
Bild: Premierminister Abe während seiner Rede vor der VN-Generalversammlung am 25. September (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
mir wurde das Privileg zuteil, auch für die kommenden drei Jahre als Steuermann die Geschicke Japans zu lenken. Wenn ich mich daher heute das sechste Jahr in Folge an die Generalversammlung wende, so tue ich dies mit einem Gefühl der erneuerten Entschlossenheit.
In den nächsten drei Jahren werde ich mich mit ganzer Kraft für die Stärkung des Freihandelssystems einsetzen. Ebenso werde ich alles in meiner Macht stehende unternehmen, um die Nachkriegsstrukturen Nordostasiens zu beseitigen.
Bannerträger des Freihandels
Meiner Auffassung nach hegen die Menschen in Japan die große Erwartung, dass die führenden Politiker ihres Landes als Bannerträger des freien Handels fungieren. Der Grund dafür ist, dass nach dem letzten Krieg Japan selbst ein Land war, das bemerkenswertes Wachstum erlangen konnte, indem es als Nutznießer eines freien und offenen Wirtschaftssystems von den Vorzügen des Handels profitierte.
Das Freihandelssystem erlaubte es den Ländern Asiens eines nach dem anderen einen Aufschwung zu erfahren, und in jedem dieser Länder entstand eine neue Mittelschicht. Den Hintergrund dafür bildeten die umfangreichen Direktinvestitionen, die Japan seit den 1980er Jahren in diesen Ländern tätigte.
In all diesen Fällen war dies dank eines internationalen Wirtschaftssystems möglich, das auf Regeln basiert sowie frei und offen ist.
Wenn also gerade Japan, das Land, das von diesem System am meisten profitiert hat, diesem System die Unterstützung bei seiner Aufrechterhaltung und Stärkung versagen würde: Auf wen sonst sollten wir warten, der ihm Unterstützung zuteil werden ließe? Japans Verantwortung ist in der Tat außerordentlich groß.
Dies ist zugleich Japans Mission, die in seiner eigenen Geschichte begründet ist.
Mit Ausnahme der Kohle, die das moderne Japan bei seiner Industrialisierung unterstützte, verfügte mein Land über keine anderen nennenswerten Ressourcen. Aber indem es sich selbst der Ernte der Früchte des Handels widmete, war dieses Nachkriegsjapan trotz seines Mangels an Ressourcen dabei erfolgreich, ein als Wunder bezeichnetes Wachstum zu verwirklichen.
Das allererste Land, das aufgrund seiner eigenen Erfahrungen den Beweis für das Prinzip lieferte, das zwischen Handel und Wachstum besteht – ein Prinzip, das heute zum allgemeinen Gedankengut zählt – war Japan. Mein Land hat nun die Mission übernommen, der Welt die Segnungen des Handels zu vermitteln.
Ich habe viele Male während heftiger Debatten zuhause das Banner des Freihandels hochgehalten. Es gab für mich keine größere Freude, als das TPP11 endlich Gestalt annahm und das entsprechende Abkommen vom japanischen Parlament verabschiedet wurde. Zudem haben Japan und die Europäische Union ein Abkommen über eine Wirtschaftspartnerschaft unterzeichnet, das es von seiner Größe und seinem Umfang her durchaus verdient, als historisch bezeichnet zu werden.
Wir dürfen uns damit aber nicht zufrieden geben. Vielmehr werde ich meine Anstrengungen weiter verstärken und nun weitere Ziele in den Blick nehmen, die noch vor uns liegen.
Zusätzlich zu Japans Engagement für die Welthandelsorganisation, das als selbstverständlich zu betrachten ist, werde ich all meine Kraft für die Verhandlungen über die „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) aufwenden, die zur Entstehung einer riesigen Freihandelszone in Ostasien führen wird.
Und mehr als alles andere messe ich unseren neuen Handelsgesprächen mit den Vereinigten Staaten – den FFR-Handelsgesprächen – großen Wert bei.
Über viele Jahre hinweg haben sowohl Japan als auch die USA innerhalb der internationalen Gemeinschaft eine führende Rolle beim Freihandelssystem eingenommen. Als Beleg dafür können die rund 856.000 Arbeitsplätze gelten, die innerhalb der Vereinigten Staaten durch japanische Direktinvestitionen entstanden sind, eine Zahl, die nur vom Engagement Großbritanniens übertroffen wird.
Während zurzeit jährlich 1,74 Mio. in Japan gefertigte Fahrzeuge in die USA exportiert werden, werden gleichzeitig 3,77 Mio. japanische Fahrzeuge in den Vereinigten Staaten selbst produziert.
Dies ist eine erstklassige Win-win-Situation, und ich möchte diese Art von Beziehung zwischen Japan und den Vereinigten Staaten fortführen.
Aber dies gilt nicht für unsere bilateralen Bande mit den USA. Unter dem Banner des Freihandels hat Japan mit jedem Land und jeder Region Beziehungen aufgebaut, in denen wir uns gegenseitig beistehen können. Wir werden dies weiter fortsetzen.
Um freie und faire Regeln für die Wirtschaft, die dem 21. Jahrhundert angemessen sind, innerhalb der riesigen Region, die sich von Asien und dem Pazifik bis zum Indischen Ozean erstreckt, zu verbreiten, müssen die Länder, die dieses System geschaffen und am meisten davon profitiert haben – also Länder wie Japan – bei diesem Engagement an vorderster Stelle stehen. Davon bin ich fest überzeugt.

Bild: Der Sitzungssaal der Generalversammlung während der Rede des Premierministers (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Die Nachkriegsstrukturen Nordostasiens beseitigen
Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich gesagt, dass ich alles in meinen Kräften stehende tun werde, um Nordostasien von seinen seit langem bestehenden Nachkriegsstrukturen zu befreien.
Ich setze mich aktuell zusammen mit Präsident Putin dafür ein, den Stillstand zu überwinden, der seit nunmehr über siebzig Jahren zwischen unseren beiden Ländern besteht. Präsident Putin und ich sind Anfang des Monats in Wladiwostok zu unserem 22. Gipfeltreffen zusammengekommen. Ich werde in naher Zukunft erneut mit ihm zusammentreffen.
Wir müssen die territoriale Frage, die zwischen Japan und Russland, besteht, lösen und einen Friedensvertrag zwischen unseren beiden Ländern erreichen. Wenn ein japanisch-russischer Friedensvertrag erst einmal existiert, wird dieser Vertrag als ein fester Eckstein für Frieden und Wohlstand in Ostasien fungieren.
Meine Damen und Herren,
im vergangenen Jahr habe ich genau an dieser Stelle Nordkorea mit Nachdruck aufgefordert, die Frage der Entführungen sowie die Nuklear- und Raketenproblematik zu lösen. Als jemand, der zur vollständigen Umsetzung aller betreffenden Resolutionen des VN-Sicherheitsrats aufruft, hege ich größtes Interesse an den Veränderungen Nordkoreas.
Nordkorea steht nun an einem Scheideweg, an dem es entweder die historische Chance ergreifen kann oder aber es versäumt, diese Chance zu ergreifen. Das Land verfügt sowohl über noch unerschlossene natürliche Ressourcen als auch über Arbeitskräfte, deren Produktivität noch erheblich gesteigert werden kann.
Japans Haltung, eine Regelung der unglücklichen Vergangenheit und die Normalisierung seiner Beziehungen zu Nordkorea anzustreben, sobald die Frage der Entführungen sowie die Nuklear- und Raketenproblematik gelöst sind, bleibt unverändert. Wir werden unsere großzügige Unterstützung anbieten, um das Potenzial, über das Nordkorea verfügt, zu erschließen.
Allerdings muss ich eines stets wiederholen. Wir werden die Rückkehr aller entführten japanischen Staatsbürger erreichen. Ich bin fest entschlossen, dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen.
Um die Frage der Entführten zu lösen, bin ich zudem bereit, den Panzer des gegenseitigen Misstrauens mit Nordkorea aufzubrechen, einen Neubeginn zu unternehmen und mit dem Vorsitzenden Kim Jong-un persönlich zusammenzutreffen. Derzeit wurde in Bezug auf ein japanisch-nordkoreanisches Gipfeltreffen noch nichts entschieden, aber falls wir ein solches Treffen abhalten sollten, bin ich fest dazu entschlossen, diese Begegnung zu einer Zusammenkunft zu machen, die zur Lösung der Frage der Entführungen beiträgt.
Ich möchte hier zudem kurz auf die Beziehungen zwischen Japan und China eingehen. Die gegenseitigen Besuche auf höchster politischer Ebene, die in diesem Jahr begonnen haben, werden fortgeführt werden. Den Anfang wird mein Besuch in China im kommenden Monat machen, gefolgt von meiner Einladung an Präsident Xi Jinping nach Japan. Dies wird zu unseren bilateralen Beziehungen sowie zur gesamten Region eine weitere Achse der Stabilität hinzufügen.
Förderung der „Strategie für einen freien und offenen Indo-Pazifik“
Wenn die konfrontativen Strukturen in Nordostasien erst einmal beseitigt sind, wird der maritime Korridor, der vom Arktischen Ozean über das Japanische Meer durch den Pazifik bis zum Indischen Ozean verläuft, immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Japan, das unmittelbar in diesem Korridor liegt und zudem eine weiträumige Ausschließliche Wirtschaftszone besitzt, hofft auf Stabilität und Frieden in diesen Gewässern sowie im darüber liegenden Luftraum.
Die Mitglieder der ASEAN liegen am „Zusammenfluss zweier Ozeane“ – des Pazifischen und Indischen Ozeans. Und es waren die Vorgänger derjenigen, die heute in den sogenannten pazifischen Inselstaaten leben, die vor langer Zeit diese beiden Ozeane überquerten, um ihre Güter bis zum fernen östlichen Afrika zu transportieren.
Was ich als „Strategie für einen freien und offenen Indo-Pazifik“ bezeichne, entspringt unserem Wunsch, zusammen mit diesen Staaten und ebenso mit den USA, Australien, Indien sowie anderen Ländern die Segnungen der offenen Ozeane zu bewahren – in der Tat mit allen Ländern und Menschen, die dieselbe Absicht mit uns teilen.
Unsere weiträumigen Meere und Lufträume müssen durch eine Herrschaft des Rechts kontrolliert werden sowie durch eine regelbasierte Ordnung, die ihrerseits von soliden Institutionen gestützt werden. Soweit meine Strategie.
Vorgestern sind ausländische Studierende in Japan, voller Stolz auf ihre frisch verliehenen akademischen Diplome, in ihre Heimatländer Malaysia, Philippinen und Sri Lanka zurückgekehrt. Diese Diplome sind Master-Abschlüsse, die nur in Japan erworben werden können.
Es sind Masterabschlüsse in Maritimer Sicherheit und Sicherheitspolitik. Zusätzlich zu Studierenden, die die japanische Küstenwache in diese Studiengänge entsendet, nahmen daran auch leitende Beamte verschiedener Behörden wie Küstenwachen aus ganz Asien teil. Die vorgestern verabschiedeten Absolventen waren die dritte Teilnehmergruppe dieses Programms.
Maritime Ordnung ist keine Frage von Macht, sondern eine Angelegenheit der Herrschaft des Rechts und eine, die auf festen Regeln basiert. Jedes Jahr lernt eine neue Klasse von Studierenden diese immerwährende Wahrheit und nimmt sie als ein wegweisendes Prinzip für das Leben von Japan mit zurück in ihre Heimatländer und auf die Ozeane. Das ist in der Tat sehr vielversprechend. Genau dies ist Japans großzügige Mission: diejenigen heranzubilden, die den freien und offenen Indo-Pazifik schützen und verteidigen.
Einladung von Lehrkräften aus Gaza
Meine Damen und Herren,
während ich mich auf diese Rede vorbereitete, wurde ein neues kleines Programm von mir ins Leben gerufen.
Anfang 2019 werden wir rund zehn Grund- und Mittelschullehrer aus dem Gaza-Streifen nach Japan einladen. Dies wird nur die erste Gruppe sein, denn wir werden jedes Jahr weitere Lehrkräfte einladen.
Die Lehrkräfte, die sich dann in Japan aufhalten – an einem Ort, der für sie sowohl kulturell als auch historisch so ganz anders ist – werden die Situation in Gaza und im Mittleren Osten danach von einer breiter gefassten Perspektive aus betrachten. Dies wird sie in die Lage versetzen, ihren Heimatort und die ganze Region mit neuen Augen zu sehen. Eine solche Erfahrung sollte auf einzigartige Weise ermutigend auf sie wirken.
Es ist selbstverständlich richtig, dass man, um Frieden zu erreichen, auf beiden Seiten Anstrengungen unternehmen muss. Es steht sehr zu hoffen, dass dieses Programm unsererseits für die Lehrkräfte in Gaza und für die Kinder in ihrer Obhut ein Mittel der Hoffnung bilden wird.
Nach zwanzig Jahren werden zweihundert Lehrkräfte die Erfahrung eines Besuchs in Japan gemacht haben. Und die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die von ihnen unterrichtet werden, wird dann in die Tausende gehen. Ich freue mich bereits auf dieses Tag.
Japan und seine Menschen schauen konzentriert in die Zukunft
Das Ziel der japanischen Außenpolitik, die ich Ihnen heute bis zu einem gewissen Grad vorgestellt habe, besteht darin, die Zukunft der Welt und der Region irgendwie sicher zu machen.
Zusätzlich wünsche ich mir für die jungen Menschen, die im Japan der Zukunft leben werden, dass sie sich energisch den vor ihnen liegenden Herausforderungen stellen werden. Unsere Generation hat die Pflicht ein Umfeld zu gestalten, welches ihnen dazu die Möglichkeit bietet.
Es ist, als werde nun bald eine frische Brise in Japan wehen.
Ende April bzw. Anfang Mai nächsten Jahres wird Seine Majestät der Kaiser abdanken sowie Seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz den kaiserlichen Thron besteigen. Tatsächlich ist dies die erste Nachfolge auf dem Kaiserthron seit zweihundert Jahren, die mit der Abdankung eines amtierenden Kaisers einhergeht. Und im Oktober werden wir dann Ehrengäste aus der ganzen Welt willkommen heißen, die ihre Glückwünsche zum Ausdruck bringen werden.
Im Juni nächsten Jahres wird Japan als Gastgeber des G20-Gipfels fungieren. Als Vorsitzender dieser Zusammenkunft möchte ich die Diskussionen über solche Themen, vor denen die Staatengemeinschaft steht, leiten; dazu zählen u.a. der aktuelle Zustand der globalen Wirtschaft sowie Umweltfragen.
Kurz darauf, im August, wird Japan Gastgeber der Tokyo International Conference on African Development (TICAD) sein. Es ist das siebte Mal, dass dieses Gipfeltreffen stattfindet, das Japan kontinuierlich sowie mit großem Engagement seit 1993 durchführt und welches das unerschütterliche Vertrauen von führenden Politikern aus ganz Afrika genießt. Beispielsweise werden wir miteinander über die „Universal Health Coverage“ diskutieren, deren große Bedeutung ich bereits mehrmals hervorgehoben habe.
Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass Japan im kommenden Jahr auch als Gastgeber der Rugby-Weltmeisterschaft auftritt und dass 2020 Tokyo Austragungsort der Olympischen und Paralympischen Spiele ist. Unsere Augen werden fortwährend auf die Zukunft gerichtet sein.
Wenn Japan und seine Menschen ihren Blick direkt auf die Zukunft richten, wird mein Land an Vitalität gewinnen. Die Japaner, die konzentriert in die Zukunft schauen, werden zu Menschen werden, die entschlossen Verantwortung für das Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) übernehmen. Und diese jungen Japaner der nächsten Generation werden lobenswerterweise Bannerträger des „Geistes der Vereinten Nationen“ sein. Davon bin ich fest überzeugt.
Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass angesichts fehlender Fortschritte bei der Reform des Sicherheitsrats die Bedeutung der VN innerhalb der Welt des 21. Jahrhunderts bereits stark in Frage gestellt wird.
Dies aber ist genau der Grund, warum Japan bei seinen Beiträgen für die Vereinten Nationen niemals nachlassen wird. Ich beschließe meine Rede mit der Zusage, dass Japan gemeinsam mit VN-Generalsekretär Guterres die Reform des Sicherheitsrats sowie die Reform der Vereinten Nationen insgesamt weiter vorantreiben wird.
Vielen Dank.