Botschaft von Japan

Außenpolitik

Vortrag von Außenminister Fumio Kishida im Rahmen einer Veranstaltung der Yomiuri International Economic Society in Tokyo am 25.04.2016

„Japanisch-Chinesische Beziehungen in der neuen Ära“

Alternativer Text

1. Einleitung

Ich bin Außenminister Fumio Kishida. Für Ihr Kommen danke ich Ihnen vielmals. Mein besonderer Dank gilt den Vertretern der Yomiuri International Economic Society, die mir diese Gelegenheit geboten hat, heute zu Ihnen zu sprechen.

Für meinen heutigen Vortrag habe ich unter den zahlreichen Themen auf dem Gebiet der Außenpolitik die Beziehungen zu unserem Nachbarn China ausgewählt, und ich möchte über das Verhältnis zwischen Japan und China sprechen, das für Japan ein sehr wichtiges bilaterales Verhältnis darstellt. Beide Länder müssen ihre Beziehungen so gestalten, dass sie der neuen Ära angemessen sind. Darüber möchte ich heute sprechen. Was bedeutet das: eine neue Ära? Wenn man die letzten zwanzig Jahre betrachtet, dann haben sich die Positionen Japans und Chinas innerhalb des internationalen Kräftegleichgewichts erheblich gewandelt. Zugleich leben wir heute in einer Ära, in der unsere beiden Länder als zweit- bzw. drittgrößte Wirtschaftsnationen der Welt eine große Verantwortung für Frieden und Wohlstand sowohl weltweit als auch in dieser Region innehaben. In einer solchen Ära bestehen zwischen Japan und China auch Aufgaben sowie Sorgen. Beide Länder aber sind Nachbarn, die nicht einfach an einen anderen Ort umziehen können. Ich denke, dass unsere Länder nur eine Option haben, nämlich mittels Freundschaft und Zusammenarbeit einen gemeinsamen Beitrag für die Welt zu leisten.

„Die größte Aufgabe, die beide Länder erfüllen müssen, besteht darin, mittels Anstrengungen für das gegenseitige Verständnis die Beziehungen zwischen Japan und China in noch umfassenderer Weise voranzubringen, damit beide einen Beitrag für den internationalen Frieden und die Stabilität in Asien leisten können.“ – Dies sind die Worte des früheren Premierministers Masayoshi Ohira, der sich aktiv für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und China eingesetzt hat. Gesprochen hat er sie bei seinem Besuch in China 1979, ein Jahr nach der Unterzeichnung des Japanisch-Chinesischen Friedens- und Freundschaftsvertrags. Der frühere Premierminister Ohira ist nicht nur einer meiner Vorgänger im Amt des Außenministers, sondern auch im Amt des Vorsitzenden der Kochikai, einer wichtigen LDP-Faktion. Seit ich das Amt des Außenministers übernommen habe, sind bereits fast dreieinhalb Jahre vergangen, aber ich spüre deutlich, dass diesen Worten Ohiras auch heute noch unverändert große Bedeutung zukommt.

Sofern nichts dazwischen kommt, werde ich Ende dieses Monats nach China reisen, mit der chinesischen Seite einen offenen Dialog führen und so den Prozess für die Gestaltung japanisch-chinesischer Beziehungen in Gang setzen, die der neuen Ära angemessen sind.

2. Die Vergangenheit: Rückschau auf den bisherigen Weg und Erinnern an die Anstrengungen unserer Vorfahren

Im November 2014 kamen im Rahmen des APEC-Gipfels in Beijing die Regierungschefs sowie Außenminister Japans und Chinas zu Gesprächen zusammen. Damit schlugen beide Länder den Kurs in Richtung einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen ein. Auch ich habe mich als Außenminister mit großem Engagement dafür eingesetzt, diese Verbesserung der Beziehungen weiter zu festigen.

Japan und China blicken auf eine mehr als zweitausend Jahre lange Geschichte des gegenseitigen Austausches zurück. Im Mai letzten Jahres sagte Präsident Xi Jinping vor Mitgliedern einer bilateralen Delegation für den Austausch auf den Gebieten Tourismus und Kultur: „ Japan und China sind durch einen schmalen Streifen Wasser voneinander getrennt. In den letzten zweitausend Jahren bildeten Frieden und Freundschaft den Grundton in den Herzen unserer beiden Völker. Beide haben voneinander gelernt, sich gegenseitig zum Vorbild genommen und ihren jeweiligen Weg beschritten. Zugleich haben unsere Länder bedeutende Beiträge für den Fortschritt der menschlichen Zivilisation geleistet.“ Die chinesische Schrift, Buddhismus und Konfuzianismus, die Delegationen zur Zeit der Sui- und Tang-Dynastien, die sich von Japan aus nach China auf den Weg machten, um von dort die Wissenschaften und die Kultur Chinas zu erlernen: Es gibt zahllose Beispiele dafür, was Japan alles durch den Austausch mit China erhalten hat. Wohlbekannte Fakten sind auch die Entwicklungszusammenarbeit im Umfang von mehr als drei Billionen Yen sowie das Kapital und die Technologien, die Japan durch Investitionen und Aktivitäten seiner Unternehmen bereitgestellt hat und die einen großen Beitrag zur Entwicklung Chinas geleistet haben.

Innerhalb der japanisch-chinesischen Beziehungen feiern wir nächstes Jahr den 45. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen; 2018 wird sich der Abschluss des Friedens- und Freundschaftsvertrags zum vierzigsten Mal jähren. Angesichts dieser anstehenden Jubiläen möchte ich hier noch einmal an die Geschichte erinnern, in deren Verlauf unsere Vorfahren im Geiste des gegenseitigen Respekts und der Achtung von den Stärken des jeweils anderen gelernt und sich auf diese Weise bei ihrer weiteren Entwicklung gegenseitig unterstützt haben.

3. Die Gegenwart: Aktueller Stand der bilateralen Beziehungen und grundlegende Überlegungen

Japan und China sind heute die dritt- bzw. zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Beide Länder sind zunehmend durch Bande miteinander verbunden, die nicht mehr gelöst werden können. Für Japan ist China der wichtigste Handelspartner, während umgekehrt unser Land für China der zweitwichtigste Handelspartner ist. Rund 23.000 japanische Unternehmen sind in China aktiv, die eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen haben.

Was den Personenaustausch anbelangt, so besuchten im letzten Jahr 4,99 Mio. Chinesen Japan, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr – ein neuer Rekord. Diese Tendenz setzt sich auch in diesem Jahr fort: Im ersten Quartal 2016 konnte ein Anstieg der Besucher aus China um sechzig Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnet werden. Gleichzeitig leben 130.000 Japaner in China; damit beherbergt das Land weltweit die zweitgrößte japanische Gemeinde im Ausland. Auch auf der Ebene der Regionen besteht ein enges Netzwerk an Austauschmöglichkeiten unterschiedlichster Art; dazu kommen 362 Kommunen in China bzw. Japan, die eine Partnerschaft mit einer Kommune im jeweils anderen Land unterhalten.

In jüngster Zeit gibt das nachlassende Tempo der chinesischen Wirtschaft Anlass zur Sorge, und auch Japan beobachtet die Situation aufmerksam. Gleichzeitig aber ist diese Besorgnis ein Beweis dafür, welch große Hoffnungen die Welt in die Wirtschaft Chinas setzt. Laut Angaben der chinesischen Regierung wuchs das BIP des Landes im letzten Jahr real um 6,9 Prozent. Dies bedeutet zwar im Vergleich zu früheren Jahren einen Rückgang, tatsächlich aber ist die Wachstumsrate nach wie vor sehr hoch; allein der Anteil des Zuwachses reicht aus, um mit dem BIP von Staaten mithalten zu können, die daran gemessen zu den führenden zwanzig Ländern weltweit zählen. Mit einer Bevölkerung von über 1,3 Mrd. Menschen birgt China nach wie vor gewaltiges Potenzial und stellt auch künftig einen sehr wichtigen Markt dar.

Damit die chinesische Regierung angesichts dessen in der Lage ist, eine stabile und nachhaltige Entwicklung sicherzustellen, packt sie entschlossen eine Reihe von Aufgaben an. Dazu zählen etwa der Abbau der Überkapazitäten im Produktionsbereich, eine Reform der Staatsbetriebe sowie Strukturreformen, z.B. zur Verringerung der Armut. Dies ist durchweg positiv zu bewerten. Japan bietet China hierbei seine Zusammenarbeit an, damit das Land weitere Strukturreformen umsetzen und eine friedliche Entwicklung nehmen kann. Gleichzeitig setzen wir große Erwartungen in China, dass es gemeinsam mit Japan eine noch größere Verantwortung für die Verwirklichung von Frieden und Wohlstand in der Region und weltweit übernimmt.

Einerseits ist es eine Tatsache, dass, weil Japan und China Nachbarn sind, wir zahlreiche Aufgaben und Sorgen miteinander teilen. Allerdings haben wir diese Herausforderungen bislang stets mithilfe unserer gemeinsamen Weisheit und Kreativität bewältigt. Die vier grundlegenden Dokumente zum Verhältnis zwischen Japan und China und die vier im vorletzten Jahr vereinbarten Punkte können als Beweis für diese Anstrengungen gelten. In Rahmen dieses Prozesses entwickeln beide Seiten, während sie bekräftigen „Partner zu sein, die zusammenwirken und sich nicht gegenseitig bedrohen“, die strategischen Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen weiter. Nun müssen beide (1) durch die Ausweitung der Zusammenarbeit, (2) durch die Inangriffnahme der Aufgaben und Sorgen und (3) durch die Förderung des gegenseitigen Verständnisses und vertrauensvoller Beziehungen zwischen den Menschen beider Länder, wie zu Beginn dieses Vortrags bereits angeführt, japanisch-chinesische Beziehungen gestalten, die der neuen Ära angemessenen sind. Hierfür ist Japan bereit sich mit ganzer Kraft einzusetzen. Allerdings wird es in bilateralen Beziehungen keine Fortschritte geben, wenn sich nur eine Seite darum bemüht. Ich wünsche mir daher, dass auch China aufgeschlossen mit uns zusammenwirkt.

4. Die künftigen japanisch-chinesischen Beziehungen

(1) Ausweitung der Zusammenarbeit

Unter den drei Punkten, die ich in Bezug auf unser Engagement gerade angeführt habe, lautet der erste Punkt die Ausweitung der Zusammenarbeit. Innerhalb der Beziehungen zwischen Japan und China bestehen zahlreiche Bereiche, in denen eine Kooperation beiden Seiten Vorteile bringt, und ich denke, dass hier großes Potenzial besteht, das noch weiter ausgeschöpft werden kann.

Unter den Aufgaben, denen sich China derzeit gegenübersieht, gibt es etwa die Umweltverschmutzung, beispielsweise die Verunreinigung von Luft und Gewässern, oder die Bereinigung der notleidenden Kredite, alles Probleme, die auch Japan im Verlauf seines rasanten Wirtschaftswachstums und des Platzens der Bubble Economy erfahren und gelöst hat. Innerhalb unserer Erfahrungen gibt es gewiss auch Aspekte, die China bei der Bewältigung seiner Aufgaben helfen können. Bei diesen Aufgaben sind wir bereit, so viel wie möglich mit China zusammenzuwirken. Ich denke, dass es sowohl für Japan als auch für die Staatengemeinschaft große Chancen mit sich bringt, wenn China die verschiedenen Aufgaben bewältigen und seine friedliche Entwicklung fortsetzen kann.

Einer der Bereiche, in denen dies möglich ist, ist die Katastrophenprävention. Nach dem jüngsten Erdbeben in Kumamoto haben Präsident Xi Jinping, Premierminister Li Keqiang und Außenminister Wang Yi ihre aufrichtige Anteilnahme zum Ausdruck gebracht. Auch über das Internet erreichten uns aus China zahlreiche Wünsche für einen raschen Wiederaufbau und das Wohlergehen der betroffenen Menschen. Als vor fünf Jahren das schwere Erdbeben im Osten Japans auftrat, reichten uns die Regierung und die Menschen in China ihre helfenden Hände. Beim schweren Erdbeben in Sichuan 2008 eilte umgehend ein japanisches Rettungsteam in die betroffene Region; über den Einsatz dieses Teams, das möglichst viele Menschen retten wollte, wurde in China ausführlich berichtet. Naturkatastrophen kennen keine Ländergrenzen, und es lässt sich nicht vorhersagen, wer zu welchem Zeitpunkt davon getroffen wird. Japan und China müssen die Lehren aus Naturkatastrophen miteinander teilen, ihre Fähigkeiten im Bereich Katastrophenschutz ausweiten und sich beim Auftreten einer Katastrophe umgehend helfen. Dies ist es, was zum Frieden und zur Sicherheit der Menschen in beiden Ländern beiträgt.

Auch Maßnahmen in Bezug auf den Geburtenrückgang und die Alterung der Gesellschaft stellen für beide Länder eine dringende Aufgabe und einen Bereich dar, in dem ein Zusammenwirken von großer Bedeutung ist. China mit seiner Ein-Kind-Politik steht seit den 1980er Jahren vor einem rasanten demographischen Wandel. Wenn es die Erfahrungen und das Wissen, die Japan in diesem Bereich bereits gesammelt hat, aktiv nutzt, braucht es keine überflüssigen Umwege zu gehen. Zugleich bedeutet der Aufbau von Institutionen und Systemen für entsprechende Maßnahmen sowie die verstärkte Ausbildung von Personal in diesem Bereich auch für japanische Unternehmen, die hier bereits über reichlich Know-how verfügen, große Chancen für neue unternehmerische Aktivitäten.

Darüber hinaus bestehen die Bereiche Energieeinsparung und Umwelt oder die Sicherheit von Lebensmitteln. Diese Aufgaben stehen nicht allein in unmittelbarer Beziehung zur Gesundheit der chinesischen Bürger sowie der japanischen Bürger, die in China leben, sondern sie bilden auch ein grenzüberschreitendes Problem, das auch Auswirkungen auf Japan selbst hat. Aber auch umgekehrt ist es genauso. Es gibt also noch genügend Spielraum für die Ausweitung der Kooperation.

Schließlich bestehen zahlreiche weitere Aufgabenfelder, bei denen unsere Länder ihre Verantwortung für die Region und die Staatengemeinschaft erfüllen und einen Beitrag für die Lösung globaler Aufgaben leisten sollten. Dies sind etwa drängende Aufgaben mit Blick auf die zunehmend trüber werdenden Aussichten der Weltwirtschaft; hier müssen Japan beim G7- sowie China beim G20-Gipfel, als deren Veranstalter beide in diesem Jahr auftreten, eine gründliche Diskussion darüber initiieren, was für die globale Wirtschaft getan werden sollte. Auch beim Problem der Kernwaffen- und Raketentests Nordkoreas ist es von großer Bedeutung, dass alle beteiligten Staaten einschließlich Japan und China eng zusammenwirken und eine geschlossene Haltung zeigen. Viele der globalen Aufgaben sind auch Aufgaben, denen sich Japan und China selbst im Innern stellen müssen, und bei fast allen gibt es genügend Spielraum für ein Zusammenwirken. Gerade auch mithilfe dieser Kooperation möchte ich japanisch-chinesische Beziehungen gestalten, die der neuen Ära angemessen sind.

(2) Inangriffnahme der Aufgaben und Sorgen

Das zweite der drei angeführten Engagements ist die Inangriffnahme der bestehenden Aufgaben und Sorgen. Gerade weil Japan und China Nachbarn sind, müssen sie sich bei zahlreichen Aufgaben und Sorgen beharrlich engagieren. Offen gesagt erfüllen der rasche und wenig transparente Anstieg der Verteidigungsausgaben, die Propagierung des Ziels einer „maritimen Großmacht“ und die anhaltenden einseitigen Veränderungen des Status quo im Ost- sowie Südchinesischen Meer nicht allein die Menschen in Japan, sondern in den Staaten der Region Asien-Pazifik sowie in der Staatengemeinschaft insgesamt mit Sorge.

Japan und China sind im Rahmen der bestehenden Normen und Ordnung der internationalen Gemeinschaft in den Genuss von Entwicklung und Stabilität gekommen und haben den Wohlstand geschaffen, den sie heute genießen. Es ist gerade das Netzwerk des Austausches von Menschen und Gütern über die friedlichen und offenen Meere hinweg, das den Wohlstand im asiatisch-pazifischen Raum hervorgebracht hat. Beide Länder haben die Pflicht, diese offenen Meere auf der Grundlage von Regeln zu schützen und den künftigen Wohlstand der Region zu bewahren.

Wer auf der Grundlage von Regeln vorgeht, ist in der Lage, das Vertrauen der Region und der Staatengemeinschaft insgesamt zu erlangen. Die Einhaltung der Regeln ist für China selbst von Vorteil. Seine Mitgliedschaft in der WTO, die Japan unterstützt hat, trug zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas bei. Sollte es innerhalb der bestehenden Regeln solche geben, die der aktuellen Situation in der Welt nicht entsprechen, dann dürfen diese nicht durch einseitiges Vorgehen verändert werden; vielmehr müssen sie auf friedlichem Weg und durch Dialog verbessert werden. Um diese Aufgaben und Sorgen in Angriff zu nehmen, muss meiner Auffassung nach zwischen Japan und China ein Dialog stattfinden, der noch offener als bisher geführt werden sollte und der auch die Ebene der Regierungschefs und der Minister umfasst.

Vor neunzehn Jahren habe ich aus Anlass des 25. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf Einladung der chinesischen Seite China besucht. Es war meine erste Chinareise als Abgeordneter. Der Meinungsaustausch mit den Vertretern der chinesischen Regierung, den ich damals führte, begann stets mit der beiderseitigen Versicherung, man wolle offen miteinander reden. Kam das Gespräch dann aber auf Themen mit unterschiedlichen Standpunkten, wurde der Umgang miteinander oft emotional. Es endete damit, dass man vieles, was man eigentlich hatte sagen wollen, nicht gesagt hat. Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie ärgerlich ich darüber jedes Mal war. Es ist zwar einfach, von einem offenen Dialog zu sprechen, aber schwer, ihn dann auch wirklich zu führen.

Trotzdem müssen wir mithilfe eines Dialogs den jeweils anderen verstehen lernen, nach Lösungen suchen und die Aufgaben und Sorgen in Angriff nehmen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir auch mit Blick auf die Beziehungen zu China unsere Anstrengungen keineswegs aufgeben werden.

(3) Förderung des gegenseitigen Verständnisses und vertrauensvoller Beziehungen zwischen den Menschen beider Länder

Der dritte Punkt, in dem wir unser Engagement verstärken müssen, ist die Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Menschen beider Länder. Diesem Punkt kommt in der Tat eine große Bedeutung zu. Bedauerlicherweise aber haben sich die Gefühle der Menschen zueinander, die die Stütze der japanisch-chinesischen Beziehungen bilden, verschlechtert.

Einer Umfrage des Kabinettsamts im letzten Jahr zufolge erreichte der Anteil der Japaner, die antworteten, „keine Zuneigung für China zu empfinden“, mit 83,2 Prozent einen neuen Rekordwert. 1979, ein Jahr nach der Unterzeichnung des Japanisch-Chinesischen Friedens- und Freundschaftsvertrags, hatten gerade einmal 20,3 Prozent der Japaner eine solche Antwort gegeben. Die Verschlechterung der Gefühle der Menschen in Japan gegenüber China ist außerordentlich gravierend.

Zugleich antworteten 2014 bei einer anderen Umfrage 86,8 Prozent der Chinesen, dass sie von Japan „kein gutes Bild haben“. Im letzten Jahr sank dieser Anteil zwar auf 78,3 Prozent, aber bei vielen Chinesen haben sich die Gefühle gegenüber Japan nicht wirklich verbessert. Diplomatische Beziehungen, die nicht von freundschaftlichen Gefühlen der Menschen untermauert werden, sind schwach. Sollte dieser Zustand andauern, dann steht sehr zu befürchten, dass sich die japanisch-chinesischen Beziehungen zu einer Fata Morgana entwickeln.

Auch um der neuen Ära angemessene bilaterale Beziehungen zu gestalten, müssen wir diesen Trend stoppen und die Situation verbessern. Hierfür stellt die Bildung von vertrauensvollen Beziehungen mithilfe eines direkten Austauschs zwischen den Menschen das beste Mittel dar. Nicht umsonst heißt es: Einmal sehen ist besser als hundert Mal hören.

Bei seinem Besuch 1979 sagte Premierminister Ohira: „Das Wichtigste innerhalb der Beziehungen zwischen zwei Ländern ist festes Vertrauen, das die Herzen der Menschen miteinander verbindet. Dieses Vertrauen muss sich vor allem auf das gegenseitige Verständnis zwischen den Menschen stützen.“ Er fuhr fort: „Es ist keineswegs leicht, den anderen wirklich gut kennenzulernen.“ In Bezug auf Japan und China, die sich sowohl von den Systemen als auch von der Mentalität her unterscheiden, mahnte er: „Hier sind wirklich große Anstrengungen auch bei uns selbst gefordert.“ Damals war die Stimmung zwischen Japan und China noch von freundschaftlichen Gefühlen geprägt; dass Premierminister Ohira dies bereits damals sagte, kann als eine Art Warnung von seiner Seite aufgefasst werden, dass er den künftigen Zustand der bilateralen Beziehungen bereits voraussah.

Um das gegenseitige Verständnis zwischen beiden Völkern zu stärken, führt die Regierung von Japan Programme für den Jugendaustausch durch. Die chinesischen Oberschüler und Studierenden, die im Rahmen dieser Programme Japan besuchen, sagen uns oft, dass sie nach ihrer Rückkehr den Menschen in ihrem Umfeld über die Faszination unseres Landes und über die Freundschaft in den Herzen der Japaner berichten werden. Zudem erklären regelmäßig fast alle chinesischen Teilnehmer, dass sich durch diese Austauschprogramme ihr Bild von Japan verbessert habe.

Ab diesem Jahr werden wir zudem im Rahmen eines neuen Programms jährlich eintausend junge Menschen aus China und anderen Staaten der Region Asien-Pazifik nach Japan einladen, um ihnen die Bedeutung von Umweltschutz und Katastrophenprävention vor Augen zu führen und ihre Kenntnisse in diesen Bereichen zu fördern. Dabei werden diese jungen Leute in Japan im Rahmen von Aufforstungs- und Baumpflanzaktionen auch an Austauschaktivitäten teilnehmen.

Präsident Xi Jinping sagte im Mai letztes Jahres: „Ich wünsche mir von Herzen, dass die jungen Menschen in beiden Ländern ihre Freundschaft festigen, aktiv zusammenwirken und unermüdlich die Saat der Freundschaft sähen, dass sie die Zuneigung zwischen Japan und China zu einem großen Baum werden lassen, der sich zu einem üppigen Wald entwickeln möge, und dass die Freundschaft in den Herzen der Bürger beider Länder an unsere Kinder und Enkel weitergegeben wird.“ Auch ich möchte den jungen Menschen in beiden Ländern diesen Wunsch mit auf den Weg geben. Wir müssen eine neue Generation heranbilden und ihr den Staffelstab der japanisch-chinesischen Freundschaft übergeben; hierfür muss der Austausch zwischen den jungen Menschen weiter vertieft werden.

Was den Austausch zwischen jungen Menschen betrifft, so unterhalten auch die Universitäten beider Länder einen vielfältigen Austausch. Ich selbst habe an der Waseda University studiert und mir wurde berichtet, dass diese Universität eine der bekanntesten japanischen Hochschulen in China sei. Die Waseda University hat bereits ab 1905 in großer Zahl Studierende aus China aufgenommen. Dazu zählte etwa Liao Chengzhi, der erste Vorsitzende der Chinesisch-Japanischen Freundschaftsgesellschaft, der vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen für die bilateralen Beziehungen zuständig war. Die Waseda University unterhält eigene Büros in Beijing sowie Shanghai, und jedes Jahr studieren über zweihundert Studierende der Universität in China. Unter diesen sind auch einige, die ihren Studienabschluss an der Beijing University oder an anderen Universitäten machen. Ich habe zudem gehört, dass derzeit mehr als 1.800 chinesische Studierende an der Waseda University studieren, und in ganz Japan sind derzeit über 94.000 Studierende aus China an Hochschulen eingeschrieben.

Ich denke, es ist der einfachste Weg, dass Studierende und junge Menschen aus Japan und China über den gegenseitigen Austausch vertrauensvolle Beziehungen zueinander aufbauen und durch das gegenseitige Lernen ihre Fähigkeiten verbessern; zugleich ist dies die beste Methode, um die Herzen der Menschen in beiden Ländern miteinander zu verknüpfen.

Der eben erwähnte Anstieg der Zahl chinesischer Besucher, die nach Japan kommen, wird überall in meinem Land als direkter positiver Beitrag zur Belebung der japanischen Wirtschaft begrüßt. Im vergangenen Jahr hatten die chinesischen Touristen einen Anteil von rund vierzig Prozent am Konsum aller ausländischen Besucher in Japan. Japan schickt sich derzeit mit voller Unterstützung der Regierung an, sich zu einem weltweit führenden Reiseziel für Touristen zu entwickeln. Dabei ist China eines der Länder, das in den Genuss einer strategischen Lockerung der Visabestimmungen kommt.

Der Zuwachs an Besuchern aus China in Japan ist allerdings nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen zu begrüßen. Indem die Menschen aus China Japan unmittelbar kennenlernen, hier die verschiedensten Erfahrungen machen und einen Austausch erleben, vertiefen sie gleichzeitig ihr Verständnis für Japan. Dies ist ebenfalls sehr zu begrüßen. Tatsächlich wurde mir berichtet, dass viele Chinesen, die Japan besuchten, von der Freundlichkeit der Menschen, die sie hierzulande erlebt haben, beeindruckt waren.

Japan bietet eine wahre Fülle an unterschiedlichsten Reizen: Spitzentechnologien, eine Esskultur und japanischen Sake, die weltweit gerühmt werden, eine Mentalität der handwerklichen Meisterschaft, die ihren Ausdruck in der Fertigung qualitativ hochwertiger Produkte findet, die für Japan so typische Gastfreundschaft, erstklassigen Service oder auch eine wunderschöne Landschaft im Wandel der vier Jahreszeiten. In jüngster Zeit ist bei den Reisezielen der chinesischen Besucher auch eine Diversifizierung zu beobachten: Sie kommen nicht mehr nur zum Einkaufen, sondern besuchen nun auch Dörfer mit ihrem malerischen Anblick von Reisfeldern unter einem strahlend blauen Himmel. Andere spazieren durch alte Städte in den Regionen und erhalten hier einen Einblick in das Alltagsleben der Japaner, und wieder andere übernachten in kleinen Pensionen, um sich an der einfachen aber herzlichen Bewirtung zu erfreuen. Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen aus China hier nach Japan kommen und unser Land mit eigenen Augen kennen und verstehen lernen.

Gleichzeitig aber erwarte ich auch von chinesischer Seite aufrichtige Anstrengungen dahingehend, die Sorgen der Menschen in Japan gegenüber China zu zerstreuen, wie sie in den eben genannten schlechten Umfragewerten zum Ausdruck kommen, sowie auch etwas dafür zu tun, dass sich die Gefühle der Menschen in China gegenüber Japan wieder verbessern.

5. Schluss

Die japanisch-chinesischen Beziehungen waren stets schwer zu steuern. Da beide Länder in enger Nachbarschaft zueinander leben, treten leicht Reibungen auf; hier ist eine sehr geduldige Vorgehensweise vonnöten. Ich möchte noch einmal betonen: Die Gestaltung bilateraler Beziehungen, die der neuen Ära angemessen sind, gereicht den Menschen in beiden Ländern zum Nutzen. Zugleich ist dies das, was die Region und die Welt von uns erwarten.

Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich Ende des Monats China besuchen und mit führenden Vertretern der chinesischen Seite offen darüber sprechen, wie wir japanisch-chinesische Beziehungen gestalten können, die der neuen Ära angemessen sind.

Mit Außenminister Wang Yi bin ich unter Einschluss der Telefongespräche bislang sieben Mal zu Gesprächen zusammengetroffen, allerdings wird dies mein erster Besuch als Außenminister in China auf bilateraler Ebene sein. Zugleich ist es der erste Besuch eines japanischen Außenministers in China seit vier Jahren, wenn man nur die bilateralen Zusammenkünfte zählt, und die Besuche im Rahmen internationaler Gipfeltreffen unberücksichtigt lässt. Auch wenn die bilateralen Beziehungen sich derzeit auf dem Pfad der Besserung befinden, bestehen nach wie vor zahlreiche Aufgaben, und der Weg hin zur Gestaltung japanisch-chinesischer Beziehungen, die der neuen Ära angemessen sind, wird keineswegs einfach sein. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass, wenn wir auf unterschiedlichsten Ebenen einen offenen Dialog mit den Menschen in China führen und dabei auch Schmerzhaftes nicht aussparen, und wenn beide Seiten sich aufrichtig bemühen, die Gestaltung bilateraler Beziehungen, die der neuen Zeit wirklich angemessen sind, möglich ist. Ich möchte den anstehenden Besuch in China für einen ersten Schritt in diese Richtung nutzen.

In diesem Jahr, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte, wird in Japan eine Zusammenkunft der Außenminister Japans, Chinas und der Republik Korea stattfinden. Ebenso ist hierzulande die Durchführung eines hochrangigen japanisch-chinesischen Wirtschaftsdialogs geplant. In China findet im September der G20-Gipfel in Hangzhou statt. Somit bildet mein Besuch in China den Auftakt für eine ganze Reihe von Zusammenkünften der Regierungschefs sowie Außenminister Japans und Chinas in diesem Jahr. Ich möchte diesen Vortrag mit der Zusage beschließen, dass ich mich mit ganzer Kraft für den Erfolg dieses Besuchs einsetzen werde, um damit die Grundlagen für die japanisch-chinesischen Beziehungen in diesem Jahr zu legen.

Vielen Dank.