Am 26. September hielt Premierminister SUGA Yoshihide im Rahmen der Generaldebatte der 75. Generalversammlung der Vereinten Nationen seine erste Rede als neu ernannter Premierminister von Japan. Aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie wurde der Redebeitrag vorab auf Video aufgezeichnet und anschließend in den Sitzungssaal am Hauptsitz der VN in New York übertragen.

(Foto: Cabinet Public Relations Office)
Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren,
es ist mir eine große Ehre, im 75. Jahr ihres Bestehens vor den Vereinten Nationen meine erste Rede zu halten, seit ich am 16. September das Amt des Premierministers von Japan angetreten habe. Die durch das Coronavirus ausgelöste Krise bisher nicht gekannten Ausmaßes hat die zu Spaltung und Absonderung neigende internationale Gemeinschaft wieder auf den Weg der Solidarität zurückgeführt. In den vergangenen 75 Jahren ist der Multilateralismus an jeder Aufgabe, mit der er sich konfrontiert sah, gewachsen. Ich möchte die aktuelle Krise als Chance nutzen, um das Zusammenwirken zu vertiefen und Sie alle zur Solidarität aufzurufen.
Herr Vorsitzender,
Japan hat im Kampf gegen das Virus die Kreativität des öffentlichen und des privaten Sektors zusammengeführt und für die Gesundheit sowie Sicherheit der Menschen innerhalb und außerhalb des Landes sein Bestes gegeben. Unter Berücksichtigung der Schutzmaßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung der Infektionen schreitet die Erholung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten voran. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen möchte ich das Folgende ausführen.
Die Ausbreitung des Virus stellt eine Krise dar, die das Leben, den Alltag sowie die Würde der Menschen weltweit und somit die menschliche Sicherheit („Human Security“) gefährdet. Um diese Krise zu meistern ist es von größter Wichtigkeit, als Leitprinzip das Konzept zu verfolgen, dass „niemand zurückgelassen wird.“ Der Begriff „Human Security“, der den Blick auf jeden einzelnen Menschen richtet, stellt ein Konzept dar, das hier in der Generalversammlung der Vereinten Nationen viele Jahre diskutiert wurde.
Herr Vorsitzender,
anlässlich der aktuellen Krise messe ich – fußend auf der Idee von Human Security – dem Ziel „niemandes Gesundheit zurückzulassen“ für die Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung („Universal Health Coverage“) eine große Bedeutung bei. Zunächst möchte ich dieses Ziel mit Ihnen teilen. Darüber hinaus spielt Japan – mit dem Fokus auf die nachfolgend angeführten drei Bereiche und in engem Zusammenwirken mit anderen Staaten – eine aktive Rolle dabei, das internationale Engagement anzuführen.
Erstens: Um das Leben der Menschen vor dem Coronavirus zu schützen, unterstützt Japan in vollem Umfang die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnoseverfahren sowie die Sicherstellung eines fairen Zugangs zu diesen Instrumenten unter Einschluss der Entwicklungsländer. Wir unterstützen internationale Institutionen dahingehend, dass im Rahmen eines internationalen Engagements Resultate hervorgebracht werden. Hierfür schlagen wir auch einen „Patent-Pool“ vor. Gerade im Gesundheitsbereich ist das Zusammenwirken von öffentlichem und privatem Sektor unerlässlich; hierbei schreitet auch Japan entschlossen voran.
Zweitens: Um auf die nächste Gesundheitskrise vorbereitet zu sein, setzen wir mehr denn je auf den Bau von Krankenhäusern in Entwicklungsländern. Zusammen damit unterstützen wir mittels deren technischer Ausstattung und der Ausbildung humaner Ressourcen den Ausbau der Gesundheitssysteme in den einzelnen Ländern. In Südostasien fördern wir das ASEAN Center for Infectious Diseases und in Afrika die Centres for Disease Control and Prevention (CDC). In Afrika haben wir im Rahmen unseres langjährigen Engagements für humane Ressourcen und Ausstattung im Gesundheitsbereich vermittels TICAD (Tokyo International Conference on African Development) unseren wirklichen Wert unter Beweis gestellt. Das Noguchi Memorial Institute for Medical Research in Ghana, das mit japanischer Unterstützung errichtet wurde und dessen Labortechniker mit Hilfe meines Landes ausgebildet wurden, führt bis zu achtzig Prozent aller Corona-Tests in Ghana durch und bildet somit eine wichtige Säule bei der Bekämpfung der Pandemie.
Drittens ergreift Japan Maßnahmen für die Gesundheit und Sicherheit in einem breiten Spektrum von Bereichen. Auch künftig werden wir bei unserer Zusammenarbeit zur Gestaltung eines Umfelds etwa in den Bereichen sauberes Wasser, Hygiene und Ernährung nicht nachlassen. Japan hat anlässlich der aktuellen Krise Hilfsmaßnahmen auf dem Gebiet medizinische Behandlung und Gesundheit in Höhe von über 170 Mrd. Yen an andere Länder geleistet.
Parallel zu diesen Maßnahmen sind auch Schritte zur Stützung der Wirtschaft unerlässlich. Mein Land gewährt im Zeitraum von zwei Jahren als Nothilfe Yen-Darlehen im Umfang von bis zu 500 Mrd. Yen, um die wirtschaftlichen Aktivitäten in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Auch für die Verwirklichung eines „sicheren Transfers von Personen“, der die Grundlage für die Belebung der Wirtschaft bildet, engagieren wir uns entschlossen für die Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten. Auch inmitten bestehender Beschränkungen setzen wir uns aufgrund der Überlegung, den „freien Handel nicht einzustellen“ weiterhin dafür ein, eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) sowie Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit anderen Staaten voranzutreiben. Gerade in Zeiten, in denen wir mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, entstehen Innovationen. Auch Japan selbst wird sich als dringliche Aufgabe für die Verwirklichung einer digitalen Reform engagieren.
Zurzeit meistern wir – basierend auf dem Konzept von Human Security in einer neuen Ära – verschiedene Krisen und beschleunigen unser Engagement für die Lösung globaler Aufgaben, angefangen bei der Verwirklichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Zu diesem Zweck schlage ich vor, dass die Welt ihre ganze Weisheit zusammenführt und die Diskussion vertieft.
Herr Vorsitzender,
es besteht nun die Notwendigkeit, eine „bessere Erholung“ von Corona zu erreichen sowie eine Gesellschaft zu realisieren, in der die SDGs umgesetzt wurden, eine Gesellschaft, die zugleich flexibel und robust ist und die sich durch einen positiven Kreislauf von Umwelt und Wachstum auszeichnet. Großer Einfluss kommt hierbei den Kindern und jungen Menschen als Träger der kommenden Generation sowie den Frauen zu. Um eine bessere Gesellschaft zu schaffen, die alle Menschen einschließt, möchte ich die folgenden drei Punkte anführen, die ich für wichtig halte.
Erstens die große Bedeutung der Vereinten Nationen und des Multilateralismus. Ich bin der Ansicht, dass die VN ein transparentes Forum des Zusammenwirkens bilden sollten, in dem alle Beteiligten konstruktiv zur Lösung von Krisen beitragen. Während ich den bisherigen Aktivitäten und Anstrengungen der VN meinen aufrichtigen Respekt zolle, sage ich gleichzeitig, dass von ihnen verstärkt eine neutrale und faire Lenkung und Steuerung verlangt wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine Schlüsselstellung bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten einnimmt, wird durch eine Überprüfung und Reform noch mehr in die Lage versetzt werden, das erforderliche Wissen noch rechtzeitiger und in angemessenerer Weise zu nutzen. Auf der Grundlage dieser Überzeugung wird Japan bei einer Überprüfung und Reform der Organisation mitwirken. Darüber hinaus stellt jetzt, im 75. Jahr ihres Bestehens, eine Reform der VN einschließlich der Reform des Sicherheitsrats, die die Realitäten des 21. Jahrhunderts widerspiegelt, eine Aufgabe dar, die keinen Aufschub duldet.
Zweitens glaube ich fest daran, dass der internationale Frieden und die Sicherheit durch die jetzige Krise keinen Schaden erleiden dürfen. Das Engagement der VN im Rahmen friedenserhaltender (PKO) und friedenskonsolidierender Missionen ist nach wie vor unerlässlich. Im Rahmen seines proaktiven Beitrags für den Frieden hat Japan bereits bisher seine Erfahrungen genutzt und engagiert sich bei der Erhaltung des Friedens; dies schließt unser Engagement im Rahmen der Kommission für Friedenskonsolidierung (PBC), etwa unseren Einsatz im Bereich Aufbau von Institutionen und Kapazitäten, mit ein. Wir werden auch die Verbesserung der Fähigkeiten von PKO-Personal, die wir in Zusammenarbeit mit Staaten in Afrika und Asien durchführen, fortsetzen.
Drittens dürfen in einer Situation, die von zunehmender Unsicherheit geprägt ist, Herausforderungen, die sich gegen die Herrschaft des Rechts richten, nicht hingenommen werden. Die Herrschaft des Rechts, die wir selbst eindeutig in die SDGs aufgenommen haben, bildet sowohl innerstaatlich als auch im internationalen Rahmen die Grundlage der existierenden Ordnung; sie bildet gleichsam den Geist, auf dem die VN beruhen. Im März kommenden Jahres findet – zum Teil online – in Kyoto der United Nations Congress on Crime Prevention and Criminal Justice statt, der der Förderung der Herrschaft des Rechts weiteren Schwung verleihen wird. Japan wird sein Konzept eines „freien und offenen Indo-Pazifiks“, das den Grundstein für Frieden und Wohlstand in der Region auf der Basis der weltweiten Herrschaft des Rechts bildet, weiter vorantreiben.
Herr Vorsitzender,
das Problem der von Nordkorea entführten japanischen Staatsangehörigen stellt eine Angelegenheit von großem Interesse für die internationale Gemeinschaft dar. Ich selbst habe mich viele Jahre lang mit diesem Problem befasst. In diesem Jahr sind zwei Eltern von Entführungsopfern verstorben. Es bedrückt mich zutiefst, wenn ich mir vorstelle, welche Gefühle die Familien dabei empfunden haben müssen, dass trotz intensivster Bemühungen zur Freilassung ein Wiedersehen mit den geliebten Kindern vor dem Tod der Eltern nicht zustande gekommen ist. Angesichts des hohen Alters der Familienangehörigen der Entführten duldet die Lösung dieses Problems keinen weiteren Aufschub. Japan strebt auf der Grundlage der Erklärung von Pjöngjang zwischen Japan und Nordkorea unverändert eine umfassende Lösung der Frage der Entführungen sowie der Nuklear- und Raketenproblematik an sowie auch eine abschließende Regelung der unglücklichen Vergangenheit und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Als neuer Premierminister Japans bin ich ohne Vorbedingungen bereit, mit dem Vorsitzenden Kim Jong-un persönlich zusammenzukommen. Die Begründung fruchtbarer Beziehungen zwischen Japan und Nordkorea wird beiden Seiten zum Nutzen gereichen und zugleich einen großen Beitrag für den Frieden und die Stabilität in der Region leisten. Ich werde keine Chance ungenutzt lassen und mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen.
Dieses Jahr sind 75 Jahre vergangen, seit erstmals Kernwaffen zum Einsatz gelangten. Hiroshima und Nagasaki dürfen sich niemals wiederholen. Diesen festen Entschluss verinnerlichend hält Japan weiterhin an den drei Anti-Nuklearprinzipien fest und engagiert sich mit Nachdruck für die Verwirklichung einer Welt ohne Kernwaffen. Ich möchte hier erneut die große Bedeutung der Erhaltung und Stärkung des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) hervorheben, dessen Inkrafttreten sich in diesem Jahr zum 50. Mal jährt und der das Fundament des internationalen nuklearen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes bildet. Und auch für die Rüstungskontrolle und Abrüstung der konventionellen Waffen, die als „Abrüstung, die Menschenleben rettet“ gilt, muss sich die Staatengemeinschaft geschlossen einsetzen.
Herr Vorsitzender,
wir sind fest entschlossen, im Sommer kommenden Jahres die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokyo zu veranstalten als Zeichen dafür, dass die Menschheit die Epidemie besiegt hat. Wir werden uns auch weiterhin mit ganzer Kraft dafür einsetzen, Sie alle zu sorgenfreien und sicheren Spielen willkommen zu heißen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.