Am 23. März wurde in Tokyo die „5. World Assembly for Women (WAW)“ eröffnet, die in diesem Jahr mit Blick auf den Vorsitz Japans beim diesjährigen G20-Gipfel in Osaka gemeinsam mit „Women 20 (W20) in Japan 2019“ stattfand. An dieser Konferenz, die im Rahmen des Engagements der Regierung zur Verwirklichung einer „Gesellschaft, in der Frauen leuchten“ seit 2014 organisiert wird, nehmen führende Persönlichkeiten aus aller Welt teil. Die W20 sind ein Forum für einen Dialogprozess innerhalb der G20 zur wirtschaftlichen Stärkung von Frauen sowie zur weiteren Förderung der Geschlechtergerechtigkeit. Zur Eröffnung der Konferenz hielt Premierminister Shinzo Abe die folgende Rede.

Bild: Premierminister Abe während seiner Rede (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Sehr geehrte Frau Bachelet (Hohe Kommissarin für Menschenrechte der VN),
sehr geehrte Frau Michetti (Vizepräsidentin von Argentinien),
liebe Malala (Friedensnobelpreisträgerin 2014),
sehr geehrte Anwesende,
es ist mir eine große Freude, dass heute in Ihrem Beisein diese World Assembly for Women und die Sitzung der W20 gemeinsam stattfinden. Die Mitglieder der W20 werden mir im Anschluss an diese Rede ihre Empfehlungen überreichen, und ich möchte ihnen an dieser Stelle für ihr großes Engagement ganz herzlich danken. Als Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels wird Japan keine Anstrengungen scheuen, um die Aktivitäten der W20 weiter zu unterstützen und zu fördern. Dies möchte ich gleich zu Beginn deutlich machen.
Die von Japan organisierte World Assembly for Women findet nun bereits zum fünften Mal statt und erstmals in diesem Jahr im Frühling. Wie beabsichtigt hat nun vor zwei Tagen auch hier in Tokyo – wie um die Teilnehmerinnen dieses Events aus aller Welt zu begrüßen – die Kirschblüte begonnen, die in Japan für den Frühling steht. Heute Morgen ist es überraschenderweise wieder kälter geworden, so dass sich unsere Absicht leider nicht ganz erfüllt hat – wir konnten zwar den Termin bestimmen, aber eben nicht das Wetter an diesem Tag. Aber auch bei niedrigen Temperaturen schließen sich die einmal geöffneten Blüten nicht mehr. Hier im Hotel soll es ebenfalls einen Japanischen Garten geben, und ich möchte Sie bitten, sich in den Konferenzpausen zumindest mit den Augen an der Ankunft des Frühlings zu erfreuen.
Genau so wie sich die Kirschblüten nun mit jedem Tag kraftvoll verwandeln, um das Ziel ihrer Blüte in voller Pracht zu erreichen, so wandelt sich derzeit auch Japans Anblick in raschem Tempo mit dem Ziel, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Frauen leuchten können. In den sechs Jahren meiner Regierung haben sich über 2,8 Millionen Frauen dafür entschieden, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. Es wurde eine Reform des Erziehungsurlaubs umgesetzt, um das Mitwirken von Vätern an der Erziehung ihrer Kinder nachdrücklich zu fördern; und auch die Zahl der Plätze für die Kinderbetreuung ist gegenüber der Vorgängerregierung um das 2,5-Fache gestiegen. Zudem wurde eine Reform des Arbeitssystems in Angriff genommen, um die Gewohnheit der langen Arbeitszeiten zu beenden und eine Vielfalt an Arbeitsweisen zu ermöglichen, die zu den unterschiedlichsten Lebensstilen passen. Als Ergebnis dieser Maßnahmen hat der Anteil der berufstätigen Frauen der aktiven Generation in den letzten sechs Jahren um 8,9 Prozent zugenommen. Dies ist der bei weitem größte Zuwachs innerhalb der G20. Ich denke, das ist ein Beweis dafür, dass eine entschlossene Vision und konkretes Handeln eine Gesellschaft verändern können.
Japan misst dem sogenannten „25by25“-Ziel, auf das sich der G20-Gipfel von Brisbane vor fünf Jahren geeinigt hat, eine große Bedeutung bei: Bis 2025 wollen die G20 die Differenz zwischen den Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen um 25 Prozent reduzieren. Um diese Vision zu verwirklichen, sind konkrete Schritte erforderlich. Während der Stand der Umsetzung dieser Verpflichtung innerhalb des G20-Prozesses Gegenstand eines entschlossenen Follow-up ist, schreiten die G20 bei der Verwirklichung dieses Ziels gemeinsam voran. Bei der Gestaltung eines Rahmens für die konkreten Schritte ist Japan fest entschlossen, als das Land, das in diesem Jahr den Vorsitz bei den G20 innehat, in engem Zusammenwirken mit den W20 die Führung zu übernehmen. Genau 2025 findet in Japan die World Expo statt. Ich lade auch die Vertreter der G20 dazu ein, der Osaka-Kansai EXPO, die sich dem Thema „Designing Future Society for Our Lives“ widmen wird, dann einen Besuch abzustatten und gemeinsam die Realisierung des „25by25“-Ziels zu feiern.
Die japanische Wirtschaft ist in den letzten sechs Jahren um über zehn Prozent gewachsen. Der wichtigste Motor für dieses Wachstum sind die Womenomics. Diese bedeuten keineswegs eine reine Zunahme des Arbeitskräftepotenzials. Durch die Teilhabe der Frauen an der Arbeit kommt etwas viel Wichtigeres hinzu. Ich möchte die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der VN, Frau Bachelet, als Beispiel dafür anführen, die hier Japan eher in ihrer Position als ehemalige Präsidentin von Chile bekannt sein dürfte. Dafür, dass Sie, Frau Bachelet, sich als Partner unseres Landes gemeinsam für den Abschluss des TPP11-Abkommens engagiert haben, möchte ich Ihnen an dieser Stelle erneut ganz herzlich danken. Als die Vereinigten Staaten im Januar letzten Jahres ihren Austritt verkündeten, stand die Transpazifische Partnerschaft (TPP) vorübergehend vor dem Scheitern. Auch Japan sah sich zunächst nicht in der Lage, dagegen etwas zu unternehmen. Wenn ich dies als Selbstkritik vortragen darf, so neigen Männer dazu, bei einem plötzlichen Schock die Fassung zu verlieren und verspätet zu reagieren. Sie, Frau Bachelet, reagierten jedoch anders. Auf den Aufruf Chiles hin fand gerade einmal zwei Monate später ein Ministertreffen statt, und inmitten der Sorge um den weltweit zunehmenden Protektionismus konnten die Verhandlungen am Laufen gehalten werden. Dass der schwierige Verhandlungsprozess im Anschluss daran in gerade einmal einem Jahr erfolgreich abgeschlossen werden konnte, ist Ihnen, liebe Michelle, zu verdanken, die Sie die ganze Zeit über Ihr Engagement für eine rasche Übereinkunft deutlich gemacht hatten. Gerade die geschmeidige Art und Weise der Führung von Frauen sowie eine Haltung, die unermüdlich nach Gemeinsamkeiten sucht, sind es, die in der heutigen Welt, die dazu neigt Gegensätze zu betonen, am meisten gefordert sind. Nicht die Männer alleine, sondern vor allem eine Diversität, in der sich die Fähigkeiten der Frauen voll und ganz entfalten können, ist es, die ein großes Potenzial für die Lösung verschiedenster gesellschaftlicher Probleme sowie für das Hinführen der Wirtschaft zu kräftigem Wachstum darstellt.

Bild: Premierminister Abe während seiner Rede. Rechts auf der Bühne die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der VN, Michelle Bachelet, sowie die Vizepräsidentin von Argentinien, Gabriela Michetti (Foto: Cabinet Public Relations Office)
Aus diesem Grund habe ich vor sechs Jahren die börsennotierten Unternehmen in Japan darum gebeten, dass mindestens eine Frau im Vorstand tätig ist. Allerdings gibt es keine echten Veränderungen, wenn man bloß Bitten vorträgt. Wie auch die von den W20 gesetzten Prioritäten zeigen, ist es wichtig, ein Umfeld zu schaffen, das zu Veränderungen führt. Wir haben daher die Regeln für die Veröffentlichung von Informationen über Unternehmen geändert und diese dazu verpflichtet, die Zahl der weiblichen Vorstände in ihren Jahresberichten aufzuführen. Infolgedessen hat die Zahl der weiblichen Vorstände in den börsennotierten Unternehmen Japans in den letzten sechs Jahren um das 2,7-Fache zugenommen. Darüber hinaus wurde im vergangenen Jahr der Corporate Governance Kodex überarbeitet und die große Bedeutung der Diversität einschließlich der Genderfrage beim Management eindeutig festgeschrieben. Für Unternehmen, die keine weiblichen Vorstände haben, ergibt sich dadurch die Notwendigkeit, die Gründe dafür den Investoren zu erklären. Durch diese Reform dürfte die Zahl der weiblichen Vorstände in Japan künftig noch mehr zunehmen. Um darüber hinaus das Umfeld weiter zu verbessern, dürfen Rollenmodelle als Vorbilder nicht fehlen. Sehr geehrte Frau Michetti, für Ihr langjähriges Engagement für die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen möchte ich Ihnen meinen aufrichtigen Respekt bekunden. Ungeachtet Ihrer eigenen Behinderung sind Sie als Wirtschaftswissenschaftlerin, als Politikerin sowie als führende Persönlichkeit, die sich mit gesellschaftlichen Aufgaben befasst, in einer Vielzahl von Gebieten aktiv, und Ihr Wirken dürfte für Frauen in aller Welt, die als Trägerinnen der nächsten Generation fungieren werden, eine starke Inspiration bedeuten. Eine der Aufgaben, die diese World Assembly for Women erfüllt, besteht darin, möglichst viele Frauen, die als Rollenvorbilder dienen können, einzuladen und der Welt vorzustellen. Ich werde mich in Zukunft verstärkt dafür einsetzen, damit sich diese Konferenz zu einem Forum entwickelt, dessen Kürzel WAW! zu einer Parole wird, die Frauen in der ganzen Welt ermutigt.
Noch immer können weltweit mehr als sechzig Millionen Kinder keine Grundschule besuchen. Und bedauerlicherweise heißt es, dass zwei Drittel aller Menschen, die nicht lesen und schreiben können, Frauen sind. Auch das Mädchen Laiba, das in der Heimat von Malala lebt, war früher eine davon. Ihr Vater soll ihr verboten haben, zur Schule zu gehen. Aber indem sie heimlich eine von Japan unterstützte inoffizielle Grundschule besuchte, konnte sie sich doch Bildung aneignen. Eines Tages dann hat ihr Vater diese Fortschritte bemerkt und erlaubte ihr von da an den Schulbesuch. Heute setzt sie sich als Mitglied des Bildungsausschusses ihrer Kommune dafür ein, für Frauen in ihrer Region mehr Möglichkeiten zum Lernen zu schaffen. Laiba selbst bringt ihrer Mutter und älteren Schwester sowie den Frauen in der Nachbarschaft Lesen und Schreiben bei, und auf diese Weise zieht die Bildung immer größere Kreise. Japan wird auch weiterhin eine große Rolle beim Ausbau von Bildungsmöglichkeiten für Mädchen in Entwicklungsländern spielen. In den drei Jahren bis 2020 wollen wir mindestens vier Millionen Frauen in Entwicklungsländern eine qualitativ hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten für die Ausbildung humaner Ressourcen bieten. Einem Bericht der Weltbank zufolge würde, wenn alle Mädchen auf der Welt eine hochwertige zwölfjährige Schulausbildung erhalten könnten, das
Lebenseinkommen von Frauen insgesamt um bis zu dreißig Billionen US-Dollar zunehmen. Die Verbesserung der Bildung ist nicht bloß Teil der Gesellschaftspolitik, sie ist vielmehr der wichtigste Schlüssel für nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Als Land, das in diesem Jahr den Vorsitz der G20 innehat, wird Japan beim anstehenden Gipfeltreffen in Osaka dieses Problem entschlossen auf die Tagesordnung setzen. Alle Mädchen sollen Zugang zu einer mindestens zwölfjährigen hochwertigen Schulbildung erhalten. Ich möchte den Willen der G20, eine solche Welt anzustreben, gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs bekräftigen.
Ein Buch, ein Stift können die Welt verändern. Ich denke, dass ich nicht der einzige war, der von den inspirierenden Worten der historischen Rede von Malala vor den Vereinten Nationen ermutigt wurde. Eine Frau kann die Welt verändern. Ich erinnere mich noch heute, wie stark damals dieser Gedanke in mir war. Ganz zu schweigen davon, dass, wenn viele Frauen ihre Stimmen deutlich erheben und jede einzelne handelt, dies die Welt auf jeden Fall verändern kann. Unter diesem Leitgedanken hat Japan im darauf folgenden Jahr diese World Assembly for Women ins Leben gerufen. Mithilfe dieser Konferenz möchte Japan auch in Zukunft seine starke Überzeugung für das Empowerment von Frauen gemeinsam mit Ihnen allen artikulieren, damit jede einzelne zu konkretem Handeln angeleitet wird. Eine Stimme, ein Handeln können die Welt verändern. Lassen Sie uns weiterhin unsere Kräfte zusammenführen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.