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Neues aus Japan Nr.114 Mai 2014

Vielversprechende Anime-Nachwuchsregisseure in Japan

Der Regisseur Hayao Miyazaki, der Filme wie „Chihiros Reise ins Zauberland“ schuf (Spirited Away, erschienen 2001 und im Folgejahr mit dem Oscar für den besten Zeichentrickfilm ausgezeichnet) und als Meister des japanischen Anime gilt, gab nach dem Erscheinen seines letzten Films The Wind Rises im Juli 2013 bekannt, künftig keine weiteren Filme mehr machen zu wollen. Diese Entscheidung bildet so etwas wie den Schlussstein einer fünfzigjährigen Epoche, die 1963 mit der Ausstrahlung der Anime-Serie Astro Boy im Fernsehen begann; im selben Jahr begann Miyazaki sein Engagement in der Welt der Anime. Wer wird künftig als Träger der japanischen Anime-Industrie wirken, die sich mittlerweile zu außerordentlicher Reife entwickelt hat? Der Blick richtet sich nun auf eine ganze Reihe vielversprechender Nachwuchsregisseure.

 

 

Darstellung der Realität

Japanische Anime beschreiben auf detaillierte Weise die Beziehungen zwischen Charakteren und deren Umwelt. Bei ihrer Sicht auf die Welt, die in der Story geboten wird, nehmen sie die Perspektive der Charaktere ein; diese dramaturgische Technik fördert bei den Zuschauern ein Gefühl der Empathie. Die Tatsache, dass es sich dabei um Zeichentrick handelt, bedeutet jedoch nicht, dass diese Technik mit allen Bildern möglich ist. Vielmehr ist eine Methode gefragt, die alle Details wirklichkeitsgetreu darstellt und auf diese Weise dem Publikum ein Gefühl von Realität vermittelt. Diese Form der Produktion wurde erstmals von den beiden jungen Regisseuren Hayao Miyazaki und seinem engen Freund Isao Takahata (sein Film The Tale of Princess Kaguya erschien 2013) in der Fernsehserie Heidi eingeführt, die ab 1974 gezeigt wurde und für deren Realisierung sich beide mit Nachdruck eingesetzt hatten. Über ein Jahr lang wurde in der Schweiz nach passenden Hintergründen für Heidi gesucht, was damals für Zeichentrickserien sehr ungewöhnlich war. Auf diese Weise konnten die Zeichner den realen Lebensstil und die Atmosphäre in der Schweiz genau kennenlernen, und diese Erfahrungen fanden umgehend Eingang in ihr Werk.

Zeichentrickfilme aus den Vereinigten Staaten richten ihren Fokus bei der Darstellung auf das Agieren fiktionaler Charaktere wie etwa sprechende Tiere oder Autos, und der Hintergrund in diesen Filme ist oft nicht mehr als eine einfach gestaltete Bühne. Im Gegensatz dazu ist ein Hauptmerkmal der japanischen Anime die Darstellung des Hintergrunds in einer Weise, dass dieser das Thema und die Botschaft der Story noch vor den Charakteren vermittelt.

 

Die ländliche Szenerie Japans: Mamoru Hosoda

Der erste in der Liste kreativer Regisseure, die als künftige Träger des japanischen Anime agieren könnten, ist Mamoru Hosoda. Er sucht sich als Bühne für seine Filme reale Landschaften in Japan aus, die sich durch eine außerordentlich üppige Natur auszeichnen. Summer Wars (2009) etwa spielte in Ueda in der Präfektur Nagano, und für Wolf Children (2012, auf Deutsch: „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“) verwendete Hosoda seine eigene Heimatstadt Kamiichi in der Präfektur Toyama als Vorlage; beide Filme waren große Erfolge.

Wolf Children handelt von Kindern, die sich in Wölfe verwandeln können. In diesem Film werden so vertraute und universelle Themen wie Elternschaft und die Loslösung von den Eltern behandelt, und das Publikum ist gerade auch von der scheinbar realistischen Darstellung fasziniert. Zusätzlich zu den hervorragenden Zeichentricktechniken beim Ausdruck von Gefühlen und bei den Bewegungen der Charaktere geben die Hintergründe der Szenen eine äußerst lebendig wirkende Welt wieder, die sich in den Köpfen der Zuschauer festsetzt. Selbst beim Zeichnen des Hauses, in dem die Mutter mit ihren Kindern lebt, wird ein hohes Maß an Realität durch große Detailtreue selbst bei kleinsten Gegenständen erzielt; und auch bei Außenszenen werden z.B. die Blumen von Hand gezeichnet und dann in den mittels Computergrafik erstellten Hintergrund eingefügt. Der Film vermittelt auf diese Weise das Gefühl, dass alle Dinge, die auf der Leinwand auftauchen, lebendig sind, und das Publikum wird dadurch noch intensiver von der ergreifenden Story berührt.

Regisseur Hosoda begann sich ab den später 1990er Jahren ernsthaft mit Anime zu beschäftigen, zu einem Zeitpunkt, als das digitale Zeitalter Einzug in die Anime-Produktion hielt. Er ist besonders mit der Technik der Einarbeitung von Handzeichnungen in Computergrafik vertraut und hat ein besonderes Gespür für die Wünsche des Publikums in Zeiten des Internets. Hosoda besitzt das Potential, einer der Regisseure zu werden, die in der Welt der japanischen Anime im 21. Jh. eine führende Position spielen.

 

 

Handlungen voller Melancholie: Makoto Shinka

Etwas jünger als der Regisseur Mamoru Hosoda, der in diesem Jahr 46 Jahre alt wird, verdient auch der 40-jährige Makoto Shinkai besondere Aufmerksamkeit. Er ist ein Filmschaffender, der mit seinem Kurzfilm The Voices of a Distant Star (2002, 25 Min.) viel Lob erfuhr. Bei diesem Film war er sowohl für die Regie als auch fast ganz alleine für Produktion, Animation, die künstlerischen Aspekte sowie die Herausgabe des Films zuständig. Charakteristisch für Shinkais Filme sind die deutlich hervortretende Poesie und Melancholie innerhalb der Handlung, etwa bei der Darstellung von Wolken oder Sonnenuntergängen. Als ein Film mittlerer Länge erschien 2013 The Garden of Words (45 Min.), der als eine Sammlung dieser besonderen Aspekte angesehen werden kann.

 

Die Bühne für The Garden of Words bildet ein realer Park im Zentrum von Tokyo; der Film beschreibt die Beziehung und die Missverständnisse zwischen einem Jungen und einem Mädchen, die durch den zwischen beiden bestehenden Altersunterschied voneinander getrennt sind. Mit realistischem Licht- und Schattenspiel wird das Gefühl der Feuchtigkeit in der Luft während der Regenzeit beschrieben sowie die atemberaubende Schönheit des frischen Grüns nach einem erfrischenden Regen – Szenen, die wiederum direkt auf die Gefühle der Charaktere verweisen. In den Bildern werden selbst alltägliche Gegenstände und die Vegetation im Park mit eindrucksvollem Detailreichtum wiedergegeben. Auf diese Weise werden sie zu tragenden Elementen der Story und bringen sie zum Leben. Das Publikum erlebt, dass Dinge, die als gewöhnlich und langweilig gelten, plötzlich gleichsam aufzuleuchten scheinen. Dieser besondere Blick, den der Regisseur auf die gewöhnliche Alltagswelt richtet und mit der er sie zum Leuchten bringt, fasziniert zahlreiche junge Menschen und weckt ihre Empathie.

 

 

Der sich wandelnde Blick auf die reale Welt: Yasuhiro Yoshiura

Noch etwas jünger ist der 33-jährige Regisseur Yasuhiro Yoshiura, der erst jüngst große Aufmerksamkeit erregte. Yoshiura verfügt über außerordentliche Fähigkeiten und ist in seinen Werken nicht nur für Story, Screenplay und Regie verantwortlich, sondern übernimmt auch noch Produktion, Shooting und Herausgabe. Er empfahl sich mit der sechsteiligen Anime-Serie Are you enjoying the time of EVE? (2008-2009), deren Kinofassung ebenfalls ein großer Erfolg war. In seinem ersten langen Anime, Patema Inverted (2013) stellt er sich der Herausforderung, die Geschichte eines Jungen zu erzählen, der ein Mädchen aus einer anderen Welt beschützt.

 

Die Hauptcharaktere aus Patema Inverted wurden in Welten hineingeboren, in der die Auswirkungen der Schwerkraft genau umgekehrt sind. Dadurch müssen sich beide Figuren stets fest aneinander klammern, damit das Mädchen nicht in den Himmel „fällt“. Wie es beiden gelingt, diesen grundlegenden Unterschied zu überwinden und Verständnis füreinander zu entwickeln, ist in der Tat sehr anrührend. Wenn die Zuschauer nach dem Betrachten des Films zum realen Himmel emporschauen, haben sie womöglich die Illusion, selbst in den Himmel zu fallen. Dass Gegenstände stets von oben nach unten fallen müssen, mag nicht mehr als eine bloße Annahme sein. Stellt man diese „Wahrheit“ in Frage, ist man in der Lage, bisher bestehende Barrieren niederzureißen und sich neue Möglichkeiten zu erschließen – so lautet die Botschaft dieses Films.

 

 

 

© Web Japan 2014

 


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