Botschaft von Japan

Vereinte Nationen

Rede von Premierminister Abe vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 20. 09. 2017

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Bild: Der japanische Premierminister Shinzo Abe während seiner Rede vor den VN (Foto: Cabinet Public Relations Office)

1.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
eigentlich wollte ich Ihnen heute über die große Aufrichtigkeit berichten, mit der Japan seine Maßnahmen zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) vorantreibt. Zugleich hatte ich gehofft, Ihnen die innovativen Wege präsentieren zu können, mit denen wir das Bewusstsein der Öffentlichkeit in meinem Land in Bezug auf diese Ziele fördern wollen.
Ich wollte Ihnen erzählen, warum die Women Entrepreneurs Finance Initiative („We-Fi“) sowohl für mich persönlich als auch für die Regierung meines Landes so wichtig ist.
Ich hatte vor, Ihnen davon zu berichten, dass wir das Konzept der Universal Health Coverage (UHC) zu einem festen Bestandteil der „Marke Japan“ machen werden. Im Dezember werden wir in Tokyo eine große Konferenz veranstalten, die sich mit dem Thema UHC befassen wird.
Die Liste der Dinge, die ich Ihnen hier eigentlich vorstellen wollte, ist in der Tat sehr lang: Japans Beiträge zur Rechtsstaatlichkeit; unsere Entschlossenheit, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen oder unser Engagement im Bereich qualitative Investitionen, um so auf die weltweite Nachfrage nach Infrastrukturmaßnahmen zu reagieren.
Darüber hinaus strebt Jaan die Sicherung einer in jedweder Hinsicht freien, liberalen und offenen internationalen Ordnung sowie entsprechender multilateraler Rahmenwerke an.
Die Welt richtet tatsächlich große Erwartungen an die Vereinten Nationen als Bannerträger dieser Ordnung und dieser Rahmenwerke. Und genau aus diesem Grund sollte der Sicherheitsrat ohne weitere Verzögerung reformiert werden, damit er endlich den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird.
Japan wird sich zusammen mit seinen Freunden dafür einsetzen, diese Reform zu verwirklichen. Ich wollte an dieser Stelle eigentlich darlegen, dass Japan mit großer Entschlossenheit eine aktive Rolle für den Frieden in der Welt als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat anstrebt.
Allerdings blieb mir keine andere Wahl, als meine Ausführungen auf ein einziges Thema zu konzentrieren: nämlich Nordkorea.

2.

Am 3. September hat Nordkorea einen Kernwaffentest unternommen. Unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Wasserstoffbombe handelte oder nicht – der getestete Sprengsatz hatte mit Abstand die bisher größte Sprengkraft.
Sowohl vor als auch nach diesem Test, nämlich am 29. August und erneut am 15. September, als die Tinte auf der Resolution Nr. 2375 noch nicht trocken war, mit der der Sicherheitsrat weitere Sanktionen gegen Nordkorea verhängte, startete das Land zudem jeweils eine Rakete.
Beide Raketen flogen über Japan hinweg und stellten dabei ihre große Reichweite zur Schau.
Dies stellt eine Bedrohung bisher nicht gekannten Ausmaßes dar. Zweifellos ist dies eine Angelegenheit von größter Dringlichkeit.
Nordkorea versucht damit – während es sich über uns alle lustig macht – die beharrlichen Anstrengungen beiseite zu wischen, die wir seit vielen Jahren bei der Entwaffnung dieses Landes unternehmen.
Das Nichtverbreitungsregime ist dabei, durch seinen größten Widersacher einen schweren Schlag zu erleiden.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
die jüngste Krise hat von ihrer Qualität her eine ganz andere Dimension als diejenigen, die wir immer dann erlebt haben, wenn irgendein Diktator versucht hat, an Massenvernichtungswaffen zu gelangen.
Nordkoreas Kernwaffen bestehen bereits aus Wasserstoffbomben oder das Land steht unmittelbar davor.
Als Trägermittel werden über kurz oder lang Interkontinentalraketen bereit stehen.
In welchem Land, zu welchem Zeitpunkt und bei welchem Diktator haben wir in den über zwanzig Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges eine derartige Hemmungslosigkeit zugelassen? Wie es scheint, haben wir dies einzig und allein Nordkorea erlaubt.
Das ist die Realität, vor der wir jetzt stehen.
Und es bestand absolut kein Mangel an Dialog, der trotzdem zu dieser Situation geführt hat.

3.

Dialog wird Nordkorea davon abhalten, seine nuklearen Ambitionen weiter zu verfolgen. Dialog wird vielen von uns die Erleichterung bringen, dass die Welt vor einer Krise bewahrt wurde. Viele von uns haben diese Erleichterung gespürt – nicht nur einmal, sondern zweimal.
Das erste Mal in den frühen 1990er Jahren.
Damals bildete die Bedrohung, die Nordkorea darstellte, nicht viel mehr als seine offene Drohung, aus der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) und anderen Inspektionsmechanismen auszutreten.
Allerdings spürten diejenigen, die diese Absicht bereits vermuteten, eine gewisse Anspannung.
Nach vielem Hin und Her kam schließlich im Oktober 1994 die als „Agreed Framework“ bekannte Übereinkunft zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea zustande.
Im Rahmen dieser Übereinkunft sollte Nordkorea seine nuklearen Pläne aufgeben, und im Austausch dafür wollten wir dem Land Anreize bieten.
Dafür riefen Japan, die Vereinigten Staaten und die Republik Korea im März 1995 die Korean Peninsula Energy Development Organization (KEDO) ins Leben.
Mit der KEDO als Instrument der Umsetzung sagten wir zu, zwei Leichtwasserreaktoren zu errichten und an Nordkorea zu übergeben sowie jährlich 500.000 Tonnen Schweröl zu liefern, die als Übergangslösung für den Energiebedarf des Landes dienen sollten.
All dies wurde entsprechend in Angriff genommen. Nach einiger Zeit aber wurde bekannt, dass Nordkorea seine Urananreicherung einfach fortgeführt hatte.
Nordkorea hatte von Anfang an niemals die Absicht, seine nuklearen Ambitionen aufzugeben. Dies wurde nun allen klar.
2002, sieben Jahre nach ihrer Gründung, stellte die KEDO ihre Arbeit ein.
Man kann sagen, dass Nordkorea während dieser Zeit die Vereinigten Staaten, Südkorea und Japan um deren Unterstützung betrogen hatte.
Staaten, die den Wert des KEDO-Mechanismus erkannten, nämlich einen Anreiz dafür zu schaffen, dass Nordkorea sein Vorgehen allmählich ändert, beteiligten sich an der KEDO – die Europäische Union, Neuseeland, Australien, Kanada, Indonesien, Chile, Argentinien, Polen, die Tschechische Republik und Usbekistan.
Nordkorea hat die Gutwilligkeit all dieser KEDO-Mitglieder ausgenutzt.
Als eines der Gründungsmitglieder hatte Japan sich verpflichtet, der KEDO ein zinsloses Darlehen zu gewähren, und mein Land hat knapp vierzig Prozent dieser Zusage erfüllt.
Die Zusage belief sich auf eine Milliarde Dollar, von denen rund 400 Millionen Dollar tatsächlich breitgestellt wurden.

4.

Die zweite Krise kam 2002, als die KEDO ihre Arbeit einstellte und Nordkorea die Inspektoren der IAEA des Landes verwies und verkündete, das Einfrieren seiner Nuklearanlagen zu beenden.
Es gab erneut die Befürchtung, dass Nordkorea seine Urananreicherung fortsetzt. Und wieder wählten wir als Mittel für die Entschärfung der Situation den Dialog.
Nordkorea, China und Russland kamen mit den drei Gründungsmitgliedern der KEDO, also Japan, den Vereinigten Staaten und Südkorea zusammen und riefen die Sechs-Parteien-Gespräche ins Leben. Das war im August 2003.
Nach zwei weiteren Jahren des Hin und Her erzielten die sechs Parteien in der Zeit von Sommer bis Herbst 2005 eine Einigung, die zur Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung führte.
Nordkorea verpflichtete sich darin zur Aufgabe aller Kernwaffen und seines bestehenden Nuklearprogramms sowie zur Rückkehr zum Nichtverbreitungsvertrag und zu den Sicherungsmaßnahmen der IAEA.
Erneut zwei Jahre später, im Februar 2007, wurde eine Übereinkunft darüber getroffen, welche Schritte jede der sechs Parteien zur Umsetzung der gemeinsamen Erklärung unternehmen sollte.
Eine Gruppe von Inspektoren der IAEA, die nach Nordkorea eingereist war, bestätigte das Herunterfahren der Nuklearanlage in Yongbyon; im Gegenzug erhielt Nordkorea Schweröl-Lieferungen.
Diese Abfolge der Ereignisse ließ die Menschen denken, dass das beharrliche Festhalten am Dialog Nordkorea letztendlich dazu bewegt hatte, sein Verhalten zu ändern.
Was aber geschah wirklich?
Im Februar 2005, während die Sechs-Parteien-Gespräche noch liefen, erklärte Nordkorea seinerseits, dass es bereits im Besitz von Kernwaffen sei. Und im Oktober 2006 führte das Land in aller Offenheit einen ersten Kernwaffentest durch.
2009 folgte ein zweiter Test. Im selben Jahr verkündete Nordkorea seinen endgültigen Rückzug aus den Sechs-Parteien-Gesprächen und erklärte, dass man sich „niemals wieder an solchen Gesprächen beteiligen wird.“
Darüber hinaus wurden ab diesem Zeitpunkt regelmäßig ballistische Raketen gestartet.

5.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
im Verlauf eines Jahrzehnts, beginnend mit dem Jahr 1994, engagierte sich die internationale Gemeinschaft mit großer Ausdauer für einen Dialog mit Nordkorea, zunächst im Rahmen des „Agreed Framework“ und später im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche.
Allerdings mussten wir lernen, dass in der Zeit, in der der Dialog stattfand, Nordkorea keinerlei Absicht gehabt hatte, sein Nuklear- und Raketenprogramm aufzugeben.
Für Nordkorea war Dialog stattdessen das beste Mittel, um uns alle zu täuschen und Zeit zu gewinnen.
Dies wird vor allem auch durch die folgende Tatsache belegt.
1994 besaß Nordkorea keine Kernwaffen und auch seine Kenntnisse auf dem Gebiet der ballistischen Raketentechnologie waren noch weit davon entfernt, fortschrittlich zu sein. Und trotzdem arbeitet das Land derzeit daran, Wasserstoffbomben und Interkontinentalraketen zu besitzen.
Wieder und wieder sind sämtliche Versuche, diese Problematik mittels Dialog zu lösen, gescheitert.
Und welche Hoffnung auf Erfolg sollten wir jetzt haben, wenn wir denselben Fehler ein drittes Mal machen?
Wir müssen Nordkorea dazu bringen, sein gesamtes Nuklearprogramm und sein ballistisches Raketenprogramm in einer vollständigen, überprüfbaren und unumkehrbaren Weise aufzugeben.
Was wir nun brauchen, ist nicht Dialog, sondern Druck.

6.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
am 15. November werden bereits vierzig Jahre vergangen sein, seit ein dreizehnjähriges Mädchen namens Megumi Yokota durch Nordkorea aus Japan entführt wurde.
Megumi und viele weitere Japanerinnen und Japaner werden bis auf den heutigen Tag in Nordkorea festgehalten.
Ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, damit sie so rasch wie möglich wieder japanischen Boden betreten können – bis zu dem Tag, an dem sie endlich wieder ihre Eltern und Familienangehörigen in den Armen halten können.
Japan stellt sich der Bedrohung durch Nordkoreas Kernwaffen und Raketen mithilfe seines Bündnisses mit den Vereinigten Staaten und indem mein Land die enge Geschlossenheit mit den Vereinigten Staaten und der Republik Korea sucht.
Wir unterstützen konsequent die Haltung der Vereinigten Staaten, dass „alle Optionen auf dem Tisch liegen.“
Zudem würdige ich die einstimmige Annahme der Resolution Nr. 2375 des VN-Sicherheitsrats vom 11. September, die strenge Sanktionen gegen Nordkorea verhängt.
Dies hat unsere Absicht deutlich gemacht, den Druck auf Nordkorea weiter zu erhöhen, um das Land zu einem grundlegenden Kurswechsel zu drängen.
Allerdings muss ich an Sie appellieren.
Nordkorea hat bereits seine Missachtung der Resolution demonstriert, indem es eine weitere Rakete gestartet hat.
Diese Resolution ist nicht mehr als ein Anfang.
Wir müssen verhindern, dass die Güter, Geldmittel, Menschen und Technologien, die das Land für sein Nuklear- und Raketenprogramm benötigt, nach Nordkorea gelangen.
Wir müssen dafür sorgen, dass Nordkorea sich in vollem Umfang an alle Vorgaben der bisherigen Resolutionen hält.
Wir müssen die genaue und vollständige Umsetzung aller entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrats durch sämtliche Mitgliedsstaaten der VN sicherstellen.
Wir müssen jetzt handeln.
Ob wir die Provokationen durch Nordkorea beenden können oder nicht, hängt von der Solidarität der internationalen Gemeinschaft ab.
Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

7.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Nordkorea ist von seiner geografischen Lage her wirklich mit Glück gesegnet, denn es grenzt unmittelbar an die Wachstumsregion Asien-Pazifik. Es verfügt sowohl über fleißige Arbeitskräfte als auch über reiche Bodenschätze.
Wenn es diese nutzen würde, könnte es für Nordkorea einen Pfad hin zu einem dramatischen Wachstum seiner Wirtschaft und zu einer Verbesserung seines Gemeinwohls geben.
Dort nämlich liegt Nordkoreas leuchtende Zukunft.
Wenn es dem Land jedoch nicht gelingt, die Probleme der Entführungen, der Kernwaffen und der Raketen zu lösen, und wenn es sich zu einer Bedrohung für die ganze Menschheit entwickelt, dann gibt es keine Zukunft, die Nordkorea für sich selbst erschließen könnte.
Damit Nordkorea seine Politik ändert, müssen wir unsere Geschlossenheit verstärken.

Vielen Dank.