
Japanische Künstler im Ausland:
Interview mit dem Pianisten Nobuyuki Tsujii
Am 3. November wird der von Geburt an blinde Pianist Nobuyuki Tsujii in der Berliner Philharmonie ein Gastkonzert geben. Neues aus Japan hat mit ihm aus diesem Anlass ein Interview geführt.

Neues aus Japan: Herr Tsujii, Sie spielen schon seit frühester Kindheit Klavier. Wann haben Sie damit begonnen und was bildete den Anlass dafür?
Nobuyuki Tsuji: Meine Eltern hatten keine besondere Ausbildung in klassischer Musik erhalten, und nur meine Mutter konnte ein wenig Koto spielen. Weil sie aber gehört hatte, dass klassische Musik bereits auf Kinder im Mutterleib einen positiven Einfluss haben soll, hat sie während der Schwangerschaft oft klassische Musik gehört. Eines Tages, als ich acht Monate alt war, hörte sie zusammen mit mir eine CD mit Klaviermusik von Chopin. Sie erzählte mir später, dass, als die Heldenpolonaise gespielt wurde, ich vor Freude mit den Füßen gestrampelt hätte. Von da an spielte sie diese CD jeden Tag, bis sie irgendwann kaputt ging. Meine Mutter kaufte dann eine neue CD, aber auf deren Musik habe ich gar nicht reagiert. Sie verglich dann die alte mit der neu gekauften CD und stellte fest, dass die Aufnahmen von verschiedenen Pianisten stammten. Mein Vater meinte zwar, es sei kaum vorstellbar, dass ein acht Monate altes Kind den Unterschied zwischen zwei verschiedenen Pianisten erkennen könne und glaubte, ich sei der Musik einfach überdrüssig geworden. Meine Mutter aber kaufte noch einmal eine CD mit dem ursprünglichen Pianisten … und tatsächlich, als die Heldenpolonaise gespielt wurde, fing ich wieder an, mit den Beinen zu strampeln. Da erkannten meine Eltern, dass ich eine besondere Beziehung zur Musik habe und kauften mir, als ich zwei Jahre alt war, ein Spielzeugklavier. Da ich aber gar nicht wusste, wie man darauf spielt, soll ich anfangs einfach nur Töne durcheinander gespielt haben. Als dann meine Mutter, während sie das Weihnachtsessen zubereitete, „Jingle Bells“ sang, soll ich plötzlich begonnen haben, sie bei diesem Lied auf meinem Klavier zu begleiten. Von da an habe ich den ganzen Tag alles, was meine Mutter sang, nach dem Gehör auf dem Klavier nachgespielt. Zu dem Zeitpunkt dachten meine Eltern überhaupt nicht daran, dass ich besonderes Talent hätte oder Musiker werden sollte. Sie waren einfach nur glücklich, dass ich etwas gefunden hatte, das mein Leben mit Freude erfüllte.
NaJ: Als Musiker muss man bestimmt sehr viel üben. Gab es für Sie als Kind nicht viele andere Dinge, die Sie auch gerne getan hätten und hatten Sie nicht auch mal genug vom Üben?
Nobuyuki Tsuji: Wie ich schon sagte, meine Eltern hatten gar nicht daran gedacht, dass ich Musiker werden sollte. Mit vier bekam ich dann den ersten richtigen Klavierunterricht. Ich saß auf den Knien der Lehrer und spielte auf einem richtigen Klavier. Aber sie brachten mir nicht bei, wie ich die Finger oder so richtig benutzen sollte, sondern ließen mich zunächst einfach die Musik so spielen, wie ich sie spielen wollte. Als Kind habe ich wirklich sehr gerne Klavier gespielt, es war für mich einfach wie Spielen. Oft hatten meine Eltern Mühe, mich vom Klavier wegzulocken, wenn z.B. das Essen fertig auf dem Tisch stand, denn ich wollte einfach nicht aufhören.
Wirklich schwer war das Üben vor dem Van Cliburn International Piano Competition. Dafür musste ich für die einstündige Aufführung ein Kammermusikwerk und zwei Konzerte sowie auch ein aufgetragenes Werk aus der Gegenwart auswendig lernen. Damals hatte ich das Gefühl, dass es, egal wie viel ich übe, nicht ausreicht. Allerdings ist mir das Üben selbst nicht zuwider gewesen, schließlich konnte ich vor einem Publikum in den Vereinigten Staaten spielen. Das ist auch heute noch so.
NaJ: Sie treten fast überall auf der Welt auf. Erkennen Sie bei den einzelnen Ländern bestimmte Besonderheiten?
Nobuyuki Tsuji: Das Publikum in den USA ist sehr lebhaft, das wirkt auf mich anspornend. Beim japanischen Publikum merke ich, dass es die Stücke sehr genau studiert und konzentriert zuhört. In Deutschland spüre ich am Anfang irgendwie eine gewisse Strenge, so als fragten sich die Zuhörer, ob ein junger Japaner die westliche Musik wirklich verstehen könne. In Berlin etwa hat das Publikum ein besonders gutes Ohr; und dort habe ich anfangs richtig gemerkt, wie die Zuhörer zu sich sagten: „Schauen wir mal, wie er sich anstellt.“ Aber wenn man dann gut spielt, ist das Publikum sofort bereit, das auch zu würdigen, und ich freue mich dann immer, dass sich die Anstrengung gelohnt hat.
NaJ: Gehen Sie bei Ihren Konzerten irgendwie auf die jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Länder ein?
Nobuyuki Tsuji: Nein. Das Stück, das ich aufführe, steht stets an erster Stelle, und ich konzentriere mich ganz darauf.
NaJ: Welche Aufführungen im Ausland sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Nobuyuki Tsuji: Ich begegne oft einem tollen Publikum und komme mit ausgezeichneten Orchestern und Dirigenten zusammen. Darüber hinaus möchte ich noch viele weitere Länder kennenlernen. Wenn ich aber eine bestimmte Aufführung herausgreifen soll, dann war es mein Debüt in der Carnegie Hall im Herbst 2011. Normalerweise bin ich vor Auftritten gar nicht nervös, aber damals war ich – vielleicht weil dies eine Bühne mit einer so beeindruckenden Geschichte ist, wirklich angespannt. Ich konnte es gar nicht mehr erwarten, endlich auf die Bühne zu gelangen und soll eine halbe Stunde vor Beginn der Aufführung gerufen haben: „Lasst mich endlich spielen!“
NaJ: Sie sind bereits einige Male in Deutschland gewesen. Welchen Eindruck haben Sie von diesem Land?
Nobuyuki Tsuji: Im Juni 2011 gewann ich den Van Cliburn Wettbewerb, und zwei Wochen später begann ich meine erste Tournee im Ausland; der erste Auftritt war in Dortmund. Wenn man in den Vereinigten Staaten auf die Bühne tritt, wird man sofort mit einem kräftigen Applaus begrüßt, aber in Deutschland spürte ich damals eine prüfende Atmosphäre, als fragten sich alle: „Wie gut kann er wohl spielen?“. Aber noch während des Spielens veränderte sich die Atmosphäre und auch das Publikum erfreute sich dann zusammen mit mir an der Musik. Zum Schluss hörte der Applaus gar nicht mehr auf, sodass ich eine Zugabe spielte, die gar nicht eingeplant war. Es gab stehende Ovationen und das hat mir wirklich viel Selbstvertrauen gegeben. Mein Eindruck von Deutschland ist, dass man großen Wert auf Pünktlichkeit legt und auch der Service ausgezeichnet ist. Normalerweise ist es so, dass der Bühnenmanager das Publikum beobachtet und erst dann, wenn alle ihre Plätze eingenommen haben, das Signal zum Auftritt gibt. Aber als ich im vergangenen Jahr ein Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie gab, schaute der Manager einfach auf seine Uhr und öffnete mir pünktlich um sieben Uhr die Tür zur Bühne für meinen Auftritt. Und die Zuhörer saßen tatsächlich alle auf ihren Plätzen. Da habe ich nur gedacht: „Das ist eben Deutschland.“ Ansonsten ist mir aufgefallen, dass die Portionen beim Essen sehr reichlich sind, gerade auch beim Fleisch. Ich achte daher immer darauf, im Gymnastikraum ein paar zusätzliche Übungen zu machen, um nicht zuzunehmen.
NaJ: Wie hat das deutsche Publikum auf Ihre bisherigen Auftritte hierzulande reagiert?
Nobuyuki Tsuji: Ich habe gemerkt, dass es eine gelungene Aufführung stets genau zu würdigen weiß.
NaJ: Denken Sie, dass Ihr Blindsein für Sie als Musiker Nachteile und Vorteile mit sich bringt? Können Sie uns konkrete Beispiele nennen?
Nobuyuki Tsuji: Ich denke, dass das keine Rolle spielt.
NaJ: Welche Pläne haben Sie für Ihr künftiges musikalisches Wirken? Bestehen irgendwelche Aufgaben oder Ziele, denen Sie sich stellen bzw. die Sie erreichen möchten?
Nobuyuki Tsuji: Ich nehme jede einzelne Gelegenheit, die ich für einen meiner Auftritte erhalte, sehr wichtig. Auch mein Repertoire möchte ich weiter ausbauen, und ich muss noch tiefer in die Musik eintauchen. Das Lernen hört eben nie auf.
NaJ: Was haben Sie sich für das im November anstehende Konzert hier in Berlin vorgenommen und gibt es etwas, das Sie dem Publikum, das zu Ihrem Konzert kommen wird, mitteilen möchten?
Nobuyuki Tsuji: Nach meinem Auftritt in der Philharmonie im letzten Jahr wurde ich gefragt, ob ich nicht auch dieses Jahr wieder hier auftreten möchte. Ich habe das wirklich als große Ehre empfunden und ich möchte den Erwartungen des Publikums und des Konzertveranstalters entsprechen. Ravels „Gaspard de la nuit“ im ersten Teil des Programms ist sowohl technisch als auch vom Ausdruck her ein sehr schwieriges Stück, aber seit ich es als Student kennengelernt habe, wollte ich es stets selbst einmal spielen. Chopins Klaviersonate Nr. 3 im zweiten Teil des Programms ist das Stück, das ich 2005 beim Chopin-Wettbewerb gespielt habe. Das ist inzwischen neun Jahre her, und ich denke, ich bin mittlerweile in der Lage, die Sonate so aufzuführen, dass meine eigene Entwicklung deutlich wird. Beide Stücke habe ich seit Juni bereits in Japan und in Taiwan aufgeführt und ich bin zuversichtlich, dass ich auf die Aufführung in Berlin ausreichend vorbereitet bin. Meine Botschaft an das Publikum lautet: „Freuen Sie sich auf das Konzert!“
NaJ: Vielen Dank für das Interview.
Nobuyuki Tsujii
1988 in Tokyo geboren. Von klein auf mit einem besonderen Talent für das Klavierspiel gesegnet, belegte er im Alter von sieben Jahren (1995) den ersten Platz in der Kategorie Piano des „Japanischen Musikwettbewerbs für blinde Künstler“. 1998 absolvierte er sein Bühnendebüt mit einem Sinfonieorchester. 2000 folgte das Debüt als Solist. 2005 nahm er als jüngster Teilnehmer am 15. International Fryderyk Chopin Piano Competition in Warschau teil, wo er mit dem „Kritikerpreis“ ausgezeichnet wurde.
Nach dem ersten Platz beim Van Cliburn International Piano Competition 2009 begann er seine Tourneetätigkeit, die ihn in die wichtigsten Konzertsäle in Japan sowie im Ausland führten, u.a. auch in die Vereinigten Staaten, nach Deutschland, in die Schweiz sowie nach Großbritannien. Zahlreiche Konzerte und gemeinsame Auftritte mit Orchestern in einer Vielzahl von Ländern begründen seinen großen und weltweiten Erfolg.
Seit einiger Zeit steht er auch als Komponist von Filmmusik im Fokus der Aufmerksamkeit.
(Das Interview führte Kiyo Ubukata, Botschaft von Japan.)