Botschaft von Japan

Kultur

Essen – ein ganz besonderer Aspekt der Kulturgeschichte Japans

Reis als Hauptnahrungsmittel

Um das 5. Jh. v. Chr. herum begann man in Japan mit dem Anbau von Reis in Nassfeldern. Einhergehend damit bildete sich eine Gesellschaft heraus, die ihre Grundlagen in der Landwirtschaft hatte und in der Reis zum wichtigsten Anbauprodukt und Hauptnahrungsmittel wurde.
Für Menschen in Ost- und Südostasien gehört zu einer richtigen Mahlzeit Reis als Hauptbestandteil dazu, während die Beilagen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die typische japanische Mahlzeit bildet dabei keine Ausnahme. Reis wird gekocht oder gedämpft und wandert vom Topf ohne weitere Gewürze oder Zutaten direkt in die wartenden Reisschüsseln. Beilagen wie Fisch und Gemüse werden mit einer Vielzahl verschiedenster Zutaten gewürzt, aber ihre Rolle besteht vor allem darin, noch mehr Appetit auf Reis zu machen.
Im Japanischen heißt „eine Mahlzeit essen“ „go-han o taberu“; wörtlich übersetzt bedeutet dies eigentlich „Reis essen.“ Die Wörter „go-han“ (Reis) und „shokuji“ (Mahlzeit) haben dieselbe Bedeutung und können beliebig untereinander ausgetauscht werden.
In der Vergangenheit hatten arme Leute und solche, deren Felder höher lagen und nicht so fruchtbar waren, wenig Zugang zu Reis. Daher mischten sie ihren Reis mit Gerste oder anderem Getreide. Bei Festen und besonderen Anlässen aber fanden auch sie einen Weg, um Reis und Mochi-Reiskuchen zu essen, ohne diese Speisen mit „geringerem“ Getreide mischen zu müssen.
Mochi entstehen durch das Stampfen von Klebreis mit einem hölzernen Stampfhammer in einem Mörser. Früher glaubten die Japaner – genau wie die Menschen in Südostasien – dass die Geister der Reispflanzen in den Körnern wohnen. Daher war heiliger Reis, der zu Mochi verarbeitet wurde, eine Speise speziell für hohe Feste. Auch heute noch isst man am Neujahrstag, dem wichtigsten Fest des Jahres, im Kreis der Familie Mochi-Reiskuchen in einer „Zoni“-Suppe, zu der noch Meeresfrüchte und Gemüse kommen.
Sake wird aus Reis hergestellt und auch dieser Reiswein nimmt einen Ehrenplatz bei Festen ein. Japanische Feste bilden stets eine Gelegenheit, um Reis und Mochi zu essen sowie Sake zu trinken - mit anderen Worten: in großer Fülle Speisen und Getränke zu genießen, die aus der Reispflanze gewonnen werden.
Man kann daher sagen, dass die traditionelle japanische Küche dazu dient, das Beste aus Reis und Sake hervorzubringen.

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Bild: Terrassen mit sommerlichen Reisfeldern. Die grünen Reispflanzen neigen sich im Wind. Im Herbst werden sie golden leuchten, und ihre schweren Ähren warten dann auf die Ernte. Aufnahme aus Ogi, Stadt Otsu, Präfektur Shiga. (Foto: Mitsuhiko Imamori)

Kein Fleisch von Säugetieren

In der Geschichte der japanischen Küche darf man aber auch die vielen Jahrhunderte nicht außer Acht lassen, in denen es verboten war, das Fleisch vierbeiniger Tiere zu essen. Das erste Gesetz, das den Verzehr von Fleisch verbot, wurde 675 erlassen, rund einhundert Jahre nach der Ankunft des Buddhismus in Japan.
Im 7. und 8. Jh. erneuerte jeder Kaiser bei seiner Thronbesteigung ein kaiserliches Edikt, mit dem das Essen von Fleisch verboten wurde. Die Grundlage dafür bildete die buddhistische Lehre, die das Töten von Tieren als falsch ansieht. Die Tatsache, dass diese Edikte regelmäßig erneuert wurden, lässt vermuten, dass es so manchem Untertan doch schwer fiel, vom Fleischverzehr zu lassen. Aber um das 10. Jh. herum gab es in Japan praktisch niemanden mehr, der noch Fleisch aß.
In China und auf der koreanischen Halbinsel war es zwar den buddhistischen Mönchen verboten, Fleisch oder Fisch zu essen, aber in Japan aßen selbst einfache Leute kein Fleisch. Dies ist einerseits auf den Buddhismus zurückzuführen, andererseits aber sah auch die einheimische Religion Shinto das Essen des Fleisches von Tieren als unrein an.
Allerdings umfasste dieses Verbot nur das Fleisch von Säugetieren, nicht aber von Fischen und anderen Meeresfrüchten. Wale sind zwar Säugetiere, aber die Menschen hielten sie für riesige Fische und daher bestand kein Verbot, sie zu fangen und zu essen. Auch Wildvögel wurden gegessen. Da man glaubte, dass Hühner und Hähne Boten der Shinto-Gottheiten seien, wurde ihr Fleisch und Eier bis ins 15. Jh. hinein nicht konsumiert.
Die Ainu auf Hokkaido im Norden Japans deckten einen großen Teil ihres Nahrungsbedarfs durch Fleisch von Wildvögeln und Tieren; insbesondere Rehe und Bären waren ein wichtiger Bestandteil ihrer Küche. Und ganz im Süden, im Königreich Ryukyu auf den Inseln von Okinawa, galten andere Gesetze; hier bestand kein Verbot des Verzehrs von Fleisch. Die Menschen hielten Schweine, Ziegen sowie andere Tiere und aßen deren Fleisch. In den Bergregionen der Hauptinseln Japans lebten die Menschen von Fischen, die sie in den Bergflüssen fingen. Auch jagten sie Säugetiere, um deren Felle zu erhalten und medizinische Produkte herzustellen. Das Fleisch der gejagten Tiere wurde dann gegessen. Andere, die krank waren oder ihrem Körper mehr Kraft verleihen wollten, praktizierten „kusuri-gui“ (das Essen von Wildfleisch zu medizinischen Zwecken). Trotzdem hielt man sich keine Tiere als Nahrungslieferanten und über viele Jahrhunderte hinweg war der Fleischkonsum in Japan bemerkenswert gering.
Wie ihre Nachbarn in China und Korea tranken auch die Japaner keine Milch von Haustieren, und die Herstellung von Milchprodukten begann erst sehr viel später. Von daher verwundert es nicht, dass sich die Zubereitung von Fischen und anderen Meeresfrüchten in Japan zu einer äußerst hohen Kunst entwickelt hat.

Weniger ist mehr

Westliche und chinesische Köche vervollkommnen Ihre Fähigkeiten und nutzen ihr Handwerkszeug in geschickter Weise, um einen Geschmack zu kreieren, der sich von dem der natürlichen Zutaten deutlich unterscheidet. In der traditionellen japanischen Küche hingegen besteht das Ziel darin, den „menschlichen“ Anteil auf ein Minimum zu beschränken und Speisen anzubieten, deren Geschmack dem natürlichen Zustand so nah wie möglich kommt.
Die Küche Japans betont traditionell den ursprünglichen Geschmack der Zutaten und versucht nicht, den echten Geschmack mit menschlichen Zutaten zu verbergen. Das Ideal der japanischen Kochkunst besteht demnach darin, nicht zu übertreiben. Das ultimative „untertriebene“ japanische Gericht ist „Sashimi“. Der frische Fisch wird roh serviert und in dünne Scheiben geschnitten; diese werden dann in eine Mischung aus Sojasoße und Wasabi getunkt. Dies ist die beste Art, den Geschmack des Fisches zu genießen, und für Japaner zählt Sashimi zum Gipfel der kulinarischen Erfahrung in der Küche ihres Landes.
Damit Nahrungsmittel ihrem natürlichen Geschmack so nah wie möglich kommen, müssen sie frisch sein. Daher prüft man in Japan noch vor der Bewertung der Fähigkeiten des Kochs sehr genau die Frische der Zutaten. Kulinarische Enthusiasten in Japan lieben saisonale Zutaten – denn das Kosten der Jahreszeit ermöglicht es, den Geschmack der Frische in vollen Zügen zu genießen. Dies ist genau das, was den Kern der traditionellen japanischen Küche ausmacht.

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Bild: Oben links: Neujahr ist die Zeit des Feierns, bei der auch die „Zoni“ genannte Suppe nicht fehlen darf. Die Zutaten und Gewürze unterscheiden sich je nach Region, aber „Mochi“ (Reiskuchen) gehören unbedingt dazu. Oben rechts: Frisch gekochter Reis schmeckt einfach köstlich. (Fotos: Toshihiko Kono)

Evolution in der Küche

Als mit der Meiji-Restauration ab 1868 der westliche Einfluss in Japan Einzug hielt, war der durchschnittliche Japaner eher schmächtig. Der Regierung und den führenden Kreisen der Gesellschaft erschienen für den Aufbau einer modernen Industrienation größere und kräftiger gewachsene Menschen notwendig, die als Arbeitskräfte und Soldaten dienen konnten. Aus diesem Grund wurde der Verzehr von Fleisch und Milchprodukten gefördert.
Mit Ausnahme von „Sukiyaki“ und einigen wenigen anderen Gerichten bot die japanische Küche jedoch keine Anleitung dafür, wie man Fleisch zubereitet. Daher hielten sich die Köche an Rezepte aus dem Ausland. Dabei diente zunächst die westliche Küche als großes Vorbild. Damals strebte Japan nach rascher Modernisierung und der Westen galt in vielen Bereichen als Vorlage. Erst Mitte des 20. Jh. wurden auch Rezepte für Fleischgerichte aus China und Korea eingeführt, obwohl auch dort Reis Hauptnahrungsmittel ist und mit Essstäbchen gegessen wird.
Fleisch war in Japan eine neue Zutat, die neue Rezepte aus dem Ausland erforderte. Mit zunehmender Verbreitung nahmen die Fleischrezepte dann immer mehr einen typisch japanischen Charakter an. Die Gewürze wurden modifiziert, damit das Fleisch besser zum Reis schmeckt und die Zutaten wurden kleiner geschnitten, um sie bequemer mit Stäbchen essen zu können. Japaner lieben den Geschmack von Sojasoße über alles und sie hielten Worcestersoße für eine Art westlicher Sojasoße; daher begannen sie, diese Soße für ihre westlichen Gerichte in japanischem Stil zu verwenden.
Heute weisen die Gerichte, die man in Japan zuhause zubereitet, so viele ausländische Einflüsse auf, dass manche sie schon als kosmopolitisch bezeichnen, auch wenn es sich dabei wohl eher um eine neue Art japanischer Küche handelt. Man sagt den Menschen in Japan nach, sie seien sehr geschickt darin, Dinge aus dem Ausland aufzunehmen und sie dabei dem eigenen Geschmack anzupassen. Das gilt selbstverständlich auch für die Küche.
Seit den 1960er Jahren sinkt der Verbrauch von Reis in Japan kontinuierlich. Er beträgt heute noch etwa die Hälfte des Verbrauchs von vor vierzig Jahren. Dies kann eigentlich nicht überraschen, da Reis heute immer mehr hinter den Beilagen zurücktritt. Früher aß man zuhause viel Reis, eine Beilage, eine Suppe (meistens Miso) und eingelegtes Gemüse. Nur zu Festen und bei besonderen Anlässen wurden mehrere Beilagen serviert. Heute isst man zu jedem Abendessen drei bis vier Beilagen. Daher ist es nur natürlich, dass Reis nicht länger der unumstrittene Star am Esstisch ist.
Das Wirtschaftswachstum hat es den Menschen in Japan ermöglicht, zu einer gewöhnlichen Mahlzeit eine Auswahl so vieler Gerichte zu genießen, wie sie sich ihren Vorfahren nur zu besonderen Festen bot. Heute ist jede Mahlzeit ein kulinarisches Fest, allerdings ohne, dass die alten Gottheiten zugegen sind.

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Bild: Heutzutage serviert man zu den Mahlzeiten zahlreiche Beilagen, so dass der Reisverbrauch gesunken ist. (Foto: Yasuhiko Kawashima)

Den vorliegenden Beitrag verfasste Prof. h.c. Naomichi Ishige, National Museum of Ethnology, in Zusammenarbeit mit dem Restaurant Aoyagi. Er wurde für Neues aus Japan ins Deutsche übersetzt. (c) Nipponia