, Forschung und Entwicklung sowie in steigende Löhne und Gehälter zu investieren.
Zu diesem Zweck werden wir steuerliche Anreize in einer Art und Weise schaffen, die sich von früheren Vorgehensweisen völlig unterscheidet. Darüber hinaus werden wir in diesem Jahr die Unternehmenssteuer weiter reformieren.

 

Ein Neustart für das ganze Land

Auch den Arbeitsmarkt, der die Beschäftigten in alten Industrien bindet, werden wir reformieren. Neue Industrien benötigen innovative und kreative Humanressourcen. Wir werden unsere Subventionen künftig so ausrichten, dass Beschäftigte ohne sinnvolle Tätigkeiten in alten Industrien in neue Industrien wechseln können, die qualifizierte humane Ressourcen benötigen.
Japan ist auf dem Weg zu einer extrem alternden Gesellschaft, da auch die Zahl der Geburten abnimmt. Sie mögen sich nun fragen, wo man in einem solchen Land die gerade genannten innovativen und kreativen Humanressourcen finden kann. Ariana Huffington hat gesagt, wenn Lehman Brothers „Lehman Brothers and Sisters“ geheißen hätte, würde es dieses Unternehmen noch heute geben. Japans Unternehmenskultur ist im Gegensatz dazu nach wie vor eine der Nadelstreifen und Hemdkragen.
Tatsächlich ist das weibliche Arbeitskräftepotential in Japan noch immer die am wenigsten genutzte Ressource. Japan muss sich zu einem Land entwickeln, in dem Frauen ihre Fähigkeiten voll entfalten und „leuchten“ können. Wir werden dafür sorgen, dass bis 2020 dreißig Prozent der Führungsposten in Japan mit Frauen besetzt sind.
Damit sich Frauen in großer Zahl zu führenden Persönlichkeiten entwickeln können, benötigen wir ein anderes Arbeitsumfeld.
Wir brauchen darüber hinaus auch die Unterstützung von Arbeitskräften aus dem Ausland, etwa für die Hausarbeit oder bei der Pflege älterer Menschen. Japans BIP könnte um 16 Prozent gesteigert werden, wenn Frauen sich in dem Maße an der Arbeit beteiligen könnten wie Männer. Das habe ich von Hillary Clinton gehört, und diese Aussage hat mich sehr ermutigt.
Etwas anderes, das ebenfalls notwendig ist, ist ein tiefgreifender Wandel in den Führungsetagen der Unternehmen.
Wir werden im Rahmen der am 24. Januar beginnenden Sitzungsperiode des Parlaments Änderungen beim Unternehmensrecht vornehmen.
Mit Hilfe dieser Änderungen wird die Zahl der externen Direktoren zunehmen. Im kommenden Monat werden wir zudem einen sogenannten Stewardship Code erlassen, also Regeln für das Wohlverhalten von Anlegern. Dies wird es institutionellen Anlegern erleichtern, eine größere Rolle bei der Corporate Governance zu spielen. Ich bin sicher, dass wir, wenn all diese Maßnahmen gebündelt werden, in der Lage sind, die Direktinvestitionen in Japan bis 2020 zu verdoppeln.
Dies bedeutet einen Neustart für das ganze Land, und Japans wirtschaftliches Erscheinungsbild wird einen umfassenden Wandel erfahren.

 

Der Tsunami und die ungebrochene Zuversicht der Überlebenden

Am 11. März 2011 wurde der Nordosten Japans von einer dreifachen Katastrophe, nämlich einem Erdbeben, einem Tsunami und einem Atomunfall getroffen. Seitdem sind fast drei Jahre vergangen.
Die große Zuneigung, die uns damals aus aller Welt zuteilwurde, hat uns tief berührt. Die Erholung ist noch lange nicht abgeschlossen. Tatsächlich ruht die Verantwortung für die Zukunft der Überlebenden größtenteils auf meinen Schultern.
Aber es waren gerade die Überlebenden, die einander halfen und die bei ihren Versuchen, die zahlreichen Widrigkeiten zu überwinden, niemals ihre Zuversicht verloren haben.
Ihr unerschütterliches Durchhaltevermögen hat die Menschen in der ganzen Welt tief bewegt.

 

Ein aktiver Beitrag für den Frieden

Mit demselben Geist der gegenseitigen Unterstützung ist Japan nun dabei, sich in ein Land zu verwandeln, dass sich noch aktiver für den Frieden in der Welt einsetzt. In Kambodscha haben die von Japan gebauten Krankenhäuser für Mütter und Neugeborene dabei mitgeholfen, die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen in dem Land zu senken.
Auf den Philippinen wurde die Hilfe von Seiten der Japan Self-Defense Forces (JSDF) nach dem verheerenden Taifun dankbar begrüßt.
Von Dschibuti aus engagieren sich Angehörige der JSDF im Kampf gegen die Piraterie und schützen Schiffe aus aller Welt.
In der heutigen Zeit kann kein einzelner Staat den Frieden aus eigener Kraft sichern. Niemand kann ohne die Hilfe anderer allein all die Herausforderungen lösen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist.
Ein neues Japan hält nun das Banner eines aktiven Beitrags für den Frieden hoch. Ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie auf uns zählen können.

 

Die Sicherung der Meere Asiens

Asien hat sich zu einem Wachstumszentrum der Welt entwickelt. Japan ist umgeben von Nachbarn mit schier unbegrenzten Möglichkeiten wie China, Südkorea, die ASEAN-Staaten, Indien und Russland sowie, jenseits des Pazifiks, die Partnerländer der TPP.
Ich denke stets intensiv darüber nach, wie wir in dieser Region, die den Motor für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft bildet, Frieden und Wohlstand erreichen und langfristig sichern können.
Die Grundlage für Wohlstand bildet der freie Strom von Menschen und Gütern. Auf den Seewegen, in der Luft und in jüngster Zeit auch im Weltraum und im Cyberspace muss dieser ungehinderte Strom sichergestellt werden.
Der einzige Weg, um die Sicherheit und den Frieden dieser unersetzlichen öffentlichen Güter zu erhalten, ist die strikte Beachtung der Herrschaft des Rechts. Daher müssen grundlegende Werte wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie sichergestellt sein.
Dazu gibt es keine Alternative.
Falls Frieden und Stabilität in Asien ins Wanken gerieten, hätte dies ungeheure Auswirkungen auf die ganze Welt.
Die Wachstumsdividende in Asien darf nicht durch militärische Aufrüstung gefährdet werden.
Wir müssen sie vielmehr dafür verwenden, um in Innovationen und Humankapital zu investieren, die das Wachstum in der Region weiter antreiben werden. Vertrauen und nicht Spannungen sind wesentlich für Frieden und Wohlstand in Asien und auf der ganzen Welt.
Dies können wir nur durch Dialog und die Herrschaft des Rechts sicherstellen und nicht durch Gewalt oder Zwang. Ich möchte daher zum Schluss einen Appell an Asien und an die Welt als Ganzes richten.
Wir müssen, verehrte Anwesende, eine militärische Aufrüstung in Asien unbedingt vermeiden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sie unkontrolliert ausufert. Die Haushalte für das Militär müssen vollständig transparent gestaltet werden, und sie sollten in einer Form veröffentlicht werden, in der die Angaben verifiziert werden können.
Wir sollten darüber hinaus einen Mechanismus für ein Krisenmanagement schaffen sowie auch Kommunikationskanäle zwischen unseren Streitkräften einrichten.
Wir müssen Regeln für das Vorgehen auf hoher See festlegen, die auf dem internationalen Seerecht basieren.
Nur dann – davon bin ich fest überzeugt – werden wir in der Lage sein, Wachstum und Wohlstand in Asien zu verwirklichen als eine Region, in der wir alle unsere großen Potentiale entfalten können.
Japan hat geschworen, dass niemals wieder ein Krieg von ihm ausgehen wird. Wir haben nie aufgehört, uns Frieden für die Welt zu wünschen, und dieser Wunsch wird auch künftig fortbestehen.
Es ist meine große Hoffnung, dass wir mit den Abenomics ein dynamisches Japan schaffen werden, das der Region und der ganzen Welt Frieden und Wohlstand bringt.

Vielen Dank.

 

 


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