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Neues aus Japan Nr.125 April 2015

Mobilisierung von Frauen für die Minderung von Katastrophenrisiken

Rede von Premierminister Shinzo Abe
beim High-level Partnership Dialogue
im Rahmen der 3. VN-Weltkonferenz zur Katastrophenvorsorge
in Sendai am 14.03.2015

 
Fotos: Cabinet Public Relations Office

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vier Jahre sind seit dem schweren Erdbeben im Osten Japans vergangen. Mein Land hat im Laufe der Zeiten unzählige Naturkatastrophen erlebt. Aufgrund zahlreicher bitterer Lehren sind wir schließlich zu der Erkenntnis gelangt, dass dem großen Potential der Frauen bei der Minderung von Katastrophenrisiken und beim Wiederaufbau eine ganz entscheidende Bedeutung zukommt.

 

Die führende Rolle der Frauen im Katastrophenfall

Im Folgenden zitiere ich aus der Erklärung einer Gruppe von Frauen aus dem Bezirk Iwakiri in Sendai während einer Katastrophenschutzübung ein Jahr vor dem schweren Erdbeben im Osten Japans: „Welche Menschen sind Dir am teuersten? Wenn Du etwas tun könntest, um das Leben dieser Menschen zu schützen, würdest Du nicht sofort damit beginnen?“
Überall in Japan sind es vorwiegend Männer, die an Katastrophenschutzübungen teilnehmen. Sollte aber wirklich einmal während des Tages ein schweres Erdbeben auftreten, wären es vor allem Frauen, die zuhause sind. Daher kommt der Perspektive der Frauen beim Engagement für die Minderung von Katastrophenrisiken in den Kommunen eine ganz besondere Bedeutung zu. Dies hatten die Frauen im Bezirk Iwakiri im Blick, als sie sich über dieses Thema austauschten.
Was muss man bereits vorbereiten, bevor eine schwere Katastrophe überhaupt eintritt? Und was muss man tun, wenn die Katastrophe dann tatsächlich kommt? Die Frauen in diesem Bezirk haben sich um ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf diese Fragen bemüht.
Ein Jahr später kam es dann zu dem schweren Erdbeben im Osten Japans. Das Erdbeben war außergewöhnlich schwer und erreichte auf der Erdbebenskala, die in Japan verwendet wird, die Stärke 6. Zudem wurden 35 Prozent des Bezirks durch den anschließenden Tsunami überflutet. Viele der Betroffenen mussten ihre Häuser verlassen und in Notunterkünften Zuflucht suchen.
Die Frauen, die die oben genannte Erklärung verabschiedet hatten, waren der Überzeugung, dass „auch Frauen im Katastrophenfall aktiv handeln müssen“, und so stellten sie ihre Fähigkeiten als Personal in Führungspositionen oder als Helfer unter Beweis.
Sie waren für das Management von Notunterkünften verantwortlich, stellten sicher, dass die Bedürfnisse von Frauen und älteren Menschen berücksichtigt wurden, dass auch in den Notunterkünften einigermaßen für Privatsphäre gesorgt war, dass es Milchpulver für die Säuglinge gab und dass einer zuhörte, wenn jemand, der sonst wenig Gehör findet, etwas zu sagen hatte.

 

Die Rolle der Frauen bei der Betreuung der Evakuierten

„Was mich davon abhielt, Selbstmord zu begehen, war eine Polizeibeamtin des ‚Kizuna Teams‘ der Städtischen Polizei, die sich um mich kümmerte. Wir wurden richtige Freunde; sie hörte mir zu und unternahm mit mir auch Spaziergänge. Das hat mich wirklich gerettet, und dafür bin ich ihr zutiefst dankbar.“
Diese Worte sind einem Brief entnommen, den der Bewohner einer Notunterkunft schrieb, der teilweise gelähmt war und der von einem Mitglied des „Kizuna Teams“ betreut wurde.
Unmittelbar nach dem schweren Erdbeben wurde dieses Team, das vorwiegend aus Polizistinnen aus dem ganzen Land bestand, in die am schlimmsten vom Erdbeben und dem Tsunami betroffenen Regionen entsandt. Die Polizeibeamtinnen wandten viel Zeit auf, um die Gemeinschaften vor Ort zu besuchen und sich die Geschichten der Betroffenen anzuhören, die sich mit vielerlei Schwierigkeiten konfrontiert sahen. Viele der betroffenen Menschen wurden durch diese fürsorgliche psychologische Betreuung, die gerade Frauen geben können, gerettet.

 

Die Rolle der Frauen beim Wiederherstellen des Lebensunterhalts

Seit dem schweren Erdbeben im Osten meines Landes habe ich die damals besonders betroffene Region Tohoku bisher insgesamt 22 Mal besucht. Im Rahmen dieser Besuche bin ich vielen Frauen begegnet.

Vergangenen Monat war ich in der Stadt Kesennuma, die bei der Katastrophe besonders schwer getroffen wurde. Kesennuma ist eine Hafenstadt, und es gibt dort eine lange Tradition des Ausbesserns von Fischernetzen sowie des Strickens von Pullovern für Fischer. Strickarbeiten nehmen in den Herzen der Frauen in dieser Region einen ganz besonderen Platz ein.

Um diese Tradition möglichst umfassend zu nutzen, wurde nach der Katastrophe eine Werkstatt für Handgestricktes eingerichtet. Auf diese Weise wurde ein nachhaltiges Engagement ins Leben gerufen, das von der Kultur unmittelbar vor Ort profitiert. Derzeit sind dort jeden Tag mehr als dreißig Frauen mit Strickarbeiten beschäftigt. Sie stellen handgestrickte Pullover von höchster Qualität her, die sich außerordentlicher Beliebtheit erfreuen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die einzigartige Perspektive und neue Ideen von Frauen dazu beitragen können, den Lebensunterhalt der Menschen zu sichern.

 

Die Rolle der Frauen beim Wiederaufbau der Gemeinschaften

Es heißt, Frauen seien anfälliger gegenüber Katastrophen und zählten daher zu den besonders verletzlichen Personen. Darüber hinaus haben Berichte gezeigt, dass – so unglaublich uns dies erscheinen mag – die Fälle von Gewalt gegen Frauen nach Katastrophen zunehmen.
Andererseits verfügen Frauen sehr wohl über die Weisheit und das Wissen, um ihre Familien vor den Folgen von Katastrophen zu beschützen. Darüber hinaus sind sie in der Lage, gründliche physische und psychische Betreuung für die Opfer von Katastrophen zu leisten, die sich nach einer Katastrophe einer Vielzahl von Schwierigkeiten ausgesetzt sehen.
Die Kraft der Frauen ist für den Wiederaufbau der von Katastrophen verheerten Gemeinschaften unerlässlich. Jedes Mal, wenn ich die betroffene Region besuche, treffe ich dort auf Frauen, die sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, Aktivitäten vor Ort zu fördern, obwohl sie selbst unter den Folgen der Katastrophe leiden. Eine Frau, die als Beraterin regelmäßig zahlreiche betroffene Kommunen in der Präfektur Miyagi besucht, erklärte mir: „Ich möchte auch weiterhin jedem Einzelnen Unterstützung gewähren und dabei auf die Sorgen und Gefühle dieser Menschen möglichst genau eingehen.“
Es ist mein großer Wunsch sicherzustellen, dass die Stärke solcher Frauen genutzt wird, um die Risiken von Katastrophen zu mindern sowie den Wiederaufbau zu fördern. Gleichzeitig werden wir dafür sorgen, dass jede Region in der Phase nach einer Katastrophe auf eigenen Füßen stehen kann. Wir sind der Überzeugung, dass die Führungsrolle von Frauen außerordentlich wichtig ist, um gegen Katastrophen gewappnet zu sein.

 

Beteiligung der Frauen in friedlichen Zeiten

Wenn man etwas nicht in friedlichen Zeiten erledigen kann, dann wird man im Katastrophenfall erst recht keine Zeit dafür haben. Die Kommunen in ganz Japan haben Gremien für das Katastrophenmanagement auf der Ebene der Präfekturen eingerichtet. Diese treffen bereits in friedlichen Zeiten Vorbereitungen für den Fall, dass eine Katastrophe eintritt. Vor zehn Jahren waren in rund der Hälfte dieser Gremien keine Frauen vertreten.
Heute hingegen sind in sämtlichen Gremien dieser Art Frauen tätig. Wir sind derzeit dabei, Strukturen zu schaffen, mit denen Frauen bereits in friedlichen Zeiten in die Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Minderung der Risiken von Katastrophen eingebunden werden. Darüber hinaus werden wir auch den Frauenanteil in den kommunalen Feuerwehren erhöhen.

 

Japans Beitrag für die Sicherstellung einer größeren Beteiligung der Frauen

Japan möchte seine Erfahrungen mit der internationalen Gemeinschaft teilen. Bei der Zusammenkunft der Frauenrechtskommission (CSW) der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr hob die Vertreterin Japans die Notwendigkeit hervor, die Situation von Frauen im Katastrophenfall sowie die große Bedeutung der Rolle, die Frauen spielen, wenn Gesellschaften auf Naturkatastrophen reagieren müssen, ausreichend zu berücksichtigen. Tatsächlich erfuhr dieser Aufruf Japans vielfältige Unterstützung von Seiten zahlreicher Staaten und wurde in Form einer Resolution angenommen.

Japan engagiert sich derzeit in einer ganzen Reihe von Staaten weltweit für die konkrete Umsetzung unterschiedlichster Projekte.
Fidschi, die Salomoninseln und andere Inselstaaten im Pazifik werden regelmäßig von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen oder Vulkanausbrüchen heimgesucht. Fast jedes Jahr verursachen schwere Regenstürme große Schäden; gleichzeitig führt Hochwasser in zahlreichen Regionen zu Überschwemmungen.
Wir haben Experten auf dem Gebiet der Minderung von Katastrophenrisiken entsendet, die spezielle Trainingsprogramme von drei Jahren Dauer durchführen. Diese Programme richten sich vor allem an Frauen. Die weiblichen Führungskräfte in den Kommunen, die diese Programme absolvieren, erhalten dadurch Gelegenheit, sich grundlegende Informationen über die Minderung der Risiken von Katastrophen anzueignen. Diese Frauen nehmen dann Führungspositionen ein und unternehmen eigene Aktivitäten, um das Wissen zu verbreiten, das für die Minderung von Katastrophenrisiken erforderlich ist.

2013 wurden die Philippinen von dem Wirbelsturm Yolanda getroffen, der zur höchsten Kategorie der Wirbelstürme zählte. Um den Wiederaufbau nach der Katastrophe zu unterstützen, richtete Japan bei seiner Hilfe den Fokus vor allem auf Frauen. Vor dem Wirbelsturm spielten die Frauen in der betroffenen Region eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Agrar- und Meeresprodukten wie Fleisch und Fisch. Um sicherzustellen, dass die Frauen ihre Arbeit in diesem Bereich so rasch wie möglich wieder aufnehmen können, baute Japan nicht allein die Verarbeitungsanlagen wieder auf, sondern schuf auch Einrichtungen zur Kinderbetreuung. So wurden die Frauen dabei unterstützt, rasch wieder in ihren Beruf zurückkehren zu können. Darüber hinaus haben Mitarbeiter der Stadt Higashi-Matsushima in der Präfektur Miyagi, die bei dem schweren Erdbeben im Osten Japans große Schäden erlitt, dafür gesorgt, dass die Meinungen der Menschen vor Ort, und hier insbesondere der Frauen, in die Pläne für den Wiederaufbau eingeflossen sind.

Ich habe heute Japans neue Initiative für die Minderung von Katastrophenrisiken verkündet. Im Rahmen dieser Initiative wird Japan in den kommenden vier Jahren 40.000 Behördenmitarbeiter und weitere Personen überall auf der Welt zu Führungskräften mit Blick auf die Minderung der Risiken von Katastrophen ausbilden. Eines der größten Projekte im Rahmen dieser Initiative wird der Start eines Trainingsprogramms zur Förderung der führenden Rolle von Frauen auf dem Gebiet der Minderung von Katastrophenrisiken darstellen. Darüber hinaus wird eines der Themen der World Assembly for Women in Tokyo (WAW! Tokyo), die im Sommer nächsten Jahres stattfinden wird, „Frauen und die Minderung von Katastrophenrisiken“ lauten. Diese Veranstaltung wird ein Forum bieten, um der ganzen Welt die große Bedeutung der Frauen als Führungspersonen in diesem Bereich vor Augen zu führen.

 

Schlussbetrachtung

„Mag der Boden auch noch so sehr schwanken, unsere Herzen bleiben ruhig.“ Dies sind die Worte der Frauen aus dem Bezirk Iwakiri, die ich Ihnen zu Beginn dieser Rede vorgestellt habe. Um eine Gesellschaft zu gestalten, die wirklich widerstandsfähig ist und die gegen Naturkatastrophen bestehen kann, ist es unerlässlich, die Frauen zur treibenden Kraft bei unserem Engagement zu machen. Dies ist es, was wir meiner Ansicht nach alle beachten und worauf wir unseren Fokus richten sollten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 


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